Lauf, Christian! Lauf!
Das harte Training macht sich bezahlt für solche Situationen. Schwimmen im eiskalten Ozean, stundenlang mit voller Montur und schwer beladenen Rucksäcken durch unebenes Gelände rennen. Nicht nur einfach joggen, nein, richtig laufen. Über lange Distanzen sprinten und über Unebenheiten klettern. All diese Dinge sind Christian nicht fremd. Nur wünscht er sich nicht in der Kälte durch die chaotische Großstadt rasen zu müssen. Noch dazu im Anzug. Doch nichts kann ihn daran hindern seinen Job zu machen.
„Jetzt links. Hundert Meter vor dir", sagt Thomas über Funk.
„Ich sehe ihn", antwortet Christian laut atmend und verfolgt die dunkle Silhouette des Mannes. Er hat Christian leider sehr schnell bemerkt und läuft weg. Da Christian ihm schnell näher kommt, hat der Typ keine Chance in ein Auto zu steigen. Er hat keine Wahl als zu laufen und das wird sein Ende sein. Niemand entkommt Christian. Erst recht bei dieser Art von Rückendeckung.
„Sag mal hast du den etwa geklaut?"
„Den habe ich zufällig auf dem Dach gefunden."
Christian glaubt nicht wirklich an Zufälle. Obwohl, seit er Chloe kennt schon. Er wirft einen kritischen Blick nach oben in den Himmel. Dort schwebt ein kleiner Helikopter relativ tief zwischen den Hochhäusern und behält alles im Auge. Natürlich fliegt Thomas das Ding nicht selber. Er ist derjenige, der sich mit einer Sniper aus der geöffneten Tür lehnt. Christian ist sich sicher, dass der Vogel dem Konsul gehört.
„Okay Dead Eye, nun hast du die Chance dir mein Vertrauen zu verdienen. Und vielleicht auch meine Freundschaft, wenn du's richtig machst."
„Wohoooo! Das nenne ich Motivation, Captain. Sei unbesorgt der Junge entwischt uns nicht."
Christian muss schmunzeln. Thomas gibt sich echt viel Mühe ihn zu beeindrucken.
Der Mann dreht sich zu ihm um. Ein Asiate. Er rennt ohne Rücksicht auf Verluste durch eine Gruppe von Menschen, die auf dem Gehweg stehen. Dabei rempelt er sie an und sie beschweren sich. Christian nutzt den kleinen Gang, der nun zwischen den Leuten frei geworden ist und bleibt an dem Schützen dran.
Er hört den Schuss mehr, als dass er ihn sieht. Vor ihm fällt ein Haufen Rohre von einem Laster. Der Sniper muss kurz anhalten und einen neuen Weg einschlagen, was ihn ein paar Sekunden kostet und Christian näher an ihn heran bringt.
„Guter Schuss. Hast du das geübt?", neckt Christian Thomas.
„Na klar, habe in meiner Freizeit auch nichts besseres zu tun, als mit Helis herum zu fliegen und auf Sachen zu schießen."
„Denk dran, wir brauchen ihn lebend", erinnert Christian schnaufend.
„Na dann beeil dich mal. Du könntest dich schon ein bisschen mehr anstrengen."
„Hör mal, ich bin derjenige, der rennt."
„Lauf, Christian! Lauf!"
Christian hört Thomas leise lachen.
Mit seinen Anweisungen verfolgt Christian den Attentäter durch die vollen Straßen der Großstadt. Dabei rennt er quer über die Straße. Er riskiert alles, um Christian auf Abstand zu bringen.
Dieser bemerkt das Auto von rechts nicht rechtzeitig.
„Pass auf!", schreit Thomas in sein Ohr.
Das Auto kann nicht schnell genug bremsen und würde Christian mit voller Wucht über den Haufen fahren, doch er springt ab, stützt sich kurz auf der Motorhaube ab und gleitet elegant vor der Windschutzscheibe des blauen Chevrolets entlang. Der Fahrer bremst und staunt nicht schlecht über das Manöver.
Doch bevor er wahrscheinlich kapiert, was gerade passiert ist, rennt Christian schon weiter.
„Verflucht Christian, das war knapp."
„Ja. Danke, dass du mir wieder einmal den Arsch gerettet hast."
„Keine Ursache. Chloe erschlägt mich, wenn ich nicht auf dich aufpasse."
„Ach für sie machst du das? Ich nahm an dir liegt was an mir. Hab mich wohl getäuscht."
„Schneller Wolf, er hat schon wieder den Abstand vergrößert."
Christian legt noch einen Zahn zu. Geht das überhaupt? Es erscheint Christian, als könne er plötzlich unmögliches möglich machen.
„Verflixt!"
„Was ist?", fragt Christian nach Thomas lautem Fluchen.
„Er ist gerade auf eine Baustelle gelaufen. Vermutlich will er sich dort verstecken."
„Er muss sich verstecken, weil er vermutlich keine Kondition mehr hat."
„Er ist in ein leerstehendes Gebäude gerannt. Da sind überall Netze vor dem Gerüst, ich habe null Sicht."
„Ich gehe alleine rein."
„Christian ich kann dir da drin nicht helfen."
„Schon gut. Setz den Vogel ab und komm nach. Ich halte ihn in Schach."
„Sei vorsichtig. Ich brauche ein paar Minuten."
„Alles klar."
Christian geht in das Gebäude. Es ist ein einfacher Rohbau mit etwa fünf Etagen. Bis jetzt stehen nur die Grundmauern. Nichts als Beton so weit man sehen kann. Das schwächer werdende Sonnenlicht, strahlt gegen die bunten Verkleidungen des Gerüsts und setzen das Innere des Gebäudes in ein seltsames Licht. Da liegen riesige Eisenstangen, noch mehr Betonbeutel und einige Handwerksmaterialien. Eine Betontreppe führt in die oberen Stockwerke.
Christian wird langsam. Er hält seine Waffe bereit und sieht sich aufmerksam um. Der Typ ist alleine. Er wird sich verstecken und versuchen Christian aus dem Hinterhalt heraus anzugreifen.
Deshalb darf er nicht seine Deckung vernachlässigen. Doch Christian macht das nicht zum ersten Mal. Er wird seinen Gegner in die Enge treiben und überraschen.
Er hört ein Geräusch. Er ist in der Nähe.
Christian sucht Deckung bei einer Wand und schaut vorsichtig um die Ecke. Da ist jemand. Ist es der Sniper?
Mit einem schnellen Satz springt er hervor und zielt auf die Person.
„Was zum...?"
Der Asiate aus dem Hotel steht vor Christian. Er hat ihn anscheinend verfolgt. Auch er hat sich bewaffnet, erkennt Christian aber als Verbündeten an und deutet mit dem Finger an die Decke. Damit meint er den Schützen in den oberen Stockwerken zu vermuten.
Christian nickt und richtet seine Waffe nicht mehr auf den Leibwächter des Konsuls.
Sie reden kein Wort, was sie nur verraten würde. Stattdessen schleichen sie auf leisen Solen die Treppe rauf.
Mit Handzeichen geben sie einander zu verstehen wer in welche Richtung geht. Sie suchen jede Etage ab und finden nichts. Dann muss er ganz oben sein. Im obersten Stockwerk stehen sehr breite Säulen, die die einzige Deckung zu geben scheinen.
„Christian hörst du mich? Unternimm nichts, bevor ich nicht bei dir bin."
Christian kann Thomas jetzt nicht antworten. Außerdem ist er nicht mehr alleine. Fragt sich nur wie weit er sich auf den Asiaten verlassen kann.
Seine Frage wird im nächsten Moment beantwortet, als ein Dauerbeschuss aus einem Hinterhalt auf den Mann einfällt. Er hat kaum Zeit das Feuer zu erwidern und fällt zu Boden. Christian sucht blitzschnell Deckung hinter einer Säule.
„Shit!", flucht er und hält seine Pistole bereit.
„Christian? Was ist da los?"
„Hey Kumpel, ich könnte jetzt nen Panzer gebrauchen."
„Einen Panzer?", fragt Thomas erstaunt. Wo zur Hölle steckt er denn?
„Der Typ hat ein verfluchtes MG."
„Fuck!"
„Du sagst es."
„Hast du Deckung?"
„Vorerst ja. Doch das kann sich jeder Zeit ändern."
„Bleib wo du bist. Ich bin auf dem Weg. Wir konnten leider nur ein paar Blocks weiter landen, deshalb dauert es so lange. Mach nichts, bis ich da bin. Habe auch schon Verstärkung angefordert. Selbst der General ist informiert."
„Beeil dich, Thomas. Der Kerl wusste genau wo er hinläuft. Er wollte uns hier her locken."
Weitere Schüsse übertönen das Gespräch und Christian macht sich schmal hinter der Säule, die immer wieder von schnellen Kugeln getroffen wird. Sie hinterlassen dunkle Löcher im Beton. Putz bröckelt auf den Boden.
Verflucht wer ist der Kerl, dass er solche Waffen hat? Er muss ein paar ganz mächtige Freunde haben.
Christian überlegt was er tun kann. Sobald er sich nur einen Zentimeter bewegt, fängt der Typ erneut an zu schießen. Er wird nicht mal Zeit haben die Waffe zu heben. Er sitzt fest.
Er sieht zu dem kleinen Asiaten. Er windet sich schmerzerfüllt auf dem Boden. Wahnsinn er lebt noch! Christian muss ihm helfen.
Er pustet nervös die Luft aus und dreht sich seitlich zur Säule. Dann schießt er um die Ecke in die Richtung, wo er den Schützen vermutet.
Dieser eröffnet natürlich sofort wieder das Feuer und Christian zieht seinen Arm zurück. Das wiederholt sich einige Male, bis sich Christian sicher ist, dass der Schütze das Magazin wechseln muss. Er hat nur 800 Schuss pro Minute und die hat er weitestgehend verbraucht. Er hat keine Wahl als es zu riskieren. Er schießt während einer Feuerpause auf seinen Feind, der sich ebenfalls hinter einer Säule Deckung sucht. Da er nicht sofort zurück schießt hat Christian recht behalten. Er muss erst das Magazin wechseln.
In dem Moment läuft Christian schon los. Er eilt zu dem blutenden Mann am Boden und greift unter seine Arme. So schnell wie möglich zieht er ihn in eine sichere Zone.
Plötzlich folgen weitere Schüsse. Doch nicht von dem Schützen. Sie kommen von draußen.
Christian flucht erneut auf. Jemand ist auf dem Gerüst. Hat der Schütze Unterstützung bekommen? Christian zieht den hilflosen Asiaten weiter. Was für eine blöde Situation. Kaum hat er den Mann hinter die Säule geschleppt nimmt er wider seine Waffe und verteidigt sich.
Zwei Minuten später hat er keine Munition mehr.
„Thomas? Ich könnte hier wirklich deine Hilfe gebrauchen."
„Ich bin da. Ich höre euch. Dreißig Sekunden, dann bin ich bei dir."
„Sie sind auf dem Gerüst."
„Ja drei Stück. Ich kann sie aber nicht treffen von hier unten."
Christian hat keine dreißig Sekunden. Die Typen haben beschlossen sich zu zeigen und treten vor ihn.
Es gibt keine Möglichkeit auszuweichen oder die Deckung zu wechseln. Sie haben ihn umzingelt. Christian fällt nichts besseres ein als über die Situation zu schmunzeln.
Wenn man ein Soldat ist, stellt man sich immer wieder die Frage wie lange man leben wird und ob man noch genug Zeit hat die wichtigsten Dinge im Leben zu erreichen. Vor allem fragt man sich als Soldat ständig wie man draufgehen wird. Der Tod an Altersschwäche ist eher eine geringe Quote in dem Job.
„Thomas...das Spiel endet hier."
„Christian? Ich bin jede Sekunde bei dir."
Das ungleichmäßige Knallen der Pistolen ist das letzte, was Christian noch mitbekommt. Auf einmal fliegt der Boden auf ihn zu.
Die Welt wird verschwommen. Da kommen Leute. Es wird wild drauf los geschossen. Jemand ruft nach ihm. Ist das Thomas?
„Wolf! Wolf hörst du mich? Christian mach kein Quatsch! Bleib bei mir!"
Er blinzelt, kann aber nichts erkennen, weil die Welt vor seinem Auge verschwimmt.
„Ruft sofort einen Krankenwagen! Hör zu, Christian, du musst wach bleiben. Scheiße warum hast du nicht auf mich gewartet?"
Thomas klingt verzweifelt. Christian ringt nach Luft. Etwas verstopft ihm die Atemröhre. Nun versteht er Chloe ein bisschen besser. Er weiß nun wie es sich anfühlt keine Luft zu bekommen. Er sieht Thomas gefärbte Hand. Ist das Blut?
Es fällt ihm so schwer die Augen auf zu halten. Die Lider werden immer schwerer. Er fühlt den Rest seines Körpers nicht mehr. Erschöpfung übermannt ihn. Er muss sich ausruhen. Alles ist so schwer, alles ist so laut und er hat überhaupt keine Ahnung mehr wo er ist. Er sieht überhaupt nichts mehr, da kann er die Augen auch schließen. Völlige Schwärze umhüllt ihn und zieht ihn unbarmherzig in absolute Besinnungslosigkeit.
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