𝐴𝑐ℎ𝑡𝑧𝑒ℎ𝑛


Es vergingen fast fünf Tage, bis wir schließlich im Flugzeug nach Amerika saßen. Dies würde unser letzter Halt sein. Danach fing die wirklich ernste Phase an.

In den letzten Tagen hatten wir Finn Almond und Elisa Hale in China und Indien besucht, und sie von der Dringlichkeit der Lage überzeugen können. Außer Alice wusste bisher keiner vorher von seinen Kräften und auf die Dauer wurde das immer nerviger. Jedes Mal von Neuem mussten wir die ganze Geschichte erklären und alle Fragen beantworten.

Oh Gott, das hätte ich niemals denken sollen! Die Geschichte, die wir da erzählten, war ernst. Sie war wahr. Die Erde würde ohne unsere Hilfe kaputt gehen. Und ich fand das nervig und langweilig? Definitiv nicht!

Wir waren jetzt schon so weit gekommen, da konnte ich nicht aufgeben, nur weil mir langweilig war.

Der einzige Auserwählte, der nun noch fehlte, war Zane Mills. Er wohnte mitten in Texas, weshalb wir nun auch im Flugzeug nach Amerika saßen. Der Flug würde uns zwölf Stunden kosten, in denen wir nicht viel tun konnte. Ade hatte beschlossen, das wir eine Gruppen-Seelenverbindung erzeugen könnten, damit sie uns von den Fortschritten im Nachtreich berichten konnte.

Mit diesem würden wir ungefähr ab der Hälfte des Fluges starten, da wir die restliche Zeit zum Schlafen nutzen sollten. Ich bezweifelte zwar, das dies bei mir funktionierte, aber für meine Mittreisenden war das natürlich gut.

Während Marie und Jugi neben mir schon nach einer halben Stunde Flugzeit eingeschlafen waren, war ich nach knapp einer Stunde immer noch wach.

Die letzten Tage waren super anstrengend gewesen. So viele neue Länder, neue Menschen und neue Kulturen in nur einer Woche.

Mein Körper sehnte sich nach Entspannung doch meine Augen wollten einfach nicht zufallen. Also zog ich, wie schon so oft diese Woche, mein Handy aus meiner Hosentasche. Die Rucksäcke hatten wir im Frachtraum lagern müssen.

Gerade trug ich nur mein Handy bei mir und auf der Ablage vor mir stand ein Wasser, was ich mir vom Flugpersonal hatte bringen lassen.

Wieder waren etliche Nachrichten von meinen Freundinnen eingegangen. Offensichtlich hatte sich der Streit gelegt und sie waren wieder ein Herz und eine Seele. Morgen wollten sie zusammen Essen gehen. Nachdem ich auf die letzten Einladungen nicht reagiert hatte, wurde ich nun gar nicht mehr zu diesen Veranstaltungen eingeladen. Vielleicht hätte mich das früher geärgert, aber jetzt ließ es mich relativ kalt. Ich würde sie wahrscheinlich eh nie wiedersehen.

Und meine beste Freundin war immer noch Marie. Auf sie konnte ich mich immer verlassen und sie würde immer für mich da sein.

Auf meinem Handy hatten sich noch weitere Nachrichten gesammelt. Jesper hatte mir wieder geschrieben. Seit dem Tag, an dem wir uns im Supermarkt über den Weg gelaufen waren, schrieb er mir jeden Tag, wie es im ging, und was er heute machte. Ich fand das super süß, weshalb ich ihm auch immer freudig antwortete. Jedes Mal, wenn ich auf Senden drückte, fühlte ich mich jedoch schlecht, da ich ihm nicht die Wahrheit sagen konnte. Ich hatte keine schönen Tage in Warschau verbracht, und war danach auch nicht wieder in die Schule gegangen. Ich suchte nach den Auserwählten.

Umso schöner war es, dass ich ihm heute endlich mal die Wahrheit schreiben durfte.

Meine Finger kribbelten, als ich eine Antwort, auf seine Nachricht tippte.


Jesper Wild:

Hey Wasserflaschen-Alienexperiment!

Wie war dein Tag? Meiner war echt super. Ich habe heute das Geländer fertig geschmiedet, von dem ich die erzählt habe. Morgen wird es in einem neuen Gebäude angebracht.

Sitzt du schon im Flugzeug? Wo genau geht es denn eigentlich hin? Viel Spaß in Amerika!

Jesper.


Pia Salega:

Das klingt super! Ich möchte unbedingt ein Foto vom Geländer sehen! Hast du es geschafft, diese kleinen Rosendetails mit einzubringen?

Ja, mein Flugzeug ist vor einer Stunde gestartet. Meine Mitreisenden schlafen bereits, aber ich kann einfach nicht! Mein Körper ist zum Schlafen in einem Vorbewegungsmittel leider nicht geschaffen.

Hast du zufälligerweise Schlaftipps für mich? Ich kann doch nicht übermüdet in Texas ankommen, dann nehme ich doch gar nichts von dem Land war. Morgen steht schon so viel auf dem Reiseplan ...

Ich habe es bisher niemandem gesagt, aber außerdem ist mir nicht ganz wohl beim Fliegen. Es wäre schön, mal abzuschalten, und schlafen zu können, doch ich habe die ganze Zeit Angst, dass das Flugzeug abstürzt.

- Pia

PS: Wir sind in Texas auf einer kleinen Pferderange untergebracht. Ich schick dir gleich mal ein Bild von Google Earth. :) Ich kann zwar nicht reiten, aber dort werde ich es sicher lernen.


Jesper war zufälligerweise gerade online, als ich meine Nachricht abschickte und nach kurzer Zeit erschien das - schreibt - unter seinem Namen. Schnell schickte ich ihm den Screenshot hinterher, den ich bereits von Zanes Haus hatte. Auf irgendeiner Zugfahrt, bei der ich mal wieder nicht schlafen konnte, hatte ich alle Adressen der Auserwählten auf Google Earth eingegeben, und mir die Häuser angeguckt. Deshalb wusste ich, dass Zane Mills mit seinen Eltern abseits einer kleinen Stadt auf einer Range lebte. Sogar Pferde hatte man auf dem Luftbild erkennen können.

Während ich auf eine Antwort von Jesper wartete, lehnte ich meinen Kopf an Marie. Ich hatte kurz Angst davor, sie aufzuwecken, doch schlussendlich war es mir egal. Wenn sie wach wurde, hatte ich jemandem, mit dem ich sprechen konnte. Und wenn sie keine Lust dazu hatte, würde sowieso nach zehn Minuten wieder einschlafen.

Doch Marie wachte nicht auf. Sie gab nur einen kleinen Seufzer von sich.

Kurz schloss ich die Augen, doch dann verkündete ein leiser Ton, dass ich eine neue Nachricht bekommen hatte.


Jesper Wild:

Für Schlaftipps bin ich leider der Falsche. Meistens liege ich drei Stunden wach, bevor ich es schaffe, einzuschlafen.

Das Einzige, was bei mir hilft, ist ein kurzes Powerworkout direkt, bevor ich ins Bett falle. Dann fühle ich mich müde und schaffe es auch mal, schon nach einer halben Stunde einzuschlafen.

Zum Fliegen: Versuch einfach, nicht daran zu denken, dass du dich gerade zwanzig Kilometer über dem Erdboden befindest. Wenn du nicht schlafen kannst, lenk dich mit einem Film oder einem Buch ab.


Pia Salega:

Hey, der Schlaftipp war doch gut! Leider im Flugzeug aber nicht umsetzbar. :(

Ich werde ihn aber morgen gleich mal ausprobieren.

Einen Film zu gucken wäre schon möglich, aber eigentlich möchte ich lieber schlafen :)

Ich versuche es dann mal weiter ...


Jesper Wild:

Das ist wohl wahr, aber schön, dass ich dir wenigstens etwas helfen konnte.

Im Flugzeug kannst du schlecht Workouts machen, der Gedanke daran ist aber lustig. Stell dir vor, du springst hoch, und das ganze Flugzeug wackelt mit dir. :)

Ich habe gerade mal gegoogelte. Viele sagen, dass ein Handy dich vom Schlafen abhält. Also weg damit! Wir sehen uns morgen wieder.


Pia Salega:

Du hast bestimmt recht, aber das kann nicht das Problem für meine Schlafstörung sein. Normalerweise benutze ich mein Handy nur selten vor dem Schlafengehen.


Jesper Wild:

Aber für – normalerweise - hast du ja jetzt meinen tollen Workout-Tipp.


Pia Salega:

Ok. Gewonnen. Ich pack mein Handy weg und ab morgen fange ich mit dem Sport an. Zufrieden?


Jesper Wild:

Mehr als das! Schlaf schön.


Wenige - und leider mehr oder weniger schlaflose - Stunden später klingelte mein Handywecker. Es wurde Zeit für die Gruppen-Seelenverbindung. Ich war super aufgeregt. Noch nie hatte ich mich mit so vielen Natesim gleichzeitig verbunden. Auch Marie neben mir sah ich die Anspannung an. Vorsichtig drückte ich ihre Hand. Ich hatte mich, während sie geschlafen hatte, in so vielen verschiedenen Positionen an sie angelehnt, dass ich es ihr schuldig war. Einmal hatte ich ausersehen sogar unsere Köpfe zusammenstoßen lassen.

„Sind alle bereit?", fragte Luna, die eine Reihe hinter uns mit Lance und Cyan saß. Valerian und Drew hatten sich dazu bereit erklärt, ganz hinten neben einem Fremden zu sitzen. Luna konnte sie also nicht so einfach fragen, ob sie bereit für die Seelenverbindung waren, sonst würde die Person neben ihnen bestimmt ziemlich verwirrt dreinblicken und neugierig werden. Stattdessen nickte sie den beiden nur zu, was ich sah, als ich durch die Lücke zwischen den Sitzen spähte.

Ich schloss die Augen und suchte nach der Energie in meinen Kniekehlen. Da Marie neben mir noch immer meine Hand hielt, fand meine Seele zuerst ihre.


„Marie?"
„Bin da."

Jugi stieß ebenfalls dazu. „Hola."

Auch die anderen versammelten sich nach und nach in meinem Kopf. Fachlich gesehen war das natürlich Quatsch, die Energien verbanden sich irgendwo außerhalb unserer Körper zu Einem, und nicht innerhalb meines Kopfes.

Trotzdem war das ein Bild, was sich leicht einprägen ließ. Immerhin erschienen meine Freunde vor meinem inneren Auge und es fühlte sich so an, als würde alles nur in meinem Kopf passieren.

„Ich freue mich, dass bisher alles funktioniert hat", sagte Ade lächelnd. Sie war eben gemeinsam mit Kazumi und Sverre in meinem Kopf angekommen.

Die Königin des Nachtreichs war natürlich auch königlich gekleidet. Vor meinem inneren Auge erschien sie in einem blutroten Kleid, welches genau die gleiche Farbe wie ihre Haare besaß. Diese hatte sie zu einem lockeren Dutt hochgesteckt.

Kazumi war ebenfalls festlich gekleidet. Schwarze Pailletten tummelten sich auf dem bodenlangen, figurbetonten Jumpsuit.

Sverre hingegen hatte sich für eine einfache Hose und ein Hemd entschieden, was mich, bekleidet in Jogginghose und Schlafshirt, wenigstens ein bisschen weniger schlecht dastehen ließ. Da aber auch meine Freunde in ihrem Flugzeugoutfits nicht glänzen konnten, fiel ich zumindest nicht negativ auf.

Sverre holte tief Luft. „Es gibt Nachrichten von den Auserwählten", erklärte er uns. „Das Wissenschafts-Team hat sich mit ihnen beschäftigt und sie haben sich noch einmal besonders das Energienetz angeguckt."
„Marie und Pia haben sich doch auch schon damit beschäftigt, oder?" Ade sah fragend zu mir.

„Ja. Wir haben verschiedene Gegenstände durch den Raum bewegt", erklärte ich ihr. Ein wenig peinlich berührt, dachte ich an meine Notizen zu den Experimenten zurück.

„Liam, Paul, Alice, Elisa und Finn haben es geschafft, gemeinsam ein Haus anzuheben und einige Meter weiter wieder behutsam abzustellen. Natürlich war dieses leerstehend und abrissbereit. Hätten sie es wieder fallen gelassen, wäre es also kein Problem gewesen."

Die kleine Luna vor meinem inneren Auge sprang in die Höhe. „Das ist ja super. Hat es sie angestrengt? Könnten sie sich vorstellen, dies auch mit Sonne und Mond zu machen?" 

Sophia lachte. „Ich glaube, da ist jemand, der das euch sehr gerne selbst erzählen würde."

Alice tauchte in meinem Kopf auf. „Hallo Leute!", grüßte sie uns gut gelaunt. „Ade hat gesagt, sie holt mich dazu, wenn sie von den Ereignissen berichtet hat und es eurerseits Fragen gibt. Also, was wollt ihr wissen?"
„Du kannst uns davon erzählen, wie du dich gefühlt hast, nachdem du das Haus durch die Luft getragen hast." 

„Ahhh." Alice grinste stolz. „Das war einfach unglaublich. Keiner von uns war danach auch nur außer Atem, weil wir einfach viel zu aufgeregt und glücklich waren."

„Das heißt, die anderen Auserwählten können mittlerweile auch gut mit ihren Kräften umgehen?"

Alice lachte. „Ja. Am Anfang fanden sie es ein bisschen unfair, dass ich schon so viel Erfahrung mit ihnen habe, aber jetzt sind Paul und Liam schon fast genauso gut wie ich."

„Was ist mit Elisa und Finn?" Die beiden waren erst sechs und sieben Jahre alt. Auch wenn wir noch immer nicht wussten, warum wir unsere Kräfte alle zu unterschiedlichen Zeitpunkten bekommen hatten, war ich froh darüber, dass sie ihre schon hatten. Während Finn sie laut seinen Eltern besaß, seit er vier Jahre alt war, hatte Elisa ihre erst vor ein paar Wochen bekommen. Ihre Eltern waren in dieser Situation kurz dafür gewesen, ihr alles zu erzählen. Schlussendlich hatten sie sich aber doch dagegen entschieden, weil sie Angst hatten, dass die Reiche Wind davon bekommen könnten.

Sie hatten sich somit sehr gefreut, als wir vor zwei Tagen aufgetaucht waren und sie Elisa nun davon erzählen durften.

„Mit manchen Dingen tun sich Elisa und Finn noch schwer", erzählte uns Alice. „Als normaler Natesim wäre es für sie ja noch gar nicht möglich, ihre Flügel zu erschaffen, geschweige denn, von sich aus eine Seelenverbindung zu erzeugen. Doch da sie nun mal Auserwählte sind, funktioniert das eigentlich schon ganz gut. Mit dem Energienetz tun sie sich aber noch schwer, da die Wissenschaftler ihnen damit nicht helfen können. Als normale Natesim können sie das Netz nicht erzeugen und es somit auch schlecht für die beiden beschreiben.

Paul, Finn und ich versuchen es zu erklären, aber es ist schwierig etwas zu beschreiben, von dem man selbst fast keine Ahnung hat. Wir haben das Netz auch nur durch Zufall erschaffen können und nicht keine Erfahrung damit."

Wir nickten. Alice würde das schon hinbekommen. Ich hatte sie als eine sehr selbstbewusste und optimistische Person kennengelernt. Wenn einer den beiden kleinen Außerwählten helfen konnte, dann sie.

Da Lunas Fragen hiermit geklärt waren, stellte Cyan die nächste: „Denkst du, es wäre zu schaffen, Sonne oder Mond näher an die Erde zu bringen, wenn sich alle Auserwählten vereinen?" 

„Klar. Das schaffen wir schon." Alice klang fast schon zu optimistisch.

„Habt ihr sonst noch etwas herausgefunden?", fragte Marie.

„Leider nicht. Aber besonders viel Zeit hatten wir auch nicht dafür."
„Das stimmt leider. Da muss ich Alice in Schutz nehmen." Ade hob schlichtend die Hände. „Finn ist ja erst gestern hier eingetroffen und die Tage dafür haben wir intensiv genutzt, um das Energienetz zu erforschen. Außerdem hatten noch die Treffen mit den Verwandten der Außerwählten stattgefunden. Die nächsten Tage werden wir aber intensiv ins Forschen investieren." 

„Das wird auch Zeit", sagte ich. „Wenn ihr mal mit Ida geredet habt, wisst ihr, dass die Erde bereits nach unserer Hilfe schreit. Wir müssen schnellstmöglich handeln."

Marie hatte es wirklich nicht so mit dem positiv sein. Zu meiner Rede fügte sie hinzu: „Es könnte bereits jede Sekunde zu spät sein." 

Sverre verteidigte sich sofort: „Nein, so schlimm ist es auch noch nicht. Wir haben die Lage noch unter Kontrolle. Und es ist ja nicht so, als würden wir erst in ein paar Jahren handeln wollen. Wir bereiten alles vor, um schnellstmöglich eine Lösung parat zu haben, damit die Erde weiterhin bewohnbar, und voller Licht bleibt."

„Wir haben auch für heute weitere Experimente geplant", versprach Kazumi. „Gleich Essen wir zu Mittag und danach trifft sich das Wissenschafts-Team mit den Auserwählten."

„Wir werden unser Bestes tun", versprach Alice. „Xenia hatte mir gestern gesagt, dass sie noch eine Idee hat, die uns vielleicht helfen könnte."
Luna strahlte. „Das klingt super. Sag ihr liebe Grüße von mir."

„Das mach ich", versprach Alice.

Danach verabschiedeten sich alle der Reihe nach. Die Natesim im Nachtreich würden forschen, und wir würden Zane Mills davon überzeugen, mit uns zu kommen ...

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