𝐸𝑙𝑓
Nach dem Essen folgte ich Ade in ihr Büro. Auf dem Weg begegnete ich ausnahmsweise mal nicht Drew, weshalb ich annahm, dass sie mit Marie beim Mittagessen saß. Während ich mich für die beiden freute, kamen wir aber wieder an den total gelangweilten Reforten vor Ades Büro vorbei. Keiner der beiden grüßte uns, oder hob auch nur die Hand Richtung Tür, um uns hereinzulassen. Sie guckten nur grimmig drein, als wir an ihnen vorbei in den Raum traten.
„Ich sollte sie feuern." Ade lachte. Mir war nicht nach Lachen zumute. Wenn sie genauso tauglich als Verteidiger waren wie als Bewacher, würden wir bei einem Angriff wohl wenig geschützt werden.
Als Ade sah, dass ich nicht mitlachte, sah sie mich traurig an. „Alles in Ordnung?"
„Ja. Es ist nur ..." Ich suchte nach den richtigen Worten. „Es gibt immer noch so viele Natesim, die sich keine Gedanken um die Erde machen, oder was aus ihnen wird, sollten Sonne und Mond auseinanderbrechen. Sie stehen gelangweilt herum, und versuchen gar nicht, etwas zu ändern."
Ade seufzte. „Das stimmt. Und ich weiß, dass es meine Schuld ist." Ich wollte sie unterbrechen, doch sie hob die Hand. „Du brauchst mich nicht zu verteidigen, es ist doch wahr. Schon bevor Jacob William das Feuer in mich gepflanzt hatte, habe ich mich nicht für das Schicksal der Erde interessiert. Ich dachte immer, dass schon alles gut werden würde, weil das Nachtreich ja nicht unmittelbar mit der Erde zusammenhängt. Dass das vielleicht alles nur ein Missverständnis ist, oder jemand anderes mit der Lösung daherkommen würde. Dass unsere Zeit bald abgelaufen ist, habe ich leider erst viel zu spät begriffen. Jahrelang wollte ich nicht auf die Prophezeiung hören und jetzt muss ich die Konsequenzen dafür tragen."
„Es ist noch nicht zu spät. Wir haben einen Lösungsansatz. Morgen werden wir aufbrechen, und die Auserwählten versammeln", versicherte ich ihr.
Ade lächelte. „Und ich glaube fest an euch" Sie ging zu ihrem Schreibtisch, zog eine Schublade auf, und kramte in den Dokumenten. Der Raum war seit dem letzten Mal, als ich ihn betreten hatte, noch viel unordentlicher geworden.
„Ah, hier ist es." Ade reichte mir einen alten, halb zerfledderten Zettel. „Hier habe ich alle Auserwählten, ihr Geburtsdatum, und auf der Rückseite ihre Adressen notiert.
Ich sah mir das Blatt an.
1. Paul Fox (19.01.1998)
2. Marie Teppa Soon (31.03.2003)
3. Liam Bradbury (14.12.2004)
4. Alice Sheen (04.09.2005)
5. Zane Mills (27.11.2009)
6. Finn Almond (02.10.2011)
7. Elisa Hale (23.04.2012)
8. ?
Pia fehlte. Natürlich. Bis vor kurzem wusste ja auch keiner, dass sie Maries Schwester war. Noch immer war mir unerklärlich, wie Saphira und Moritz es geschafft hatten, ihre Augenfarbe zu verändern, damit man sie nicht erkannte.
Außerdem verstand ich den Grund nicht, warum ihre Eltern sie weggegeben hatten.
Auch Ade sah wohl, dass sie das Fragezeichen ersetzen konnte. „Darüber, wer Nummer 8 ist, brauchen wir uns immerhin keine Gedanken mehr zu machen."
Ich nickte. „Pia ist bereits bei uns." Ich wollte mir einen Stift nehmen, und ihren Namen dazuschreiben, doch Ade winkte ab. „Ich denke, wir können uns merken, wie Pia heißt."
Wieder nickte ich. „Okay. Danke für die Liste. Ich werde dann mal den beiden Bescheid geben, dass morgen die Abreise stattfinden wird."
„Ja, mach das. Ich werde währenddessen ein paar Reforten suchen, die sich euch anschließen wollen. Irgendwelche Vorschläge?"
„Lance." Ohne mir darüber im Klaren zu sein, was ich sagen wollte, hatte ich seinen Namen bereits ausgesprochen. Ich schlug meine Hand vor meinen Mund, doch Ade lachte nur.
„Er ist zwar erst in der Ausbildung, aber klar, wenn du das möchtest, kann er mitkommen."
„Drew Prather soll auch mit dabei sein."
„Die Tochter von Sir Prather, die in Marie verliebt ist?"
„Du weißt das auch?"
„Natürlich." Ade lachte laut. „Wer weiß es nicht."
Schnell erzählte ich ihr von dem Mittagessen-Date, dass ich arrangiert hatte. Die Königin des Nachtreichs schreckte beide Daumen in die Höhe. „Da werden sie sich sicher gefreut haben. Hoffentlich ist es gut gelaufen."
Meine Gedanken schweiften wieder zu den Reforten. Kannte ich weitere, die ich gerne dabeihaben wollte? Eigentlich kam mir sonst nur Sir Prather selbst in den Sinn, aber ich glaubte nicht, dass es Drews Schüchternheit hinsichtlich Marie guttun würde, wenn ihr Vater mit dabei war.
Andere Reforten wollten mir nicht einfallen. Dafür kannte ich zu wenige.
Wobei ... doch. Die zwei Idioten an der Tür konnte man fast schon als Bekanntschaften bezeichnen, aber sie würde ich ganz sicher nicht mitnehmen.
„Ich denke, das war's auch schon. Den Rest kannst du frei wählen."
Ade lachte. „Danke. Ich werde euch ein paar nette, in eurem Alter, heraussuchen."
Als ich mich wieder zum Gehen wandte, seufzte Ade. „Luna? Bitte seid vorsichtig. Nicht nur die Auserwählten, auch du bist sehr wichtig für das Nachteich, das Tagreich und die Erde."
Auch wenn ich da anderer Meinung war, denn ich war nur eine gewöhnliche Natesim, nickte ich. „Versprochen."
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„Luuuuunnnnnaaa" Herrik sprang mir in die Arme, als ich in den Korridor vor meinem Zimmer einbog.
„Was machst du denn hier?", fragte ich ihn.
Sofort wurde sein Blick traurig. „Wir wollten dir tschüss sagen, weil du ja morgen gehst. Mama und Papa warten drinnen auf dich."
Dann hatte meine Familie wohl schon von den Ergebnissen des Treffens mit Sverre und Ade erfahren. Die Nachricht hatte sich aber schnell herumgesprochen. Ob Marie und Pia auch schon davon wussten?
Als Herrik und ich das Zimmer betraten, saßen Mum und Dad wirklich auf meinem Bett und sahen mich mit großen Augen an. Jian hatte sich auf den Schminktischstuhl gefläzt und betrachtete den Ball, der auf seinem Schoß lag. Drei schwarze Unterschriften färbten das sonst weiße Leder. Anscheinend hatte er ein paar seiner Flying-Football Stars getroffen. Das Grinsen auf seinem Gesicht bestätigte meinen Verdacht.
„Stimmt es Luna?", fragte mein Vater mich mit besorgtem Gesichtsausdruck. „Wirst du dich auf die Suche der Auserwählten begeben?"
„Ja." Ich nickte. „Lance wird mich begleiten ... und Marie und Pia natürlich auch."
Herrik umarmte mich wieder. „Ich werde dich vermissen." Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, wenn ich daran dachte, wie lange ich ihn jetzt nicht sehen würde.
„Und das ist auch wirklich sicher?", hakte mein Vater nach.
Natürlich hatte Ade es mir noch nicht schriftlich bestätigt, doch es gab nichts, was dagegensprach. Zwar würden die Feuerbändiger auf der Erde versuchen, uns zu fassen, doch dann mussten wir eben schneller sein als sie. Wir mussten das Risiko eingehen, denn ohne die anderen Auserwählten funktionierte hier nichts.
„Was glaubst du denn?" Meine Mutter antwortete für mich, indem sie die Arme verschränkte und mit dem Kopf schüttelte. „Natürlich ist es nicht sicher."
Oh, so hatte mein Vater das gemeint. Nicht, ob es sicher war, dass ich ging, sondern ob wir auf der Erde in Sicherheit waren.
„Wenn es nicht sicher ist, sollten wir sie begleiten", räumte mein Vater ein. Er wollte aufstehen, doch Mum hielt ihn zurück. „Bian warte. Nur weil wir Angst um sie haben, heißt das nicht, dass Luna es nicht schafft, es heil durchzustehen."
„Aber wir können sie doch trotzdem begleiten, das würde es auf jeden Fall einfacher für sie und die Auserwählten machen."
„Wer bewacht dann Ade? Sophia? Sverre? Den Palast?" Mum zog die Augenbraun hoch.
Mein Vater ballte die Hände zu Fäusten. „Svevra ich lasse mich doch nicht von dir zum Narren halten. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass wir besonders wichtig für das Nachtreich wären. Ich bin auf Papier nicht mal mehr ein Refort, also ist es nicht meine Aufgabe, die Königin zu beschützen."
„Was ist mit dem Forschungsteam? Ich bin Ärztin. Ich könnte mir die Bluttests der Mädchen genauer ansehen."
„Das haben schon viele vor dir gemacht. Denk bloß nicht, du könntest mich zum Bleiben bringen. Ich werde meine Tochter begleiten." Dad stapfte wutentbrannt aus dem Zimmer und ließ uns alle mit offenen Mündern zurück.
Normalerweise verlor mein Vater nie die Fassung. Er war wie ein Fels in der Brandung. Standhaft und unzerstörbar.
Mama seufzte. „Tut mir leid Schatz. Ich werde noch einmal mit ihm reden."
„Nein, ist schon gut. Wir können jede Hilfe gebrauchen." Ich rang mir ein schwaches Lächeln ab.
Meine Mutter klopfte mit ihrer Hand auf den Platz neben sich. Ich verließ meinen Platz an der Tür und kam zu ihr. Sie erklärte mir: „Ich möchte dich aber nicht begleiten. Das soll jetzt nicht so klingen, als wärst du mir nicht wichtig ..." Sie lachte. „Aber es ist besser, wenn nur wenige Natesim diese Reise antreten. Unsere pure Anwesenheit zieht die Feuerbändiger quasi magisch an und je mehr Natesim es sind, desto größer ist die Chance, dass ihr entdeckt werdet."
„Stimmt", schaltete sich nun auch Jian in die Unterhaltung ein. „Ich rede mit Papa." Er sprang vom Stuhl und rannte aus dem Zimmer.
Gerade wollte ich fragen, was plötzlich mit Jian los war, als sein Kopf sich noch einmal ins Zimmer streckte. „Tschüss Luna. Wir sehen uns in ein paar Tagen." Dann war er wieder weg.
Mama stahl mir meine Frage. „Was war das denn?"
„Ich habe keine Ahnung", gab ich zu. „Ist sich Jian sicher, dass er ein überzeugendes Argument gefunden hat?"
Herrik strahlte mich an. „Ich denke schon."
Mum kam zu mir und umarmte mich. „Für den Fall, dass es doch nicht so überzeugend ist, gehe ich mal lieber hinterher. Ich wünsche dir viel Erfolg Kleines."
„Danke. Ich werde euch vermissen."
„Ich dich auch."
Dann verließen Mama und Herrik das Zimmer. Ratlos, was nun am besten zu tun war, lief ich in meinem Zimmer hin und her. Sollte ich packen? Marie und Pia besuchen? Lance Bescheid geben? Oder mich nach Essen für die Reise erkundigen?
Nachdem ich mich für Ersteres entschieden hatte, suchte ich erst einmal verzweifelt nach einer großen Tasche.
Schließlich leite ich mir im Quartier der Reforten einen blauen Rucksack. Auf dem Weg in mein Zimmer kam ich an der Küche vorbei und besorgte mir Brot, Äpfel, Wasser und Eintopf, mit dem ich zumindest ein paar Tage überleben könnte.
Danach fing ich damit an, ein paar Klamotten und Unterwäsche einzupacken.
Es klopfte. Die Tür ging auf und mein Vater stand vor mir.
Er seufzte tief. „Es tut mir leid Luna, dass ich dir nicht vertraut habe. Wir werden hier auf deine Rückkehr warten."
Ich musste grinsen. „Danke. Wer hat dich denn jetzt so schnell überzeugen können? Jian oder Mama?" Ich war ehrlich gespannt.
„Svevra." Er lachte. „Das Einzige was Jian gesagt hat, war, dass ich dann nicht mit ihm Flying-Football spielen kann."
„Glück gehabt." Lachend umarmte ich meinen Vater. „Na dann wünsche ich dir eine schöne, erholsame Zeit, solange ich weg bin."
„Was soll das denn jetzt heißen? Glück gehabt?! Was hätte er denn sonst sagen sollen?"
Als wir uns aus der Umarmung lösten, zwinkerte ich ihm zu. „Das wüsstest du wohl gerne."
„Lunaaaa."
Lachend schob ich ihn aus meinem Zimmer. „Mach's gut Dad." Ohne ihm ein weiteres Wort erwidern zu lassen, zog ich die Tür vor ihm zu.
Immer noch lächelnd widmete ich mich wieder meinem Rucksack. Obwohl ich bis jetzt nur das notwendigste eingepackt hatte, war es schon fast voll. Außer meiner Zahnbürste würde ich wohl nicht mehr viel mitnehmen können.
Vielleicht sollte ich nochmal bei meinen Brüdern vorbeigehen, um mir ein Kartenspiel mitzunehmen, denn dann konnte uns auf der Reise wenigstens nicht langweilig werden. Oder sollte ich doch lieber erst meine Hygieneartikel einpacken, damit ich auf jeden Fall genug Platz für sie hatte? Vielleicht sollte ich auch darüber nachdenken, meine Aufzeichnungen von den Wissenschafts-Sitzungen mitzunehmen, dann konnte ich sie mir unterwegs noch einmal ansehen. Wobei ... so viel Sinnvolles hatte ich ja nicht aufgeschrieben.
Während ich weiter ziellos in meinem Zimmer herumlief, war ich so vertieft in meine Gedanken, dass ich nicht gemerkte, wie sich die Tür öffnete. Eine Gestalt packte mich von hinten. Während ich durch die Luft wirbelte und schließlich auf meinem Bett aufkam, schrie ich und schlug wie wild um mich. Doch als die Person mich schließlich freigab und ich mich zu ihr umdrehen konnte, erkannte ich meinen Freund.
„Man Lance, spinnst du, mich so zu erschrecken? Fast wäre es so weit gewesen, dass ich die Energie aus mir rausgeholt, und sie gegen dich geschleudert hätte."
Ich meinte es ernst, doch Lance lachte nur. „Ach komm schon, es doch nur ein Spaß. Und dass du deine Energie einsetzten wolltest, ist doch gut. Wenn ich wirklich ein Angreifer gewesen wäre, hättest du ihn bestimmt schwer verletzt."
„Das stimmt", musste ich zugeben. Langsam begann auch ich zu lächeln. „Also, was willst du hier?"
„Ich habe von deinem Plan gehört, die anderen Auserwählten ins Nachtreich zu bringen."
„Die Nachricht scheint sich schnell zu verbreiten, meine Eltern wussten ebenfalls schon Bescheid."
„Meinst du wirklich, dass es eine gute Idee ist, Marie und Pia mitzunehmen?"
„Ja, wieso?"
„Naja ... Wenn ihnen etwas passiert, müssen sich Ade, Kazumi und Sverre wohl einen neuen Plan ausdenken, die Welt zu retten."
„Wer sagt denn, das ihnen etwas passieren wird? Sie haben doch dich, Drew und die anderen Reforten."
„Du weißt, dass ich, wenn alle Stricke reißen würden, immer dich zuerst retten würde, und Drew nur wegen ihrem Vater bei den Reforten ist. Ich weiß nicht, wie gut sie ihre Sache macht. Und was die anderen Reforten angeht ... Die anderen sind genau zwei."
„Zwei?", fragte ich erstaunt.
„Zwei!"
„Oh. Als ich meinem Vater gesagt habe, dass er uns nicht begleiten braucht, dachte ich zumindest, dass wir von einer kleinen Gruppe Reforten beschützt werden."
„Technisch gesehen sind vier eine kleine Gruppe."
„Weiß Ade davon?"
„Sie hat die Anzahl festgelegt."
„Ich werde mit ihr reden."
„Luna, sie hatte ihre Gründe."
„Woher willst du das wissen?" Ich verschränkte die Hände vor der Brust.
„Sie hat es mir gesagt."
Warum, wollte ich fragen, doch Lance antwortete bereits: „Ich habe ihr die gleiche Frage gestellt."
Lance nahm meine Arme und legte sie sich um seinen Bauch, so dass wir uns nun umarmten. Schnell löste ich meine angespannte Haltung und ließ mich in die Umarmung sinken.
„Was hat sie geantwortet?", fragte ich nun ruhiger. Es war irgendwie süß, dass mein Freund so ähnliche Gedanken wie ich hatte.
„Während das Nachtreich seine Zeit verplempert hat - das waren ihre Worte, nicht meine - hat das Tagreich versucht, zumindest ein Teil seiner Fragen hinsichtlich der Auserwählten zu beantworten. Sie haben einen Feuerbändiger gefangen genommen und ihn - so schlimm es klingt - gefoltert, bis er mit der Sprache rausgerückt ist. Zum Glück war ihm sein Leben wichtiger als die Informationen."
„Was für Informationen?"
„Je näher die Feuerbändiger einem Natesim kommen, desto stärker pulsiert ihr Feuer. Deshalb hat Jacob William deine Familie auch so schnell gefunden, nachdem ihr vor ein paar Wochen zur Erde aufgebrochen seid. Bei den Auserwählten existiert ein natürlicher Schutzwall vor den Feuerbändigern, solange sie bei Bewusstsein sind. William hat Marie also durch Zufall gefunden und sie nur an ihren Augen erkannt. Dann hat er durch sein Feuer gespürt, dass deine Eltern und du auf die Erde kommen. Er wollte die Auserwählte und deshalb brauchte Jacob William auch dich, um sich Marie zu nähern. Allein kam er gegen den Schutzwall nicht an." Ich wollte schon etwas erwidern, doch Lance erklärte mir schnell, was das alles mit meiner ursprünglichen Frage zu tun hatte: „Viele Reforten würden bei unserer Exkursion auf der Erde also auch viele Feuerbändiger anziehen."
„Das heißt aber auch, dass Marie und Pia uns schützen könnten?"
„Darüber hat Ade nichts gesagt. Ich glaube auch nicht, dass der gefangen Feuerbändiger darüber etwas wusste, da sie es ja noch nie geschafft hatten, einen Auserwählten zu fangen."
„Verstehe. Sverre und Ade ziehen die sichere Variante vor, das heißt sie schicken möglich wenige Natesim mit, um unentdeckt zu bleiben."
„Ja. Aber keine Angst, ich schaffe es schon, euch zu beschützen." Er zwinkerte mir zu.
Da fiel mir noch etwas ein. „Du sagtest eben, dass du mich zuerst retten würdest und die Auserwählten erst danach."
„Aber natürlich." Er küsste meine Haare.
Ich verkrampfte mich. „Sag das bitte nie wieder. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, musst du die Auserwählten retten, und zwar um jeden Preis. Ohne sie hat die Erde keine Zukunft. Du kannst deine Gefühle nicht über die Rettung unseres Planeten stellen."
„Ich weiß." Er seufzte. „Das heißt aber nicht, dass ich nicht wenigstens versuchen kann, dich zu beschützen."
„Klar, aber vielleicht habe ich mich bis dahin einfach schon selbst gerettet. Das kann ich nämlich auch." Ich löste mich von ihm und streckte ihm die Zunge heraus. „Du willst nicht zufälligerweise zu meinen Brüdern gehen und ihnen UNO klauen? Ich habe keine Lust, mich zu bewegen."
„Doch natürlich", sagte er sarkastisch.
„Dann willst du sicher meine Zahnbürste einpacken, während ich zu meinen Brüdern gehe."
„Auch das nicht." Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und verließ mein Zimmer.
Ich folgte ihm. „Hey, warte! Du könntest mir auch ein Notizheft besorgen gehen."
Ich sah ihn den Kopf schütteln und wusste, dass er ein breites Grinsen auf dem Gesicht trug.
„Wo willst du hin?", rief ich noch, während er winkend um die Ecke bog.
Na, ganz toll! Jetzt war ich schuld, dass Lance gegangen war. Ich wusste, wie sehr er es hasste, seine Sachen zu packen.
Ich wusste noch nicht einmal, wo er hingegangen war. Was hatte er heute noch zu tun? Warum sagte er mir nichts?
Diese Fragen hin oder her, wirklich schlimm fand ich eigentlich, dass ich nun wieder allein packen musste. Denn auch ich hasste es, einen Weg zu finden, bei dem meine Sachen möglichst platzsparend in meinen Rucksack passten.
Seufzend machte ich mich nun daran, meine Kulturtasche in der Unordnung in meinem Zimmer zu finden. Währenddessen fiel mir auf, dass ich gar nicht wusste, wo wir auf der Erde schlafen würden. Ein Hotel? Campingplatz? Oder doch eine Übernachtung im Haus eines Erdjahr-Natesims?
Ade und Sverre würden sich hoffentlich schon darum gekümmert haben. Zur Not mussten wir halt auf der Straße schlafen. Für die paar Tage war das schon in Ordnung.
Jetzt ging es erst einmal darum, sich für den Trip auszustatten.
Zwischen alle den Beauty-Artikel, die mein Zimmer anbot, verlor ich schnell den Überblick, weshalb ich schlussendlich doch nur das Nötigste einpackte.
Als ich dann feststellte, dass ich doch noch genug Platz für ein Spiel in dem Rucksack hätte, wollte ich mich auf den Weg zu meinen Brüdern machte, doch als ich die Tür öffnete, stand dort schon jemand.
„Hi Luna", begrüßte mich Pia knapp und trat ein.
„Hi. Was gibt es?"
„Ich wollte nur sehen, wie du deine Sachen alle verstaut bekommen hast. Mein Rucksack quillt über mit all den Klamotten und dem Essen."
„Wie viele Outfits hast du denn eingepackt?", fragte ich lachend.
Pia nahm meinen Rucksack und lugte hinein. „Drei."
„Dann sind es entweder Ballkleider oder du eine noch schlechtere Packerin als Lance." Wieder musste ich lachen.
Pia sah mich hilflos an. „Kannst du mir helfen? Ich weiß nicht, wo Marie ist, und meine Eltern will ich nicht damit belästigen."
Ich sah sie genau an. „Warum nicht?"
„Ich denke, sie haben Wichtigeres zu tun."
„Wichtiger als ihre Tochter?" Ich ging zu ihr, und legte einen Arm auf ihre Schulter. „Pia ich weiß, dass die Situation neu für dich ist, und die Eltern deiner besten Freundin nun auch als deine Eltern anzusehen, muss schwer sein, aber deshalb solltest du sie nicht von dir weisen."
„Mach ich doch gar nicht", sagte sie trotzig. „Ich will sie nur nicht mit meinen Problemen belästigen."
Ich sah sie stirnrunzelnd an.
Sie seufzte. „Gut, vielleicht gehe ich ihnen manchmal aus dem Weg, wenn ich mich gerade nicht so gut fühle. Vielleicht auch Marie. Und dir. Und dem Rest der Welt." Langsam wurde Pias Stimme brüchig. Unsicher, wie ich reagieren sollte, nahm ich sie in meine Arme und merkte, das Pia mit den Tränen kämpfte. Ich hatte schon viel zu lange nicht mehr richtig mit ihr geredet, und anscheinend hatte das auch sonst keiner.
„Hast du das schon jemals jemandem gesagt?"
„Nein", antwortete sie schluchzend.
„Das solltest du aber. Rede mit deinen Eltern darüber."
„Ich kann nicht. Es fühlt sich nicht richtig an. Ich kenne sie doch fast gar nicht."
Jetzt drehte ich Pias Kopf so zu mir, dass ich ihr direkt in die Augen sah. „Hör mir zu. Dass du erst jetzt von deiner wahren Herkunft erfahren hast, solltest du nicht als Problem ansehen, sondern als Chance. Als eine Chance deine Eltern und deine Schwester kennen zu lernen."
„Aber dafür reicht meine Zeit doch gar nicht aus. Jeden Tag musste ich trainieren, mich untersuchen und Experimente durchführen lassen. Außerdem will ich sie gar nicht kennen lernen. Sie wollen mir nicht sagen, warum sie mich damals weggegeben haben."
„Aber das hat doch gar nichts mit Marie zu tun. Dann rede doch wenigstens mit ihr."
„Das kann ich nicht. Marie kennt unsere Eltern doch viel besser. Es fühlt sich falsch an, wenn ich mich bei ihr über ihre Eltern ausheule."
Ich nickte. Das konnte ich verstehen. „Sie hat Zeit mit euren Eltern verbracht, während du es nicht durftest. Und obwohl du glücklich mit deiner Familie warst, wurdest du plötzlich aus der Situation herausgeholt und sollst jetzt neu beginnen."
Sie nickte. „Ich weiß immer noch nicht, warum sie mich damals weggegeben haben. Sie sagen nur, dass es notwendig war. Und jetzt tun sie so, als wäre nichts passiert."
„Sagen sie dir, warum sie es dir nicht erzählen können?"
Jetzt sah Pia wütend aus. „Das Übliche. Es ist kompliziert."
„Na toll." Das würde mich auch aufregen.
Sie lachte. „Ja. Und dann kommst du und sagst, ich soll mich ihnen öffnen."
Erst wollte ich mich verteidigen, doch dann hielt ich doch meinen Mund. Pia hatte recht. Solange es Geheimnisse zwischen ihr und ihren Eltern gab, würde sich keine Seite freiwillig öffnen, ohne das andere Geheimnis erfahren zu wollen.
Pia sah mich an. „Du verstehst mich?"
Ich nickte. „Ich verstehe dich. Aber das heißt nicht, dass es nicht gut wäre, wenn du mit deinen Eltern reden würdest. Oder zumindest Marie."
„Damit kann ich leben." Sie drückte mich. „Danke Luna. Ich schulde dir ein offenes Ohr. Also wenn es dir mal nicht gut geht, komm zu mir."
Ich umarmte sie fest. „Versprochen", sagte ich.
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