Sorge um Chloe
Die Truppe von jungen Ärzten findet sich schnell mit ihrer neuen Situation zurecht. Sie erkunden das Lazarett bis in jeden Winkel und bringen eine ungewohnte Unruhe in das Lager. Doch das ist nicht das erste Mal, dass Praktikanten für eine Weile hier her geschickt werden. Auch wenn dieser Ort nicht gerade zu einem Terrorgebiet gehört, ist es hier nicht ungefährlich und deshalb muss sich jeder hier an die Regeln halten.
Am späten Nachmittag ruft Doktor Wilson alle zusammen und stellt sich vor. Er wird sie die kommenden Wochen betreuen und ein paar Übungen mit ihnen machen, die man in Amerika nicht durchführt. Es ist eine zusätzliche Erfahrung für die jungen Ärzte in einem Militärlager zu wohnen und dementsprechend auch gefordert zu werden. Nur sind die meisten hier entweder nur Praktikanten oder schon ausgebildete Ärzte.
Chloe passt nicht so ganz ins Bild.
Christians Gedanken schweifen immer wieder zu ihr ab, obwohl er sich doch durch ihre Anwesenheit nicht ablenken lassen wollte. Trotzdem ist es sehr merkwürdig, dass sie auf einmal hier ist. Sie schien auch überhaupt nicht mit ihm gerechnet zu haben. Das hat er schon am Flughafen gesehen - folglich war sie nicht seinetwegen hier.
Als er vor zwei Tagen die Liste des Ärzteteams von Thomas in die Hand gedrückt bekommen hat, nahm er erst an das wäre ein Scherz.
Doch nach seinem Anruf bei General Anderson fand er schnell heraus, dass es kein Scherz war. Der General war höchst überrascht seine Tochter in Afghanistan zu wissen. Also hat er das nicht veranlasst. Nur wer dann?
Chloe sollte nicht hier sein. Sie ist im ersten Lehrjahr und sollte sich allein auf ihre Ausbildung in der Klinik konzentrieren.
Christian bemerkt, dass er schon wieder zu viel nachdenkt. Es ist bald Zeit fürs Abendessen.
Er verstaut die Unterlagen in der Schublade seines Schreibtisches und verlässt dann sein Zimmer. Als Befehlshabender Captain hat er sein eigenes Zimmer. Das hat den Vorteil, dass ihn Hazima jeder Zeit besuchen kann. Doch jetzt wo Chloe hier ist, hält Christian das für keine gute Idee.
Er sieht sich im Erdgeschoss um. Alle sitzen an den paar Tischen verteilt. Es herrscht muntere Stimmung, auch bei seinen Männern. Natürlich sind sie neugierig und höchst erfreut über so viel weibliches Publikum. Er hat nichts gegen ein bisschen Flirten, doch nur solange die Jungs ihre Pflichten nicht vernachlässigen.
Christian bemerkt schnell, dass Chloe nicht da ist.
„Hey, wer teilt sich ein Zimmer mit Dr. Anderson?", fragt er spontan in die Runde. Zwei Hände gehen hoch.
„Habt ihr sie gesehen?"
Beide Damen schütteln den Kopf. „Sie war den ganzen Nachmittag nicht bei uns."
„Ist sie vielleicht auf ihrem Zimmer?"
„Ich war vor zehn Minuten oben", antwortet die Dunkelhaarige. „Sie war nicht da."
„Wann habt ihr sie zuletzt gesehen?"
„Als wir ins Lazarett gingen."
Er nickt geistesabwesend und bedankt sich für die Auskunft. Abschließend geht er nach draußen, um sich dort nach Chloe umzusehen. Fernando heftet sich an seine Fersen.
„Was ist, Captain, vermisst du jemanden?"
Christian nickt nur und geht mit schnellen Schritten hinüber zum Lazarett. Er und Fernando sehen sich dort um und verlassen nach ein paar Minuten enttäuscht wieder die Scheune.
Christian nimmt das Funkgerät.
„An alle hier spricht Wolf, hat irgendjemand Dr. Anderson gesehen?"
Er wartet einen Augenblick, dann meldet sich eine kratzige Stimme.
„Negativ, Captain."
Das war Milo, der über ihm im Turm thront und das gesamte Gelände im Blickfeld hat.
Verdammt, wo kann sie nur sein? Hoffentlich ist sie nicht zu weit weg gegangen. Hier draußen gibt es Landminen.
Nach dem Essen bringt Christian seine Männer in Bewegung und lässt sie nach Chloe suchen. Als sie nach zwei Stunden immer noch nicht fündig werden, wird er nervös. Ihr Vater erschlägt ihn, sollte ihr hier etwas passieren.
Christian bleibt vor dem Haus stehen und rauft sich die Haare. Er überlegt angestrengt wo Chloe hingegangen sein könnte, doch ihm fällt nichts ein. Sie ist doch gerade erst angekommen und kennt sich nicht aus. Wo sollte sie denn hingehen?
Milo hat nicht aufgepasst. Er hätte es sehen müssen, wenn sie vom Gelände gegangen wäre.
Christian lässt die anderen Mitglieder des Ärzteteams im Haus bleiben. Sie verteilen sich entweder auf ihre Zimmer, um sich von der anstrengenden Reise zu erholen oder sitzen immer noch in netter Runde am Tisch und plaudern.
So ist es immer am Anfang. Sie lernen sich kennen und haben einen schönen Abend. Chloe sollte eigentlich dabei sein.
Gegen Elf hat immer noch keiner Chloe gesehen. Es ist kalt draußen. Gerade mal zehn Grad. Er holt sich seine gemusterte Jacke von drinnen und geht dann wieder hinaus. Wo könnte er nach Chloe suchen?
Er holt die Schachtel Zigaretten aus der Tasche und will sich gerade eine anstecken, als Hazima neben ihn tritt und ihm die Zigarette aus der Hand nimmt.
„Du rauchst zu viel, wenn du nervös bist. Lass das, denk an deine Gesundheit."
Er weiß sie meint es nur gut, aber Christian sind ihre guten Ratschläge gerade vollkommen egal. Er will wissen wo Chloe ist. Wenn sie bis Mitternacht nicht da ist, muss er sich ins Auto setzen und die Umgebung abfahren.
„Adler an Wolf, habe Dr. Anderson im Sichtfeld."
Das ist Milos Stimme.
Die Antwort folgt sofort: „Wo?"
„Auf zehn Uhr, Richtung Übungsplatz."
Christian nimmt die Beine in die Hand. Hazima folgt ihm mit Abstand.
Chloe kommt ihnen am Rande des Übungsplatzes entgegen. Sie hat nicht mal eine Jacke an. Dafür ist es echt zu kalt.
Sie schlendert abwesend über den steinigen Weg. Ihre Füße schlürfen über den Boden. Er wird langsamer, bleibt stehen und sieht dabei zu, wie sie wortlos an ihm vorbei geht.
Er ist irritiert. Wieso sieht sie so abwesend aus?
Er dreht sich schnell um und stellt sich ihr in den Weg.
„Verdammt, Chloe, wo bist du gewesen? Wir haben alles nach dir abgesucht. Weißt du wie spät es ist? Und wieso hast du keine Jacke an?", meckert er ungehalten drauf los.
Sie gibt ihm keine Reaktion, starrt nur ausdruckslos an ihm vorbei.
„Antworte wenigstens. Du kannst nicht einfach so durch die Weltgeschichte spazieren. Hier draußen ist es gefährlich für jemanden, der sich nicht auskennt."
„Christian sei nicht zu streng mit ihr. Es scheint ihr nicht gut zu gehen."
Hazimas Einwand beruhigt ihn etwas. Er will ja nicht so schimpfen, doch Chloe hat keine Ahnung wie gefährlich es hier draußen werden kann. Da gibt es Landminen, Erdrutsche und tausend Wege, auf denen man sich verlaufen kann.
Chloe geht an ihm vorbei. Was ist mit ihr? Selbst im Hubschrauber ist sie seinem Blick nicht ausgewichen.
Er wird immer unruhiger, doch lässt er Chloe zurück ins Haus gehen, wo sie sich sofort auf ihr Zimmer zurück zieht. Sie isst nicht einmal etwas. Auch den kleinen Snack, den ihr Hazima nach Mitternacht noch hinauf bringt, rührt sie nicht an.
Am nächsten Tag liegt sie mit Fieber im Bett und verpasst die ersten Aufgaben von Dr. Wilson.
Die nächsten Tage geht das so weiter. Christian kann seine Sorge nicht leugnen. Was ist nur plötzlich mit Chloe los? Warum ist sie hier und warum ist sie so neben der Spur? Sie lässt wirklich niemanden an sich heran.
Als sich Chloe nach drei Tagen immer noch nicht besser fühlt, geht er zu ihr. Er muss einfach mit ihr reden. Er klopft an die Tür. Keine Antwort.
„Chloe, darf ich rein kommen?"
Ihre Kollegen sind im Lazarett mit Dr. Wilson.
Er klopft noch einmal und betritt dann das Zimmer. Sie sitzt auf dem Bett, Beine angewinkelt und starrt nach draußen durchs Fenster. Ihr gegenüber steht ein einfaches leeres Bett und vor dem Fenster steht ein kleiner Schreibtisch. Das Zimmer ist nichts besonderes, recht schmucklos und eher praktisch.
„Solltest du dich nicht ausruhen?", fragt er und bekommt wie erwartet keine Antwort.
„Chloe wir sollten uns mal unterhalten."
Er setzt sich neben sie auf die Bettkante.
„Verrate mir doch bitte, warum du hier bist. Es ergibt keinen Sinn für mich."
Sein Blick fällt auf ihre immer noch verbundene Hand. Sie hat seit Tagen nicht den Verband gewechselt. Nun löst sich dieser schon ein bisschen.
Ohne nachzudenken greift Christian nach ihrer Hand. Es erschüttert ihn, als Chloe sich ihm erschrocken entzieht und eher ein panisches Verhalten zeigt. Sie verkrampft total und weicht vor ihm zurück. Dabei wagt sie nicht ihn anzusehen. Im ersten Moment denkt Christian an einen geschlagenen Hund, der sich ähnlich verhalten würde.
Er versteht es nicht. Das letzte Mal, dass Chloe sich so verhalten hat, war als er sie kennen lernte. Doch eigentlich war sie schon über diesen Zustand hinaus. Sie hatte es doch im Griff, als er sie das letzte Mal in Amerika gesehen hat. Nein, das stimmt auch nicht.
Im Café hat sie ähnlich reagiert, nur nicht so übertrieben.
Wut keimt in ihm auf. Christian würde am liebsten in eine Wand schlagen. Wer hat Chloe wieder in diesen Zustand versetzt?
„Bitte Chloe rede wenigstens mit mir. Ich kann verstehen, dass du mich nicht sehen willst, aber lass mich wenigstens verstehen warum. Was ist in Amerika mit dir passiert? So kenne ich dich nicht."
Er wartet. Sie sagt immer noch nichts und Christian verzweifelt.
„Wenn du doch offensichtlich nicht hier sein willst, dann genügt ein Anruf und ich schicke dich zurück."
„Bemüh' dich nicht."
Endlich sagt sie etwas.
„Ich habe einen Fehler gemacht und das hier ist meine Strafe. Ich muss das einfach aussitzen."
„Strafe? Wofür?"
Sie zögert mit der Antwort.
„Lass mich einfach in Ruhe, Christian."
„Erträgst du meine Anwesenheit so wenig?"
„Ja. Ich will dich nicht sehen. Trotzdem muss ich dich jeden Tag ertragen."
Ihre Worte schmerzen schlimmer als jede Kugel. Sagt sie das nur, um ihn los zu werden oder meint sie das wirklich?
Christian wird es wohl nicht mehr erfahren.
Enttäuscht und wie ein begossener Pudel verlässt er ihr Zimmer. Kaum ist er auf dem Flur, lässt er sich nicht mehr anmerken, wie sehr ihn Chloes Worte tatsächlich verletzt haben.
Nur eine Person durchschaut seine aufgesetzte Maske.
Hazima lehnt vor der Treppe an der Wand und erwartet ihn bereits. Christian will ihr nichts erklären, doch ihr Blick spricht Bände.
„Wer ist sie, Christian?", fragt sie einfach so. Sie klingt nur neugierig.
„Niemand", antwortet er einen Hauch zu schnell und zu schroff.
„Für einen Niemand macht sie dir aber gehörig Sorgen. Nicht mal um mich machst du dir solche Sorgen, wie um sie. Außerdem hast du sie direkt beim Vornamen genannt. Das beweist eure Vertrautheit."
Er schnauft abweisend und fährt sich mit den Fingern durch die dichten Haare.
„Welche Vertrautheit? Es war nie mehr Abstand zwischen uns."
„Du weißt genau was ich meine."
Ja, das weiß er. Trotzdem schuldet er Hazima keine Erklärung. Er will sie nicht kränken oder eifersüchtig machen.
Er bleibt ihr also die Antwort schuldig und lässt sie dort im Flur stehen, aber Hazima ist nicht dumm. Sie wird wohl verstehen, dass Christian etwas für Chloe empfindet.
Er lässt sie für die nächste Woche komplett in Ruhe, auch als es ihr besser geht. Trotzdem nimmt Chloe nicht an den Kursen bei Dr. Wilson teil. Es soll Christian nicht kümmern. Die Frau wollte ihn nicht, also muss er sich zurückziehen. Nur hätte Christian zu gerne gewusst, wer für ihr Verhalten verantwortlich ist. Wenn er der Person jemals begegnet, wird er ihm oder ihr den Hals umdrehen. Das schwört er sich.
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