Kapitel 6 || Alea
Nachdem wir uns alle einmal vorgestellt hatten, wurde mir erst klar, dass ich Aarons Namen bis eben auch noch gar nicht gekannt hatte. Es kam mir überhaupt nicht so vor, als wären wir einander fremd. Im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl, wir kannten uns schon ein halbes Leben lang.
»Wir waren eigentlich gerade auf der Suche nach ihren Freundinnen.«, erklärte Aaron unser herum schleichen.
Jackys Blick ändert sich schlagartig von abgeneigt zu mitleidig. Ich wusste was sie dachte. Vor allem weil sie mich für viel zu naiv und gutgläubig hielt. Sollte sie denken was sie wollte. Davon ließ ich mich nicht beeinflussen, denn ich kannte die Wahrheit. Die Wahrheit über die Kraft der Gedanken und des Positiven.
»Alea, richtig?«, fragte sie bemitleiden und legte mir tröstend eine Hand auf die Schulter.
Zur Antwort nickte ich bloß kurz. Von ihrem Blick und ihrer Geste ließ ich mich aber keineswegs runter ziehen, wusste diese aber zu schätzen. Sie meinte es vermutlich nur gut.
»Es tut mir wirklich sehr sehr leid.«, begann sie, doch ich wank schnell ab:
»Das muss es nicht! Ich werde sie finden. Das habe ich bis jetzt immer.«
Oh ja! Wie oft hatte ich Juli auf Veranstaltungen verloren und am Ende immer in Mitten einer Traube Mensch aufgegabelt?! Sie kannte mit Sicherheit schon die Hälfte aller Einwohner dieser Stadt.
Und Elli erst! An zwei Händen ließ sich garantiert nicht mehr abzählen, wie häufig sie schon in einer Menschenmenge durchgedreht war, wodurch sie immer an den absurdesten Orten landete. Aber auch sie hatte ich immer wiedergefunden. Diesmal würde ich - wie all die anderen Male auch - sie beide ausfindig machen.
Den kurzen Blick, den Jacky mit dem Mutanten wechselte, entging mir nicht. So besorgt wie sie geschaut hat, dachte sie bestimmt ich sei geisteskrank. Aber es war mir ziemlich egal was sie dachte, solange ich Recht behielt.
»Okay. Hör mal, ich arbeite in einer Forschungseinrichtung. Wir wurden auf solche Notfälle vorbereitet. In unserer Einrichtung haben sich alle, die in der Nähe waren, versammelt und so viele Menschen wie möglich von der Straße geholt. Wenn du Glück hast waren deine Freunde auch unter diesen Menschen. Es ist sowieso die sicherste Stelle dieser Stadt, daher würde ich vorschlagen die Sterblichen von uns«, an der Stelle warf sie Aaron einen feindlichen Blick zu, »begeben sich dorthin. Das würde unser Überleben um einiges leichter machen.«
Ein Blick zu Aaron verriet mir, dass dieser angespannt die Kiefer aufeinander presste. Bis die zwei Freunde werden würden, könnten noch einige Jahre ins Land hinaus streifen.
»Tu nicht so als wäre ich unsterblich.«, knurrte der eben Ausgeschlossene.
Beruhigend blickte ich ihn an. Am liebsten hätte ich ihm eine Hand auf die Brust gelegt und ihn zu Atemübungen gezwungen. Aber ich hielt mich zurück und stimmte Jacky stattdessen zu:
»Ist auf jeden Fall mal eine gute Idee dort vorbei zu schauen.«
Dann sah ich unsicher zu Aaron. Was er von diesem Vorschlag hielt? Nur ungern wollte ich mich von ihm trennen. Dafür hatte ich mich schon viel zu sehr an seine Nähe gewöhnt.
»Begleitest du uns?«, fragte ich mit daher bemüht neutral, wobei selbst ich die Hoffnung in meiner Stimme nicht überhören konnte.
Eigentlich wollte ich nicht, dass er sich gezwungen fühlte mitzukommen oder ihn dazu drängen. Ginge es nach mir würde ich ihn aber auf jeden Fall mit nehmen. Und zwar nicht nur weil ein hilfsbereiter Mutant vorteilhaft sein könnte.
Jackys finsterem Blick nach zu urteilen war sie nicht so begeistert von der Idee. Glücklicherweise ließ sich Aaron davon nicht beirren, denn er nickte zustimmend.
»Ich kann dich doch nicht alleine mit der da lassen.«, grinste er impertinent und versteckte somit nicht den Hauch von Sarkasmus.
»Jetzt übertreib mal nicht! Bei dir hat sie es schließlich auch ausgehalten.«, feuerte Jacky zurück und ließ diese Diskussion wie eine kindliche Auseinandersetzung aussehen.
Bevor dieses lächerliche Wortgefecht weitergehen konnte, hob ich eine Hand um beide zum Schweigen zu bringen. Hoffentlich würde der Weg nicht allzu lang sein, wenn ich mir das die ganze Zeit anhören durfte.
»Wie wäre es wenn wir mal aufbrechen?«, schlug ich vor, um die Auseinandersetzung ganz zu beenden.
»Wo ist den diese Forschungseinrichtung?«, schnitt ich auch sofort ein neues Thema an.
»Noch ein paar Straßen entfernt.«, antwortete Jacky während sie wieder in dem Schatten der Gasse verschwand.
Diesmal hielt Aaron mich nicht auf, als ich ihr folgte. Sie stemmte einen großen Rucksack hoch, bis zum Rand gepackt mit allem möglichen, das man zum Überleben brauchen könnte. Man hätte meinen können, sie wollte eine mehrtägige Wanderung, mit Surviving in der freien Natur, machen. So lange würden wir hoffentlich nicht zu der Einrichtung brauchen. Bis dahin hätten sich Jacky und Aaron gegenseitig die Köpfe eingeschlagen und ich wäre bestimmt verhungert.
»Hast du alles?«, fragte ich als Anstoß endlich aufzubrechen.
Zur Antwort nickte sie stumm und stapfte dann - natürlich nicht ohne Aaron im Vorbeigehen einen düsteren Blick zu schenken - voran. Um Aaron meinen Beistand zu signalisieren, griff ich wieder nach seiner Hand. Überrascht schaute er zu mir, die ihn zuversichtlich anlächelte und dann hinter Jacky herzog. Wir verließen die - nun eher schutzbietende - Dunkelheit und traten wieder auf die halbwegs gut beleuchtete Straße.
»Sag mal,...«, begann ich vorsichtig ein Gespräch, »...du hattest doch geweint, als wir dich eben gefunden haben. Wieso?«
Blitzschnell hatte Jacky ihre Antwort parat:
»Ich hab doch nicht geflennt! Bin schließlich nicht so eine Heulsuse, wie -«
So plötzlich wie sie abbrach, konnte ich mir denken was sie sagen wollte. Fast hätte sie mir leid getan, wie sie ihre Gefühle versuchte abzustreiten. Musste es nicht unglaublich anstrengend sein, hart nach außen hin zu wirken?
»...wie ich.«, beendete ich ihren Satz halb fragend, halb gleichgültig.
Auffordernd blickte ich sie an, was sie überraschenderweise standhaft erwidertet. Das kam nicht so häufig vor, das Leute auch zu dem standen was sie sagten.
»Du solltest das nicht als schwach abstempeln, wenn jemand seine Gefühle offen zeigen kann. Und ich steh dazu, dass ich offen genug bin meine Gefühle zu teilen.«, gab ich meine Meinung kund.
»Ja, schon klar! Du bist so eine mit ganz großen Worten und einer perfekten Vorstellung der Welt. Aber wenn es dann doch mal scheiße läuft, ignorierst du es und trinkst mit deinen Feinden erstmal eine Tasse Tee. Trotzdem wunderst du dich, warum du am Ende alleine da stehst und verlierst!«, redete sie sich in Rage.
Ob wir hier tatsächlich noch von mir redeten , war mir nicht ganz klar. Schließlich war ich mit zwei besten Freundinnen selten allein, wenn es hart auf hart kam. Mal ganz davon abgesehen, dass sie mich seit knapp fünf Minuten kannte und kaum was über mich wusste. Alles was sie über mich gesagt hatte, war nichts anderes als Annahmen.
»Lieber solltest du aufpassen, dass du nicht -«, wollte Aaron mich aufgebracht verteidigen, doch ich bremste ihn schnell aus und ignorierte dabei seinen festen Händedruck:
»Ist schon in Ordnung. Das ist ihre Meinung und die akzeptiere ich.«
Fassungslos stand er mir gegenüber. Vermutlich konnte er noch nicht ganz begreifen, dass ich Jacky ihre direkte Art nicht übel nahm. Im Gegenteil, sie erinnerte mich stark an Juli, die auch selten ein Blatt vor den Mund nahm. Allerdings war sie dabei immer etwas freundlicher. ...vielleicht aber auch nur mir gegenüber.
»Aber sie hat doch überhaupt keine Ahnung von dir!«, verteidigte er sich mit hilfloser Stimme.
Jackys giftiger Kontra dazu ließ nicht lange auf sich warten:
»Ach nein? Du hingegen kennst Aleas ganze Lebensgeschichte, oder was?!«
An einer Kreuzung zweier Gassen blieb wir stehen. Denn Jacky hatte sich umgedreht, um Aaron bitterböse anzufunkeln. Stumm verfolgte ich die Auseinandersetzung und lehnte mich gegen den alten Ziehbrunnen, der mitten auf der Kreuzung stand. Vermutlich sah der Brunnen aber mit Absicht so alt aus und diente ausschließlich der Verzierung dieser Straße.
Während Aaron sofort weiter stichelte, hatte ich nur Ohren für das gemurmelte Wort, welches hinter mir ertönte. Erschrocken drehte ich mich um. Doch hinter mir stand niemand. Verwundert blickte ich in den Schacht runter und hätte fast laut aufgeschrien. Stattdessen wiederholte sich das Wort noch einmal in meinem Kopf: Alea.
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