Sorge? Ach was!
Wieso sagt er denn nichts? Chloe ruft immer wieder seinen Namen und versucht ihn irgendwie wach zu bekommen. Er atmet ganz normal und sein Puls scheint auch in Ordnung.
„Bitte Christian, wach doch auf!", hört sich Chloe betteln und fängt schon wieder an zu weinen. Sie schluchzt und jammert und versteht die Welt nicht mehr.
Dann auf einmal hört sie ein leises Lachen. Sie hält inne und sieht in Christians grinsendes Gesicht. Sie muss wirklich wahnsinnig komisch aussehen, weil aus dem leisen Lachen ein ungehaltenes wird.
Er richtet sich auf und scheint total in Ordnung zu sein. Hat er sie etwa gerade verarscht? Zunächst kann es Chloe nicht fassen. Es dauert etwa dreißig Sekunden, bevor sie reagiert und aufsteht. Sie war in ihrem Leben noch nie so dermaßen wütend auf ihn. Diese Demütigung ist kaum auszuhalten.
„Du Idiot!"
„Vielen Dank!", erwidert er immer noch grinsend.
„Wieso spielst du mir was vor?"
„Weil ich wissen wollte, ob du dir Sorgen machst."
Das klingt halb nach einer Entschuldigung und halb nach einer Provokation.
„Wie bitte?"
„Hach...das beruhigt mich echt ein bisschen. Nach zwei Jahren machst du dir immer noch Sorgen um mich. Wolltest du mich nicht eigentlich aus deinem Leben streichen, damit genau das nicht passiert?"
Das klang jetzt definitiv nach einem Vorwurf.
„Soll das eben deine Rache gewesen sein, dafür dass ich dir einen Korb gegeben habe?"
Er kommt ihr ganz nahe und sieht ihr eindringlich in die Augen.
„Nein nicht einen...gleich zwei. Doch es macht das ganze wieder gut, wenn du auch darunter leidest. Wenigstens ein bisschen."
„Du bist so ein Idiot!"
„Hast du mal was anderes auf Lager?"
„Arschloch! Das ist was ganz anderes", schimpft sie wütend und lässt ihn stehen. Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und verlässt den Tunnel. Wie kann er es nur wagen, dieser Mistkerl! Hornochse! Blödmann! Spinner! Chloe kann nicht aufhören in Gedanken über ihn zu fluchen. Das verzeiht sie ihm so schnell nicht.
Sie hat sich keine Sorgen um ihn gemacht. Jeder normale Arzt hätte an ihrer Stelle so reagiert. Es ging niemals um ihn als Person. Sie hat sich lediglich erschrocken. Verflucht, das glaubt sie ja selber nicht. Am liebsten würde sie Christian mit ihren eigenen Händen umbringen, dafür dass er sie so verarscht hat.
Simon erwartet sie draußen vor dem Eingang. Er steht mitten auf der Straße und mustert sie ganz blöd. Chloe will sich nicht vorstellen wie sie im Moment aussieht.
„Chloe!"
Sie hört Christian hinter sich. Er soll bloß verschwinden.
„Chloe warte!"
„Lass mich in Ruhe! Ich rede kein Wort mehr mit dir!"
„Das hältst du doch eh nicht durch", verkündet er selbstsicher.
Das macht Chloe nur noch wütender.
„Und wenn schon. Im Augenblick will ich dich nicht mehr sehen."
„Komms schon, es tut mir leid."
„Vergiss es, Christian. Du bist einfach zu weit gegangen. Solche Scherze sind einfach zu viel."
„Aber wie hätte ich sonst erfahren, dass du noch immer was für mich übrig hast?"
Sie bleibt neben Simon stehen, der die Szene voller Neugier betrachtet. Ihm müssen gerade tausend Fragen durch den Kopf gehen. Das sieht Chloe ihm an.
„Jetzt gerade nicht mehr so viel", antwortet sie etwas ruhiger, aber immer noch wütend.
„Du hast dir Sorgen gemacht. Ich bin gerührt. Es tut mir echt leid, dass ich dir so einen Schrecken eingejagt habe. Doch du hast dich vor mir versteckt und so getan, als kümmere ich dich nicht."
„Ich habe mich nur versteckt, weil ich nicht wusste...wie ich dir gegenübertreten soll. Ich wollte dich ansprechen, dich fragen, wie es dir geht und noch viel mehr...doch nach deiner kalten Begrüßung hatte ich einfach nicht mehr den Mut dazu."
So jetzt ist es raus. Mal sehen was er dazu sagt. Chloe spürt wie ihre Atmung unregelmäßig wird. Das ist echt lange nicht mehr vorgekommen.
„Ich nahm an...du wolltest mir aus dem Weg gehen", gibt er leise zu.
Es folgt Schweigen. Sie stehen mitten auf dem Geröll und Betonplatten und streiten sich. So hat sich Chloe das nicht vorgestellt.
Wenn sie ehrlich mit sich ist, muss sie zugeben das ein kleines bisschen vermisst zu haben. Alles an ihm, selbst den Streit. Lieber streitet sie mit ihm, als von ihm ignoriert zu werden.
Er verzieht das Gesicht und fasst an seine immer noch leicht blutende Schulter. Das muss wehtun. Nur ihretwegen ist er verletzt. Er hat sie vor den Steinen beschützt. Sich daran zu erinnern stimmt Chloe etwas milde. So nimmt sie einfach ein paar Verbände und Arznei aus Simons Versorgungstasche und geht auf Christian zu.
„Lass mich das sehen", bittet sie ohne ihm in die Augen zu schauen.
„Ist nicht der Rede wert", meint Christian und will sich umdrehen, da packt Chloe in feste am Schlüsselbein und er zuckt mit einem Zischen zusammen.
„Nicht der Rede wert, ja? Spiel nicht den Harten und lass mich das wenigstens verbinden. Immerhin blutest du meinetwegen."
Er wehrt sich nicht länger und setzt sich auf einen der größeren Steine. Dann zieht er seine Uniformjacke aus und das Top darunter auch. Es sind nur ein paar Grad über Null und er scheint nicht zu frieren.
Cloe wird beim erneuten Anblick seines starken und glatten Oberkörpers auch ziemlich warm. Wie kann man nur so ein Leben führen und dabei so gut aussehen? Was für eine Verschwendung, denkt sie bei sich.
„Beeil dich, ich muss weiterarbeiten."
Sie verdreht die Augen und behandelt seine Wunde an der Schulter. Simon hilft ihr dabei ohne ein Wort. Er ist ungewöhnlich still. Zwar redet er sonst auch nicht wie ein Wasserfall, aber gar nichts zu sagen ist auch nicht seine Art.
Kaum ist Chloe fertig, steht Christian auf und lässt seine Arme kreisen.
„Hach, so gut wie neu", grinst er.
Chloe glaubt ihm nicht ganz, spart sich aber einen Kommentar. Stattdessen versucht sie nicht auf seinen freien Oberkörper zu starren. Sie sieht bewusst auf ihre Hände, als sie den restlichen Verband aufrollt und wieder in Simons Tasche verstaut.
Als sie wieder aufsieht, steht Christian direkt vor ihr.
Erschrocken weicht sie zurück. Das ist entschieden zu nahe und nagt an ihrer Selbstbeherrschung.
„Darf ich es wieder gut machen?"
„Was?"
„Das von gerade. Ich habe noch einiges zu tun und teilweise muss ich mich auch in Gefahr begeben. Ich will nicht, dass du mir ewig böse bist, sonst kann ich mich gleich nicht konzentrieren. Das ist weder für mich, noch für alle anderen gut."
Warum sagt er immer solche Sachen? Er bringt sie dazu ihm auf der Stelle zu verzeihen. Doch will sie ihm das nicht so offensichtlich vermitteln.
„Geh mit mir ein Eis essen."
„Huh?"
Sie ist zu verblüfft um einen ganzen Satz raus zu bringen.
„Ich lade dich als Wiedergutmachung ein."
Er hat schon wieder dieses verdammt süße Lächeln aufgesetzt.
Oh Chloe, reiß dich bloß zusammen! , ermahnt sie sich selbst.
Er kann sie doch nicht einfach so auf ein Eis einladen.
Ihr Blick bleibt eine Sekunde zu lange auf seiner Brust hängen. Oh doch er kann. Mit diesem unverschämt perfekten Körper kann er das. Ist es zu auffällig, wenn sie jetzt woanders hin sieht?
Zu spät, schon passiert.
„Du magst doch noch Erdbeereis, oder?"
Es kommt ihr so vor, als hätte er eigentlich gefragt: „Du magst mich doch noch, oder?"
Chloe schluckt und geht schnurstracks zu dem Stein, auf dem seine Uniform liegt. Er muss sich endlich etwas anziehen.
Sie drückt ihm die Kleidung entgegen und sagt im Vorbeigehen ohne ihn eines Blickes zu würdigen: „Ich mag Erdbeereis noch."
~
Christian ist höchst zufrieden mit sich und glücklich noch dazu. Chloe mag ihn noch immer. In den vergangenen zwei Jahren hätte alles passieren können, aber fest steht, dass sie ihn immer noch mag. Sie ist nur zu feige das zuzugeben.
Er könnte sich zwar selbst ohrfeigen für den Streich, den er ihr gespielt hat, doch er hat es einfach nicht mehr ausgehalten. Es ist ihm einfach zu schwer gefallen sie wie Luft zu behandeln. Er musste es riskieren und siehe da, es ist besser ausgegangen als erwartet. Noch dazu geht sie vielleicht mit ihm Eis essen. Warum auch einen Kaffee trinken. Im Winter kann man doch auch Eis essen.
Der pummelige Typ steht immer noch da und fixiert ihn. Wer ist das eigentlich? Arbeitet er mit Chloe zusammen? Bisher hat ihn Christian nicht sonderlich beachtet. Das kann ihm niemand verübeln. Wenn Chloe da ist, sieht er nur sie und alles andere ist unwichtig. Er hat sich so davor gefürchtet nach Hause zu kommen und sie eventuell wieder zu sehen. Doch jetzt ist er unendlich erleichtert. Er wüsste nicht, was er gemacht hätte, wenn Chloe ihn ignoriert hätte. Oder was, wenn sie einen Freund hätte?
Nein, Chloe hat keinen Freund. Schnell verwirft Christian diesen Gedanken. Sie hat kein Vertrauen zu anderen Männern. Zu seinem Glück.
Zum Teufel, warum starrt dieser junge Arzt ihn immer noch an? Christian zieht sich seine Uniform wieder komplett an und will sich nicht weiter um ihn kümmern.
„Sie...Sie sollten die Verletzung im Krankenhaus überprüfen lassen. Nur...um sicher zu gehen", sagt der Typ schüchtern und deutet auf Christians Schulter.
Dieser nickt nur zustimmend und wartet, bis der Typ von dannen schleicht.
Er hat gar nicht so unrecht. Zwar glaubt Christian sich bloß eine Prellung zugezogen zu haben, doch bietet ihm das die Gelegenheit Chloe so bald wie möglich wieder zu sehen.
Er schmunzelt noch, als er schnell in den dunklen Tunnel zurück eilt und dort fragend von Thomas gemustert wird.
„Willst du mir das vielleicht irgendwie erklären?"
„Nicht wirklich", antwortet Christian grinsend.
„Was ist mit deiner Schulter?"
„Ach gar nichts."
„Ich bin überrascht. Du rennst durch einen Hagel voller Kugeln, überlebst einen Kanoneneinschlag direkt neben dir und stürzt dich mit einem halb kaputten Fallschirm aus einem Flugzeug und bekommst nicht mal einen Kratzer. Aber wegen ihr lässt du dich an der Schulter verletzen", bemerkt Thomas scharfsinnig. „Kaum bist du in der Heimat, schon hast du eine Verletzung."
Thomas wartet kurz und klingt nachdenklich, als er fortfährt: „Jetzt kann ich nachvollziehen, warum du nicht nach Hause wolltest. Du bist verflucht, mein Freund."
Christian lacht höhnisch.
„So ein Blödsinn."
„Nein im Ernst, das ist doch nicht normal."
Thomas redet absoluten Blödsinn. Er hat wohl bemerkt, was Chloe für eine Stellung in Christians Leben hat. Ihm macht keiner so leicht was vor. Dennoch sagt er nichts dazu und plappert stattdessen sinnloses Zeug.
Christian bemerkt seinen wissenden Gesichtsausdruck und ist ihm dankbar, dass er vorerst keine Fragen stellt.
Chloe gehört zu dem Teil seiner Vergangenheit, über den er nichts so gerne sprechen möchte.
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