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Wenige Tage später herrschte noch immer eine sehr bedrückende Stimmung im Palast des Nachtreiches. Viel war nicht passiert. Pia und ich waren wieder in unsere Zimmer gezogen und halfen nun den Natesim dabei, die Zerstörung, die sich durch das ganze Schloss zog, wieder aufzuräumen.

Auch durch das ganze Land hatten sich Kämpfe gezogen und die Bewohner setzten alles daran, ihr altes Leben schnellstmöglich wieder herzustellen.

Ins Tagreich waren wir bis jetzt nicht noch einmal gewesen. Die Reforten erzählten uns, dass sie auch dort die restlichen Feuerbändiger bekämpfen konnten und sich nun ebenfalls darum kümmerten, alles sauber zu machen.

Sverre war bis jetzt im Nachtreich geblieben. Wir hatten ihn bisher nicht auf Jacob William angesprochen, und erst mal hatte ich das auch nicht vor. Mir war es gerade egal, was Sverre vor unzähligen Jahren angestellt hatte. Für mich zählte nur, dass er jetzt mit uns zusammenarbeitete.

Luna ging es mittlerweile wieder etwas besser. Wir hatten uns Zeit genommen, ihr bei der Trauer über ihre beste Freundin zu unterstützten. Sie hatte Zeit bekommen, sich richtig von Claire zu verabschieden.

Ihre Leiche war nicht auffindbar gewesen. Wahrscheinlich hatten die Feuerbändiger sie in ihrem Ärger verbrannt. Doch wir wollten ihr trotzdem ein symbolisches Grab schenken.

Luna erzählte uns, dass Claire gerne Lavendel mochte, und deshalb legten wir ein kleines Lavendelbeet im großen Garten für sie an.

In erster Linie verbrachten Luna, Pia und ich unsere Zeit jedoch bei Kazumi. Ihre Familie übernachtete seit den Kämpfen zwar auch im Palast, genauso wie Ades, doch Kazumi bestand darauf, vorrangig mit uns zu reden.

Wobei reden das falsche Wort war. Die meiste Zeit schwiegen wir nur.

Meistens fühlte ich mich schrecklich, während wir so still nebeneinandersaßen und um Ade trauerten. Ich wollte mich mit Dingen ablenken. Wollte beim Wiederaufbau des Palastes mithelfen, oder das Dienstpersonal unterstützten.

Doch dann erinnerte ich mich daran, warum ich das tat. Warum ich stundenlang herumsaß, mir Bilder von Ade ansehen, oder Gesellschaftsspiele spielen musste. Kazumi brauchte unsere Unterstützung und deshalb halfen wir ihr.

Wenn die Sitzungen dann beendet waren - Kazumi entließ uns immer nach zwei bis drei Stunden - ging ich mit Pia in mein Zimmer. Manchmal traf ich mich auch mit Drew. Ich erzählte ihr, was alles in der Zeit auf der Erde passiert war, als sie und die anderen Reforten zurück ins Nachtreich aufgebrochen waren. Über die Feuerbändiger, die uns hinter Andrews Farm aufgelauert sind und den Kampf, den wir im Palast des Tagreichs ausfechten mussten.

Es tat gut, mit jemandem darüber zu reden. Drew hörte einfach nur zu, als ich mir alles von der Seele sprach und stellte keine nervigen Zwischenfragen.

Eigentlich hatte ich erwartet, sie würde mir die ganze Zeit Vorwürfe machen, warum ich nicht auf Reforten gewartet oder mich versteckt hatte, doch das tat sie nicht. Sie lauschte meiner Geschichte und hielt liebevoll meine Hand.

Anders als meine Eltern.

Als Pia und ich ihnen unsere Geschichte erzählt hatten, musste ich mir die ganze Zeit Mums geschockten Gesichtsausdruck ansehen und Dads Kommentare ertragen. Er warf mir vor, leichtsinnig gehandelt zu haben und mich zu sehr auf meine Kräfte verlassen zu haben. Bei jedem kleinsten Detail was wir preisgaben, kam ein neuer Vorwurf hinzu, sodass wir irgendwann nur noch grob die weiteren Erlebnisse zusammentrugen.

Natürlich wusste ich, dass mein Vater alles nur gut meinte. Er hatte Angst um mich. Ich hatte gegen die Gegner gekämpft, während er gefesselt in einer Ecke gesessen hatte und alles mitansehen musste.

Außerdem wurmte es ihn, dass er so machtlos gewesen war, als die Bändiger vor ein paar Tagen im Nachtreich aufkreuzten. Eigentlich hatte er mit Mum aufbrechen und uns suchen wollen. Doch der Überraschungsangriff war zu plötzlich gewesen. Er hatte gekämpft, doch die Kraft der Bändiger hatte sie überrollt. Es waren einfach zu viele gewesen. Dad hatte sich geschlagen geben müssen.

Genauso wie die anderen Auserwählten.

Mit ihnen hatte ich mich auch noch einmal getroffen. Nun, da wir alle vereint waren, wollten wir uns erst einmal richtig kennenlernen, um die Stärken und Schwächen der anderen zu kennen. Denn nur dann konnte man sich hundertprozentig aufeinander verlassen. Und bei dem, was wir gemeinsam vorhatten, mussten wir eine Einheit bilden. Noch immer wussten wir nicht genau, wie wir Sanna und Mano befreien würden, doch zumindest waren wir nun alles zusammen. Unser Team festigte sich und meiner Überzeugung nach würden wir es schaffen.

Zum Abschluss unseres Treffens hatten wir noch ein wenig herumexperimentiert. Wir hatten unsere Energien alle in einem Netz gebündelt. Bei einigen hatte das etwas gedauert, doch schlussendlich hatten wir es gemeinsam geschafft.

Das Netz war atemberaubend schön gewesen! Es war dichter und robuster als das von Pia und mir. Außerdem sah man viel deutlicher die zweifarbigen Energien, die sich zu einer dichten Masse zusammenflickten.

Das Schwarz der Nachtseite und das Gold der Tagseite bildeten ein wunderschönes Farbenspiel in der Mitte ihrer auserwählten Erschaffer.

Auch noch Stunden nach unserem Treffen hatte ich mich überwältigt gefühlt von all der Energie, die sich vor mir im Raum aufgebaut hatte. Ich war wie ein elektrisches Spielzeug, dem man neue Batterien gegeben hatte.

Leider hielt dieses Gefühl nicht für immer an. Schon viel zu bald wurde ich wieder in die Realität gerissen, nämlich als Kazumi das erste Mal seit den Kämpfen wieder zum Essen erschien. Die letzten Tage hatte sie immer in ihrem Zimmer gespeist, weshalb der Anblick der Königin im Speisesaal schon fast seltsam war.

Mit ihrem Auftauchen wurde ich sofort wieder an Ade erinnert, was meine Mundwinkel nach unten wandern ließ.

Ich wollte Kazumi natürlich nicht dafür beschuldigen, mir schlechte Laune zu bereiten, aber leider waren meine Freude mit ihrem Auftauchen schnell wieder verschwunden.

Es blieb nur ein kleiner Funken positive Energie, denn eigentlich war es schön, dass Kazumi wieder zum Essen kam.

Anscheinend bedeutete das, es ging ihr besser und sie konnte Gesellschaft wieder ertragen. Vielleicht würde sich der Tagesablauf im Palast dadurch bald wieder normalisieren.


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Heute war der vierte Abend nach den Kämpfen. Ich saß in meinem Zimmer und kämmte meine Haare. Eigentlich wollte ich gleich ins Bett gehen, doch da klopfte jemand an meine Zimmertür.

Es war nicht die Tür, die sich nach außen hin in den Flur öffnete, sondern die, die Pias Zimmer mit meinem verband. Somit konnte es nur meine Schwester sein, die mich zu dieser späten Stunde störte.

Ich ging zur Tür und öffnete sie. Pia stand mir gegenüber und sah mich müde an. Sie war ebenfalls von den Kämpfen immer noch sehr mitgenommen.

„Was ist los?", fragte ich sie gespannt.

Pia trat durch die Tür, setzte sich auf mein Bett und seufzte. „Hast du schon mal mit Jacob William geredet?" 

William. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit wir ihn an Drew und die anderen Reforten übergeben hatten. Er wurde sicher im Kerker aufbewahrt und stündlich wechselten sich Reforten ab, um vor seinem Gefängnis wache zu halten.

Drew war auch schon einmal dran gewesen und hatte mir berichtet, wie langweilig eine Stunde Nichtstun sein konnte. Sogar jetzt, wenn man die letzten Tage mehr als nur beschäftigt gewesen war.

Natürlich hatte der Kerker auch eine elektronische Sicherung, um den höchsten Grad an Sicherheit zu gewährleisten. Eigentlich gab es keine Möglichkeit, wie William ausbrechen könnte. Aber wir wollten auf Nummer sicher gehen. Und die Reforten konnten sich freiwillig für seine Wache eintragen.

Die Gefangennahme des Bändigers hatte Priorität und wir mussten dafür sorgen, dass er unser Gefangene blieb. Ein wenig Panik hatten wir schon, denn über welche Kräfte William genau verfügte, wussten wir nicht.

Die Natesim-Seite in ihm verstärkte sein Feuer und brachte die zerstörerische Kraft seiner Gabe auf ein neues Level. Trotzdem dürfte er unserem Gefängnis eigentlich nicht entkommen können. Dafür hatten wir gesorgt.

Ich antwortete Pia kopfschüttelnd: „Nein, ich habe mich noch nicht mit ihm beschäftigt. Du etwa?"

Pia schüttelte ebenfalls den Kopf. „Aber ich habe langsam Lust, ihm mal einen Besuch abzustatten. Vielleicht werde ich morgen mal zu ihm runtergehen. Kommst du mit?"

Kurz überlegte ich, doch dann lehnte ich ab. „Von dem habe ich erst einmal die Nase voll. Du kannst mir ja dann berichten, was du von ihm herausgefunden hast." 

„Wenn ich überhaupt etwas herausfinde. Ich glaube noch nicht daran, dass er mir viel verrät."

„Warum? William ist doch ein kleines Plappermaul. Ich hatte bei unserer Auseinandersetzung, während den Kämpfen, nur gefragt, warum er unbedingt das Tagreich angreifen muss, und er hat mir schon seine halbe Lebensgeschichte erzählt." Jetzt musste ich lachen.

War es zu fassen? Ich lachte wirklich, und das aus vollem Halse, vier Tage nach den Angriffen. Auch Pia stimmte in mein Lachen mit ein.

Vielleicht war das auch eine Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten. Darüber zu lachen. Oder zumindest über unseren Feind, der nicht ganz so unbezwingbar zu sein schien, wie er es selbst gerne hätte.

William war in diesem Moment, als ich ihm gegenübergestanden hatte, sehr gefährlich gewesen, aber nun saß er in unserem Kerker und konnte nicht entkommen.

Wir konnten uns also kurz gönnen, über ihn zu lachen.

„Na gut, dann wäre das geklärt. Ich versuche morgen mal, mit ihm zu reden." Pia wischte sich eine kleine Lachträne von der Wange.

Ich schmunzelte. Noch immer vergaß ich manchmal, dass sie nun mehr war als nur eine gute Freundin.

Pia war meine Schwester. Meine einzige Schwester, aber gleichzeitig auch die beste, die man sich nur vorstellen konnte.

Wir redeten noch viel in dieser Nacht, nun da sich etwas in uns gelöst hatte. Berichteten von schönen und weniger schönen Momenten der letzten Tage. Redeten über Ade und unsere Trauer. Liesen alles raus, was uns irgendwie auf der Seele brannte.

Schlussendlich schliefen wir Arm in Arm ein. 

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