𝑆𝑖𝑒𝑏𝑒𝑛𝑢𝑛𝑑𝑧𝑤𝑎𝑛𝑧𝑖𝑔
Nein! Ich hatte mich zu sehr auf das Gespräch konzentriert, und deshalb nicht wahrgenommen, wie William langsam seine Energiegestalt angekommen hatte.
Und plötzlich war er in der Energiequelle des Tagreichs verschwunden.
Ich musste weiter, doch noch immer beschäftigten mich seine Worte. Es war klar, was er jetzt vorhatte. Er wollte die Quelle vernichten und somit das ganze Tagreich. Er wollte die Leben aller hier lebender Natesim auslöschen und das nur für Rache?
Rache an Sverre ... seinem Großvater.
Ich musste ihn aufhalten! Ich musste das Tagreich retten! Ich musste ... mich auf meine Energie konzentrieren.
Runterkommen, atmen und die Kontrolle bewahren.
Obwohl William einen Vorsprung hatte, konnte ich ihn immer noch einholen. Er besaß nur die Energie des Tages in sich, ich hingegen hatte beide, Nacht und Tag vereint in mir. Doch war ich dann auch doppelt so schnell? Vermutlich nicht.
Meine Atmung verlangsamte sich endlich und auch das Dröhnen in meinem Kopf ließ nach. Ich fühlte die Energie in mir, seicht strich sie durch meine Handflächen.
Mutig machte ich ein paar Schritte nach vorne, bis ich schließlich bei dem grellen Licht ankam.
Anders als in der Seelenverbindung vor ein paar Monaten, in welcher sich Pia und ich nur ins Nachtreich gedacht hatten, war ich nun wirklich hier, im Tagreich, direkt vor der Quelle der Energie.
Ich streckte meine Hand nach dem Licht aus und ließ sie, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es mir nichts tat, weiter hineingleiten.
Es fühlte sich kalt auf meiner Haut an. Kalt, aber nicht unangenehm. Immer weiter glitt mein Körper hinein in den Bereich des Palastes, in dem es nur die Energien gab.
Für eine Sekunde wurde ich panisch, da ich merkte, dass ich nun ganz in der Quelle stand. Näher würde ich es nie an meine ursprüngliche Form herankommen.
Man musste hier nicht atmen, da man vollständig zu seiner Energie geworden war. Das wusste ich zwar, aber als ich es trotzdem versuchte, geriet ich in Panik.
Ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren, damit mich die fehlende Atmung nicht um den Verstand brachte. Irgendetwas ...
Der Raum, den meine formlose Gestalt soeben betreten hatte, weckte Erinnerungen in mir. Er war wie auch im Nachtreich voller Spiegel gestaltet. Vor unzähligen Wochen war ich im Schlaf mal dort gewesen. Gemeinsam mit Ade war ich durch die Energiequelle des Nachtreichs gewandert.
So wie damals sah ich mich auch jetzt nicht, obwohl ich wusste, dass ich mich gerade in diesem Raum befand. Das trug auch nicht gerade dazu bei, mich zu beruhigen.
Ich musste mich auf meine Energie konzentrieren. Ich musste mir einen energetischen Körper erschaffen, damit ich mich selbst wahrnehmen konnte. Irgendwie musste ich mich wiederherstellen und das schnell, denn Jacob William war mir jetzt schon weit voraus.
Ade hatte mir damals mit meiner Energie geholfen. Ich hatte damals keine Ahnung von den Natesim und den mit ihnen verbundenen Fähigkeiten gehabt. Doch nun wusste ich, dass ich meine Energie nach außen holen musste, um mich selbst zu formen.
Die Energie kitzelte mich an meinem nicht existenten Körper. Ich ließ sie sich über mein ganzes Dasein hinweg ausbreiten. Sei hüllte mich ein. Sie schütze und charakterisierte mich. Sie ergoss sich über meinen ganzen Körper, sodass ich mich in ihr sicher und geborgen fühlte.
Kurz fragte ich mich, ob es nicht sogar besser wäre, wenn man mich nicht sah und unsichtbar herumgeisterte. Ich wusste nicht, wie viel Wissen Jacob William über den Energieteil der Paläste hatte, oder ob man andere Energien hier wahrnehmen konnte, doch unsichtbar zu sein konnte sicher nur Vorteile haben. Trotzdem entschied ich mich dagegen. Wenn Jacob William mich sah und wahrnahm, würde er sich vielleicht auf mich konzentrieren und nicht auf die Quelle der Energie.
So hatte ich eine Chance ihn aufzuhalten. Denn ich musste verhindern, dass er die Quelle des Tagreichs vernichtete.
Bis jetzt sah ich ihn jedoch nicht. Die ganzen Spiegel reflektierten lediglich meine schimmernde Energie.
Das Zusammenspiel aus Schwarz und Gold bildete meine Silhouette, welche an den Wänden tausend Mal reflektiert wurde. Auch meine Flügel schlugen leicht an meinem Rücken hin und her. Es war zu lange her, seit ich sie das letzte Mal richtig betrachtet hatte. Sie waren nun schon zu einem wichtigen Teil von mir geworden. Wie besonders und schön sie waren, musste ich mir nun erst einmal wieder ins Gedächtnis rufen. Aber ich durfte mich jetzt nicht auf meine Flügel konzentrieren. Ich musste weiter ...
Konnte ich nun auch wieder sprechen? Ade hatte damals mit mir gesprochen. Ich wusste aber nicht, ob sie dies durch eine Seelenverbindung getan hatte oder mit ihrem Mund.
Ich hatte zu große Angst, die Stimme zu erheben, weil ich befürchtete, wieder in eine Schnappatmung überzugehen. Gerade erst hatte ich mich daran gewöhnt, nicht atmen zu müssen. Das wollte ich jetzt nicht einfach wieder kaputt machen.
Doch irgendwie musste ich William auf mich aufmerksam machen. Er durfte seinen Plan nicht in die Tat umsetzten. Ich musste mich jetzt auf das Wesentliche konzentrieren und ihn finden!
Ich bewegte mich schnell durch den Raum, meine Flügel erzeugten kleine Windstöße, die mich seicht an meinen Armen kitzelten. Noch immer war keine Spur von William zu sehen.
Anscheinend war er nicht mit mir im Spiegelraum gewesen, oder er war mir leise entwischt. Wenn ich keine Chance hatte, ihn zu orten, würde ich womöglich in die falsche Richtung fliegen.
Die Räume im Energieteil des Palastes besaßen keine Türen. Um von einem Ort zum anderen zu gelangen, musste man durch die Wände hindurch gehen. Deshalb wusste ich nicht, wo Jacob William hingegangen war.
Wenn ich ihn nicht irgendwie durch meine Energie hindurch wahrnehmen konnte, war jede Hoffnung verloren.
Deshalb horchte ich konzentriert in mich hinein. Ich entzog meiner Energie-Silhouette einen kleinen Teil an Energie und reiste mit diesen durch die Räume des Palastes. Es war schwierig, sich zu fokussieren, denn um mich herum nahm ich unzählige Energien wahr. Es war leicht, sie zuzuordnen. Denn im Gegensatz zu mir besaßen sie keinen Körper mehr. Es waren die Energien der Erschaffer des Tagreichs. Meine Vorfahren.
Irgendwo unter ihnen musste William mitsamt seinem Körpers herumfliegen. Doch wo?
Immer tiefer glitt ich hinein in das Herz des Tagreichs. Ich spürte, wie die Energiedichte mit großen Schritten zunahm. William musste in der Nähe sein, dessen war ich mir sicher. Immerhin hatte er mir eben gesagt, dass er hier hinwollte. Ich glaubte nicht, dass er mich angelogen hatte. Dafür war sein Motiv zu schlüssig gewesen.
Fast hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, doch dann plötzlich, fand ich ihn. Zwei Räume von mir entfernt, und weitere zwei Räume von der Energiequelle entfernt, durchkreuzte eine Lebensform mit großen Flügelschlägen den energiegefluteten Thronsaal. Auch dieser sah dem des Nachtreichs sehr ähnlich.
Ich hatte keinen Zweifel daran, dass diese geflügelte Lebensform William war, und machte mich deshalb so schnell es nur ging auf den Weg zu ihm.
Er hatte bereits einen großen Vorsprung, ich konnte William ihn nicht noch vergrößern lassen, also hetzte ich ihm nach.
Es tat ein bisschen weh, frontal in den Spiegel zu fliegen, und nicht auf einen Durchgang zu warten, wie man es eigentlich tun sollte. Aber der Schmerz war erträglich, immerhin bestand ich nur aus Energie und es war nichts im Vergleich dazu, was William uns gleich antun würde, wenn ich ihn nicht aufhalten würde.
Im nächsten Raum sah ich mich nicht um. William war nicht hier, ich musste nicht nach ihm suchen. So schnell es nur ging, durchquerte ich den Raum und nahm nur mit einem kurzen Seitenblick wahr, dass es sich um eine Kammer voller Edelsteine handelte. Warum konnte sich mein Feind nicht mit den Diamanten zufriedengeben? Ich würde ihm jeden Edelstein der Welt zur Verfügung stellen, wenn er dafür das Tagreich in Frieden lassen würde.
Als ich auch durch die nächste Wand gebrochen war, hatte ich den Thronsaal erreicht. Im Gegensatz zum Nachtreich war dieser nicht dunkel eingerichtet, sondern gelb. Das war mal wieder typisch. Während das Nachtreich auf Schwarz- und Grautöne setzte, konnte das Tagreich gar nicht bunt genug gestrichen sein.
Ich konnte mich gar nicht entscheiden, welcher Stil mir besser gefiel.
Der nächste Raum, in den ich kam, war sehr groß und an dessen Ende konnte ich die Person erkennen, die ich suchte. Endlich!
Ich holte tief Luft und versuchte aus vollem Halse: „Bleib stehen!", zu schreien. So ein Mist! Es kam kein Laut aus meiner Kehle. Das funktionierte anscheinend ohne einen Körper wirklich nicht.
Aber hatte Ade damals nicht mit mir gesprochen? Oder war das nur durch eine Seelenverbindung gewesen? Ich wusste es nicht mehr.
Nervös und angestrengt suchte ich wieder meine Energie und schoss mit dieser auf William zu. Mir war eine andere Idee gekommen.
Meine Energie war schneller als der Körper und erreichte William binnen Sekunden. Natürlich ließ er mich nicht einfach hinein, doch er bemerkte mich endlich, und drehte sich um. Ein fieses Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Dann ließ er die Seelenverbindung doch geschehen.
„Du schon wieder. Hast du noch immer nicht genug gehört?" William wurde tatsächlich langsamer. Das war gut. Ich musste ihn nur lange genug beschäftigen.
„Eigentlich habe ich wirklich genug gehört", gab ich zu. „Es ist eher so, dass mich dein Gerede so langweilt, dass ich deshalb gerne den Schlussstrich ziehen würde."
Er lachte. „Du willst mich töten?"
„So in etwa. Ja." Ich musste irgend etwas machen! Wenn ich Jacob William nicht an das Gespräch fesseln konnte, würde er mir gleich entwischen. „Du weißt doch sowieso nicht, was du hier tust", versuchte ich ihn weiter zu provozieren. „Das Tagreich besteht seit Jahrhunderten. Ein einzelner Feuerbändiger wird es wohl nicht zerstören können."
Ich konnte mich nicht auf seine Antwort konzentrieren. Es war egal, was er sagte. Ich musste ihn irgendwie davon abbringen, die Energiequelle zu erreichen.
Wieder spaltete ich einen kleinen Teil Energie von meinem Körper ab und ließ diesen durch die Räume des Palastes jagen. Dabei nahm ich eine weitere Person wahr, die sich auf uns zubewegte.
War das ...Pia?
Meine Rettung!
Mit meiner Schwester kam auch die Idee, wie ich William loswerden konnte. Mit ihr kam meine Chance, ein Energieschutzschild zu erschaffen. Zusammen waren wir unbesiegbar.
Ich wusste nicht, was mir William geantwortet hatte, aber besonders schlau konnte es nicht gewesen sein, denn ich fühlte seine Wut auf mich, die jede Sekunde größer wurde. Wenn man so wütend war, konnte man nichts besonders Geistreiches zustande bringen.
Da sprach ich aus Erfahrung.
Deshalb erwiderte ich einfach, was mir zuerst in den Sinn kam: „Ich weiß nicht, was deine Freunde mit Sverre und Ade gemacht haben. Ob es ihnen gut geht, oder sie überhaupt noch leben. Aber egal, wie schlecht es gerade um die Reiche steht, ich werde dich mit deinem Plan nicht durchkommen lassen!"
Wie aufs Stichwort erschien Pia in dieser Sekunde hinter mir. Sie war unsichtbar, doch meine Energie hatte sie bis hierhin begleitet. Das war super. Jacob William wusste nicht, dass sie hier war, und das verschaffte uns einen Vorteil.
Ich durfte sie jetzt nur nicht in die Seelenverbindung einladen, denn sonst würde er sie wahrnehmen. Pia musste von sich aus darauf kommen, mit mir zusammen ein Energienetz zu erschaffen. Denn so konnten wir William zurückdrängen, und aus dem Schloss hinausschieben.
„Du willst wissen, was gerade mit Ade und Sverre passiert?" Williams Lächeln wurde noch etwas breiter, als er an die Qualen dachte, denen die Beschützer der Reiche ausgesetzt waren. „Nun, mein werter Großvater und die Herrscherin des Nachtreichs werden für mich gefangen gehalten. Ich kann dir versichern, bis jetzt sind die noch nicht tot. Meine Wachen haben den Auftrag, sie am Leben zu lassen, bis ich im Nachtreich ankomme. Denn nur ich habe das Recht, sie zu töten. Mein Großvater soll spüren, was er mir all die Jahre angetan hat. Und Ade hätte schon vor Monaten infolge meines Feuers sterben sollen. Ihr Tod ist überfällig."
Er machte eine kunstvolle Pause. Pia fragte sich sicher gerade, was hier los war. Sie hatte Williams Rede über seine Vorfahren ja nicht mitbekommen.
„Falls du aber denkt, wenn ihr mich tötet, werden verschont bleiben, dann liegst du falsch. Wenn ich innerhalb der nächsten Stunde nicht auftauche, werden meine Wachen sie für mich erledigen, denn ihr Tod hat Priorität."
Ok, jetzt hatte ich genug gehört. Wenn er wirklich nur eine Stunde bei seinen Feuerbändigern ausgemacht hatte, lief uns die Zeit davon. Pia musste wissen, was sie zu tun hatte, damit wir William schnell erledigen, und zur Rettung der Majestäten aufbrechen konnten.
Ich riskierte den Schritt und entfernte mich aus Williams Kopf. Stattdessen verband ich meine Seele mit Pia und begann sofort, sie in meinen Plan einzuweihen. „Wir müssen das Energienetz erschaffen und William damit aus dem Schloss drängen. Los!"
Ohne Pia antworten zu lassen, ließ ich die Seelenverbindung abbrechen, denn ich musste mich voll und ganz auf das Netz konzentrieren. Hoffentlich hatte sie mich verstanden.
Ich löste meine Energie von meinem Körper, der nun hoffentlich wieder unsichtbar war. Kontrollieren konnte ich es nicht, denn in diesem Raum hier hingen keine Spiegel.
Argwöhnisch betrachtete ich William. Ich musste sichergehen, dass er nicht wegrannte und ich seine Spur verlor. Doch zu meinem Glück beobachtete er meine Verwandlung und ich entdeckte keine Gefahr, dass er plötzlich davonlaufen könnte. Da er Pia noch nicht bemerkt hatte, die hoffentlich gerade hinter mir stand, wusste er nicht, was hier gerade vorging.
Ihn interessierte zum Glück sehr, was ich tat. Solange ich ihm etwas liefern könnt, würde er nicht weitergehen.
Spätestens, als sich Pias und meine Energien trafen, da ich sie in der Luft zusammenfließen lassen hatte, wusste er dann aber doch, dass sie da war.
Denn plötzlich war neben meiner Energie noch eine zweite aufgetaucht. Und zusammen waren sie doppelt so groß. Doppelt so schwer und auch doppelt so gefährlich.
Zwar hatte auch William hier im Energieteil des Palastes keinen Körper, doch ich nahm in der sonnengelben Silhouette vor mir wahr, wie er sich anspannte. Offensichtlich hatte damit, dass Pia auftauchen würde, nicht gerechnet.
Unsere vereinten Energien sausten auf ihn zu. Baute sich erst vor ihm, und dann immer weiter um ihn auf.
Bis er begriff, was wir vorhatten, war er komplett von der Energie umrundet und hatte keine Chance mehr, zu entkommen.
Da er selbst nur aus Energie bestand, hätte er mit Sicherheit durch das löchrige Netz hindurchgleitend können. Doch Pia und ich verstärkten die Wirkung unserer Falle, bis wir sicher waren, dass kein einziger Luftpartikel mehr durch diese Wand hindurch kommen könnte.
Wir bewegten Williams eingefangen Körper durch den Raum, und stoppten erst kurz vor uns. Da meine ganze Energie an der Erhaltung des Netzes beteiligt war, konnte ich mich nicht mit Pia absprechen. Ich sah sie ja nicht einmal.
Hoffentlich würde sie verstehen, was ich vorhatte.
Mit etwas Druck auf das Netz machte ich deutlich, dass ich die Führung übernehmen wollte. Ich spürte, wie Pia mir langsam die Kontrolle überließ und ich eigenständig entscheiden konnte, ich welche Richtung sich der Käfig bewegt.
Vorsichtig und behutsam glitt William durch den Raum, bis hin zur Wand, welche diesen Raum vom nächsten Zimmer der Quelle trennte. Nach kurzer Überlegung ließ ich den Käfig hindurchgleiten.
Da ich vorhin ja mit meiner Energie diesen Teil des Palastes ausgekundschaftet hatte, wusste ich, wo der schnellste Weg wieder nach draußen war. Je weiter wir uns von der Quelle des Tagreichs entfernten, desto besser. Denn William musste schnellstmöglich hier weg und er durfte nie wieder in die Nähe der Quelle kommen.
Durch immer mehr Räumen steuerte ich den Käfig und hoffte, dass Pia mir folgen konnte. Ich hatte keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren. Zu groß war die Angst, bei einer kleinstmöglichen Störung die Kontrolle über das Energienetz zu verlieren.
Ich war mir eigentlich meiner eigenen Kräfte bewusst und konnte einschätzen, dass William nicht entkommen konnte, trotzdem wollte ich kein Risiko eingehen.
Wir durchquerten einen letzten Raum und dann hatten wir es geschafft.
Die letzte Wand war durchbrochen worden, Sonnenlicht strahlte uns entgegen. Wir waren an einem der höchsten Punkte des Palastes aus der Energiequelle getreten, mindestens dreißig Meter über der Erde.
Behutsam steuerten wir mit dem Netz auf den Erdboden entgegen und flogen dann hinterher.
„Was machen wir jetzt mit ihm?", fragte ich Pia. Es tat gut, sie wieder sehen zu können und eine Unterhaltung mit ihr zu führen. Ich hatte den Anblick ihres schönen Gesichtes, was meinem trotz unserer Herkunft so gar nicht ähnlich war, schon vermisst.
Ratlos blickte ich auf William, der wie ein motziges Kind in unserem Käfig saß. Er war noch immer eine Gefahr für uns. Sobald wir ihn herauslassen würden, würde er uns attackieren.
Aber mussten wir ihn töten? Gab es keine bessere Lösung? Ich hatte heute schon jemanden sterben sehen. Das war nichts, an was ich mich gewöhnen wollte.
Auch Pia schien sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden wollen. „Solange wir keine bessere Idee haben, lassen wir ihn erst Mal in dem Netz."
„Aber wir müssen uns beeilen. Hast du gehört, was er gesagt hat? Wenn er nicht bald im Nachtreich auftaucht, töten sie Sverre und Ade."
Pia malmte mit ihrem Kiefer. „Ja, das habe ich gehört. Wir machen es so: Wir suchen nach unseren Freunden und berichten ihnen, was wir gerade erlebt haben. Hoffentlich können sie uns helfen. Wir können ja auch schon mal überlegen, wie es jetzt weitergehen soll. In Ordnung?"
„Okay. Wer ...?" Eigentlich hatte ich fragen wollen, wer von uns die Seelenverbindung mit Luna und den anderen übernehmen wollte, doch Pia hob ihre Hand. Offensichtlich war sie schon dabei.
Zum Glück wurden meine Befürchtungen nicht wahr und der Käfig hielt bombenfest, obwohl ein Teil von Pias Energie gerade suchend durch das Tagreich flog.
Einige Minuten war meine Schwester still, doch dann fing sie plötzlich wieder an, mit mir zu reden. „Sie sind auf dem Weg."
„Gut. Dann heißt es für uns wohl, sich nun einen Plan auszudenken."
„Hast du eine Idee?", fragte Pia mich.
Ich lachte freudlos. „Ich dachte, du hättest einen."
Kurz blieb sie stumm, doch dann räusperte sie sich. „Das ist jetzt kein Plan, aber vielleicht wäre es doch besser, wenn wir William nicht mitnehmen. Ich traue ihm nicht."
Kurz war ich irritiert, doch dann wurde ich der Bedeutung ihrer Worte bewusst. „Aber das heißt ..." Ich sprach es nicht aus. Anhand Pias Blickes war mir klar, dass ich richtig mit meiner Annahme lag. Sie wollte Williams Tod.
„Das können wir nicht machen", rief ich aufgeregt. „Erstens will ich niemanden töten, und zweitens könnte er uns vielleicht noch Informationen liefern. Wir könnten ihn gefangen nehmen und ihn ausfragen."
„Denkst du, er wird reden? Niemals würde er seine Verbündeten verraten."
Bestimmt gab es viele, die für ihr Volk sterben würden, aber bei Jacob William war ich mir da nicht so sicher. Er war immer nur auf seinen Vorteil aus gewesen. So wie ich es vorhin erfahren hatte, wollte er das Tagreich nicht für die Feuerbändiger und ihren Plan vernichten, sondern, um sich bei Sverre zu rächen.
„Vielleicht gäbe es eine Möglichkeit, ihn zum Reden zu bringen. Du hast es ja mitbekommen. Sverre ist sein Großvater. Wenn die zwei sich aussprechen würden, könnten wir ihn möglicherweise auf unsere Seite ziehen."
Pia schnaubte. „Marie, wir haben es hier mit Jacob William zu tun. Er hat uns beide eingesperrt, Luna als seine Marionette benutzt, Ade fast getötet und heute fast das Tagreich zerstört. Nenn mich Pessimistin, aber ich habe leider keine Hoffnung, dass er uns helfen wird."
Ich seufzte. Natürlich hatte sie recht. William würde uns nie helfen. Auch ich selbst hatte daran nicht so wirklich geglaubt. Aber ich wollte ihn nicht töten. Zumindest nicht so. Er war hilflos und gefangen. Ich würde es nicht übers Herz bringen, einfach die Energie in seinem Käfig zu verdichten, um ihn so langsam ersticken zu lassen.
Bevor wir noch weiter argumentieren konnten, sah ich unsere Freunde auf uns zu fliegen. Luna winkte mir zu und landete dann als erste neben uns. Sie nahm erst Pia in den Arm und dann mich. Die herzliche Begrüßung tat gut.
Luna lächelte uns an, doch dann wurde ihr Blick ernst. „Ihr habt Glück, dass euere Mission gut ausgegangen ist, sonst hättet ihr was erleben können. Das war super gefährlich!" Lunas Gesichtsausdruck hatte sich so schnell geändert, dass ich gar nicht darauf eingestellt gewesen war, plötzlich eine Standpauke zu erhalten.
Aber sie hatte natürlich recht. Im Eifer des Gefechts hatte ich vergessen, dass ich ja eine der acht ach so wichtige Auserwählte war, und deshalb nicht kämpfen durfte.
„Luna, es tut uns sehr leid. Wir machen das nie wieder." Pia sagte dies zwar, doch ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie gerade log. Sie war noch nie gut darin gewesen, ihre Gefühle vor mir zu verbergen. Wenn sie flunkerte, konnte ich das daran erkennen, wie sie die Lippen aufeinanderpresste. Als würde sie mit aller Kraft versuchen, dass ihr Mund nicht mit der Wahrheit herausrückte.
„Na gut." Luna schenkte meiner Schwester ein Lächeln. „Nächstes Mal beschütze ich euch wieder."
Auch wenn das hier ganz nett war, wir hatten dafür gerade wirklich keine Zeit.
Ich wusste nicht, wie viel Pia den anderen während der Seelenverbindung schon erzählt hatte, aber um zum Thema zurückzukommen, wiederholte ich es ihnen noch einmal. „Wenn wir nicht in einer Stunde im Palast des Nachtreiches sind, werden die Feuerbändiger Sverre und Ade töten. Das müssen wir verhindern! Also los jetzt!"
Plötzlich waren alle leise und die gute Stimmung war vorüber. Offensichtlich hatte Pia doch nicht alles verraten.
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