Soldatenleben

Der Jeep hält vor dem maroden Gebäude und die Männer steigen aus. Sie sind müde. Man sieht ihnen die Strapazen der letzten Tage an. Auch Christian ist erschöpft, doch er hat sich mittlerweile an diesen Zustand gewöhnt. Es gibt für ihn keine Entschuldigung für Schwäche. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat er auch keine Schwäche gezeigt. Es ist, als wäre er irgendwann losgerannt und bis jetzt nicht ein einziges Mal stehen geblieben.

Er konnte auch nicht stehen bleiben. Er musste zuverlässig bleiben und seine Männer so gut wie möglich durch die Krise führen. Das hat ihn stärker gemacht und ihm das Vertrauen seiner Soldaten geschenkt.
Sie folgen ihm, was er auch tut. So etwas ist nicht leicht in einem Trupp zu erreichen, aber in der Armee stellt man sehr schnell fest, dass Freunde und Familie nebensächlich werden. Die neue Familie besteht aus seinen Kammeraden. Wenn sie ihm da nicht bedingungslos vertrauen, hat er ein Problem.

Milo zieht sich den Helm vom Kopf und wuschelt sich durch seine dunklen Haare, die ihm zu allen Seiten vom Kopf abstehen. So wird der Begriff Helmhaare ganz neu definiert. George legt ihm amüsiert den Arm um die Schulter und streicht ihm anschließend das eben geglättete Haar wieder aus dem Gesicht, um seinen Kumpel zu ärgern. Dieser schimpft und kämt seine Haare schnell wieder mit den Fingern ins Gesicht.

Ronald – von allen entweder Ron oder Küken genannt – hat zu allem einen lächerlichen Kommentar abzugeben. Er weiß zum Teil gar nicht, wie naiv er wirkt. Doch er ist der jüngste aus der Truppe. Gerade Anfang zwanzig. Er war früher ein untalentierter Straßendieb, bis Christian ihn fand und ihm eine neue Chance bot. So wurde er auch ein Soldat und hat darauf bestanden in Christians Einheit zu dienen. Er bewundert Christian und ist sich für keinen seiner Befehle zu schade. Ein verlässlicher junger Kerl. Christian muss immer leicht schmunzeln, wenn er ihn sieht.

Fernando, der große Muskelklotz neben ihm ist das absolute Gegenteil von Ron. Er ist stark und hat viel Ausdauer trainiert. Wenn es darum geht über weite Strecken zu rennen oder viel Ausrüstung mit sich zu tragen, ist er wohl der ungeschlagene Champion.

Er sagt nicht viel, ist jedoch ein aufmerksamer Bursche. Zudem hat er immer ein zusätzliches Auge auf das Küken.
Und dann wären da noch Kinan und Murat. Die beiden sind erst seit einem halben Jahr in Christians Einheit. Sie sind Sprengstoffexperten und basteln immer und überall an den unmöglichsten Dingen herum.

Sie sind beide Araber, sprechen aber fließend Englisch und haben sich schon mehr als einmal als äußerst raffiniert erwiesen.

Der Beste Scharfschütze wäre wohl Thomas alias Dead Eye. Ihn hat Christian vor eineinhalb Jahren im Irak kennen gelernt. Er ist ihm auf dem Schlachtfeld begegnet und seit her nicht wieder losgeworden.

Auch Thomas ist zuverlässig und ein verdammt guter Schütze. Wenn es darum geht seinen Rücken abzudecken, kann ihm Christian sehr vertrauen. Wobei er ehrlich zugeben muss, dass er seit Liam keinem Mann mehr wirklich vertraut.

Das kann ihm wohl keiner verübeln. Thomas weiß von der Geschichte mit Liam. Allerdings kennt er keine Einzelheiten. Er will mehr über Christian erfahren. Doch solange Christian ihn nicht hundertprozentig einschätzen kann, wird er sich ihm gegenüber nicht vollständig öffnen.

Thomas streckt sich und schultert sein langes Gewehr. Dann stapft er zwar müde aber gut gelaunt ins Haus, wo Hazima ihn schon mit einem freundlichen Lächeln erwartet. Sie ist auch ein gebrandmarktes Überbleibsel des Schlachtfeldes und eine sehr gute Köchin.
Sie ist gerade mal Anfang dreißig und wirkt für ihr Alter weitaus reifer, als es üblich ist. Das kommt, weil sie Leid und Zerstörung am eigenen Leib erfahren hat.

Ihre dunklen Augen mit Kajal umrandet stechen sofort aus ihrem ovalen Gesicht hervor und suchen nach Christians Aufmerksamkeit. Auch für ihn hat sie immer ein Lächeln übrig. Sie versteckt ihre Reize nicht. Das viel zu kurze Top zeigt ihre glatte Haut unterhalb des Bauchnabels und ihre leicht zerrissene Jeans betont ihre schlanken, langen Beine. Die Jungs buhlen um ihre Gunst, doch Hazima hat nur Augen für Christian. Ihre eine Hand hakt lässig an ihrer Hosentasche und die andere wirft ihre schwarzen welligen Haare zurück.

Als Christian sie fand, war sie total verängstigt und ein totales Wrack. Er hat sie aus einem Schlammloch vollgestapelt mit Leichen gezogen. Damals hat man ihre wahre Schönheit nicht wirklich erkannt. Jetzt steht sie da, selbstbewusst an den Türrahmen gelehnt und lächelt ihn erwartungsvoll an.

Christian lächelt nicht zurück. Es wäre falsch sie im Glauben zu lassen, dass er für immer hier bleiben würde. Irgendwann muss er wieder gehen.

Thomas stupst ihm seinen Ellenbogen in die Seite. Als Christian ihm darauf nur einen vielsagenden Blick schenkt, zwinkert Thomas in Hazimas Richtung und schlendert gemütlich die Treppe in den ersten Stock.

Christian schüttelt nur den Kopf und geht zu Hazima. Er legt seinen Waffengürtel ab und legt ihn zusammen mit seinem Barett neben sich auf einen der vielen Tische. Der Raum ist groß. Hier werden üblich nur Speisen eingenommen, er dient gleichzeitig auch als Kommandozentrale. Die Jungs halten sich hier die meiste Zeit auf, wenn sie nicht offiziell im Dienst sind.

An den Wänden ringsum stehen noch mehr Tische. Auf ihnen stehen ausrangierte Computer, ein altes Funkgerät, das noch halbwegs funktioniert, und viele Aktenstapel. Keine wichtigen Dinge.

An der Decke kreist ein großer Ventilator und spendet etwas frischen Wind und erleichtert das Leben bei über 30 Grad. Es ist Abend. Da ist es noch einigermaßen auszuhalten. In der Mittagssonne zu trainieren ist eine andere Sache. Doch das Training kann einen Tag warten. Das Team hat sich nach den letzten Tagen einen Tag Ruhe verdient. Abgesehen von den täglichen Pflichten wird Christian sie nicht großartig fordern.

„Willkommen zurück, Captain", sagt Hazima mit ihrem leichten Akzent und schwingt ihre langen Arme um seinen Hals. Es stört sie überhaupt nicht, dass er verschwitzt und dreckig ist. Sie ist einfach nur erfreut ihn wieder zu sehen.

Christian antwortet nichts auf ihren Gruß. Stattdessen schlingt er seine Arme um ihre Taille, zieht sie an sich und küsst sie leidenschaftlich.

Er hört einen seiner Kammeraden pfeifen und Kinan meint trocken: „Na das nenn' ich mal eine anständige Begrüßung."
Verlegen zieht sich Hazima zurück und fasst Christian bei der Hand. Amüsiert folgt er ihr nach oben.

Zurück in seinem Zimmer, nimmt er zu aller erst eine intensive Dusche und klemmt sich in frische Kleidung. Natürlich hat er immer eine Ersatzuniform. Hazima greift nach der schmutzigen Wäsche und will sie gerade aus dem Zimmer tragen, als Christian – noch nicht ganz angekleidet – ihr den Korb aus der Hand nimmt.

„Was machst du da?"
Sie sieht ihn verwirrt an.
„Das ist nicht deine Aufgabe."
„Es macht mir nichts aus."
Oh nein, wenn sie jetzt auch noch Anfängt die liebe kleine Hausfrau für ihn zu spielen, dreht er durch. Abgesehen davon ist es ihm unangenehm, wenn Hazima denkt sie müsse diese Art von Arbeit machen, um ihm gerecht zu werden.

Er stellt den Korb weg und schenkt ihr einen vorwurfsvollen Blick.
Nach einem langen Moment der Stille tritt Hazima vor und schmiegt sich an ihn.
„Ich wollte dir bloß einen Gefallen tun."
„Nichts da."
Sie lächelt und drückt sich an seine Brust.
„Bist du müde?"

Christian weiß, warum sie ihn das fragt. Er ist zwar erschöpft, aber so erschöpft auch wieder nicht. Also legt er seine Hand unter ihr Kinn und hebt ihr Gesicht seinem entgegen. Es folgen lange und intensive Küsse. Vielleicht ist es genau das, was er jetzt braucht. Er ist schließlich auch nur ein Mann.

Er schläft mit ihr. Mehr als einmal an diesem Abend. Später liegt sie völlig entspannt in seinem Bett und atmet regelmäßig. Sie scheint völlig erschöpft und ist nach dem letzten Mal direkt eingeschlafen. 
Warum werden Frauen nach dem Sex immer so müde?

Zugegeben Christian ist auch müde, aber irgendetwas hält ihn vom Schlafen ab. Nachdem er mindestens eine Stunde lang neben ihr im Bett gesessen und gegrübelt hat, steht er auf, zieht sich etwas an und geht hinunter.

Er hat nicht einmal etwas gegessen, fällt ihm auf, als er an der Küche vorbei kommt. Wirklich Hunger hat er auch jetzt nicht. Es ist ruhig im Haus. Die anderen schlafen bestimmt. Er geht vor die Tür, setzt sich auf die Stufen vor dem Eingang und steckt sich eine Zigarette an. Seit wann raucht er so viel?

Er sieht den Wachposten oben im alten Kirchturm stehen. Alles an diesem Ort ist zerfallen und einsam. Zwei Häuser, die den Krieg gerade so überstanden haben, die alte Scheune und das Haupthaus, in dem die Truppen zur Zeit unter kommen. Von der Kirche ist nicht mehr viel übrig. Nur der Turm und eine Hälfte der Saalmauer steht noch. Von dort oben hat man einen ganz guten Überblick über das restliche Gelände.

Dahinter hat man einen Übungsplatz eingerichtet, wo man Gelände-, Schieß- und Nahkampffertigkeiten trainieren kann. Er hat dort schon unzählige Stunden verbracht. Nicht nur als Lehrling, sondern auch als Trainer.

Plötzlich setzt sich jemand mit einem lauten Stöhnen neben ihn. Es ist Thomas.
„Du schläfst nicht?", fragt Christian mehr oder weniger emotionslos.
„Du offenbar auch nicht. In Gedanken, Captain?"

„So wie immer, du kennst mich."
Christian zieht an der Zigarette.
„Ich frage mich immer worüber du nachdenkst. Du wirkst immer so cool und verschlossen. Nicht einmal Hazima scheint dich zu verstehen."

„Hazima ist auch nicht der Mensch dem ich mich gegenüber gerne öffnen würde."
„Hast du nicht darüber nachgedacht mit ihr ernst zu machen? Immerhin schläfst du schon eine Weile mit ihr."
Christian zieht erneut von der Zigarette und lässt sich Zeit mit der Antwort.
„Das ist nicht von Dauer."
„Das wird sie nicht freuen zu hören. Sie scheint eine Menge für dich übrig zu haben."
„So wie du, ja?"
Er kann sich ein unterschwelliges Schmunzeln nicht verkneifen.

„Ich? Ich wäre gerne dein Freund, Christian, aber ich würde dich niemals heiraten", erklärt Thomas mit übertriebener Überzeugung und legt seine Hand aufs Herz, als würde er sein Bedauern ausdrücken.

Kurz darauf müssen beide lachen.
„Idiot."
„Ich weiß", gibt Thomas ehrlich zu. „Trotzdem ist es eine Freude mal ein Lächeln in deinem Gesicht zu sehen, Captain."

„Es ist nicht deine Aufgabe mich bei Laune zu halten."
Thomas wird wieder ernst.
„Das nicht, aber ich werde einfach nicht schlau aus dir. Du bist ein verdammt guter Soldat, Kollege. Was Kriegsführung und Kampfkunst sowie Überlebenstechnik angeht, macht dir so schnell keiner was vor. Doch stürzt du dich von einem Abenteuer ins nächste. Du bist zügellos und manchmal habe ich Angst nicht mit dir mitzuhalten, Boss. Wenn wir dort draußen sind, bist du immer ein absolutes Vorbild für uns alle. Du weißt immer was du tust, bist selbstsicher und stark, doch wenn du alleine bist, wirkst du unnahbar und immer mit den Gedanken wo anders. Woran denkst du, wenn du glaubst, dass die Anderen nicht hinsehen?"

Christian sieht Thomas einen langen Moment wortlos an. Seine blauen Augen sind aufrichtig. Trotzdem kann Christian nicht über seinen Schatten springen.

„Thomas, du kennst doch meine Vorgeschichte."
Thomas überlegt kurz. „Nur zum Teil."
„Du kennst die Geschichte über Lieutenant Mitchell?"
Er nickt und erinnert sich offensichtlich an Christians alten Partner. Jeder weiß, was er getan hat.

„Ich vertraue dir, Dead Eye", erklärt Christian tonlos und zieht ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er sie auf den Boden fallen lässt und mit dem Fuß drauf tritt. „Doch nur so weit, wie dein Gewehr schießt."

Dann steht er auf und geht wieder ins Haus. Reden macht ihn doch hungrig. Wenn Thomas nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, dann hat er ihn verstanden.

Sein Handy in der Hosentasche klingelt. Wer ruft denn um diese Zeit bei ihm an? Das kann nur Amerika sein. Die lernen das nie mit der Zeitverschiebung.

„Sir!", sagt er zum Gruß, als er die Stimme seines Vorgesetzten Major General Carter erkennt. Er hat sehr lange nichts von ihm gehört. Vermutlich will er einen Bericht von der letzten Mission haben, die etwas länger gedauert hat, als erwartet.

„Captain Hale, wir beordern Sie umgehend nach Amerika zurück. Es gibt hier Arbeit für Sie."
Christian stutzt. Eigentlich wollte er vor drei Jahren nicht nach Hause zurück kehren. Er dreht sich um und fängt von draußen Thomas neugierigen Blick auf.

„Wer hat das veranlasst, Sir?"
„General Anderson."
Christian rollt mit den Augen. Was soll das denn werden? Wieso holt der General ihn zurück? Christian hat darauf bestanden mindestens drei Jahre im Osten zu bleiben. Sein Unwillen muss ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn Thomas macht große Augen.

Christian räuspert sich und antwortet so gelassen, wie möglich: „Verstanden, ich nehme den nächsten Flug."
Kaum ist das Gespräch beendet, stößt er einen halb erstickten Fluch aus und steckt das Handy zurück in seine Tasche.

„Heimaturlaub?", fragt Thomas mit einem schiefen Lächeln.
„Heimat ja. Urlaub nein", gibt Christian knurrig zur Antwort.
„Ich verstehe dich einfach nicht. Jeder andere würde sich über einen Besuch in der Heimat nach fast zwei Jahren freuen."
„Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, Thomas", beginnt Christian und wandert schon die Stufen nach oben, „ich bin nicht jeder andere."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top