Dead Eye
Chloe ist froh als er geht. Seine Anwesenheit ist wirklich zu viel. Doch wäre er vermutlich der einzige Mensch, dem sie sich jemals anvertraut hätte - was die Sache mit Dr. Martin betrifft. Wie hätte sie ihm denn sagen sollen, dass ihre Welt gerade zusammen bricht, weil ein blöder Arzt sich an ihr rächen möchte?
Irgendwie hätte sie ihm das gesagt. Er hätte es verstanden. Doch nicht nachdem sie ihn mit dieser Hazima gesehen hat.
Seit diesem Moment kann sie ihn nicht mehr ertragen. Weil seine raue Stimme zu angenehm ist, weil seine Nähe zu tröstend ist und weil sein Duft zu vertraut ist. Sie sehnt sich zu sehr nach ihm, ist aber zu feige ihm näher zu kommen. Sie erträgt nicht einmal die kleinste Berührung. Das alles hat sie diesem Mistkerl Dr. Martin zu verdanken. Wie soll sie je wieder normal werden? Wann kann sie das alles hinter sich lassen?
Die Antwort will Chloe eigentlich nicht einmal denken. Doch es ist klar, dass sich nichts ändern wird, wenn sie nach Hause kommt. Er wird sie schikanieren, im schlimmsten Fall weiter belästigen oder ihre Karriere ruinieren. Soll sie in eine andere Klinik wechseln? Das ist auch keine Option. Sie hat so lange auf diesen Platz an diesem Krankenhaus gewartet. Sie wollte unbedingt zu Dr. Kangs Team gehören. Sie zählt zu den besten Kardiologen des Landes.
So eine Chance bekommt man nicht noch einmal. Nur was, wenn ihr Dr. Martin das Leben wirklich zur Hölle macht? Was kann eine unerfahrene, naive Assistenzärztin schon gegen einen anerkannten Neurologen ausrichten? Gar nichts! Schlimmer kann ihre Situation nicht mehr werden.
Chloe kämpft mit ihren Depressionen. Es ist schwierig nicht dem überwältigenden Druck nachzugeben und einfach drauf los zu heulen. Dann würde sie sich selbst als Heulsuse bezeichnen und alles würde noch schlimmer werden. Also ist Heulen gestrichen.
Also nimmt Chloe nach Tagen endlich an Dr. Wilsons Kursen Teil, schenkt ihm aber nur die halbe Aufmerksamkeit. Ihre Kollegen scheinen doch eigentlich ganz okay zu sein, nur sucht Chloe nicht nach Anschluss. Wenn sie ihre Strafe abgesessen hat, wird sie diese Leute eh nicht wieder sehen.
Nach einer Woche hat sich Chloe ein bisschen mit der Situation abgefunden. Es geht einigermaßen, wenn sie nicht gerade Hazima über den Weg läuft. Die Frau kann ja nichts dafür, aber Chloe kann sie nicht sehen. Sie ist so bildschön und kann noch dazu ausgezeichnet kochen. Chloe bekommt kaum etwas von ihrem essen runter. Nur weil sie mit Christian schläft. Oh ja das tut sie.
Wie lange geht das schon? Sie scheinen sich länger zu kennen. Hat er in den vergangenen zwei Jahren auch mit ihr geschlafen? Hätte er sie für Chloe verlassen?
All diese Fragen schießen Chloe durch den Kopf sobald sie Hazima sieht. Er wäre dumm die Schönheit für ein labiles Landei zu verlassen.
Chloe haut sich an den Kopf und verbannt ihre negativen Gedanken. Sie geht gerade über den Hof Richtung Trainingsplatz. Es ist ihr neues Hobby geworden den Soldaten dabei zuzusehen wie sie sich entweder in den Staub werfen oder gegenseitig umhauen. Doch an diesem Tag steht Schusstraining auf dem Plan.
Eigentlich steht sie ja gar nicht auf Waffen. Trotzdem weiß sie nichts besseres mit sich anzufangen und es ist ja nur Training. Es ist nicht so, dass hier irgendjemand auf sie schießt. Nicht solange Christian in ihrer Nähe ist. Seltsamer Weise fühlt sie sich auch jetzt noch sicher bei ihm.
Also wandert sie nach dem Kurs abermals über den unebenen Weg. Sie hört die Schüsse schon von weitem. Es stehen mehrere Männer in voller Montur, inklusive Schutzhelm und Visier in einer Reihe und schießen auf unbewegliche Ziele. Wow, die sind echt weit weg.
Ein weiterer Soldat in kompletter Montur läuft durch die Reihe und verbessert die Haltung der einzelnen Rekruten und gibt andauernd Befehle.
Er trägt kein Visier, nur einen Schutzhelm und eine Sonnenbrille.
Chloe bleibt stehen und schaut eine Weile zu.
Die Männer schießen unaufhörlich einen Kugelregen auf die Ziele. Dann geht der Befehlshaber einfach vor ihnen her. Chloe hält die Luft an. Er geht einfach durch den Kugelregen. Natürlich dient das auch zur Übung. Der Soldat, an dem er vorbei geht,
muss augenblicklich das Feuer einstellen können. Trotzdem sieht das von weitem sehr gefährlich aus.
Dann bleibt er plötzlich nur ein paar Meter vor einem Soldat stehen und lässt das gesamte Feuer einstellen. Keiner schießt mehr. Nun steht er genau zwischen Soldat und Trainingsziel.
„Schießen, Soldat!"
Ein klarer Befehl. Der Rekrut legt zögerlich das Gewehr an und zielt.
Er wird doch nicht etwa...?
Und ob. Er schießt einen Augenblick später. Er schießt an seinem Kommandanten vorbei und trifft das Ziel am Rand. Chloe schluckt. Diese Männer können echt gut schießen.
„Ach er ist so ein Angeber."
Chloe sieht neben sich. Wann ist der blonde Soldat aufgetaucht? Wie ist sein Name noch gleich... Thomas... Thomas Pierce. Und sein Codename war...
„Er kann's einfach nicht lassen", grinst er kopfschüttelnd.
„Was meinen Sie?", will Chloe nun wissen, da er nicht aufhört zu reden.
„Er macht sich einen Spaß daraus die Jungs nervös zu machen. Er hat schon etwas eigenartige Methoden."
Er verschränkt die Arme vor der Brust.
„Aber keine Angst, Miss, unser Captain weiß was er tut. Es gibt selten Verletzte bei der Übung."
Chloes Augen werden groß. Spricht er gerade von Christian? Heißt das er steht da unten und lässt auf sich schießen?
„Wenn du meine Uniform ruinierst, Küken, machst du eine Woche lang den Abwasch."
Der kleinste unter den Soldaten ist an der Reihe. Er hält das Gewehr hoch und zielt. Er wirkt sehr angespannt.
Auch Chloe wird zunehmend unruhig.
„Macht er das immer so?"
Thomas nickt.
„Seit ich ihn kenne ist er sich für kein Risiko zu schade."
Sie sieht ihn erstaunt an.
„Macht er gefährliche Dinge?"
Wieder nickt er.
„Was denn so zum Beispiel?", fragt sie, als ob es sie eigentlich gar nicht richtig interessieren würde.
„Er hat im Kriegsgebiet an der Front gestanden ohne einen Kratzer abzubekommen. In seiner Nähe ist eine Granate explodiert und ein Panzer hat auf ihn geschossen. Zudem ist er mit einem defekten Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen und hat vorher den intakten seinem Kammeraden gegeben. Solche Sachen eben."
Chloe bekommt den Mund nicht zu.
„Aber ihm ist nie etwas passiert. Der Mann hat unendlich viele Leben. Ich bin gespannt wie viele er noch hat. Deshalb bin ich in seiner Einheit. Ich will wissen, warum er so riskant lebt und wann ihn sein Glück verlassen wird."
Er bemerkt Chloes starren Gesichtsausdruck.
„Das klingt komisch, ich weiß. Ich wünsche ihm kein Unheil, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich glaube nur an übernatürliche Dinge. Der da oben...", er deutet gen Himmel, „...hat mit uns allen etwas vor. Was ist wohl sein Plan für den Captain? Oder für mich...oder für Sie?"
„Dead Eye!"
Christian hat ihn gesehen und winkt ihn zu sich.
„Zwanzig Runden um den Platz, wenn du nicht augenblicklich antrittst."
„Oje, er hat mich erwischt. Wird Zeit auch meine Schießkünste zu verbessern."
Er läuft den kleinen Hügel hinab zu Christian und bleibt stramm vor ihm stehen. Sein Captain nimmt die Brille ab und schaut einen Moment in ihre Richtung. Anschließend drückt er Thomas ein Gewehr in die Hand - speziell für Scharfschützen.
Thomas geht auf den Platz und sucht sich das Ziel, das am weitesten weg ist. Er legt an und zielt. Er schießt, doch das Ziel wird nicht getroffen. Verdutzt schaut Chloe beim nächsten Schuss genauer hin. Wieder verfehlt er.
„Wieso nennet er sich Dead Eye, wenn er nicht ein einziges Mal trifft?", fragt Chloe unbewusst laut.
„Weil er nicht auf das Ziel schießt", hört sie Hazima von weitem sagen. Sie kommt gerade über den holprigen Weg gelaufen. Dieses Mal trägt sie ein lockeres Tuch um den Kopf gewickelt.
Sie lächelt beim Näherkommen. Chloe fällt es schwer das Lächeln zu erwidern. Jedes Mal wenn Chloe sie sieht, kommt die Erinnerung hoch wie Christian sie küsst und ihre Brust zieht sich zusammen. Doch noch schlimmer wird es, wenn sie sich vorstellt wie seine starken Hände ihren graziösen Körper verwöhnen und sie sich unter ihm windet.
Verdammt! Seit wann denkst sie an sowas?
Alle im Lager reden darüber und die Beiden streiten es auch nicht ab. Das macht es nicht einfacher.
Chloe ist selbst schuld an ihrer Situation. Eigentlich hat sie kein Recht eifersüchtig zu sein. Sie hätte ihn haben können. Doch stand ihre Angst ihr im Weg. Wenn sie das nicht bald in den Griff bekommt, wird sie wirklich einsam sterben.
„Sieh auf die Felsen oberhalb des Platzes", meint Hazima und deutet mit dem Finger in eine Richtung.
Als Thomas das nächste mal schießt, bewegt sich etwa auf den Steinen. Verdammt, das ist so dermaßen weit.
„Das sind über tausend zweihundert Meter."
Jetzt ist Chloe wirklich beeindruckt. Thomas kann wirklich gut schießen.
„Christian!", ruft Hazima plötzlich und winkt ihn heran.
Er folgt ihrem Ruf sogleich und Chloe erstarrt. Wieso ist sie noch gleich hier? Ach ja das Training. Ignorier die Beiden einfach!
„Was ist?", fragt er und bemerkt Chloe absichtlich nicht.
„Telefon."
„Das Hauptquartier?"
Sie nickt.
„Danke."
Er berührt sie sachte am Arm und geht dann zum Hof zurück. Allein diese kleine Berührung wirkt so vertraut. Chloe möchte kotzen. Zum Glück verschwindet Hazima schnell.
Chloe fühlt sich ausgeschlossen. Auch daran ist sie selbst schuld. Als ihr das klar wird, denkt sie an Izzy. Chloe hat sich nicht einmal bei ihr gemeldet. Sie möchte sie anrufen, doch leider weiß sie nicht, wann sie ihre Freundin erreichen kann. Also beschließt Chloe ihr eine Mail zu schreiben.
Am nächsten Tag geht sie zu George, der gerade den kleinen Lastwagen mit offener Ladefläche belädt. Er schmeißt einige Müllkisten hinein und anderes Zeug.
„Fahrt ihr in die Stadt?"
George nickt.
„Dead Eye macht ein paar Besorgungen."
„Kann ich mit?"
„Sollte kein Problem sein, Dr. Anderson."
Thomas taucht in der Haustür auf und grinst sie an. Er stellt einen Karton auf die Ladefläche und hält ihr dann die Beifahrertür auf. „Wir fahren bei Zeiten, gute Frau, also wenn Sie bitte einsteigen würden."
Seine charmante Art bringt sie doch tatsächlich zum schmunzeln.
„Was willst du in der Stadt?", fragt er sobald er ebenfalls eingestiegen ist.
„Man sagte uns dort gäbe es Internet."
„Ja richtig. Ein Internetcafé. Der Besitzer kennt uns schon."
Er lässt gerade den Motor an, als Christian aus dem Haus kommt und den Wagen aufhält.
„Hey ich komme mit. Muss mich im Hauptquartier melden."
Dann fordert er Chloe auf etwas aufzurücken und setzt sich neben sie auf den breiten Doppelsitz.
Chloe verdreht genervt die Augen, so dass Christian es nicht sehen kann. Dann rollt der Wagen los.
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