Sobald ich von dem Tisch wenig elegant runter geklettert war, wurde ich auch schon übern Haufen gerannt. Nun war es Elli, die sich schlapp lachte.
»Ich hab die Hälfte der Leute einzelne auf euch angesetzt. Und was machst du? Steigst auf einen Tisch, um eine Rede zu halten?!«, machte sich Juli über meine Aktion weiterhin lustig, während sie mich unter sich begrub.
»Ich wollte nur fragen, ob irgendwer dich gesehen hat.«, verteidigte ich mich, gespielt beleidigt.
Dass Elli uns immer noch auslachte, machte die Situation nicht besser. Sie sollte auch ganz dringend mal die Bodenqualität testen, fand ich. Deshalb streckte ich auffordernd meine Hand aus, als solle sie mir aufhelfen. Doch hatte ich ihre Hand erstmal umschlossen, ließ ich mich nicht hochziehen. Sondern zog sie zu uns runter auf den Boden, was in einer Gruppenumarmung endete.
»Ich bin froh, dass es euch gut geht.«, rückte Juliana letztendlich mit der Wahrheit raus.
»Was meinst du, was wir alles durchgemacht haben, um hierher zu gelangen? Nur damit wir uns von dir auslachen können!«, scherzte ich.
»Wie habt ihr es denn geschafft heile hier anzukommen?«, fragte sie mit einem Mal ehrlich besorgt.
Passend zu dem ernsthaften Tonfall, den wir anschlugen, erhoben wir uns auch vom Boden und setzten uns an einen freien Tisch. So wie es aussah, würden wir die nächste Zeit mit erzählen verbringen. Allerdings passte das meinem Magen noch nicht so ganz, der knurrende Geräusche von sich gab.
»Okay, Vorschlag: Ich besorg uns was essbares und ihr könnt schonmal anfangen zu erzählen. Deal?«, bot Jacky freundlich an, womit wir alle einverstanden waren.
Gesagt - getan: Die Forscherin verschwand zwischen den Menschenmassen, die sich hier tummelten. Und wir begannen aufgeregt die Geschichten zu erzählen. Angefangen mit Elli, die ich am Anfang fast sofort wiedergefunden hätte; Aaron, der mich zuerst umbringen wollte; das fast K.O.-Schlagen von Jacky. Schließlich endete ich erstmal damit, wie wir Elli fanden und dann Aarons Mitbewohner getroffen hatten (von dem ich mich auch fast hätte umbringen lassen).
Geschockt starrte Juli mich an. Ihre Geschichte war wohl deutliche sparsamer mit Action, was mich beruhigte. Reichte, wenn zwei von uns heute genug für ein ganzes Buch erlebt hatten.
»Euch kann man auch echt nicht alleine lassen! Warum wolltest du dich denn so unbedingt von einem Mutanten vergiftet und, oder töten lassen?«, fuhr Juli mich an, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.
»Ich wollte nicht vergiften oder getötet werden!«, protestierte ich, »Du hättest Noels Blick sehen müssen. Dann könntest du es verstehen!«
»Sein Blick? Daran hast du festgemacht, dass er dich nicht doch umbringt?!«, mischte Elli sich mit ein und nahm damit Juli das Reden ab.
»Er war wie deiner.«, antwortete ich ihr.
Mit dem fragenden Blick hatte ich schon gerechnet, deshalb erzählt ich schnell weiter:
»Dieser Scherbenhaufen darin - ich wusste, biete ich ihm an mich zu töten, würde er es überdenken.«
»Du hast ihn quasi angefleht, dir die Kehle aufzuschlitzen!«, keifte die sonst so friedliche Elli.
»Du hast ...?!«, fing sie an, schüttelte dann den Kopf und wandte die Frage an Elli, »Sie hat was?!«
Verhört hatte sie sich nicht, wie sie vermutlich gerade hoffte. Und ihrem anklagenden Blick nach zu urteilen wusste sie das auch selber.
Zugegeben, als Außenstehende sah es vermutlich so aus, als wäre ich lebensmüde gewesen. Aber ich hatte das Gefühl, in Noels Seele zu blicken. Ebenso wie den tiefen Wunsch darin, endlich aufhören zu können. Und das ging nur, indem er es aussprach, akustisch wahrnahm und selbst realisierte!
»Das war doch nur, damit er begreift, was er gerade machen will!«, verteidigte ich mich kleinlaut.
Wie war ich nochmal an den Pranger gestellt worden? Dass ich Elli aus dem Brunnen gezogen und beruhigt hatte war in Ordnung, aber Noel zu helfen war falsch? Konnten wir das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen?
»Wie bist du denn hier gelandet?«, lenkte ich schnell ab, bevor Elli Juli noch mehr von meinen waghalsigen Aktion berichten konnte.
»Auf jeden Fall hab ich mich auf dem Weg weniger lebensmüde verhalten!«, trug sie mir immer noch nach, doch packte dann tatsächlich ihre Geschichte aus:
»Als es endlich wieder hell war, hatte mich die Menschenmenge schon längst mitgezogen. Daher hab ich euch logischerweise nirgends finden können. Es war hart darauf vertrauen zu müssen das euch nichts passiert. Mich hat dann eine Forscherin angesprochen, die mich in Sicherheit brachte und nebenbei ein ganzes Rettungsmanöver einleitete.«
»Ach witzig! Die Jacky, von der ich erzählt hatte, nebenbei bemerkt ist das die, die gerade Essen für uns holt, arbeitet auch hier.«, unterbrach ich meine beste Freundin für diese lebensnotwendige Anmerkung, die natürlich nicht warten konnte, bis Juli mit ihrer Geschichte fertig war.
»Nein, wirklich? Was ein Zufall! Die haben ihre Leute offenbar überall.«, lachte Juli und beendete dann ihre Geschichte:
»Auf jeden Fall haben wir dadurch hunderte Menschen von der Straße holen können und sind hier her geflohen, bevor die Mutanten die Stadt ganz überrannt haben.«
Zuletzt gab auch Elli einen kleinen Einblick was passiert war, nachdem sie mitgerissen wurde:
»Nach dem ich endgültig von Alea getrennt war, bin ich durchgedreht und habe sofort die Hauptstraße verlassen. Irgendwann hab ich dann diese Schreie gehört und bin in den Brunnen geflüchtet. Das hat mir vermutlich das Leben gerettet, bis Alea mich fand. Naja und dann war es meistens Aaron, der die anderen Mutanten auf Abstand gehalten hatte.«
»Aaron? War das nicht dieser Mutant, dem du als erstes begegnet bist?«, fragte Juli sofort wieder skeptisch.
Na toll. Das endete jetzt gleich wieder in einer Philosophiestunde, warum ich einen Mutanten um Hilfe gebeten hatte und ob mich das zu einer lebensmüden Person machte.
»Warum war er überhaupt noch bei euch? Warst du ihm nicht entkommen?«, fragte Juli teils anklagend, teils besorgt.
»Ich hab ihn gebeten mir auf der Suche nach euch zu helfen und seitdem ist er mir nicht von der Seite gewichen. Hatte ich das nicht erwähnt?«, versuchte ich es möglichst belanglos klingen zu lassen.
»Nein, hattest du nicht.«, giftete mich Juli an, »Und was heißt seitdem? Lauert er etwa um der nächsten Ecke?«
»Sei nicht albern!«, beruhigte ich sie witzelnd.
»Für eine Sekunde hab ich gedacht, ihr wärt so blöd gewesen und hättet ihn hier reingelassen.«, lachte sie erleichtert.
Unvermeidbar tauschten Elli und ich gezielte Blicke, die Juli Erklärung genug waren. Erklärung, dass sie mit ihrer Annahme falsch lag.
»Oh nein! Bitte sagt mir nicht, ...?«
Als wir wieder nur Blicke wechselten schlug sie sich stöhnend gegen die Stirn.
»Ihr habt einen Mutanten mit in dieses Gebäude gebracht? Wollt ihr alle Menschen hier drinnen umbringen?«, stießen wir in diesem Fall bei Juli auf Unverständnis.
»Nein. Wir mussten ihm aber Blut spenden und ihn verarzten, weil er gebissen wurde.«, schilderte Elli die Situation.
»Ihr habt was?! Ihm Blut gespendet?!«, wiederholte Juli ungläubig, eine Spur zu laut.
Unbehaglich sah ich mich um und vergewisserte mich, dass sich die Menschen in nächster Nähe wieder in Gespräche vertieft hatten, bevor ich sprach:
»Ganz ruhig. Er ist wirklich harmlos und verdammt nett! Du musst ihn einfach mal kennenlernen.«
»Ihn kennenlernen?« Skeptisch hob Juli eine Augenbraue nicht sehr begeistert von der Idee.
Ich konnte ihre Abneigung gegen Mutanten ja verstehen. Wenn man es von Klein auf eingetrichtert bekommen hatte, Mutanten sein feindselig, war es schwer zu glauben wie "normal" sie eigentlich waren. Es tat nur weh, dass mein größter Wunsch - Mutanten ins menschliche Alltagsleben zu integrieren und Frieden zwischen beiden Parteien zu schaffen - meiner besten Freundin vermutlich überhaupt nicht passen würde. Ihre Meinung akzeptierte ich, würde meinen Wunsch trotzdem nicht übern Haufen schmeißen.
Vielleicht kannte ich sie doch nicht so gut, wie ich gedacht habe. Oder wir hatten uns einfach voneinander entfernt. Jedenfalls fühlte ich mich nie weiter weg von ihr, als in diesem Moment, wo ich körperlich doch direkt neben ihr saß.
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