Bilder lügen nicht
In den nächsten zwei Tagen fällt es Chloe sichtlich leichter sich in das Team zu integrieren. Sie verbringt viel Zeit mit ihren Zimmergenossen und bemüht sich eine aufmerksame Schülerin zu sein. Anscheinend hat sie wirklich Spaß daran mir den Ärzten eine Übungssituation nachzuspielen und dabei die Funkgeräte zu benutzen.
Solange Christian nichts zu tun hat, schaltet er immer auf den Kanal des Ärzteteams und hört zu.
Wie lange wird er noch Gelegenheit dazu haben Chloe zuzuhören oder sie zu sehen? Sie hat gesagt sie will abreisen. Genau das will Christian nicht, auch wenn er nicht leugnen kann, dass sie in Afghanistan überhaupt nicht sicher ist. Sie will seinetwegen gehen. Wann wird sie gehen?
Wird Christian sie danach jemals wiedersehen? fragt er sich ununterbrochen.
Klar wird er das. Er weiß wo sie arbeitet und selbst wenn sie in dem Krankenhaus aufhört hat Christian seine Mittel und Wege, um sie zu finden. Vorausgesetzt das Chloe nicht wegläuft.
Sie darf einfach nicht weglaufen und sie darf auch nicht gekündigt werden. Dieses feige Arschloch soll es ja nicht wagen. Der bloße Gedanke an den Mistkerl von Arzt macht Christian rasend vor Wut. Er hat es einfach nicht glauben können. Natürlich erklärt es Chloes Verhalten, doch es ist einfach so unglaublich. Die Frau hat wirklich Pech. Immer wieder wird sie vom Leben enttäuscht. Leider gibt sie Christian auch keine Chance sie davor zu beschützen. Das würde er nur zu gerne.
Als Soldat kann er das nicht. Zudem war er kurz davor wirklich große Probleme ihretwegen zu bekommen. Nur ihrem Vater hat er es zu verdanken, dass er ohne weitere Bestrafung heile aus der Sache raus gekommen ist. Allerdings hat er einen ausführlichen Bericht verlangt und mit Christian geschimpft, weil er Chloe in Gefahr gebracht hat. Gleichzeitig hat er sich bedankt, weil Christian ihren Ruf beschützt hat.
Nun sind alle froh, dass Christian sein Kommando wieder hat und blicken voller Zuversicht auf den Jahreswechsel, der kurz bevorsteht.
Am Silvesterabend bereitet Hazima mit Rons und Fernandos Hilfe ein kleines Festessen vor und alle sind gut aufgelegt.
Auch Chloe gibt sich unbeschwert.
Doch in wie weit ist das Fassade? Nach allem was mit ihr passiert ist, scheint ihr aufgewecktes Verhalten eher unwirklich. Zudem gibt sie sich offensichtlich Mühe seinem Blick auszuweichen.
Währenddessen versucht Hazima genau das Gegenteil. Sie sucht ständig seine Aufmerksamkeit und hängt an seinen Socken. Den ganzen Abend über.
Die Ärzte wollen eine Art Diashow von den vergangenen Tagen zusammenstellen und sie nach dem Essen abspielen. Sie haben einige schöne Aufnahmen vom Team und von der Umgebung zusammengestellt. Nun wollen sie diese auf einer großen Leinwand abspielen. Mit etwas mittelalterlicher Technik von Kinan und Milo zusammengebastelt, gelingt es tatsächlich eine Übertragung herzustellen. Zusätzlich gewährt Christian allen den Internetzugang für einen Abend.
Trotz der jüngsten Ereignisse kommt es ihm so vor, als hätte er alles nur geträumt. Gleichzeitig bewundert er die jungen Leute. Sie befinden sich in einem gefährlichen Land und findet trotzdem noch den Mut zu feiern.
Also entspannt sich auch Christian etwas und versucht Hazimas Anhänglichkeit zu missachten.
~
Das war wieder typisch. Warum muss jetzt ausgerechnet Chloes Handy für die Show herhalten? Alle haben Bilder gemacht, nur sie nicht. Dennoch hat sie die Aufgabe bekommen sich darum zu kümmern die Bilder zu sortieren und an den Computer anzuschließen. Die Anderen haben entweder den Tisch gedeckt, die Küche unsicher gemacht oder mithilfe der Jungs das Haus hübsch dekoriert, mit allem was sie hier an möglicher Dekoration finden konnten.
Also blieb Chloe für den Rest übrig. Doch leider hat sie keine Ahnung von Technik und scheitert sehr schnell.
„Kinan, du musst mir dabei helfen. Ich kann denn Ordner nicht öffnen. Mach du das bitte."
Der junge Araber kümmert sich sofort darum. Murat stellt die Verbindung zum Prozessor her.
Alles geht drunter und drüber und Chloe wird sehr schnell abgelenkt. Sie ist froh bald eine andere Aufgabe zu finden. Also hält sie ein paar Minuten später ein Funkgerät in der Hand und organisiert das ganze Chaos, sehr zum Amüsement der Soldaten.
Gegen Neun am Abend sitzen alle beisammen und erzählen sich einen Witz nach dem anderen. Auch die Offiziere kennen einen Haufen interessanter und lustiger Geschichten aus ihrer Lehrzeit.
Nach dem Essen werden dann endlich die vielen Fotos abgespielt. Dank Murat und Kinan - den beiden Technikgenies - hat alles funktioniert.
Die Zeit vergeht wie im Fluge, während sich alle amüsieren.
„Doktor Wilson in der frühen Morgenstunde", beschreibt eine Praktikantin ein sehr unvorteilhaften Schuss von dem älteren Herren, wie er müde in die Kamera gähnt.
Dann wechselt das Bild und eine Szene auf dem Außengelände wird gezeigt. Der ganze Trupp Offiziere rennt in der frühen Morgenstunde und mit freien Oberkörper über den Hof.
Chloe verschluckt sich an ihrem Saft.
„Was zum..."
Jessi kichert verschmitzt.
„Ach ja, das hast du ja noch gar nicht mitbekommen, weil du immer so lange schläfst. Das machen sie jeden Morgen."
„Ernsthaft?"
Sie nickt.
„Ein Augenschmaus, ich sag's dir."
Natürlich beginnen die Weiber im Raum sofort zu schwärmen. Es ist ja auch nichts an gut trainierten Jungs auszusetzen, muss Chloe zugeben. Leider ist Christian nicht auf dem Foto. Beginnt er sein Training auch immer so früh? Wie so oft schweift ihr Blick zu ihm hinüber. Er steht neben dem Computer und redet mit Thomas.
„Nanu, was soll das denn?"
Chloe wird durch Ron abgelenkt, der einen kritischen Blick auf die Leinwand wirft. Alle anderen tun es ihm gleich und sind auf einmal so still.
„Hast du das geschrieben?", fragt Jessi neugierig, als ob sie gerade den neusten Klatsch von einem Promi verbreiten will.
Verwirrt starrt Chloe auf die Leinwand. Ihr entgleiten sämtliche Gesichtszüge.
Dort wird ein Bild gezeigt, von dem sie noch nicht einmal ahnte dass es existiert. Deshalb macht sie große Augen, als sie die Nachricht von ihrem Handy wieder erkennt.
Es ist offensichtlich ein Bildschirmfoto ihres Handys, welches die letzten Worte zeigt, die sie an ihrem Geburtstag Christian geschickt hat.
Ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht. Ich habe zu spät verstanden, dass ich dich liebe.
Ich würde mich so gerne bei dir entschuldigen. Es tut mir so leid.
Ich will dir doch nur sagen, dass ich dich ganz furchtbar vermisse.
Wo bist du, Christian?
Geht es dir gut?
Das steht da für alle ganz deutlich zu lesen, ebenso der Name des Empfängers. Oh nein! Oh nein! Oh nein! Wie kommt es zu diesem Foto? Warum wird es in dieser Situation gezeigt? Das ist so unendlich peinlich!
Bevor Chloe irgendwas anderes tut, muss ihr Handy verschwinden.
Sie springt auf und hastet rüber zum Computer, wo sie als aller erstes Thomas Grinsen begegnet. Er wirkt schuldig an dem Schlamassel, doch Chloe beschließt später mit ihm zu schimpfen. Hauptsache nicht Christian ansehen.
Sie schnappt sich nur schnellstmöglich ihr Handy, stolpert ungeschickt über die Kabel am Boden, fängt sich gerade noch und rennt mit hoch rotem Kopf nach draußen auf den Hof.
Sowas dummes kann auch nur ihr wieder passieren.
Chloe geht ein paar Meter und weiß gar nicht so recht wohin. Sie hätte vielleicht lieber in ihr Zimmer flüchten sollen. Was macht sie hier draußen?
Sie schüttelt den Kopf und dreht sich um. Erschrocken erstarrt sie. Da steht Christian keine fünf Meter und kann sich das Schmunzeln nicht verkneifen. Natürlich hat er es gelesen. Er hat alles gelesen.
Chloe umklammert verkrampft ihr Handy und blickt nervös umher. Hier draußen wird sie der Situation kaum entfliehen können.
Er kommt langsam auf sie zu.
„Bleib wo du bist", ruft sie nervös.
„Sonst was?"
Ihr fällt darauf kein Konter ein.
„Das war keine Absicht, Christian."
„Ich weiß", meint er höchst amüsiert über ihre Nervosität.
„Ich wusste nichtmal, dass ich das fotografiert habe. Ich habe es auch schon gelöscht. Das Ganze ist doch unwichtig. Lass uns also keine große Sache draus machen."
Sie könnte selbst über sich lachen.
„Du liebst mich, Chloe, das ist das Größte für mich."
Oh Gott, was macht sie bloß?
„Mag sein", sagt sie so kleinlaut, dass es kaum zu hören ist. „Das ändert gar nichts, Christian."
„Das ändert alles. Du hast es sogar öffentlich gemacht. Jetzt hast du keine Ausrede mehr."
„I-ich wollte das nicht."
„Hör endlich auf wegzulaufen", ermahnt er sie freundlich.
Sie weicht vor ihm zurück.
„U-und wenn es nicht funktioniert?", wirft sie wieder ein.
Sein Lächeln wird breiter.
„Was soll nicht funktionieren?"
„Wir werden streiten", gibt Chloe schüchtern zu bedenken.
„Dann streiten wir eben. Ich bin derjenige, der dich mehr als alles andere will. Du vertraust mir und lässt mich als einzigen Mann in deine Nähe. Ich wäre schön blöd dich wegen eines Streits zu verlassen, oder?"
„Und wenn...ich dich verlasse?", fragt sie und weicht weiter zurück.
„Daran werde ich dich schon hindern."
„Ach ja?"
Christian nickt und schaut kurz auf ihre Füße.
Er macht einen großen Satz nach vorne, was sie so sehr erschreckt, das Chloe rückwärts über einen Stein stolpert und beinahe hinfällt, würde Christian sie nicht gerade noch rechtzeitig auffangen.
Jetzt hat sie keine Chance mehr wegzulaufen.
„Siehst du ich kann dich beschützen, Chloe."
Fasziniert starrt sie ihn an. Sie spürt ihr Herz unruhig schlagen. Er ist zu nahe.
Sie weiß gar nicht wie Ihr geschieht, als Christian sie aufrichtet und plötzlich küsst. Ein Stromschlag fährt durch ihren ganzen Körper. Panisch will sie ihn wegdrücken, doch Christian lässt sie nicht. Seine Hand an ihrem Rücken drückt sie an ihn.
Weil ihr nichts besseres einfällt verkrampft sie sich und kneift die Augen zusammen. Solange bis seine Zunge vorsichtig an ihre Lippen stupst.
Sofort erstarrt sie zur Wachsfigur. Ihre Arme werden schwer und entspannen sich. Christian bewegt langsam seine Lippen auf ihren und macht sie schwindelig. Es ist unbeschreiblich ihm so nahe zu sein. Genau das hat sie so sehr vermisst. Sie hat ihn vermisst.
Vorsichtig zieht er sich zurück und mustert sie mit seinen schönen braunen Augen. Chloes Panik ist weg. Ihr Geist ist völlig vernebelt. Doch eines weiß sie ganz sicher: sie will mehr davon. Mehr von ihm!
Ohne zu zögern schlingt sie die Arme um seine Schultern und küsst ihn zurück. Sie zieht ihn an sich und gibt sich ganz diesen süßen und verführerischen Lippen hin. Vernunft und Angst verabschieden sich. Die Welt um sie herum verschwindet für den Moment. Da ist nur noch Christian. Sein Duft, seine Wärme und diese starken Arme, die sich um ihre Taille legen.
Der leichte Bart kitzelt auf ihrer Haut. Sein Atem passt sich ihrem an, ebenso sein Puls. Er steigt mehr und mehr an, droht ihr Herz zum explodieren zu bringen, als seine Zunge sich in ihren Mund vorwagt. Das ist mehr als nur ein Kuss. Das ist absoluter Wahnsinn!
Passiert das gerade wirklich?
Süchtig nach mehr klammert sie sich an ihn. Er erobert ihren Mund, liebkost ihre Zunge und leckt über ihre Lippen.
Shit! Das ist zu gut, um wahr zu sein. Wie hat Chloe nur darauf verzichten können? Wieso fällt es ihr so leicht ihn auf diese Weise zu küssen?
Vielleicht ist es okay sich zu öffnen und ihm zu vertrauen. Es tut nur weh von ihm getrennt zu sein. Deshalb sollte Chloe nicht mehr weglaufen. Dafür hat sie auch längst keine Kraft mehr.
Ein Damm bricht in ihr. Trotz ihres klopfenden Herzens löst sie sich etwas von ihm, nur um sich gleich darauf an seine Brust zu schmiegen und herzhaft loszuheulen. Christian wird es verstehen. Natürlich tut er das.
Sie lauscht seinem beruhigenden Herzklopfen und spürt die Hand, die tröstend über ihr Haar streicht.
„Sorry...dass es so spät kommt, aber...", schluchzt sie und kann ein leichtes Zittern nicht verbergen, „...ich liebe dich, Christian!"
„Du hast lange gebraucht, Liebling."
Seine Antwort bringt sie zum Lachen.
Es wird alles gut, oder? Sie ist sicher bei ihm.
„Übrigens...Happy New Year, Chloe!", flüstert Christian an ihr Ohr und hält sie fest.
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