1.2 (überarbeitet)
1
Ich werde in meinem Vortrag unterbrochen, als sich die Aufzugstüren öffnen und ein groß gewachsener Mann mit unordentlich verstrubbelten schwarzen Haaren den Raum betritt.
Mein Herz setzt aus und schlägt dann doppelt so schnell weiter.
Ich weiß nicht was es ist, aber er hat etwas an sich, das alle Blicke auf ihn zieht. Ist es seine Haltung? Die gestrafften Schultern? Der selbstbewusste Gang mit dem er sich nun auf den Tisch zu bewegt? Oder doch die spöttisch funkelnden braunen Augen?
Ich brauche keine Vorstellungsrunde, um zu wissen, dass er ein weiteres Clarkfamilienmitglied ist.
Im Gegensatz zu seinen Brüdern trägt er keinen Anzug, sondern ein weißes Hemd, dessen oberen Knöpfe gerade so weit offen sind, dass man einen Eindruck von seinem muskulösen Oberkörper bekommt und dessen Ärmel hochgekrempelt sind, sodass man seine gebräunten Unterarme sehen kann. Auch er trägt eine goldene Armbanduhr am Handgelenk. Ein winziges Detail, das in direkt in eine ganz andere Dimension katapultiert.
In der einen Hand hält er ein halbgefülltes Scotchglas und mit der anderen fährt er sich leicht gestresst durch die Haare. Doch dann ist der unruhige Ausdruck auf einmal verschwunden und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn mir nur eingebildet habe.
Ich kann meinen Blick nicht von ihm wenden.
„Du bist zu spät, Jonathan!", Mr. Clarks Stimme ist streng, wie die eines Vaters.
Jonathan hebt fast schon trotzig das Kinn. „Mach keine Szene, Matt!", sagt er grob. Seine Stimme ist trotz der Härte angenehm tief.
„Wo warst du so lange?", mischt sich nun auch Noah mit ein. Auf seiner Stirn hat sich eine senkrechte Falte gebildet und die unruhigen Finger liegen nun flach auf der Tischplatte.
Ein verwegenes Grinsen stiehlt sich auf Jonathans Gesicht, während er zu uns herüberkommt. „In der Bar und da war diese super heiße Frau, die ich unbedingt auf einen Drink", ruckartig bleibt er stehen, den Blick auf mich gerichtet, unterbricht er sich selbst, „Hola."
Der spanische Ausruf kommt ihm wie selbstverständlich über die Lippen, dass ich mich frage, warum mir noch nicht vorher aufgefallen ist, dass die Clarks etwas Spanisches oder Mexikanisches an sich haben.
Er starrt mich ungeniert an.
„Wow. Darf ich Sie fotografieren?", fragt Jonathan, während er mich weiterhin betrachtet.
„Jace!", ruft Annabelle entrüstet, „sei nicht so unhöflich!"
Peinlich berührt sieht sie mich an. Wie unangenehm ihr das Auftreten ihres Bruders sein muss, will ich mir gar nicht vorstellen. Ihre Worte kommen mir fast ein bisschen lächerlich vor, weil ich doch Mr. Clarks Worte vorhin eher als Kränkung aufgefasst habe, als die von Jace. Trotzdem lässt seine Aussage mich die Stirn runzeln.
„Wie bitte?", frage ich ihn verwirrt.
Jonathan ignoriert seine Schwester geflissentlich, tritt allerdings hinter sie und drückt ihr mit der freien Hand die Schulter. Vielleicht als Versöhnungsgeste.
„Ich sammle ungewöhnliche Gesichter", erklärt er mit rauer Stimme ohne den Blick von mir abzuwenden. Unter seiner Musterung fühle ich mich bloßgestellt und die Verlegenheit lässt meine Wangen heiß werden.
„Sollte ich das jetzt als Kompliment oder als Beleidigung auffassen?", frage ich vorsichtig.
Jonathan grinst und er lehnt sich ein wenig vor. „Ich schätze ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich sammle ungewöhnlich hübsche Gesichter", sagt er nun mit eindeutig flirtendem Unterton.
Egal wie sehr mein Herz bei diesem Kompliment anfängt zu rasen, ich werde mich nicht von diesem Mann durcheinanderbringen lassen. Warum macht Adam mir nie solche Komplimente?
„Dann fragen Sie doch die Frau in der Bar", erwidere ich kühl und beiße mir dann auf die Zunge. Das war vielleicht ein bisschen zu direkt.
Aber Annabelle kichert und auch Noah grinst. Es ist ein echtes Grinsen und ich habe den Eindruck, er hält jetzt ein bisschen mehr von mir.
Lucian nickt mir anerkennend zu, während Mr. Clark noch immer seinen Bruder genervt ansieht und sich angespannt durch die Haare fährt.
„Jonathan. Setz dich endlich hin!" Seine Hände lässt er laut auf den Tisch fallen. Bei dem Lärm zucke ich ein wenig zusammen. Annabelle und Noah sehen sich bedeutungsvoll an.
Jonathan gehorcht dieses Mal tatsächlich, stürzt den Scotch in einem Zug herunter und stellt das Glas laut vernehmlich auf dem Tisch ab.
„Ms. Prime, können Sie fortfahren?", fragt Mr. Clark mit gepresster Stimme. Der Auftritt seines jüngsten Bruders hat ihn klar verärgert. Kein Wunder. Jonathan wirft nicht gerade das beste Licht auf diese scheinbar perfekte Familie.
Ich nicke, merke wie meine Hände schwitzig werden, als ich den stechenden Blick von Jonathan spüre. Was soll das? Kann er nicht irgendwo anders hinsehen?
Ich schiebe ihm ebenfalls eine Kopie des Entwurfes zu.
„Ähm...nun wie ich eben bereits erklärte, geben die anderen Firmen kaum etwas von sich preis. Wenn Sie nun etwas transparenter werden, würde das bei den Käufern Vertrauen erwecken."
„Sie schlagen also vor, ich soll unsere Strategien preisgeben?", fragt Mr. Clark ungläubig.
Ich schüttele den Kopf. „Natürlich nicht. Das wäre in der Tat eher kontraproduktiv. Es soll lediglich den Anschein erwecken. Deswegen bat ich sie um einen Fotographen der einen Blick für Details hat. Fotos sind das beste Beweismittel, aber sie dürfen unter keinen Umständen gestellt wirken."
„Bekommst du das hin, Jace?", fragt Annabelle ihren Zwilling, der ihr daraufhin einen herablassenden Blick schenkt.
„Das du da noch Fragen musst, Anni!" Er klingt nicht wirklich gekränkt, sondern eher herablassend. Annabelle verzieht verärgert den Mund.
Ich will Jonathan nicht ansehen, weil seine Anwesenheit mich sowieso schon genug aus der Fassung bringt.
Reiß dich zusammen, befehle ich mir selbst, schiebe meine Blätter zu einem ordentlichen Stapel zusammen, straffe die Schultern und hebe den Kopf.
Ich blicke Jonathan direkt in die dunklen Augen. „Selbstüberschätzung ist dabei eher hindernd!", warne ich ihn.
Spöttisch verzieht er den Mund. „Ich nenne das Selbstbewusstsein, chica!"
„Ms. Prime hat Recht. Das ist wichtig. Du musst ernsthaft bei der Sache sein!", Mr. Clark sieht Jonathan streng an und trommelt ungeduldig mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte.
Der jüngste Clarkbruder lässt daraufhin beide Hände flach auf den Tisch fallen und beugt sich ein Stück vor, um Mr. Clark eindringlicher ansehen zu können. „Du traust mir das nicht zu!" Dieses Mal ist er verärgert.
Durch seine Haltung kann ich den beißenden Geruch nach Alkohol wahrnehmen, der ihn umgibt. Leicht angewidert lasse ich mich nach hinten gegen meine Stuhllehne sinken.
„Nun dein Talent beim Fotografieren stelle ich nicht in Frage. Ich befürchte nur, dass es an deinem mangelnden Verantwortungsbewusstsein scheitern wird", wirft Mr. Clark ihm vor.
Der Zug um Jonathans Mund verhärtet sich. Warum habe ich das Gefühl hier mitten in einen Familienstreit hineingeraten zu sein?
„Jace bekommt das hin, Matthew", mischt Annabelle sich ein.
„Noah?", fragt Mr. Clark und alle Blicke wenden sich dem Brillenträger zu, der nicht besonders begeistert darüber scheint ins Kreuzfeuer geraten zu sein.
„Ich schließe mich Anna an, Matt. Ich glaube du bist ein bisschen zu streng mit Jace."
Noah und Jonathan nicken sich kurz zu.
Mr. Clark seufzt. Glücklich sieht er darüber nicht aus.
„In Ordnung. Jonathan, du wirst dich an Ms. Primes Anweisungen halten, klar? Keine eigenen Entscheidungen!"
Jonathan verdreht die Augen und greift nach der Weinflasche.
„Todo bien."
Ich kann zwar kein Spanisch, aber es klingt nach einer Einwilligung. Die Körperhaltungen der anderen entspannen sich, was meine Annahme bestärkt.
„Ms. Prime, lassen Sie sich von ihm nicht einschüchtern!", Mr. Clark sieht mich an.
Ich nicke, während ich aus dem Augenwinkel beobachte wie Jonathan sein Glas vollmacht.
„Gut. Wie hatten Sie sich die genaue Veröffentlichung dieser Informationen vorgestellt?"
„Dazu hatte ich mehrere Ideen. Eine Möglichkeit wäre eine Firmenzeitung, die man sowohl digital als auch aus Papier erhalten kann."
„Das finde ich super. Das lässt sich perfekt mit meiner Idee bezüglich der Werbung für die neue Software verknüpfen!", schaltet Annabelle sich ein. Ihr Tonfall ist wieder neutral und ich hoffe, dass es bei dieser einen Auseinandersetzung bleibt.
„Ich weiß nicht. Ich finde eine Zeitung nicht so gut. Wer liest sich das heutzutage denn noch durch?", bemerkt Noah.
„Was schlägst du stattdessen vor?", erkundigt sich Mr. Clark.
„Wie wäre es mit einem Film?"
„Das macht doch jeder", hält Annabelle dagegen, „Wie müssen Aufmerksamkeit erregen. Gerade jetzt wo Company West so auf dem Vormarsch ist."
Ihre Stimme wird bei dem Namen der Konkurrenzfirma scharf.
„Ein Film ließe sich zumindest in der digitalen Version mit der Zeitung verknüpfen. Ansonsten hatte ich sowieso die Idee mich mehr auf Fotos zu beschränken, als auf Texte. Und nicht zu vergessen, die sozialen Netzwerke. Facebook, Instagram, etc. sind nicht zu unterschätzen. Darüber sprechen Sie auch junge Clienten an", schlage ich einen Kompromiss vor.
Das Gespräch verläuft ab da an super. Irgendwann bestellen wir uns etwas zu essen nach oben und um halb elf ist alles geklärt.
„Ich würde Sie wirklich gerne fotografieren!", spricht Jonathan mich auf einmal wieder an, als die Gespräche um uns herum sich nicht mehr um die Werbekampagne drehen.
„Nein, danke!"
Er seufzt. „Das ist wirklich bedauerlich." Er nimmt einen großen Schluck aus seinem Weinglas und stellt es dann klirrend ab.
Mit einem gezwungenen Lächeln verabschiede ich mich von den Clarks.
Lucian fährt gemeinsam mit mir nach unten ins Erdgeschoss. Dieses Mal kommt mir die Fahrt weniger lang vor.
„Sie haben sich wirklich gut geschlagen!", befindet er.
„Dankeschön." Ich lächle ihn an und gebe ihm im Foyer zum Abschied die Hand.
Eine ungeheure Last fällt mir von den Schultern, als ich ihm den Rücken zu wende und es endlich hinter mir habe.
Das Streichquartett ist nicht mehr da. Stattdessen dudelt jetzt aus einem Lautsprecher sanfte Klaviermusik.
Auf dem Weg nach draußen fische ich mein Handy aus meiner Handtasche.
Adam hat mir immer noch nicht geantwortet. Das dämpft meine gute Laune ein wenig.
Stattdessen hat meine beste Freundin Erin mir geschrieben.
„Wie ist es gelaufen? Ruf an!", lautet die Nachricht.
Ich drücke auf grün und halte mir das Handy ans Ohr, während ich mir meinen Mantel hole und dann nach draußen auf die dunkle Straße trete.
„Erzähl alles!", meldet Erin sich aufgeregt.
Ich lache. „Es war super. Mein Chef war sehr angetan von meinen Ideen", erzähle ich stolz
„Yeah. Ich habe dir doch gesagt, du wirst es rocken!" Sie lacht ausgelassen, „darauf müssen wir anstoßen. Willst du noch vorbeikommen?"
Eigentlich hatte ich einen schönen Abend mit Adam verbringen wollen, aber seit er mir nicht mehr antwortet, ist mir die Lust darauf vergangen.
„Klar, bin sofort da."
Ich winke ein Taxi ran.
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