𝑆𝑒𝑐ℎ𝑠𝑢𝑛𝑑𝑧𝑤𝑎𝑛𝑧𝑖𝑔


Unbewusst hatte ich die Seelenverdingung gelöst, während Pia und ich hinab in den Saal schwebten. Das war nicht weiter schlimm. Lances Stimme konnte mir jetzt keine Vorwürfe mehr machen und mich so von meinen Taten ablenken.

Auf meinem Weg nach unten sah ich mich im Raum um. Bis jetzt hatte mich noch niemand bemerkt. Es waren insgesamt neun Personen in Raum. Fünf von ihnen waren die gefangenen Natesim.

Jacob William und seine Wache standen neben ihnen. Zwei weitere Bändiger waren in der Tür platziert.

Nach oben sah ich nicht mehr. Ob die anderen mir folgten, war mir relativ egal. Ich hatte Pia an meiner Seite, zusammen würden wir es schon schaffen, die Natesim zu befreien.

Ein leichter Wind kam auf, als wir, immer noch unbemerkt, unten landeten.

Jacob William sah auf. Er erkannte uns und ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

„Na, sieh mal einer an. Meine Lieblings-Auserwählten. Die Soon-Zwillinge."
Pia schnaubte. „Das bezweifle ich. Oder sperren Sie alles ein, was sie besonders gerne mögen?" Sie spielte auf sich selbst an. Auf die Zeit, in der William sie in einem alten Krankenhaus gefangen gehalten hielt.

„Das ist tatsächlich mein Motto." William lachte gekünstelt. „So kann dir dein wichtigster Besitz nie weglaufen und du kannst mit ihm tun und lassen, was du willst." Das einstudierte Lächeln auf Williams Gesicht wurde breiter. Das gefiel mir gar nicht.

Auch wenn wir zu weit nicht sonderlich bedrohlich aussahen, so hatte ich doch gehofft, dass unser Auftreten den Bändiger überraschen würde.

Solange er sich mit Pia stritt, würde er vielleicht nicht bemerken, wenn ich jetzt schnell zu den Natesim lief und sie befreite ...

„Wag es ja nicht, Marie", ertönte seine Stimmte prompt. Mist, ich war aufgeflogen.

Einerseits hatte ich Angst vor William nächstem Schritt. Aber andererseits: Was wollte er dagegen unternehmen, wenn ich Natesim neben mir befreite? Ich könnte meine Energie als Schild benutzen, damit er mich nicht mit seinem Feuer traf. Dann sollte es mir gelingen, die Gefangenen unbeschadet hier herauszubringen.

Wenn ich doch nur eine Möglichkeit hätte, Pia davon zu erzählen.
Moment, die hatte ich. Manchmal vergaß ich noch, dass ich seit einiger Zeit über neue, ungeahnte Kräfte verfügte.


„Pia, hör mir gut zu. Wir erschaffen jetzt gleich unser Energienetz und mit Glück ist das wirklich feuerundurchlässig, so wie es die Wissenschaftler annehmen. Dann können wir die Natesim befreien und schnellstmöglich verschwinden."

„Verstanden."

Schnell fand ich Pias Energie. Wir hatten beide unsere Flügel entfernt, damit wir die gesamte Energie für das Netz benutzen konnten.

Noch immer dröhnte mein Kopf, doch ich blendete das Gefühlschaos aus. Das konnte ich gerade nicht gebrauchen.

Sachte breitete sich das Netz um uns herum aus. Wenn man genau hinsah, konnte man es im Sonnenlicht schimmern sehen, doch ich bezweifelte, dass Jacob William das beachtete. Er war viel zu sehr auf Pia konzentriert, die auf seinen Kommentar hin wieder irgendwas erwidert hatte. Ich hatte leider verpasst, was es war, doch es schien ihn wütend zu machen.

„Ihr denkt wirklich, ihr könntet die Erde noch retten, oder? Sie fängt doch bereits an, auseinanderzubrechen. In ein paar Jahren wird nichts mehr von ihr übrig sein."

„Deshalb fangen wir ja damit an, eine Lösung zu finden. Wir haben eine Idee, und die wird funktionieren." Ich fühlte Pias Wut, denn unser Energienetz nahm schlagartig an Größe zu.

Das war gut. Mit Glück waren nun wir, als auch die Natesim, im Schutz des Netzes. Ich gab Pia mit einem Kopfnicken das Zeichen zum Loslegen.

Blitzschnell stürmten wir nach vorne und begannen die Fesseln der Gefangenen zu lösen, die die Bändiger den Natesim verpasst hatten.

William schrie und befahl seinen Wachen, sich um uns zu kümmern. Er selbst jedoch wich zurück.

Wie erwartet hielt das Netz den Angriffen der Feuerbändiger stand. Keine einzige, kleine Flamme kam zu uns durch. Unsere Feinde wollten sich uns nähern, doch auch sie wurden von unserem Netz abgeblockt. Anscheinend saugte es auch das Feuer in ihren Körpern auf. Was ein schlaues Netz!

Jacob William stand fassungslos hinter seinen Wachen. Er konnte wohl nicht glauben, dass wir ihm gerade seinen ganzen Plan zunichte machten.

Immer weiter drängten wir die Wachen zurück. Diese schrien, weil es ihnen wohl wehtat, dass wir das Feuer in ihren Körpern blockierten. 

Normalerweise würden mich die Schmerzensschreie wohl dazu bringen, aufzuhören, doch gerade konnte ich sie ignorieren. Wenn wir jetzt nicht gegen sie kämpften, würden sie den gefesselten Natesim etwas antun.

Gerade wollte ich Pia fragen, wie wir nun weitermachen wollen, doch dann nahm ich Jacob William in der Ecke meines Blickes wahr. Er sich um und rannte aus dem Raum.

„Pia, William flieht! Ich gehe ihm nach!"


Pia hatte keine Zeit zu antworten. Ich hatte die Verbindung schon wieder gelöst und war davon gestürmt.

Mich ließ das Energienetz hindurch und so stand ich plötzlich ungeschützt vor den Wachen. Das hatte ich nicht bedacht, doch bis sie realisiert hatten, dass ich nun wieder angreifbar war, war ich schon lange an ihnen vorbeigerannt.

Ich sah William ungefähr zwanzig Meter vor mir. Er war größer und stärker als ich, aber auch um einiges älter. Auf Dauer würde ich es hoffentlich schaffen, ihn einholen.

Er rannte auf eine Treppe zu, welche nur nach oben führte. Was hatte er vor? Hatte er einen Plan, oder wollte er nur schnell weg von uns?

William war bereits oben angekommen, als ich vor der Treppe ankam, und dann immer zwei Stufen auf einmal nahm.

Ich versuchte mich daran zu erinnern, was in diesem Teil des Schlosses lag, doch es fiel mir nicht mehr ein. Es könnte alles ein. Ein ganz normales Zimmer, die Aussichtsplattform, oder eine Abstellkammer.

Mein Atem ging schneller, als ich oben auf der Treppe ankam. Ich sah William nicht mehr. In welche Richtung war er gerannt? Vor mir erstreckte sich ein Flur mit mehreren Abzweigungen. Leise horchte ich. Zuerst nahm ich nur meinen Atem wahr, der stoßweise und viel zu laut in meinen Ohren widerhallte, doch dann hörte ich schnelle Schritte. Sie kamen aus dem linken Gang und wurden immer leiser.

Schnaufend nahm ich wieder die Verfolgung auf. Es war ja nicht so, dass ich in der letzten Zeit nicht an meiner Ausdauer gearbeitet hätte. Mit Pia und Luna war ich manchmal Laufen gewesen und wir hatten sowohl mit unseren Kräften als auch mit Waffen trainiert. Aber es war etwas anderes, morgens aufzustehen und ein bisschen Frühsport zu machen, als nach einem langen und anstrengenden Tag plötzlich von null auf hundert zu starten.

Am Ende des Flurs befand sich eine weitere Treppe, an dessen Ende ich noch ein paar schwarze Schuhe ausmachen konnte, bevor sie aus meinem Sichtfeld verschwanden. Das konnte nur William gewesen sein.

Die zweite Treppe kam mir noch länger und unförmiger vor. Keine zwei Stufenabstände glichen sich.

Ich kam oben an und war mir sicher, dass ich gleich nicht mehr weiter rennen konnte. Meine Lungen brannten. Mein Kopf schmerzte.

Wie weit oben im Schloss war ich jetzt? Der Thronraum lag an sich ja schon ziemlich weit oben, und nun befand ich mich noch zwei Etagen höher.

Wo rannte William hin? Was hatte er vor?

Wieder kam eine Abzweigung in Sicht, doch dieses Mal konnte ich gerade noch seinen Rücken erkennen, der rechts um die Ecke bog. Ich holte also zu ihm auf.

Die Atmosphäre hatte sich verändert. Hier sah es gar nicht mehr aus, wie in einem Palast. Die Decke war nach oben hin offen, so dass man die Dachbalken erkennen konnte. Die Wände waren in einem verblassten weiß gestrichen und vereinzelt hingen alte Bilder daran.

Kurz überkam mich der Gedanke, dass William mich auf das Dach lockte. Dass er versuchen würde, mich vom Dach zu stoßen.

Doch dann wurden meine Gedanken unterbrochen, denn wir kamen anscheinend an unserem Ziel an.

Vor uns hörte der Flur plötzlich auf. Man sah keine Wand mehr, keinen Boden und kein Dach. Da war nur Licht.

Es musste sich um den Energie-Teil des Schlosses handeln!

William saß vor mir in der Falle. Er konnte diesen Teil nicht betreten, immerhin war er ein Feuerbändiger. Durch seine Adern floss die Natesim-Energie nicht.

Ich schöpfte dadurch neue Kraft und baute mich hinter ihm auf, so groß ich es mit meiner grazilen Gestalt konnte.
„Sackgasse", verkündete ich trocken.

Zuerst dachte ich, er würde sich geschlagen geben, doch dann fing William an zu lachen. „Ach wirklich?"

„Als Feuerbändiger kannst du diesen Teil des Schlosses nicht betreten", erklärte ich ihm das Offensichtliche. Aber warum lachte er so doof? Konnte er es doch?

„Der Feuerbändiger-Teil in mir kann euren Energiepalast nicht betreten, das ist wahr. Aber der Natesim-Teil in mir kann es."

Ich sah ihn lange an und suchte in seinen Worten nach der Ironie. Doch ich fand sie nicht. Ich verstand die Welt nicht mehr. Welcher Natesim-Teil? Wovon sprach er? Wie konnte das sein?

Ich wollte den Mund öffnen und etwas erwidern, aber er erklärte sich bereits selbst: „Als Auserwählte hättest du dir doch denken können, dass es rebellische Natesim unter euch gibt, die das Gesetzes brechen. Meine Mutter, Sonnen-Natesim, verliebte sich während ihres Erdjahres in niemand geringeren als den Anführer eines mächtigen Feuer-Clans."
Nein! Das konnte doch nicht wahr sein!

„Lügner!", schrie ich ihn an. „Das kann nicht sein. Davon hätten die Reiche erfahren. Das Mädchen konnte ja nicht einfach vergessen werden. Ihre Eltern und Freunde wussten, was passiert war. Also hätten Ade und Sverre mir davon berichtet."

William lachte wieder. Wie jedes Mal, sorgte er bei mir damit für eine Gänsehaut. Es klang einfach so abgrundtief böse und herzlos. „Willst du wissen, was deine Natesim in das Todesregister für meine Mutter eingetragen haben? Anett Vaiciulis starb während ihres Erdjahr infolge eines Autounfalls. Ihre Freunde hatten keine Ahnung von ihrer Beziehung und ihr Vater war so enttäuscht, dass er niemals wieder über sein Kind sprach."

Trotzdem mussten Ade und Sverre davon erfahren haben, um es in den Todesregister eintragen zu lassen. Und Dann hätten sie mir doch davon erzählt.

„Aber was ..." Ich wollte gerade danach fragen, doch dann lief es mir kalt den Rücken runter. Jacob William hatte eben einen Nachnamen erwähnt. Einen Nachnamen, der mir geläufig war. Ich kannte eine Person, die diesen Nachnamen trug.

Vaiciulis ... Sverre Vaiciulis.

Aber das konnte doch nicht wahr sein! Sverre würde niemals ...

Leise fragte ich: „Sie war Sverres Tochter, oder?"

William nickte. „Die Mutter, Sverres Frau, starb, als meine Mutter fünf Jahre alt gewesen war. Sverre war der Einzige, der die Wahrheit kannte, und da er selbst der König war, fiel es ihm nicht schwer, die Wahrheit zu vertuschen. Nicht einmal Ade hatte er davon erzählt."

„Er hat uns alle angelogen", sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm. Ich rief mir all die Momente ins Gedächtnis, in denen mir Sverre hätte die Wahrheit sagen können. Er hätte mich und die anderen vor der Gefahr warnen können, die von seinem Enkelkind ausging. Doch er hatte es nicht getan.

William grinste. „Ihm war es wichtiger, seinen guten Ruf zu bewahren, als euch vor der Bedrohung zu warnen."

Kurz musste ich mir über das Gesagte klar werden. Jacob William war der Enkel von Sverre, was wiederum bedeutete, dass er in den Energieteil des Tagreichs eindringen konnte, da er selbst einen Teil der Energie mit sich trug.
Deshalb waren wir hier.

„Du willst die Natesim gar nicht zerstören, um die Erde in Dunkelheit zu tränken und euer Feuer zu verbreiten. Du willst dich an deinem Großvater dafür rächen, dass er dich und deine Mutter aus dem Tagreich geworfen hat", schlussfolgerte ich.

„Ganz richtig. So wie du wurde ich von den Natesim verbannt und hatte nie die Chance, bei Verwandten in einem für mich angepassten Lebensraum zu leben. Ich musste mir alle Fähigkeiten der Natesim selbst antrainieren, kannte nur eine Seite meiner Familie und wurde aus meiner Heimat ausgesperrt. Ich bin noch einzigartiger als ihr Auserwählten, doch mein werter Großvater schien das ignorieren zu wollen. Nun wird er den Preis dafür zahlen."

Mit diesen Worten verschwand Jacob William in dem Licht hinter ihm und ich blickte perplex an den Fleck, auf dem er noch eben gestanden hatte.

Was war hier gerade passiert? 

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