𝐴𝑐ℎ𝑡
Am nächsten Morgen fühlte ich mich super. Ich war ausgeschlafen, und außerdem neben Lance aufgewacht, was meine Laune auch am schlimmsten Tag meines Lebens erheblich gebessert hätte.
Er schlief noch, als ich mich langsam aus seinen Armen löste und aus dem Bett kletterte.
Nachdem ich mich angezogen hatte, sah ich auf die Uhr. Es war bereits kurz nach acht. Offensichtlich stand heute kein Wissenschaftlertreffen an, sonst hätten Marie und Pia bei mir vorbeigeschaut. Aber um sicherzugehen, würde ich auf dem Weg zum Frühstück trotzdem noch einmal auf den großen Plan schauen.
Während ich meine Haare kämmte, sah ich Lance beim Schlafen zu. Sollte ich ihn wecken? Oder sollte ich ihn lieber ausschlafen lassen? Es war gut, wenn er sich erholte, aber wenn er das Frühstück verpasste, würde die Küchenchefin sicher auch auf ihn sauer sein. Außerdem konnten wir dann nicht zusammen essen.
Da es 2:1 fürs Wecken stand, schüttelte ich ihn liebevoll wach. „Steh auf Lance. Es ist schon nach acht. Bald gibt es Frühstück."
Er murmelte etwas und drehte sich auf die andere Seite.
Nochmal sah ich auf die Uhr. Das Frühstück war bis neun Uhr fünfzehn aufgebaut. Wenn ich mich also erst kurz an meine Aufzeichnungen für Sverre setzten würde, konnte ich Lance noch ein bisschen schlafen lassen und dann später mit ihm frühstücken gehen.
Ich suchte kurz nach meinen Unterlagen und fand sie schließlich auf meinem Regal. Schon bevor ich sie aufschlug, wusste ich, dass ich damit nicht viel anfangen konnte. Das, was ich aufgeschrieben hatte, wusste ich auch so.
Das Energienetz konnte Gegenstände bewegen. Viel mehr hatte ich mir gestern nicht notiert. Dafür war ich viel zu fasziniert gewesen.
Was ich mit der Information anfangen konnte, wusste ich noch nicht. Außerdem sollte ich mir Gedanken über Maries und Pias zwölften Geburtstag machen. Auch dafür hatte ich gestern keine Erklärung gefunden. Warum hatten Mano und Sanna einen Stern für die beiden auf die Erde geschickt? War die Energie nicht von Anfang an durch die Auserwählten geflossen?
Bei meinen Überlegungen wäre es hilfreich, auch Informationen von den anderen Auswählten zu erhalten. War es bei ihnen mit dem Stern genauso? Dann könnte man ein Muster erkennen.
Über die anderen Auserwählten nachzudenken, erinnerte mich daran, Ade auch unbedingt noch auf sie anzusprechen. Wann konnten wir sie endlich herholen, und ihnen das Nachtreich zeigen?
So viele Fragen, so wenige Antworten. Meine Gedanken rasten, als sie von einem Thema zum nächsten wanderten. Es war fast schon schmerzhaft, wie schnell sie die Richtung wechselten.
Hilflos starrte ich auf das weiße Blatt vor mir. Wo sollte ich bloß anfangen? Welches meiner Probleme war das größte?
Ade nach den anderen Auserwählten zu fragen, konnte ich zu Sverres Bericht sortieren, dann musste ich sie vor seinem Besuch nicht mehr aufsuchen. Was ich ihm erzählen wollte, war auch klar. Ich sollte ihm nur die Ergebnisse vortragen und nicht die ungeklärten Fragen stellen. Also würde ich einfach davon berichten, was die letzten Tage bei den Experimenten passiert war.
Doch diese ungeklärten Fragen waren der springende Punkt, der sich in meinen Gedanken immer wiederholten. Der Punkt, der uns vor einem weltverändernden Ergebnis abhielt.
Ich überlegte eine Weile vor mich hin, doch mir wollte nichts Vernünftiges einfallen, was man mit dem Energienetz machen konnte, welches wir gestern entdeckt hatten. Sicher würden Marie und Pia damit nicht einmal in die Nähe der Himmelskörper kommen. Dafür brauchten wir bestimmt dir Kraft aller Auserwählten ...
Lance drehte sich wieder in meinem Bett herum, und erregte damit meine Aufmerksamkeit. Wäre er nur ein paar Zentimeter weiter nach rechts gerückt, wäre er rausgefallen. Das war wohl das Zeichen dafür, ihn doch zu wecken. Auf die Schnelle wollte mir nichts hinsichtlich meiner Probleme einfallen, vielleicht würde ein gutes Frühstück da helfen.
„Lance steh auf!" Dieses Mal sagte ich es etwas lauter und schüttelte ihn kräftiger.
Langsam öffnete er die Augen und blickte verschlafen durch das Zimmer. Als er mich sah, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„Wir sollten frühstücken gehen, sonst verpassen wir es", erklärte ich ihm, und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange.
„Ok. Bin schon wach. Aber kann ich erst an meinem Zimmer vorbeigehen, um mir etwas Frisches zum Anziehen zu holen?"
„Klar. Dann sehen wir uns gleich wieder."
Nachdem Lance gegangen war, räumte ich kurz mein Zimmer auf, und entschied mich dann relativ schnell dazu, zum Frühstück zu gehen. Ich konnte es einfach nicht abwarten, meinen Freund wiederzusehen. Mein Zimmer sah leider immer noch aus, wie nach einem Wirbelsturm, aber das würde sich wohl nie ändern. Ich war eben ein unordentlicher Mensch.
Beim Frühstück traf ich nicht nur Lance wieder, sondern auch Maries und Pias Eltern, Dad, Herrik und Kazumi. Die fünf unterhielten sich, als seien sie eine Familie.
Die Königin, die Ausgestoßenen, der Refortenhauptmann und ein kleiner Siebenjähriger. Man hätte das Spektakel filmen müssen.
Lance und ich bedienten uns am Buffet, bevor wir uns zu den anderen setzen.
„Guten Morgen Luna", begrüßte mich Kazumi.
„Hallo Lance", sagte Herrik und winkte aufgeregt.
Ich schnaubte. War ja klar, dass mein Bruder lieber Lance begrüßte. Herrik hatte meinen Freund schon immer angehimmelt, aber nachdem er jetzt auch noch Wurfsterne werfen konnte, war er für Herrik auf der Beliebtheitsskala wohl ganz nach oben geklettert.
Lance wusste das anscheinend auch, denn er hielt seine rechte Hand in Herriks Richtung. „Mir geht es super." Dann schlugen sie ein.
Saphira kicherte leise.
Ich hatte mich noch nie richtig mit den Eltern der Auserwählten unterhalten, aber ich wusste, dass sie streng, aber auch sehr nett waren. Außerdem war Saphiras Lieblingsfarbe schwarz. Wenn Lance nicht schon mein Seelenverwandter gewesen wäre, hätte sie es, anhand dieses Merkmales, auch werden können.
Marie hatte weniger mit ihren Eltern zu tun, seit sie von ihnen erfahren hatte, dass Pia ihre Schwester war. Sie nahm es ihnen immer noch übel, dass sie dieses Geheimnis ein Leben lang vor ihr verheimlicht hatten.
Pia selbst hatte ich noch nie mit ihren Eltern reden sehen. Sollten sie ihr nicht irgendwann anvertrauen, warum sie sie weggegeben hatten, würde das wohl auch nicht passieren. Auch wenn ich ein weniger nachtragender Mensch war, konnte ich ihr ihr Handeln nicht verübeln.
Moritz suchte über den Tisch hinweg meinen Blick. „Hast du Marie und Pia heute schon gesehen Luna? Sie waren bisher noch nicht beim Frühstück."
Na, ganz toll, jetzt ging das Spiel wieder von vorne los! Moritz war zwar nicht Drew, aber langsam ging mir diese Frage auf den Keks. Ich sollte überlegen, ob ich mir nicht ein Schild basteln sollte mit der Aufschrift: - Ich weiß nicht, wo die Auserwählten sind, fragen sie jemand anderen – Mit dem Schild durch die Gegend zu laufen wäre sicher lustig, und mir würde die Frage erspart bleiben.
„Nein, ich weiß nicht, wo sie sind. Vielleicht haben sie wieder Seelenkontrolle-Training. Das haben sie gestern um diese Urzeit gemacht."
„Danke." Moritz lächelte mich an. Vielleicht sollte ich ihm seine Frage nicht so übelnehmen. Er wusste ja gar nichts von Drews Fragerei gestern.
„Kein Problem", sagte ich und schenkte ihm ebenfalls ein Lächeln. Da Moritz offenbar nicht vorhatte, noch etwas zu sagen, hörte ich dem Gespräch von Kazumi, Lance und Herrik zu. Sie unterhielten sich über die coolsten, neusten Kinderserien.
Es war schön, Kazumi am Frühstückstisch zu sehen. So konnte ich sicher gehen, dass sie sich zumindest ein wenig freie Zeit am Morgen nahm. Außerdem fand ich es lustig, dass ausgerechnet unsere Königin mit meinem Bruder über seine Lieblingsserie redete.
„Wo ist Ade?", platze es plötzlich aus mir heraus. Damit hatte ich ihr Gespräch unterbrochen und sorgte für eine unangenehme Stille.
Leid tat es mir trotzdem nicht. Ade war die letzten Tage immer hier gewesen. Mich interessierte, warum es eine Änderung in ihrem Terminkalender gab.
„Sie übernimmt ab heute wieder die Regierung", erklärte mir Kazumi. „Aber wenn das, worüber wir gesprochen haben, bald verwirklicht wird, braucht sie das ja nicht lange allein zu machen." Sie schenkte mir ein ehrliches und aufgewecktes Lächeln, was einfach ansteckend war. Deshalb war Kazumi an Ades Stelle heute beim Frühstück aufgetaucht. Weil sie wieder ihren Platz getauscht hatten.
Mit ihrer Ankündigung hatte Kazumi die Aufmerksamkeit von allem am Tisch erregt. „Was habt ihr denn vor?", fragte Herrik sofort.
„Wir wollen durchsetzten, dass ein Paar gemeinsam regieren kann."
„Wow." Saphira nickte anerkennend. „Das wäre großartig."
„Ja, aber es müssen noch einige Sachen geklärt werden. Ich denke, nächsten Monat könnten wir das Gesetz im Rat vorstellen und durchsetzen lassen. Dann können Ade und ich uns endlich die ganze Arbeit teilen. Bis jetzt war in vielen Gesetzen festgelegt, dass man immer nur allein regieren darf. Deshalb konnte mir Ade auch nicht helfen, auch, als es ihr schon besser ging. Solange ich als Königin eingeteilt war, hatte auch nur die Königin das Recht, Verträge zu unterzeichnen und Veränderungen zu bestimmen."
Ein bisschen schlecht fühlte ich mich jetzt schon, da ich Ade vorgeworfen hatte, Kazumi nicht zu unterstützen. Aber die Freude über das neue Gesetz überwog. Bald würde es keine der beiden mehr schwer haben müssen.
„Dann hoffen wir mal, dass ihr es schnell durchsetzten könnt." Saphira hob ihr Glas und nickte Kazumi zu.
Ich würde es nie laut aussprechen, doch die Mutter der Auserwählten wirkte im Nachtreich immer noch ein bisschen fehl am Platz. Sie hatte hier die Hälfte ihres Lebens verbracht, bevor sie verbannt wurde. Von einem auf den andern Tag hatte man ihr den Rücken zugekehrt. Jetzt wieder hier zu sein, musste sehr schwer für sie sein.
„Ich hoffe es auch sehr." Kazumi schmunzelte. Sie schien viel glücklicher als die ganzen letzten Wochen. „Aber jetzt muss ich mich auch an die Arbeit machen. Ich habe Ade versprochen, mich um ihre Blumen zu kümmern, während sie sich um das Nachtreich kümmert."
„Viel Glück dabei", sagte ich lachend. Dass Ade ihre Blumen über alles liebte, musste ich ja schon am eigenen Leib erfahren.
Ich wollte gerade in mein Brot beißen, da fiel mir noch etwas ein. „Kazumi weißt du, ob heute ein Wissenschaftler-Treffen stattfindet?"
„Ja ... weiß ich. Nein, tut es nicht. Heute findet keins statt. Xenia ist krank geworden und wir nutzten den Tag, um die Räume auszumisten."
„Alles klar. Dann habe ich noch ein wenig freie Zeit, um mir Lösungen für unsere Probleme zu überlegen."
Kazumi nickte. „Und denk an Sverres Besuch übermorgen."
Wie könnte ich den nur vergessen? Ich wurde ja nur minütlich daran erinnert.
Hoffentlich konnten wir morgen mit den Wissenschaftlern noch einige Fortschritte machen, sonst würde das ein sehr kurzer Bericht von mir werden.
Als die Königin gegangen war, beugte sich Herrik zu mir herüber. „Magst du Kazumi nicht, Luna?"
„Wie kommst du denn darauf?" Erschrocken sah ich ihn an. Die Frau war intelligent, lustig und erfolgreich, wie konnte mein Bruder das Gefühl haben, dass ich sie nicht leiden konnte.
„Du hast sie so komisch angeguckt."
„Das kann sein. Ich bin ein bisschen nervös wegen Sverres Besuch."
Lance nahm meine Hand. „Das wird schon gut werden. Wenn ihm die Ergebnisse nicht gefallen, kannst du ja auch nichts dafür. Du hast sie ja nur vorgetragen." Ich wollte ihm schon widersprechen, doch er redete einfach weiter: „Zumindest bist du nur zu einem sehr kleinen Teil dafür verantwortlich. Außerdem kennst du Sverre doch. Er ist kein böser Mensch."
Da hatte Lance recht. Ich wusste ja auch nicht, warum ich so eine große Angst vor dem Tag hatte. Sie war einfach da, und wollte nicht weggehen. Wie sehr ich mir auch einredete, dass ich mir keine Gedanken machen brauchte, meine Angst blieb. Immerhin würde ich vor den bedeutendsten Natesim sprechen, und daran würde man sich sicher nie gewöhnen. Noch vor einem Monat hätte ich niemals gedacht, dass die Königin des Nachtreichs und der König des Tagreichs mal meinen Namen kennen würden.
Auch, als ich wieder in meinem Zimmer über die ungeklärten Fragen nachdachte, blieb die Angst vor dem morgigen Tag noch immer in meinem Hinterkopf.
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