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Beim Mittagessen waren wir wieder alle vereint. Auch Lance und mein Vater waren nun zu uns gestoßen, und Jian hatte sich endlich die Rüstung ausgezogen.

Ein paar Bedienstete kamen herein und brachten uns Mittagessen, doch ich hatte keinen großen Hunger. Nun, da Pia von ihren irdischen Pflichten befreit war, gab es viel zu tun. Wir mussten einen Plan entwickeln, um Sanna und Mano noch rechtzeitig zu retten. Dafür brauchten wir die Auserwählten und ein Team gut ausgebildeter Wissenschaftler.

„Also", lenkte Ade die Aufmerksamkeit auf sich. Sie saß heute ebenfalls am langen Tisch im Gäste-Speisesaal. Meistens aß sie jedoch mit Kazumi allein in ihrem privaten Esszimmer. Dass sie heute hier war, bedeutete, dass es etwas Wichtiges zu besprechen gab. 

„Es gibt viel zu tun", sagte Ade und faltete die Hände über ihrem langen, blauen Kleid. „Pia und Marie, als erstes werden wir euch noch einmal ärztlich untersuchen, um vielleicht etwas über die besonders starke Energie herauszufinden. Außerdem werden wir euch zumindest die Grundkenntnisse des Kampfes aus der Refortenausbildung zeigen, damit ihr euch im Notfall verteidigen könnt. Dann werdet ihr euch auf die Suche nach den anderen Auserwählten machen. Wir wissen, wo sie wohnen, aber es ist eine weite Strecke, selbst wenn ihr mit den Türportalen des Nachtreichs reist."

Leider konnte man sich nicht wünschen, wo auf der Erde man auftauchte, wenn man durch ein Portal flog. Das Nachtreich lag nämlich wie eine zweite Schicht über der Erde und drehte sich rein zufällig. Den Mond und die Sonne, die man an unserem Himmel sah, waren nicht die echten, sondern Energiebündel, die bei Entstehung der Reiche miterschaffen wurden. So würden wir im Notfall, sollten Sonne, Mond und Erde tatsächlich in nächster Zeit in ihre Einzelteile zerfallen, noch Licht in den Reichen haben.

Die Lage des Tagreichs über der Erde zu erklären, war dann nicht mehr so einfach. Es lag nicht parallel oder auf dem Nachtreich. Nicht mittendrin oder darunter. Es lag genau dort, wo das Nachtreich auch lag. Quasi ineinander. Ein weiteres Phänomen unserer Energie.

„Wo gehen wir als erstes hin?" Marie sah aus, als würde sie gleich vor Freude in die Luft springen. Ich sah, wie das Glück aus jeder ihrer Zellen sprühte. Im Gegensatz zu Pia war sie sehr euphorisch gestimmt. Sie freute sich darauf, der Welt zu helfen.

Ade wollte ihr mit ihrer Antwort die Freude nicht nehmen, trotzdem musste sie Maries Enthusiasmus bremsen. „In ein paar Wochen wird das Haus des ersten Auserwählten hier ganz in der Nähe sein. Das hat mir ein Berater errechnet. Bei diesem könnt ihr eure Reise dann starten. Aber erst müssen wir ein paar Sachen mit euch klären."

Pia seufzte. „Würde es nicht mehr Sinn ergeben, erst die anderen Auserwählten hier her zu bringen, und dann zu versuchen, eine Lösung zu finden? Sind wir nicht alle zusammen noch viel stärker? Und warum müssen wir das machen? Es würde doch reichen, wenn ein paar Reforten sie abholen."

„Vielleicht seid ihr beide schon stark genug, wer weiß. Keiner hat die Kräfte der Auserwählten je erforscht. Aber das werden wir nur sehen, wenn ihr beide euch zusammentut. Dann können wir entscheiden, ob wir die anderen Auserwählten noch brauchen. Außerdem müssen wir erst mal schauen, wie wir für die Sicherheit von zwei Auserwählten sorgen. Wir haben nicht genug Reforten, um euch alle zu beschützen. Es wird momentan ein ganzer Trupp neuer ausgebildet, nur für eure Sicherheit. Wenn ihr aufbrecht, müssten sie fertig ausgebildet sein", erklärte Ade.

„Aber das erklärt nicht, warum wir die Auserwählten abholen müssen."
„Auf der Erde seid ihr sicherer. Wie schon gesagt brauchen wir neue Truppen, um euch den nötigen Schutz zu gewähren. Solange ihr auf der Erde keinem Feuerbändiger begegnet, werdet ihr dort, im Gegensatz zum Nachtreich, keinen Schutz brauchen.
„Warum wollen hier so viele Leute Marie und Pia angreifen?" Jian sah bestürzt zu meinen Freundinnen.

Man sah Ade an, dass ihr der Umstand sehr peinlich war. Während sie sprach, sah sie auf ihre im Schoß gefalteten Hände. „Das liegt wohl an mir, da ich euch jahrelang als Bedrohung angepriesen habe. Dass ich jetzt so plötzlich meine Meinung geändert habe, finden sie wohl auch nicht so super."

Natürlich hätte jetzt jemand im Raum sagen können, dass Ade keine Schuld traf. Aber noch nicht einmal Kazumi tat es, da wir alle wussten, dass es gelogen wäre. Es war Ades schuld, dass sie Auserwählten im Nachtreich so unbeliebt waren, aber dass sie eingesehen hatte, dass sie falsch lag, war schon ein großer Schritt in die richtige Richtung.

„Also gut", sagte ich und räusperte mich. Die Stimmung begann zu kippen, und das konnte ich nicht akzeptieren. Ich hasste schlechte Stimmung. „Dann ist es also beschlossen. Nachher fangen wir an, mit Marie und Pia zu forschen, wenn wir fertig sind, geht es an die Aufnahme der anderen Auserwählten."

Ich wollte schon meinen Stuhl nach hinten ziehen und aufstehen, aber Lance hielt mich zurück." Die anderen waren noch lange nicht fertig mit dem Essen. Ich spürte, wie die Hitze in meinen Wangen aufstieg und ich mich wieder setzte. Wie peinlich. Auch wenn diese Truppe quasi meine Familie geworden war, wollte ich trotzdem nicht unhöflich sein. Nur weil ich keinen Hunger hatte, sollten meine Freunde aufessen dürfen.

Meine Stimme war kratzig, als ich hektisch nach einem neuen Gesprächsthema suchte. „Also noch mal zur Legende ..." Das war etwas, was lange keiner mehr angesprochen hatte.

Unsicher warf ich ein paar Fakten in den Raum, weil ich das Thema jetzt schon angeschnitten hatte.

„Sanna und Mano haben ihre ganze Energie verwendet, um sich in die Himmelskörper einzuschließen. Es war ein langer Prozess mit viel Energieaufwand. Und da die beiden es nicht schafften, die Energie allein zu erzeugen, zapften sie die der Erde an. Das sagt zumindest unsere Geschichte. Also brauchen wir wiederum genug Energie, um Sanna und Mano wieder aus den Himmelskörpern zu befreien. Aber wenn wir sie befreien, wird die Erde wieder dunkel." Das war der Punkt. Das Dilemma. Das Problem.

Alle kannten die Geschichte und als ich nacheinander in die Gesichter blickte, erkannte ich, dass meine Gruppe noch immer keine Ahnung hatte, worauf ich hinauswollte.

„Ja ...", antwortete mir Lance gedehnt. „Und wenn die Erde dunkel ist, können die Feuerbändiger wieder an die Macht kommen."
„Oder die Erde geht kaputt." Das genau Herrik dies ausgesprochen hatte, war erschreckend. Mein kleiner Bruder sollte noch keine so dunklen Gedanken haben. Er sollte die Freiheit haben, sein Leben in Frieden zu leben.

Doch es war die Wahrheit. Wenn wir Sanna und Mano nicht bald aus ihren Himmelskörpern befreien würden, würde die Erde noch vor Anbruch des nächsten Jahrhunderts zerbrechen.


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Nach dem Essen waren wir alle in unsere Zimmer gegangen, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Die Gespräche waren doch angeregter gewesen als zuerst angenommen.

Auch wenn Lance quasi in meinem Zimmer wohnte, machte er sich nun auf den Weg in sein eigenes.

Wir hatten beim Mittagessen noch besprochen, dass sich Marie und Pia mit mir in einer halben Stunde im Krankenflügel treffen würden. Die ersten Untersuchungen standen an, und ich war mehr als nur gespannt darauf.

Mein Traum war es schon lange, später etwas im Labor zu machen. Sachen zu erforschen, zu erfinden, zu experimentieren.

Da war die Erforschung der Auserwählten ein guter Anfang.

Schnell zog ich das unvorteilhafte, aber wunderschöne, knielange, schwarze Kleid aus, was ich zu Ades Ehren beim Mittagessen getragen hatte und glitt in den weißen Laborkittel, der schon für mich bereit lag. Der Stoff war rau, und juckte ein bisschen auf der Haut, aber das störte mich nicht. Das gleiche Jucken spürte ich in meinen Fingern, wenn ich nur an die Untersuchungen dachte. Das würde sicher total aufregend werden!

Als ich hörte wie es dongte, dachte ich zuerst, ich wäre in der Schule. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass wir dieses Zeichen ausgemacht hatten, damit nicht alle Namen einzeln ausgerufen werden mussten. Dies war mein Zeichen. Die Experimente gingen los.

Ich hatte nie etwas gegen die Schule gehabt. Die Naturwissenschaften und die Energiekunde fand ich sogar richtig cool, nervig waren die verschiedenen Sprachen, die wir lernen mussten, um uns auf die Erde vorzubereiten.

Da ich aber in Englisch als nicht geeignet eingestuft worden war, hatte ich diesen Fachbereich nicht weiter belegen müssen. Verschiedene Sprachen zu lernen war Pflicht, für Schüler wie mich machte man eine Ausnahme. Das Erdjahr verbrachte man nämlich nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Es gab Jugendliche aus dem Nacht- und Tagreich in China, in den USA, in Afrika oder Australien. Das half, um auf der ganzen Erde nach einer Lösung für unser Problem zu suchen und vor allem andere Kulturen kennen zu lernen.

Für Schüler wie mich, deren Aussprache und Sprachschatz unter dem Nullpunkt lag, wurde da zum Glück eine Ausnahme gemacht. Wir durften in Deutschland, also in einem Land mit unserer Muttersprache bleiben. Deshalb kam es auch so oft vor, dass man in seinem Umfeld auf jemanden traf, der auch aus dem Nachtreich kam. Viele gaben sich keine Mühe eine Fremdsprache zu lernen, da man ja auch einfach nach Deutschland gehen konnte.

„Luna?" Lance war an meiner offenen Zimmertür vorbeigelaufen, und sah mich ungläubig an. Ich schüttelte kurz meinen Kopf, um mich zu sammeln, und trat dann hinaus auf den Flur.

Ich durfte mich jetzt nicht in meinen Gedanken über Sprachen verlieren. Ich hatte Wichtigeres zu tun.

„Ich komme ja schon." Eigentlich wusste ich nicht, was Lance jetzt hier machte. Er interessierte sich rein gar nicht für die Wissenschaft. Aber insgeheim freute ich mich auch, ihn zu sehen. Auch wenn wir schon mehrere Jahre zusammen waren, spürte ich immer noch die Schmetterlinge in meinem Bauch, jedes Mal, wenn ich ihn sah.

„Warten die anderen auf mich, oder werde ich jetzt gleich in schon laufende Untersuchungen platzen?", fragte ich Lance, während wir uns auf den Weg durch den Palast machten.

„Ade hat gesagt, dass sie zehn Minuten warten. Wenn du dann nicht kommst, hast du Pech gehabt."

Ich lachte leise auf. „Dann hoffe ich für mich, dass diese zehn Minuten noch nicht um sind."

Lance nahm unauffällig meine Hand. Ich lächelte ihn an.

„Hast du dich eigentlich mal bei deinen Freunden gemeldet, seit der Wahnsinn hier begonnen hat?" Wir beide hatten zwei große Freundeskreise, die sich, nachdem wir zusammengekommen waren, irgendwie zu einem verschmolzen hatten. Es war schön zu sehen, wie sich die eigenen Freunde so mühelos mit denen deines Freundes verbündeten. Wir vertrauten ihnen eigentlich alles an. Ich selbst hatte aber seit Wochen nicht mehr mit meinen Freunden gesprochen. Nicht, weil ich keine Lust darauf hatte, sondern, weil ich nicht wusste, ob sie mich bei meinen Problemen verstehen würden.

Ich liebte meine Freunde wirklich, aber bis jetzt hatte ich mit ihnen meistens nur über die üblichen, im Gegensatz zu meinen jetzigen Problemen, belanglosen Themen geredet. Dass mein Leben plötzlich aus wichtigeren Sachen bestand als die neusten Accessoires von Spy Princess, musste ich selbst erst einmal akzeptieren. 

„Ich habe mich einmal kurz mit Julian verbunden", erklärte mir Lance, während wir um eine Ecke bogen. Julian war sein bester Freund. „Aber das war's auch schon. Ein kurzes Gespräch, ein kurzer Austausch darüber, was gerade so los war. Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte. Also habe ich ihm alles kurz berichtet, und dann aber auch schnell wieder eine Ausrede gesucht, um die Verbindung abzubrechen. Ich weiß nicht, warum. Julian war so verständnisvoll, und hat mir aufmerksam zugehört, als ich erzählt habe, aber es hatte sich trotzdem nicht richtig angefühlt ihm das alles zu erzählen. Dabei sollte es das doch, oder nicht?" In Lance Blick sah ich die Sorge, die auch mich nun schon seit ein paar Wochen begleitete. Was machten unsere neuen Aufgaben aus unseren Freundschaften?

„Ich weiß es nicht", sagte ich ehrlich. „Eigentlich sollte man seinen Freunden alles anvertrauen können, aber ich weiß, wie schlimm unsere letzten Wochen waren, und wie schwer es ist, darüber zu reden."

Lance drückte meine Hand noch etwas fester. Dies war seine Art zu zeigen, dass meine Antwort ihn gestärkt hatte. Außerdem waren wir gerade vor dem Krankenflügel angekommen und ich nahm an, dass Lance nicht mit hineinkommen wollte.

„Lance ich weiß, unser Leben ist gerade nicht so einfach, und wir vermissen beide die Zeit mit unseren Freunden, aber egal ob wir diese zurückbekommen werden oder nicht, wir haben uns. Vergiss das bitte nicht."

Oh Gott, war das kitschig. So konnte ich das nicht stehen lassen. Das war nicht typisch für mich.

„Uns, und den Untergang der Erde, wenn wir nicht bald eine Lösung finden."

Lance ließ abrupt meine Hand los. „Du musst auch echt alle Romantik kaputt machen."
„Tja, so bin ich eben." Schulterzuckend schenkte ich ihm ein herausforderndes Lächeln.

„Na dann, Anti-Romanti ab mit dir an die Arbeit."

Lance grinste zurück und schob mich in Richtung der Tür. Ich musste lachen und ließ mich bereitwillig schieben.

Da die Tür jedoch nicht automatisch aufging, musste Lance irgendwann anhalten, und mich die Tür öffnen lassen.

Er gab mir einen schnellen Kuss, winkte mir einmal und dann war er weg. 

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