Geburtstagsparty
Als sie die braune Tür öffnet staunt sie nicht schlecht. Seit wann hat sie denn so viele Freunde? Anscheinend hat sich das Leben in den vergangenen zwei Jahren um einiges verändert.
„Hi Chloe! Happy Birthday!", grüßt Izzy verzückt und stürmt gleich mit einer Umarmung auf sie ein. Dann kommen ihre anderen Gäste herein. Simon, der pummelige Typ aus ihrem Kurs. Dunkelblonde Locken, Brille und schlichte Kleidung. Er sieht fast wie ein Nerd aus. Er ist wohl auch der schlauste aus dem Kurs.
Er rückt verlegen seine Brille zurecht und huscht mit einem zaghaften Gruß an Chloe vorbei.
Dann kommt Bianca, die große Blonde, bei der das Röckchen gar nicht kurz genug sein kann und die Nase nicht höher. Doch sie ist in Ordnung. Ihre einzige Schwäche sind wohl Männer. Jede Woche hat sie einen neuen Schwarm. Nur hält es kein intelligenter Mann länger als eine Nacht mit ihr aus - außer vielleicht Matt. Der rothaarige Mann, der immer in ihrer Nähe herumsteht und sich für etwas besonderes hält. Auch er darf bei einer Geburtstagsparty nicht fehlen. Seine schönen Sommersprossen kaschiert er stets mit Make-up und seine Haare sind mit zu viel Beton befestigt. Da bewegt sich echt nichts mehr.
Er trägt ein blaues Hemd und eine Jeans. Das Hemd passt farblich sehr gut zu Biancas Rock. Er ist schon ewig hinter ihr her, aber sie hält nichts von ihm. Daisy und Judith kommen dann auch noch herein. Nun ist fast der komplette Kurs hier. Nur Rick fehlt. Doch er hatte leider aus familiären Gründen keine Zeit zu kommen. Immerhin ist es beruhigend wenn Izzy da ist. Ohne sie hätte Cloe nicht gefeiert.
Sie hat sich blonde Strähnen machen lassen. Wirkt irgendwie freundlicher und wirkt dem düsteren Wetter draußen entgegen. Es ist November. Zwar schneit es nicht, aber es ist verdammt kalt geworden und die Regenwolken schleichen langsam über die Stadt hinweg, warten nur darauf sich über sie zu ergießen.
„Wo hast du denn deine Brille gelassen?", fragt Chloe erstaunt, nachdem alle ihr gratuliert haben.
„Kontaktlinsen", erklärt Izzy mit nur einem Wort. Dann holt sie eine Tüte aus ihrer Tasche.
„Du wolltest mir doch nichts schenken."
„Ist nicht nur für dich. Wag es ja nicht es alleine zu essen."
Chloe lugt in die Tüte. Wow. Eine ganze Packung Eis!
„Wäre nicht nötig gewesen."
„Natürlich doch."
„Wenigstens ein Lichtblick an diesem Abend."
„Hey!", protestiert Izzy sofort.
„Sorry, ich meinte der zweite."
„Warum feierst du, wenn du keine Lust hast?"
Eigentlich kennt Izzy die Antwort auf diese Frage sehr gut. Chloe hofft durch diese Party etwas Gewohnheit in ihr Leben zu lassen und auch wieder Menschen. Nach dem was Liam ihr angetan hat, wollte sie eigentlich nie wieder jemandem vertrauen.
Chloe sucht verzweifelt nach der richtigen Erklärung und sieht hilfesuchend ins Wohnzimmer.
Izzy erwartet zum Glück keine Antwort. Sie folgt ihrer Freundin in die Küche, setzt sich dort auf einen der vier kleinen Stühle und schaut sich um.
„Deine Wohnung ist echt hübsch. Du hast viel draus gemacht."
„Danke."
„Bevor du eingezogen bist, hat die Bude eher einem Gammelsack geglichen."
Chloe schmunzelt über die Bemerkung. Sie wohnt jetzt knapp ein halbes Jahr in der neuen Wohnung. Anfangs war es ungewohnt laut. Im der Großstadt zu leben ist halt etwas anders als in einem ruhigen Vorort. Doch Chloe hat sich schnell daran gewöhnt.
Während sie die Eispackung im Kühlfach verstaut vibriert ihr Handy kurz. Schnell schließt sie den Kühlschrank und holt es aus der Jeanstasche.
Eine Nachricht von Rick mit den besten Geburtstagswünschen.
„Von Rick."
„Gut dass ich ihn an deinen Geburtstag erinnert habe, sonst hätte der Knilch ihn wieder vergessen."
Wieder schmunzelt Chloe und schreibt gleichzeitig eine Antwort mit einem knappen „Danke".
Anschließend geht sie mit Izzy zurück in den Wohnraum, wo Matt bereits die Stereoanlage gekapert und Bianca die schmale Fläche zwischen Couch und Bücherregal zur Tanzfläche erklärt hat. Die beiden können echt überall Spaß haben.
Es ist zwar nur eine kleine Feier mit ihren Kollegen, aber solange man jung ist soll man doch feiern.
Chloe gesellt sich zu Simon, der etwas abgelegen am Fenster steht und Biancas geübte Tanzbewegungen bewundert. Doch kaum ist Chloe bei ihm, hat er nur Augen für sie. Wie immer.
„Magst du was trinken, Simon?"
„Ähm...naja...eigentlich ist es ja Aufgabe der Mannes der Frau Getränke zu besorgen", gibt er schüchtern zurück. Nicht weit entfernt sitzt Izzy auf dem Sofa und grunzt amüsiert.
„Aber es ist meine Party, ich bin Gastgeberin, also ist das wohl meine Aufgabe", erwidert Chloe schnell und schenkt ihrer Freundin einen vielsagenden Blick, der sie zum Schweigen bringen soll.
„Oh ja, verstehe", sagt Simon nur und rückt mal wieder seine Brille zurecht. Dann nimmt Chloe Abstand von ihm und setzt sich neben Izzy.
„Der arme Kerl", meint Izzy mit geheucheltem Mitleid. „Wie lange lässt du ihn noch zappeln? Er macht sich schon seit zwei Jahren Hoffnung."
„Sein Pech. Ich gab ihm nie welche."
Izzy zischt. Sie bedauert Chloes Abstinenz was Männer angeht.
„Mensch Chloe du wirst einsam sterben."
„Und wenn schon", erwidert sie zickig.
„Meinst du nicht du bist zu wählerisch?"
Chloe zuckt mit den Schultern. Sie stirbt lieber einsam, bevor sie dem falschen Mann vertraut.
„Irgendwann kommt der richtige für sie. Nur ob sie ihn dann auch erkennt ist etwas anderes."
Bianca hat das Gespräch belauscht und schwingt weiter ihre gut ausgebaute Hüfte übers Parkett.
„So wie du, ja?", fragt Izzy etwas bissig.
„Wie meinst du das?"
Bianca hört sofort auf zu tanzen.
„Na du bist in der Beziehung auch blind."
Bianca kann das offenbar nicht so recht nachvollziehen. Sie steht nur da und denkt über Izzys Worte nach. Wo war sie eigentlich als Gott das Hirn verteilt hat?
Chloe rollt mit den Augen und geht in die Küche zurück. Sie schenkt sich Saft in ein Sektglas und nippt daran. Sie mag keinen Alkohol mehr. Immer wenn sie zu viel trinkt, passieren seltsame Dinge oder sie hat Alpträume.
Nein, darauf möchte sie heute Nacht verzichten. Zum Glück hatte sie schon sehr lange keine schlechten Träume mehr. Das verdankt sie zum großen Teil ihrer Therapeutin. Ihr Vater hatte darauf bestanden, dass sie hingeht. Im Nachhinein war das wohl auch keine schlechte Idee. Nach allem was passiert ist.
Doch nun schafft Chloe es schon seit fast zwei Jahren normal zu leben, ohne Laternenprobleme oder Schnappatmung. Mal ganz davon abgesehen, dass es in der Großstadt immer hell ist. Trotzdem geht Chloe immer noch ungern im Dunkeln hinaus. Auf Clubs und Partys bei Fremden konnte sie schon immer gut verzichten. Also vermisst sie das auch nicht.
Sie will gerade wieder zu den Anderen gehen, da vibriert ihr Handy erneut.
Diesmal ist es eine knappe Nachricht von ihrem Vater. Sie hat ihm zwar verziehen, doch er hat nach wie vor wenig Zeit für sie. Immerhin bemüht er sich den Kontakt zu halten, wie man an solchen Nachrichten sieht.
Auch er gratuliert ihr kurz zum Geburtstag. Immerhin mehr als er in der Vergangenheit getan hat.
Es ist seltsam aber all das ist überhaupt nicht mehr wichtig für sie. Sie scrollt durch die einzelnen Nachrichten von den verschiedenen Bekannten in ihrer Kontaktliste und bleibt bei der letzten ganz unten hängen.
Die letzte Nachricht, die Christian ihr geschickt hat. Doch die ist schon lange nicht mehr zu sehen.
Auch wenn er die Nummer nicht mehr benutzt, hat Chloe ihm immer wieder geschrieben. Es ist schon zu ihrem persönlichen Tagebuch geworden. Da die Nummer noch nicht anderweitig vergeben scheint, hat sich noch niemand beschwert.
Ohne großartig darüber nachzudenken tippt sie auf die Buchstaben. Er wird es eh nicht lesen.
Heute ist mein Geburtstag.
Ich hoffe es geht dir gut.
Sie will eigentlich mehr schreiben, aber ihr fällt plötzlich nichts mehr ein. Stattdessen trinkt sie mit einem Zug das Glas leer und stellt es hinter sich auf die Theke.
Dann liest sie ihre alten Nachrichten noch einmal von vorne.
Ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht. Ich habe zu spät verstanden, dass ich dich liebe.
Ich würde mich so gerne bei dir entschuldigen. Es tut mir so leid.
Ich will dir doch nur sagen, dass ich dich ganz furchtbar vermisse.
Wo bist du, Christian?
Geht es dir gut?
Heute fange ich im Krankenhaus als Assistenzärztin an. Bin total nervös.
Die Chefärztin ist nett, zwar streng, aber nett.
Ich würde zu gerne wissen, was du gerade machst. Ist es gefährlich wo du bist?
Bitte antworte nur einmal.
Ich bete, dass du wohlauf bist.
„Na toll Chloe, jetzt hast du genau das, was du überhaupt nicht haben wolltest. Anstelle ihn zu vergessen, klammerst du dich wie eine Ertrinkende an die Vergangenheit."
Sie kann den Seufzer nicht mehr aufhalten, als sie plötzlich Izzy in der Tür stehen sieht.
„Hast du ihm wieder geschrieben?"
Chloe fühlt sich ertappt und lässt das Handy sinken.
Izzy schüttelt mitleidvoll und auch verständnislos den Kopf.
„Wann hörst du endlich auf in der Vergangenheit zu leben? Auch andere Mütter haben hübsche Söhne. Vergiss ihn."
„Du hast ja recht, Izzy", quengelt Cloe einsichtig.
„Dann lösch den Quatsch und sieh endlich nach vorne."
Chloe kann den Vorwurf und die Sorge ihrer Freundin gut verstehen. Sie findet sich ja selbst peinlich. Genau die Situation ist eingetroffen, die sie nie haben wollte: Sie vermisst Christian immer noch. Sie macht sich Sorgen um ihn. Dabei sind zwei Jahre vergangen und sie hat nie eine Antwort bekommen. Auch ihr Vater hat nie ein Wort über ihn verloren.
„Komm wieder zu den Anderen. Wir haben dich noch nicht gebührend gefeiert."
Izzy zieht ihre Freundin hinter sich her und sorgt ganz schnell für Ablenkung. So geht die Party weiter und Chloe denkt nicht mehr an Christian.
Am nächsten Tag helfen Izzy und Simon noch beim Aufräumen der Wohnung, obwohl sich das Chaos in Grenzen hält. Es ist einfach schön, dass sie noch geblieben sind. Simon hat die Nacht auf der Couch verbracht und Izzy hat bei Chloe im Bett geschlafen. Sie sieht noch etwas müde aus.
Chloe macht noch Frühstück für die beiden und gegen Elf ist sie wieder alleine. Morgen müssen alle wieder zur Arbeit gehen. Es war nur Glück, dass Izzy und Simon ihre Schicht tauschen konnten, sonst wäre die Party nie zu Stande gekommen.
Chloe nutzt den restlichen freien Tag, um in die Bücher zu schauen. Zwischendurch ruft Onkel Freddy an und gratuliert ihr nachträglich zum Geburtstag. Eigentlich fühlt sich Chloe nicht viel älter. Sie ist fast dreißig. Alle sagen mit dreißig fühlt man sich alt, doch Chloe sieht das nicht so.
Nun ist sie auch noch nicht ganz dreißig, aber in dem einen Jahr wird sich wohl kaum so viel verändern. Alles bleibt wie es ist. Sie wird eine gute Ärztin und wird voll und ganz in ihrem Job aufgehen. Wer braucht schon Familie - sie nicht. Also wird sie sich auch nicht alt fühlen.
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