Chloe gibt nach

Den ganzen restlichen Tag lässt man Christian in der Kammer schmoren. Immerhin lässt man ihn nicht hungern, dafür sorgt Hazima. Natürlich lässt sie ihn nicht hängen. Dafür ist sie viel zu nett. Sie ist nicht nur nett, sondern auch hübsch. Sie hat Christian wahrlich verdient und er sie auch.

Chloe darf nicht der Grund für einen Streit zwischen ihnen sein. Sie möchte Christians Leben nicht noch mehr zerstören, das hat er nämlich überhaupt nicht verdient.

Chloe möchte ihm so gerne danken. Nur ihretwegen hat er jetzt den Schlamassel.
Mutig rafft sie sich zusammen und geht am späten Abend Richtung Lagerraum.
Nervös knibbelt sie an den Fingern und weiß anfangs gar nicht was sie sagen soll. Doch es kann nicht so schwer sein sich zu bedanken.

Komm schon, Chloe, sei nicht feige, sagt sie zu sich selbst und atmet tief durch.
Was soll er denn tun? Er ist da drin eingesperrt und kann sie weder sehen noch anfassen. Egal was sie jetzt zu ihm sagt, er muss es sich anhören.

„Christian?"
Sie hört ein Geräusch von innen.
„Chloe?"
Er klingt leicht überrascht.
„Ja...ich wollte sehen wie es dir geht."
„Bist du allein?"
„Ja. Wieso? Hast du Angst die Wachen können zuhören?", neckt sie ihn trotz ihrer Unsicherheit. Allein seine Stimme zu hören ist beruhigend und gleichzeitig bringt es ihr Herz so doll zum Schlagen, dass sie glaubt es wird ihr jeden Moment aus der Brust springen.
„Ich hatte eher auf ein Rettungskommando gehofft", scherzt er zurück.

„Tut mir leid, ich hab keins mitgebracht."
„Du bist da, das ist genug."
Verdammt Christian, hör auf so nett zu sein.
„Wie ich sehe bist du okay, dann kann ich ja wieder gehen."
Sie dreht sich um als er ihren Namen ruft, mit einem Ton, der eher nach „wag es ja nicht" klingt.
Sie gibt nach und setzt sich mit angezogenen Beinen neben die Tür. In deren unteren Teil befindet sich ein rostiges Gitter, durch das man gerade so die Finger stecken könnte. Reinschauen geht nicht, es ist zu dunkel innen drin. Hat er da überhaupt Licht?

„Danke für heute", sagt sie nach einer Weile.
„Es tut mir leid, dass du meinetwegen dort drin bist."
„Schon gut. Ich würde es jeder Zeit wieder tun."
„Und was ist mit deiner Karriere?"
„Ich scheiß auf Karriere, Chloe, hast du das immer noch nicht begriffen? Wenn ich mich zwischen dir und meiner Uniform entscheiden muss, würde ich mich jeder Zeit wieder für dich entscheiden."

„Hör auf. Sag nicht solche Sachen, sonst verliere ich jeglichen Stolz."
„Ich meine das ernst, Chloe."
„Ich möchte dich nicht immer verletzen oder in Schwierigkeiten bringen."
Er lacht leise.
„Ich schaffe es auch ohne dich mich und andere in Schwierigkeiten zu bringen."
Kaum zu glauben.
„Doch es tut mir leid, dass ich dir heute wieder Angst bereitet habe", gesteht er traurig.
„Du hast mich beschützt, Christian. Wieder einmal hast du mich in jeglicher Hinsicht beschützt...und ich habe einfach nicht mehr die Kraft wegzulaufen", gesteht Chloe unsicher.

Sie schlingt die Arme um die Knie und versucht nicht sofort in Tränen auszubrechen.
„Du kannst nichts für meine beschissene Angst. Eigentlich bist du der Einzige, in dessen Nähe ich es länger aushalte. Der Einzige, dem ich vertraue, der mich immer rettet und ehrlich zu mir ist. Ich bereue meine Entscheidung, die ich in Amerika traf."

Sie muss das jetzt einfach sagen. Der Stein ihrer Seele wird zunehmend schwerer und droht sie in einen tiefen Abgrund zu ziehen. Wenn sie nicht endlich die Wahrheit sagt, wird sie noch daran ersticken.

Christian sagt nichts, sonder hört ihr nur aufmerksam zu. Vermutlich ist das besser so. Wenn er jetzt was sagt, verliert sie vielleicht den Mut.
„Warum ist mein Leben immer so? Warum gerate ich immer in diese Situationen? frage ich mich."
Chloe spürt, wie sich ihre Augen mit Tränen füllen. Das ist so verdammt schwer.

„Ob es ein Mord mit Vergewaltigung ist; ein durchgedrehter Psychopath, der mich erschießen will, eine Katastrophe, ein Minenfeld oder ein selbstgefälliger Chefarzt, der seine Finger nicht von mir lassen kann...all das macht mir Angst Christian. Ich weiß nicht wie ich das verarbeiten soll."

Jetzt ist es raus. Sie hat es gesagt. Chloe wartet einen Moment auf eine Reaktion, doch es kommt kein Laut aus dem Raum hinter ihr. Was denkt Christian jetzt? Ist er schockiert? Bestimmt ist er das. Warum sagt er nichts?

„Als ich dir in dem Café gegenübersaß...hatte ich vorher schon Dr. Martin getroffen. Er hat mich berührt, mich belästigt und bedroht. Er hat mir so unglaubliche Angst gemacht, dass ich wieder in mein altes Verhaltensmuster gefallen bin. Ich bin im Krankenhaus umgekippt. Dann bist du plötzlich aufgetaucht. Es ist so schwer gewesen dir genau dann in die Augen zu sehen...."
Sie bricht ab und schluchzt.

Nach einer langen Pause fährt sie fort: „Ich habe ihm ins Gesicht geschlagen und zur Strafe hat er mich hier hin geschickt. Vermutlich war es seine Hoffnung, dass ich kündige und meine Karriere damit beendet ist. Doch den Gefallen habe ich ihm nicht getan. Ich wollte durchhalten, stark sein und mit erhobenem Haupt zurück kehren. Doch dich wieder zu sehen hat mich erneut aus der Bahn geworfen. Ich kann das einfach nicht mehr. Vermutlich ist es doch besser wenn ich Abreise und dir nicht länger Probleme bereite. Auch wenn ich deswegen gekündigt werde. Ich werde meine Karriere nicht über deine stellen, Christian."

Chloe kämpft verbissen gegen die Tränen an, doch es nützt nichts. Sie hat alles raus gelassen, sich ihm gegenüber geöffnet und ihm die Wahrheit gesagt. Es ist, als würde sie auf einmal viel leichter sein.
Nur Christians Schweigen ist irritierend.
„Bitte sag etwas", fleht sie verzweifelt nach einer Ewigkeit der Stille.
Hinter der Tür ist es immer noch still. Erst nach einer Weile findet Christian seine Sprache wieder.

„Bis gerade ging's mir gut hier drin...", meint er leise, „...jetzt möchte ich am liebsten die Tür einschlagen."
Mehr kommt nicht von ihm und Chloe beißt sich auf die Zunge. Eine Zeit lang bleibt sie neben der Tür sitzen und schluchzt leise vor sich hin. Irgendwann beruhigt sie sich und steht auf. Christian hat kein einziges Wort mehr gesagt. Chloe weiß auch nicht mehr, was sie sagen soll. Drum verabschiedet sie sich und geht zurück ins Haus.

Dort ist es ruhiger als erwartet. Die Stimmung ist angeschlagen und alle haben unglaubliche Ehrfurcht vor dem Major. Dieser bleibt zu aller Erleichterung nur bis zum nächsten Vormittag. Doch vorher holt er Christian aus seiner vorübergehenden Isolation.

„Der General hat sich wieder einmal für Sie eingesetzt, Captain", erklärt er widerwillig und gibt Christian seine Ausrüstung und sein Kommando zurück. „Obwohl Sie das nicht verdient haben."

Christian bedankt sich und salutiert vor dem Major.
Chloe ist heilfroh, dass ihr Vater so viel Einfluss hat. Sie muss sich unbedingt bei ihm erkenntlich zeigen, wenn sie nach Amerika zurück kommt, was sie möglichst bald angehen sollte. Vielleicht nach dem Jahreswechsel.

Dieses Land ist gefährlich und Chloe findet keinen Grund noch länger zu bleiben. Auch wenn die Ärzte nett sind und sie von Dr. Wilson noch eine Menge lernen kann, es ist einfach nicht die richtige Zeit. Vielleicht findet sie irgendwann nochmal den Mut ein Auslandstraining zu machen, doch erst wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen hat. Außerdem wird sie ganz sicher nicht Afghanistan wählen.

Der Major zieht sich mit seinen Männern in die Stadt zurück und überlässt Christian wieder die Befehlsgewalt über den Militärstützpunkt.
„Ehrlich, Captain, wie viele Leben hast du eigentlich?", fragt Thomas erfreut und klopft Christian aufmunternd auf die Schulter.

„Den Captain bekommt man so schnell nicht klein", posaunt Milo stolz und die anderen Soldaten freuen sich mit ihm.
„Ich frage mich, was der General dir schuldet, dass er dich immer wieder raus haut. Du musst ihm ja sehr wichtig sein."
Christian grinst wissend zu seinem Kameraden hinüber.

„Sei jetzt nicht zu hochmütig, Christian. Immer wirst du nicht davon kommen", sagt Hazima neckend zu ihm und beschließt an diesem Tag etwas besonderes für alles zum Essen zu machen. Das Ärzteteam freut sich natürlich darüber. Alle lieben Hazimas Essen.
Auch Chloe kann nicht leugnen, dass sie Talent hat. Hat die Frau irgendwelche Makel? Sie hat alles. Schönheit, Intelligenz, Talent und...und sie hat Christian. Oder nicht? Hat sie ihn noch?

Sie beantwortet Chloes Frage bald, als er sich zum Essen an den Tisch setzt und Hazima es sich nicht verkneifen kann ihm vor aller Augen einen Kuss auf die Wange zu pflanzen.
Selbst Christian ist das etwas unangenehm. Als er zu Chloe sieht, tut sie so als hätte sie das gar nicht mitbekommen und beteiligt sich mit gespieltem Interesse an der Unterhaltung ihrer beiden Sitznachbarinnen.

Was sie zu Christian vor dem Lagerraum gesagt hat, verliert an Bedeutung und wird nie wieder angesprochen. Doch das macht nichts.
Ihm alles zu erzählen hat Chloe geholfen eine Last abzuwerfen. Sie fühlt sich freier. Sehr viel freier.

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