Konsequenzen

Kaum haben sie die Stadt verlassen wirft Thomas einen Blick in den Rückspiegel und meint: „Sie folgen uns."
„War zu erwarten", erklärt Christian und scheint nicht gerade besorgt. Chloe dagegen hat das Gefühl ein Déjà Vu zu erleben.
Das letzte Mal, als sie in einem SUV gesessen hat und sie von komischen Typen verfolgt wurden, ist das mit einer Schießerei und einem Verräter ausgegangen.

Thomas fährt unbeirrt weiter. Man schießt auch nicht auf sie. Es scheint, dass die Männer aus der Stadt sie bloß verfolgen. Der Verwundete stöhnt schmerzerfüllt. Kommt er zu sich? Nicht ganz. Doch bekommt ihm die Fahrt nicht besonders. Chloe hält weiterhin ihre Hände auf dem provisorischen Verband. Es dauert nicht mehr lange, dann kann man ihm richtig helfen.

„Lasst den Wagen durch", spricht Christian in sein Funkgerät.
Die Wachen am Rande des Militärgeländes salutieren und kümmern sich nicht weiter um ihre Verfolger.
Kaum hält der SUV, steigen alle aus und schaffen den Patienten ins Lazarett, wo das Ärzteteam zwar erstaunt aber sofort bereit ist zu helfen. Allen voran Dr. Wilson.

Chloe ist beeindruckt mit welchen geschickten Handgriffen er die Kugel herauszieht und schnell die Wunde versorgt. Chloe kümmert sich darum, dass der Patient mit ausreichend Blut versorgt wird und sieht ständig aus dem Fenster auf den Hof, wo die Afghanen den Soldaten gegenüberstehen und sich gegenseitig grimmig anglotzen. Doch da ihnen die Soldaten im Weg stehen, kommen sie nicht ins Lazarett. Zumindest richten sie jetzt keine Waffen aufeinander.

Auch Hazima steht im Eingang des großen Wohnhauses und behält die Situation im Blick. Ron geht zu ihr und sagt etwas zu ihr. Erzählt er ihr, was passiert ist?

Als die Ärzte nichts weiter tun können, gehen sie hinaus und berichten über den Zustand des Patienten. Dr. Wilson ist überzeugt davon, dass der Mann durchkommen wird. Es bleibt jetzt nur abzuwarten, ob er aufwacht. Dann lobt er Chloe für ihr gelungene Erste-Hilfe und verschwindet dann wieder in der Scheune.

Nach und nach entspannen sich die Männer etwas und warten ab. Chloe ist erschöpft, obwohl sie nichts Anstrengendes gemacht hat. Sie befreit ihre Hände endlich von dem ganzen Blut und wischt sich erleichtert den Schweiß von der Stirn. Das ist zum Glück nochmal gut gegangen.

Der jüngere Arzt aus Chloes Team kommt zu ihr und reicht ihr die ruinierte Jacke. Chloe bedankt sich und will sie gerade zum Müll bringen, da fährt ein großes Militärfahrzeug auf den Hof. Das Ding ist eine Mischung aus SUV und Panzer. Sind das noch Reifen oder Walzen?

Ein Mann – nein eine Kante – Mitte Vierzig, springt mit zwei Offizieren aus dem Cockpit und geht schnurstracks auf Christian zu. Seine Haare sind kurz geschoren an den Seiten und am Oberkopf streng zurück gekämmt und seine Stiefel stampfen wie Elefantenfüße auf den trockenen Boden.
Als Christian ihn sieht wendet er sich ihm zu und nimmt Haltung an. Dann hebt er die Hand an die Stirn und salutiert kurz. Jeder andere Soldat tut es ihm gleich.

„Du gottverdammter Mistkerl!", schimpft der Mann und klingt wie der Major von zuvor.
Oh, oh. Das bedeutet nichts gutes.
Chloe hält sich entsetzt die Hand vor den Mund, als der Major ausholt und Christian ohne Zögern mit der Handfläche ins Gesicht schlägt. Dieser zuckt nicht einmal.

„Irgendwann wirst du dein selbstgefälliges Verhalten bereuen. Bin gespannt ob der General dich dieses Mal auch aus dem Schlamassel holt. Dein Glück, dass ihr alle noch lebt. Am liebsten würde ich jetzt euer aller Leichen aufsammeln. Was habt ihr euch dabei gedacht meinen ausdrücklichen Befehl zu verweigern?"

Der Mann tobt vor Wut und sieht abwechselnd zwischen Christian und Thomas hin und her. Sie blicken starr geradeaus und scheinen kein bisschen Reue zu zeigen.

„Sir, ich wollte Sie lediglich vor einem schlimmen Fehler bewahren", erklärt Christian und der Major versteht erst nicht was er damit meint.
„Wie bitte? Willst du jetzt auch noch arrogant sein?"
„Nein, Sir!", ruft Christian laut.

Die Afghanen beobachten die Szene neugierig, halten sich aber zu Chloes Erleichterung zurück.
„Sie wollen nicht dafür verantwortlich sein, dass General Andersons Tochter Probleme bekommt."
Beinahe hätte Chloe gelacht. Hat er das gerade wirklich gesagt?
„Seine was...?", wiederholt der Major verwirrt.

„Dr. Anderson, Sir, sie ist General Andersons Tochter. Ich will lieber sterben, als dem General zu erklären, warum wir seine Tochter in eine unangenehme Lage gebracht hätten."
Auch Thomas muss leicht schmunzeln.

Der Major räuspert sich kurz und rückt seine Uniform zurecht. Es scheint ihm unangenehm zu sein, dass er das nicht gewusst hat. Er geht ein paar Schritte kopfschüttelnd hin und her. Er sieht so furchtbar wütend aus.

„Idiot! Anstelle ihren Ruf zu gefährden, bringen Sie lieber ihr Leben in Gefahr, ja? Sie wissen, dass ich das nicht einfach so durchgehen lassen kann. Sie haben einen direkten Befehl missachtet. Das muss ich melden."
Oh Gott, was kommt jetzt.
„Hiermit entziehe ich Ihnen das Kommando, Captain Hale."

Christian sieht so aus, als ob er das schon erwartet hätte.
„Von nun an hat Lieutenant Pierce vorrübergehend das Kommando, bis ich andere Befehle bekomme."
Chloe und alle anderen sind erschüttert. Doch das ist noch nicht alles.
„Lieutenant!", spricht der Major Thomas direkt an.
„Sir?"
„Stellen Sie Captain Hale umgehend unter Arrest."

Nun ist Chloe wirklich entsetzt. Soll das die Strafe für Christian sein? Das ist nicht fair. Es ist doch nichts passiert. Alle sind heile aus der Situation heraus gekommen und der Patient wird auch wieder gesund. Warum müssen sie ihn dann bestrafen?

„Sir, darf ich anmerken, dass..."
„...Sie dürfen nicht, Lieutenant", unterbricht der Major Thomas.
Thomas hat keine andere Wahl, als Christian die Waffen und das Funkgerät abzunehmen. Dieser gehorcht ohne Widerstand. Thomas und George begleiten ihn und bringen ihn irgendwo hin.

Anschließend wendet sich der Major an die Afghanen und spricht mit ihnen in ihrer Landessprache. Da Chloe das eh nicht versteht, geht sie hinter Christian her. Dabei umklammert sie immer noch ihre blutgetränkte Jacke.

Doch auch Hazima macht sich Sorgen um Christian und erreicht ihn als erstes. Hilflos sieht sie dabei zu, wie man den Captain in einen Lagerraum sperrt, weil man kein anderes Gefängnis für ihn finden kann. Chloe bleibt mit etwas Abstand hinter der Ecke und lauscht.

Nachdem Thomas und George gehen, lehnt sich Hazima rückwärts gegen die Eisentür und verschränkt die Arme vor dem Oberkörper.
„War es das...was du erreichen wolltest?", fragt sie leise mit ihrem leichten Akzent.
Von drinnen kommt nur ein schwaches Lachen.

„Ich kenne dich schon fast zwei Jahre, Christian. Für mich hättest du nicht einmal einen Strohhalm umgeknickt, geschweige denn dich erschießen zu lassen."
„Ich habe mein Leben riskiert, als ich dich gerettet habe, Hazima. Sei nicht unfair."
„Vielleicht...aber es war damals dein Auftrag. Heute hast du aus anderen Gründen gehandelt."

„Und welche sollten das bitte sein?"
„Jedenfalls nicht, weil sie die Tochter des Generals ist."
Sie macht eine Pause und blickt gedankenversunken in den blauen Himmel. „Seit sie hier ist, bist du abgelenkt. Du bist ständig besorgt um sie und lässt sie keine Sekunde aus den Augen. Auch jetzt bist du nur mitgefahren, um in ihrer Nähe zu sein."

„Du interpretierst zu viel hinein, Hazima. Ich bin mitgefahren, weil ich einen längeren Bericht abschicken musste. Ich darf so etwas nicht übers Telefon erledigen und da mein Computer den Geist aufgegeben hat, musste ich mit in die Stadt fahren."

„Warum hast du nicht Kinan gefragt, ob er ihn dir repariert. Du weißt für ihn wäre das nur eine Kleinigkeit."
„Was wird das hier, Hazima?"
Christian klingt ungeduldig.
„Ich will, dass du ehrlich bist, Christian. Du hast mich nie angelogen, also fang jetzt nicht damit an."

Er antwortet nicht sofort und Chloe beißt sich angespannt auf die Zunge. Jetzt ist sie auch noch dafür verantwortlich, dass er mit Hazima Probleme bekommt. Sie ist überhaupt an allem schuld. Chloe bringt sein ganzes Leben durcheinander. Vielleicht sollte sie doch ihren Vater einschalten und mit seiner Hilfe von hier verschwinden.

Sie kann doch nicht ihre Karriere hochhalten und seine dafür in Gefahr bringen. Das würde sich Chloe im Leben nicht verzeihen. Er ist ein guter Soldat und er hat vorhin auch nichts falsch gemacht. Er hat sie doch bloß beschützt. Wieso müssen sie ihn deswegen einsperren?

Chloe beißt sich noch fester auf die Lippe. Das alles kann doch nicht wahr sein. Warum passieren ihr immer solche Dinge? Warum kann sie nicht einfach normal sein, eine gute Ausbildung bekommen und sich um nichts weiter Gedanken machen.

Ihre Brust zieht sich zusammen. Dieser stechende Schmerz ist wieder da. Verdammt und sie bekommt schon wieder nur schwer Luft. Dabei ist das Schlimmste doch vorüber. Keiner richtet eine Waffe auf sie, keiner kommt ihr zu nahe und bedroht sie. Also warum fühlt sie sich dann so furchtbar?
Frustriert schlägt sie sich mit der Faust aufs Dekolleté, als ob das helfen würde.
Tut es nicht.

„Wie oft haben wir miteinander geschlafen, Christian?"
„Was tut das zur Sache?"
„Hast du eine Ahnung?"
Er antwortet wieder nicht.
„Ich habe bestimmt hundertmal in deinen Armen gelegen..."
Oh man, muss Chloe sich das antun?
„...und ich habe nie eine Emotion von dir bekommen. Du kannst mit mir schlafen, ja...aber du hast mich nie mit deinem Herzen betrachtet, Christian. Du hast auch nie etwas angedeutet."

„Musst du dich so eifersüchtig geben?"
„Ja, weil sie dir am Herzen liegt."
„Ach, erzähl mir was, das ich noch nicht weiß", entgegnet er zornig aus dem Schuppen. Chloe erschreckt vor dem Dumpfen Poltern. Hat er gegen die Tür getreten?
Sie lugt vorsichtig um die Ecke. Hazima hat sich von dem Ausbruch seinerseits nicht aus der Ruhe bringen lassen und lächelt gequält.

Etwa fünf Minuten herrscht Funkstille zwischen den Beiden. Hazima entfernt sich von der Tür, da kommt von Christian ein leises „Tut mir leid" aus dem Lagerraum.
„Schon gut. Ich weiß, dass du mir niemals wirklich gehört hast, Christian."

Hazima kommt ohne ein weiteres Wort in Chloes Richtung und diese muss sich ganz schnell verstecken. Panisch schaut sie sich um. Ihr bleibt nichts anderes übrig als von der anderen Seite ins Lager zu huschen, bevor Hazima sie sieht. Sie kann sich gerade noch rechtzeitig verstecken, als die Frau mit schnellen Schritten an ihr vorbei geht und kurz darauf im Haus verschwindet. Erleichtert pustet Chloe die Luft aus. Wenn sie jetzt jemand gesehen hätte...sie würde diese Peinlichkeit nie verkraften.

Inzwischen haben die Afghanen ihren verwundeten Kammeraden mitgenommen ohne größeres Aufsehen zu verursachen und der Major hat vorrübergehend Christians Quartier eingenommen, von wo aus er dutzende Telefonate führt. Alle anderen versammeln sich zum Abendessen in der Halle und kümmern sich nicht weiter um das Geschehene.

Auch Chloe setzt sich dieses Mal zu ihnen. Hazima kümmert sich wie immer darum die ganze Meute mit einem leckeren Essen zu versorgen und Thomas regelt alles andere.
Chloe denkt immer noch über das belauschte Gespräch nach. War das jetzt eine Trennung oder einfach nur Klartext? Chloe ist sich nicht ganz sicher.

Im nächsten Moment stopft sie sich einen Berg Reis in den Mund und fragt sich was sie das eigentlich angeht. Natürlich geht sie das nichts an. Doch wenn es eine Trennung war, dann zum äußerst schlechten Zeitpunkt. Christian hat schon genug Ärger am Hals, da kann Hazima ihn doch nicht einfach so im Stich lassen. Er braucht sie jetzt.

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