𝐷𝑟𝑒𝑖𝑢𝑛𝑑𝑧𝑤𝑎𝑛𝑧𝑖𝑔


Es war das erste Mal, dass mich ein Flug durch das Portal nicht glücklich machen konnte. Ich kam im Tagreich an, ohne das erhoffte Prickeln in meinen Fingern.

Wahrscheinlich lag dies an der Aufregung und auch an der Sorge, die gerade den gesamten Platz in meinem Herzen annahmen.

Noch vor kurzem war es nur die Erde gewesen, die wir retten mussten. Wir hatten einen Plan, und mit diesem wäre es sicher ein leichtes gewesen, Sanna und Mano aus Sonne und Mond zu befreien.

Doch nun sah alles ganz anders aus. Sowohl Tag- als auch Nachtreich wurden von den Feuerbändiger bedroht. Unsere Freunde, wie die anderen Auserwählten und die Herrscher der Reiche, wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit gefangen gehalten. Und allen voran meine Eltern.

„Hat jemand einen Plan, wo wir hinkönnten?" Pia war hinter mir durch das Portal gekommen. Sie sah mich an, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren.

Während unserem Aufenthalt im Nachtreich hatten Pia und ich uns die zwei Karten der Reiche genauer angeguckt, um uns zumindest grob in unseren neuen Heimatswelten zurechtzufinden. Alles sofort lernen zu können hatte in den wenigen Tagen leider nicht funktioniert.

Gerade schwebten wir über einer kleinen Stadt, doch ich konnte sie nicht identifizieren. Wie auch im Nachtreich besaß das Tagreich vier große Städte mit charakteristischen Eigenschaften.

Doch die Häuser unter uns gehörten wohl zu keiner von ihnen.

Ich sah mich weiterhin unter mir um. Feuerbändiger waren nicht in Sicht, aber das hieß natürlich nicht, dass sie es nicht ins Tagreich geschafft hatten.

Andrew und Jugi waren die Einzigen von uns, dessen Heimat sich in dieser Welt befand, deshalb warten wir alle darauf, dass sie verkündeten, wie es nun weiterging.

Vielleicht erkannten sie ja den Ort wieder, in dem wir uns gerade befanden.

„Ich habe eine Idee, wo wir sein könnten", sagte Jugi schließlich. „Wenn ich richtig liege, sind wir hier im Nachbarort des Palastes."

Auch Andrew nickte. „Das könnte sein. Ich erkenne dieses Gebäude da vorne wieder." Er zeigte auf einen gelben Turm. „Dorthin haben wir mal einen Ausflug mit der Schule gemacht."

„Stimmt. Wir haben dort übernachtet und uns gemeinsam Geschichten über Sanna, das Mädchen im Mond, erzählt. Gerade wenn man tagtäglich über Mano redet, da man nun mal dem Tagreich angehört, ist so eine Gedenknacht an den Mond gar nicht verkehrt." Jugi lächelte, bei der Erinnerung an diese Nacht. 

Leider lief uns die Zeit davon, sodass wir das junge Sprachtalent nicht in ihren Erinnerungen schwelgen lassen konnten.

Luna unterbrach die Stille: „Das heißt, wir könnten im Palast versuchen, Schutz zu suchen? Sicher befinden sich einige Reforten dort, die uns helfen könnten." Luna strahlte. Anscheinend schöpfte sie neue Kraft durch diese Information. Ich hingegen, war trotzdem nicht so positiv gestimmt.
Pia nahm mir die nächsten Worte vorweg, die ich so hatte eins zu eins auch sagen wollen: „Es könnte aber auch sein, dass der Palast von Bändigern besetzt ist."

Luna seufzte. „Ich denke, wir sollten es trotzdem versuchen. Früher oder später werden wir ihnen sowieso begegnen."

„Na gut, dann zeigt uns den schnellsten Weg zum Palast."
„Das ist leichter gesagt als getan. Den Luftexpress werden wir nämlich sicher nicht benutzen können." Jugi sah sich suchend nach einem guten Weg um.

„Also mal wieder eine Wanderung quer durch den Wald?" Ich erinnerte mich an unsere Reise, bei er wir die Auserwählten abgeholt hatten. Die meiste Zeit waren wir hierbei durch den Wald gewandert.

„Leider nein. Die zwei Städte sind durch einen See verbunden. Das bedeutet für uns, weiterhin fliegen zu müssen. Falls jemand eine Pause braucht, können wir diese aber auch jetzt einlegen. Über dem Wasser wird das nachher schwieriger.

Ich dachte an die Gefahren, denen meine Eltern womöglich gerade ausgesetzt waren. An die Feuerbändiger, die Ade, Sverre und Kazumi womöglich gerade quälten.

Dagegen waren schmerzende Flügel wohl nichts.

„Auf keinen Fall machen wir eine Pause, wir müssen weiter!"

„Ich gebe Marie recht, wir können uns es gerade nicht leisen, uns auszuruhen. Klappt es mit Zane? Zur Not können wir uns damit abwechseln, ihn zu tragen." Luna sah auf den kleinen Jungen, der sich an die Arme seines Vaters klammerte.

Andrew lächelte. „Ich wäre ja dafür, dass mein Kleiner nun selbst lernt, zu fliegen."

Zanes Augen leuchteten. Ich wusste nicht, ob er sich freute, oder so viel Angst hatte, dass ihm die Tränen kamen.

Egal, was es war, sein Vater würde wohl keine Widerworte zulassen. Er war fest entschlossen, dass Zane gleich fliegen könnte.


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Gesagt, getan. Fünf Minuten später starteten wir unseren Flug über den See, dieses Mal mit Zane an unserer Seite. Sein Vater hatte ihm mit den Flügeln geholfen und sonderlich überzeugt von sich selbst sah der kleine Junge auch noch nicht aus. Jetzt konnten wir nur hoffen, dass er den Flug über den See auch durchhielt.

Es sah super süß aus, wie groß Zanes Flügel im Gegensatz zu seinem Körper waren. Sie schimmerten golden und schwarz in der Nachmittagssonne und wenn er mal ein bisschen älter war, würde er sicher alle Blicke auf sich ziehen.

Anfänglich vertraute ich noch nicht ganz auf Zanes Fähigkeiten. Um ehrlich zu sein, war er der unbeholfenste Auserwählte, den ich je gesehen hatte.

Natürlich nahm es ein bisschen den Druck von einem, zu sehen, dass man auch als Auserwählte nicht immer alles sofort hinbekommen musste. Aber gleichzeitig blieb ein Fünkchen Angst.

Wir hatten Zanes Kräfte fest eingeplant, bei unserer Aktion Sanna und Mano zurück auf die Erde zu holen, und wenn er es nicht hinbekam, sie zu kontrollieren, bedeutete das mehr Arbeit für den Rest von uns.

Trotzdem durfte ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir es im Endeffekt schaffen würden. Außerdem stand der Tag, an dem wir Sanna und Mano retteten, gerade wieder in den Sternen. Bis dahin würde Zane sicher besser mit seinen Kräften umgehen können.

Egal, wie schlecht die Dinge gerade standen, wir würden es schaffen, die Erde zu retten ... hoffentlich.

„Hat sich schon jemand Gedanken darüber gemacht, wie wir uns verteidigen können, falls im Palast doch Feuerbändiger auf uns warten?", fragte ich nach einer Weile der Stille.

Lance antwortete langsam. „Ihr habt doch ein paar Messer aus Andrews Küche dabei, und ich bin ein ... naja halb ... ausgebildeter Refort. Zusammen werden wir das schon schaffen."

Jugi seufzte. „Dein Optimismus ist ja schön und gut, aber wenn wir wirklich auf unsere Feinde treffen sollten, haben wir sicher keine Chance. Sie machen eine Handbewegung und schon sind wir mit ihrem Feuer infiziert."

Luna sah aus, als würde sie uns etwas verschweigen. Ihre Lippen waren aufeinandergepresst und ihr Kiefer malmte.

Gerade wollte ich sie darauf ansprechen, doch da hatte sie den inneren Kampf mit sich selbst wohl schon beendet und sich dazu entschlossen, uns in ihr Geheimnis einzuweihen.

„Ich glaube nicht, dass alle Bändiger über die Kraft verfügen, die Natesim mit ihrem Feuer zu infizieren. Als Lance und ich im Lager gefangen gehalten wurden, dachten wir auch erst, sie würden uns sofort infizieren, doch dem war nicht so. Und denkt doch mal nach: Wenn die Feuerbändiger schon immer über diese Fähigkeit verfügt haben, warum haben sie sie nie angewandt? Warum hat in der gesamten Geschichte des Universums nur Ade diese Kräfte zu spüren bekommen?"
Ich überlegte. Luna hatte recht. Sinn ergab es nicht.

Pia streckte ihre Arme in die Luft, offensichtlich wollte sie sich strecken. Immer in der gleichen Position zu fliegen, war auf die Dauer auch ermüdend. „Du meinst, nur manche Feuerbändiger verfügen über diese Eigenschaft?"

„Ja. Wenn ihr mich fragt, ist das, was uns Drew, Valerian und Cyan über die Seelenverbindung gezeigt haben, ein ganz normaler Angriff gewesen. Sie haben das Feuer nicht in das Kind gepflanzt, sie haben es nur damit abgeschossen. Und auch Lance und ich sollten nur mit dem Feuer getroffen werden und einen qualvollen Tod sterben. Denn das ist ja mindestens genauso effizient, wie die Feuerinfizierung. Tod wären wir durch einen einfachen Angriff sogar noch schneller."

„Wissen wir denn, wer Ade infiziert hatte?", schaltete sich Andrew ein.

„Ich weiß nicht, ob dir der Name etwas sagt, aber der Feuerbändiger heißt Jacob William. Es ist derselbe, der Luna gefangen genommen hatte, als sie ihr Erdjahr antreten wollte", erklärte Pia ihm.

„Der Vorname ist mir nicht bekannt, aber kann es sein, dass seine Vorfahren ebenfalls berühmte Bändiger waren?"

Da war ich raus. Ich war gerade erst dabei, die Historie der Reiche zu lernen, über die Feuerbändiger wusste ich quasi noch nichts.

Luna, Jugi und Lance nickten jedoch, was mich zu dem Ergebnis brachte, mich in Zukunft auch ihrer Geschichte befassen zu müssen.

„Sein Vater war der Anführer einer großen Gilde, vor neunzehn Jahren, als die Reiche auseinanderbrachen. Er war auch derjenige, der, nachdem sich Sanna und Mano in die Himmelskörper einschlossen und wir als lange Zeit als ausgestorben galten, zuerst wieder einen Natesim gesichtet hatte und die Nachricht an alle anderen Bändiger weiterleitete."

Andrew nickte. „Stimmt. Ich erinnere mich wieder. Da konnte aus ihm ja auch nur so ein eingebildeter Anführer werden. Aber was soll das Besondere an Jacob William sein? Was könnte ihn denn von seinen Verbündeten unterscheiden?"

„Ich habe keine Ahnung. Aber ich glaube, dem auf die Schlüsse zu kommen, wird uns gerade auch nicht weiterbringen." Luna senkte ihre Schultern und ich vernahm ein leises Seufzen.

Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als mir ihre Worte bewusstwurden. Luna hatte recht. Egal, was mit Jacob William nicht stimmte, mit unserer Situation gerade stimmte viel mehr nicht. Wir wussten noch immer nicht, was uns gleich beim Schloss des Tagreichs erwarten würde.

In der Ferne sah man den Palast nun deutlich. Als ich das erste Mal hierhergekommen war, hatte ich gar nicht gemerkt, dass er so nah am Wasser lag. Diese Sicht ließ ihn noch schöner strahlen, denn die goldenen Türme spiegelten sich in der glatten Oberfläche des Sees.

Ich hätte den Moment gerne eingefangen, denn er hatte etwas Magisches an sich, doch wir mussten weiter. Wir konnten uns nicht von etwas so Schönem aufhalten lassen.

„Habt ihr schon eine Idee, durch welchen Eingang wir in den Palast kommen wollen?" Ich erinnerte mich an die vielen Türen, die hohen Decken, aber vor allem an die unzähligen Ein- und Ausgänge. Jede einzelne Tür war für eine andere Personengruppe bestimmt. Besucher, Personal, Gäste, Volk, sie alle hatten unterschiedliche Eingänge.

„Ich würde nicht durch einen der vorderen Eingänge gehen, da läuft man zu große Gefahr, auf die Bändiger zu treffen. Vielleicht lieber durch eine Küche oder Reforteneingang."

„Küche klingt gut, aber haben wir überhaupt eine Ahnung, wo diese liegt?" Lance sah sich das große Schloss in der Ferne an. Die Form hatte gewisse Ähnlichkeiten mit dem des Nachtreiches, doch die Aufteilung der Räume war eine ganz andere.

Ich versuchte mich immer wieder an den Aufbau des Palastes zu erinnern, denn ich hatte ihn gemeinsam mit Pia durchgenommen, doch leider fiel mir nicht viel ein. Nur mein Zimmer kam mir in den Sinn, welches an Pias angrenzte und in einem knalligen pink gestaltet wurde, was mich fast um den Verstand gebracht hatte.

Dann kam mir wieder der Raum in den Sinn, in dem wir Ade empfangen und gegen sie gekämpft hatten.

Sie war mit Kazumi und ihren Wachen durch ein Fenster geflogen, welches den Raum nach oben und zu seiner rechten Seite hin öffnete.

Meine Mitreisenden rätselten noch immer, wo sich der perfekte Einstiegsort verstecken könnte, doch ich unterbrach ihre Unterhaltung. „Ich habe vielleicht eine Idee."

„Ja?"
„Erinnert ihr euch noch an den Raum, in dem wir uns mit Ade getroffen haben?"

Pia, Lance und Luna nickten.

„Dort gab es ein großes, offenes Fenster. Wenn wir diesen Raum finden, haben wir eine gute Sicht in den Palast und können auf den richtigen Moment warten, um von dort aus hineinzugelangen."
Pia nickte. „Das ist eine gute Idee. Ich erinnere mich an den Raum. Er müsste auf der westlichen Seite sein, denn wir hatten uns dort abends getroffen und wir hatten noch Sonne."

„Stimmt", pflichtete ich ihr bei. „Kurz dahinter müsste der Energiepart des Palastes beginnen."

Wenn man den Natesim Glauben schenken konnte, waren die Feuerbändiger zumindest nicht in der Lage, diesen Teil des Schlosses zu betreten. Sie hatten keine Energie und ohne diese kam man dort nicht rein.

Aber anderseits hatten sie es ja auch geschafft, in die Reiche einzudringen, auch wenn dies bis jetzt unmöglich erschienen war.

„Denkt ihr, wir sollten uns beeilen, um schnellstmöglich nahe dem Schloss zu landen, damit uns mögliche Beobachter nicht sehen? Oder lieber versuchen, uns langsam anzuschleichen?", überlegte ich laut.

Womöglich waren wir aber auch schon längst entdeckt worden.

Luna bestätigte meine Befürchtungen. „Wenn von dort aus wirklich jemand Ausschau hält, ist es sowieso schon zu spät. Da können wir uns jetzt auch Zeit lassen, und das Fenster suchen."

„Also gut. Dann eben langsam." Ich späte zu Zane, der immer noch Probleme hatte, seine Flügel gleichmäßig zu bewegen.

Für ihn wäre es sicher nicht schlecht gewesen, wenn wir uns schneller über den See bewegt hätten. Aber die anderen hatten so entschieden, und ich würde mich ihnen Wünschen beugen.

Kurze Zeit flogen wir einfach schweigend nebeneinander her, doch dann räusperte Pia sich. „Wenn wir den Palast als sicher eingestuft haben, hätten wir dann eine Möglichkeit, die Bewohner aus dem Nachtreich hier her zu holen?"

Luna sah sie an. „Wie meinst du das?" Doch dann öffneten sich ihre Augen schlagartig, als hätte sie einen Geistesblitz. „Du willst die Auserwählten ins Tagreich holen?"

Pia nickte ertappt.

Luna seufzte. „Ich sage jetzt nicht nein, aber wir müssen gucken, was sich ergibt."
Auch ich ließ jetzt die Schultern hängen. Natürlich war es wichtig, unsere Freunde aus dem Nachtreich zu befreien, aber Pia und ich durften auch nicht gefährdet werden.

Und dieser Punkt nervte mich so sehr! So dumm es klang, aber ich wollte mich auch einmal in Gefahr begeben. Ich wollte auch einmal diejenige sein, die sich vor die anderen stellte, um sie zu beschützen und mich im Notfall für sie zu opfern.

Sobald ich es dachte, wurde mir wieder klar, wie bescheuert es klang. Aber wenn man so oft miterlebte, wie sich anderen für einen opferten, kam irgendwann das Verlangen auf, das ebenfalls zu tun, um sich zu revanchieren. Ich fühlte mich oft schuldig und herzlos, weil ich mich immer in den Hintergrund stellen musste.

„Ok Pia sah zu mir. In ihren Augen las ich, dass ihr Lunas Befehl, wie immer die Füße stillzuhalten, ebenfalls nicht recht war.

Wir mussten doch irgendetwas für unsere Freunde und Familie tun können. Auch wenn es noch so klein war, ich wollte ihnen um jeden Preis helfen.

Noch immer wussten wir nicht, wie die Lage gerade im Nachtreich aussah. Wir hatten nur die Information, dass die Feuerbändiger irgendwie eingedrungen waren. Aber wie schlimm es unsere Liebsten getroffen hatte, wussten wir nicht.

Ich nickte Pia zu. Ein leises Versprechen dafür, dass wir uns schnellstmöglich um alle kümmern würden. Ein Versprechen, was uns sicher noch viel Ärger eibringen würde. Ein Versprechen, von dem Lance und Luna am besten nichts mitbekamen. 

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