Der Wolf und der Tiger

Es lag nicht am Lippenstift. Naja vielleicht ein bisschen.
Es war eher ihre Gesamtausstrahlung. Sie hat so cool ausgesehen in dem Moment, wie ausgewechselt. Da war die depressive Chloe für einen Moment verschwunden. Wie sie da stand mit dem Lippenstift in der Hand, der lässig umgebundenen Jacke und dem lockeren Knoten in ihren Haaren...zum Anbeißen. Zu dumm, dass Christian ausgerechnet Hazima in der Leitung hatte. Nur das hat ihn davon abgehalten Chloe an sich zu ziehen und zu küssen. Erst recht nachdem er Thomas Blick gesehen hat.
Dieses „Heirate mich" ist echt zu viel gewesen.

Nun lehnt Thomas lässig gegen das Fahrzeug und kaut auf einem Grashalm. Ron steht neben ihm, immer ein Lächeln im Gesicht und quatscht ihn voll. Als er Christian bemerkt, hält er etwas eingeschüchtert den Mund.
„Hast du das Hauptquartier informiert?", fragt Thomas gelangweilt.
„Ja. Hast du alles erledigt?"
Thomas nickt und spuckt den Stängel aus dem Mund. Dabei mustert er Christian die ganze Zeit.
„Was?", fragt dieser, als es ihm zu lästig wird.

„Ich hätte nie gedacht, dass du mal wegen einer Frau so eifersüchtig wirst."
Selbst Ron schaut verdattert, als Thomas das gerade heraus sagt. Er will Christian damit ein bisschen provozieren und gleichzeitig in seiner Vergangenheit stochern. Hat er nur deshalb mit Chloe geflirtet? Schließlich hat er schon flüchtig in Amerika gesehen und was zwischen ihr und Christian passiert ist. Auch wenn Christian es ihm nie richtig erklärt hat, kann sich Thomas seinen Teil denken. Der Typ ist echt gerissen.

Christian beschließt ihn auflaufen zu lassen. Wenn er die Eifersucht abstreitet und sich in Ausreden flüchtet, macht es das nicht besser.
Also sagt er gar nichts und lässt den Blick in der Gegend herum schweifen. Die unbefestigte Straße führt durch eine relativ enge Gasse. Hier passen gerade mal zwei PKWs neben einander. Ein großer Lastwagen hätte hier keine Chance. Es sind ein paar Leute unterwegs und erledigen ihre Aufgaben.
Rechts und links stehen marode Häuser mit kleinen Fenstern. An den Wänden führen viele Kabel entlang.

Weiter bergab geht es zu einem kleinen Marktplatz. Dort kauft Hazima immer Lebensmittel ein. Dort befindet sich auch eine Poststation, bei der Dr. Wilson immer seine Materialien bestellt und daneben eine kleine Bank und noch weitere kleine Geschäfte. Der Ort hat gerade das wichtigste hier. Doch viel Geld haben die Leute hier alle nicht. Zudem leben hier finstere Gestalten, die gerne mal für Chaos sorgen. Deshalb ist es ganz gut wenn sich hier hin und wieder Soldaten zeigen. Die amerikanische Sondereinheit hat die offizielle Genehmigung sich hier aufzuhalten, in der Nähe Rekruten auszubilden und im Ort gelegentlich nach dem Rechten zu sehen.

„Keine Sorge, ich komme ihr nicht zu nahe. Ich habe viel zu großen Respekt vor dir."
„Ich mache mir keine Sorgen, da du eh keine Chance bei ihr hättest", erwähnt Christian selbstbewusst.
Er hat absolut recht, denn Chloe lässt nicht einmal die Menschen an sich heran, die sie mag.
„Musst du mir meine Illusionen nehmen?", meckert der große Mann und spielt sich absichtlich auf.

Dann wird er wieder normal.
„Ich bin nicht dumm, Christian. Ihr beide hattet schon in Amerika eure Momente. Wer bin ich mich dazwischen zu stellen? Nur freut es mich einen kleinen Einblick in deine Vergangenheit bekommen zu haben. Ich wollte sie bloß etwas besser kennen lernen."
„Das habe ich mir gedacht, deswegen lebst du auch noch. Doch wage es ja nicht noch einmal mit ihr zu flirten und wehe du fasst sie an."
„Ich hänge an meinem Leben, Boss."

Christian erkennt die Ehrlichkeit in Thomas Augen. Er weiß, dass er ihn nur ärgern möchte, gleichzeitig kann man auch den ernsten Kern des Gespräches heraushören. Ron hält sich fasziniert zurück. Vermutlich nimmt er dieses Gespräch viel zu ernst. Jedenfalls wagt er nicht etwas dazu zu sagen. Trotzdem sieht man ihm die Neugier ins Gesicht geschrieben.

Christian mag seine Jungs. Es ist immer wieder amüsant mit ihnen im Trainingslager zu sein und Chloe hier zu haben macht ihn unglaublich glücklich. Es ist schwer sich ihr gegenüber zurück zu halten. Sehr schwer. Allerdings ist es fürs Erste genug nur bei ihr zu sein. Solange bis Christian herausgefunden hat, warum sie wieder mit ihren Belastungsstörungen zu kämpfen hat. Bis dahin wird er nicht zulassen, dass ihr irgendjemand zu nahe kommt.

Nur deshalb hat er Thomas geraten sich von ihr fern zu halten. Es ging hier nur nebensächlich um Eifersucht. Er fürchtet einfach, dass Thomas Avancen sie erneut aus der Fassung bringen. Sie hat sich gerade wieder einigermaßen gefasst. Da kann dieser verspielte Trottel nicht alles zerstören, nur weil er Christian ein bisschen triezen möchte.

Da fällt ihm noch etwas ein. Der beste Grund überhaupt jeden auf Abstand zu Chloe zu halten.
„Du tätest wirklich gut daran dich von ihr fern zu halten, aber nicht weil ich dir den Kopf abreiße."
Thomas legt neugierig den Kopf schief.

„Ihr Vater ist General Anderson...unser Oberbefehlshaber. Er wird dich für den Rest deines Lebens in diesem Loch versauern lassen, wenn du ihr zu nahe kommst."
Thomas und Ron fallen aus allen Wolken. Das haben sie jetzt nicht erwartet.
„Du machst Witze, Captain", meint Ron ungläubig.

Thomas Miene wechselt von Überraschung zu Verwirrung.
„Wieso lässt der General es zu, dass seine Tochter zu diesem trostlosen, gefährlichen Fleck Erde geschickt wird?", fragt er nachdenklich.

Christian schüttelt den Kopf. „Er mischt sich nicht in ihr Leben ein, es sei denn sie ist unmittelbar in Gefahr. Außerdem hat er mir ihre Sicherheit anvertraut. Er weiß, dass ich sie beschützen kann."
„Ach ja?", hakt Ron nach.

„Ich habe sie auch vor zwei Jahren in Amerika beschützt. Deshalb beruhigt es den General, wenn ich in ihrer Nähe bin. Es war zwar nur ein Zufall, dass sie ausgerechnet bei mir landet, aber ein glücklicher."
Wieder macht Thomas große Augen.
„Ich erinnere mich an den Vorfall. Das war die Geschichte mit deinem ehemaligen Partner. Wollte er sie nicht sogar umbringen?"

Christian nickt vorsichtig. Dieses Thema ist echt unangenehm. Seit Liams Verrat, fällt es ihm schwer irgendjemandem zu vertrauen.
Auf einmal ist die Stimmung angespannt.
„Das erklärt vieles. Deshalb hast du mich vorhin gefragt, ob ich mit ihr flirte. Du wolltest mich daran hindern einen riesigen Fehler zu machen."

„Nicht nur das." Christian stellt sich direkt neben Thomas und legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich war eifersüchtig", gesteht er schmunzelnd.
Damit geht er an Thomas vorbei die Straße hinunter, zurück ins Café. Er räumt es nur ungern ein, aber Chloe noch länger aus seinem Sichtfeld zu lassen macht ihn unruhig.


~




Nachdem Chloe die E-Mail verschickt hat, zahlt sie mit dem Geld, was Christian ihr gegeben hat und verlässt das Café. Draußen strahlt die Sonne so grell, dass Chloe kurz blinzeln muss.

Sie steht am Rande eines kleinen Platzes, der umgeben wird von einigen Reihenhäusern. Ein paar Leute gehen umher. Vor einem kleinen Restaurant stehen mehrere Männer und zwei Frauen, die sich in traditionelle Kleidung gehüllt haben. Sie scheinen angeregt zu diskutieren, doch Chloe versteht kein Wort von der Sprache.

Die kleinen Balkone sind teilweise hübsch bepflanzt. Das macht den einsamen Ort ein bisschen lebendiger und nicht ganz so trostlos. Chloe freut sich mal etwas anderes als Soldaten zu sehen.
Und kaum hat sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, steht auch schon wieder einer vor ihr.

„Wir sind fertig hier. Möchtest du noch etwas sehen, oder können wir zurück fahren?", fragt Christian und stemmt dabei locker den Arm in die Seite. Er sieht so cool aus, wenn er das macht.
Chloe schüttelt den Kopf und folgt ihm zurück zum Auto, wo Thomas und Ron schon auf sie warten. Wieso mustert Thomas sie so komisch? Hat sie Dreck im Gesicht? Unauffällig reibt sie sich mit den Händen über die Wangen.

„Wir sollten zurück bevor die Jungs das Lager auseinander nehmen", scherzt Ron und öffnet gerade eine der hinteren Autotüren, als hinter ihnen jemand schreit. Schreckhaft dreht Chloe sich um. Aufgeregt rennen Leute herum, nein, sie kommen hastig in ihre Richtung geeilt. Was ist da los?

„Steig in den Wagen, Chloe", fordert Christian sie auf.
Sie zögert und ist unfähig so schnell zu reagieren. Er wiederholt die Forderung und zieht an ihrem Arm. Es geht furchtbar schnell. Ruckzuck hat er sie im Auto verstaut. Dabei ist er nicht gerade vorsichtig gewesen. Doch das macht nichts. Er darf das. Er darf sie einfach am Arm packen und irgendwohin zerren.

Er knallt die Tür zu und befiehlt Ron beim Wagen zu bleiben, dann eilt er mit Thomas von dannen.
Neugierig drückt Chloe ihre Nase ans Fenster. Irgendetwas muss passiert sein.
Einen kleinen Augenblick später hört man Schüsse. Chloe zuckt zusammen. Was zur Hölle ist da los? Wer schießt da?

„Schon gut, Miss Chloe", spricht Ron durch die geschlossene Scheibe, „die Beiden regeln das schon. Es kommt hier häufiger zu bewaffneten Überfällen und Auseinandersetzungen. Das ist hier normal."
Will Ron sie beruhigen oder eher das Gegenteil bewirken? Wohin hat Dr. Martin sie nur geschickt? Warum muss sie immer wieder in solche Situationen geraten?

„Willst du keine Hilfe anfordern?"
Ron schüttelt den Kopf. „Sie haben nicht darum gebeten."
Ist das sein Ernst? Woher will er denn wissen in welcher Lage sich Christian und Thomas befinden. Sie könnten in Gefahr sein, ohne dass er es von hier aus mitbekommt.
Chloe will gerade etwas sagen, als er zu seinem Funkgerät greift. Sofort lässt sie die Scheibe ein paar Zentimeter herunter, um ihn besser zu verstehen.

„Wolf an Küken, bring sofort Dr. Anderson hier her."
Was? Wozu soll sich Chloe dahin begeben? Hat sich Christian das auch gut überlegt? Nervös rutscht sie auf dem Ledersitz herum. Christian würde sie niemals in Gefahr bringen. Da die Schüsse aufgehört haben, steigt sie mutig aus und geht mit Ron über die Straße.

Einen Augenblick später erreichen sie den kleinen Platz, wo sie vorhin schon mal gewesen ist. Erschrocken sieht sie auf Christian und Thomas. Der starke Thomas hält einen Mann fest. Er hält ihm die Arme auf dem Rücken und hindert ihn daran wegzulaufen.

Währenddessen kniet Christian am Boden und beugt sich über einen verletzten jungen Mann, der blutend am Boden liegt. Er wurde angeschossen.
„Oh mein Gott", entschlüpft es ihr und Chloe eilt zu ihm hinüber.
„Er hat eine Kugel abbekommen, könntest du ihm bitte helfen?", bittet Christian sie und drückt beide Hände auf die stark blutende Wunde.

Sie ist zwar Ärztin, aber wie soll sie dem Mann jetzt helfen? Er muss schnellstens in ein Krankenhaus.
Christian erzählt ihr, dass das nächste Krankenhaus ein paar Meilen außerhalb liegt. Bis sie den Mann dorthin gebracht hätten, würde er längst verblutet sein. Die andere Option ist ihn zum Militärlager zu bringen. Doch vorher muss unbedingt die Blutung gestoppt werden.

Also kniet sie sich gegenüber von Christian. Der Mann liegt nun zwischen ihnen. Vorsichtig und mit leichtem Druck legt sie ihre Hände auf seine. Chloe versucht ihr klopfendes Herz zu ignorieren und schaut sich den Patienten an.
Wieso passiert ihr sowas ständig? Wieso kann ihr Leben nicht ein einziges Mal normal bleiben?

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