Kapitel 13 || Alea

Vor uns lag ein langer Gang. Immer wieder zweigten auf der linken Seite Türen ab. Auf der rechten waren ein paar Fensterabschnitte, die nach drei Schritten schon wieder in einer Wand endeten. Vier Meter weiter wiederholte sich das.

Jacky hatte sich wieder an den Kopf unserer Gruppe gesetzt und führte uns zielstrebig durch den Gang, nachdem sie Aaron hinter sich her gezogen hatte, um hinter ihm die Tür wieder zu verriegeln. Er schien der Aktion hier noch nicht richtig zu trauen, verständlicherweise. Ich mochte mir kaum ausmalen, was für Gedanken er sich gerade machen musste.

Verständnisvoll langte ich nach seiner Hand. Heftiger Ort hin oder her, er war nicht alleine! Selbst Jacky hatte ihre feindlichen Kommentare abgestellt. Meine Haut berührte sein, umgriff vorsichtig seine Finger und drückte sie leicht. Unsere Blicke kreuzten sich und ich antwortete auf die Unsicherheit in seinen Augen mit einem mitfühlenden Lächeln.

»Am besten wartet ihr hier kurz. Für eine weitere Massenpanik hab ich echt keine Nerven mehr.«, eröffnete uns Jacky ihren Plan.

Neben mir sah ich, wie Aaron schuldbewusst den Kopf senkte. So, wie ich ihn kennengelernt hatte, brauchte man vor ihm - zumindest als Mensch - keine große Angst haben. Dass er nicht mein Blut vergiftete, als er die Chance dazu hatte, wussten alle Menschen hier drin nicht. Stattdessen hatte er mir durstige Mutanten - wortwörtlich - vom Hals gehalten, die nicht davor zurückgeschreckt hätten eine solche Chance zu ergreifen. Aber das würden die Wenigsten glauben, wenn wir diese Geschichte erzählen würden.

»Ich hole eine vertrauenswürdige Kollegin.«, informierte uns Jacky, mit einem leichten Grinsen bei der Erinnerung an diese Person.

Ihren Worten ließ sie Taten folgen: Wie angekündigt verschwand sie die Treppe hinauf. An dessen Ende wir übrigen zurück blieben und warteten.

»Meinst du sie ist hier?«, fragte mich Elli vorsichtig.

Sofort wusste ich von wem sie sprach: Juli! Verbissen hielt ich mich davon ab die Treppe hoch zu stürmen und die Menschenmassen zu suchen. Um mir selbst eine Antwort auf die Frage zu geben, welche seid Anfang des Plans in meinem Kopf herum schwirrte.

»Sie muss einfach hier sein!«, murmelte ich mit einer irrsinnigen Überzeugung.

»Und das ist sie bestimmt auch.«, schaltete sich Aaron ein und zog somit meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Wie ein Vorher-nachher-Bild projizierte mein Gehirn ein Bild von Aaron vor zwei Minuten auf mein inneres Auge. Darauf folgte ein Suchbildspiel, bei dem ich die Unterschiede zwischen den Bildern suchen musste. Zum Beispiel die Schweißtropfen, die fehlten vor zwei Minuten noch. Und die roten Ringe unter seinen Augen, waren auch noch nicht da gewesen. Nur war dies hier mit Sicherheit kein Spiel!

Er sah echt nicht gut aus. Jedenfalls was das Gesundheitliche an ging! Ich war mir ziemlich sicher, dass Mutanten normalerweise nicht so grün im Gesicht waren.

»Aaron, was ist los?«, entkam es mir entsetzt mit einem riesigen Schwall Besorgnis.

Bevor er antworten konnte, kam Jacky die Treppe wieder hinunter. Dicht dahinter folgte ihr eine etwas ältere Frau mittleren Alters, würde ich tippen. Während sie die letzten Stufen lief, wippten ihre dunklen Wellen auf und ab, wobei die Spitzen ihre Schultern umschmeichelten. Über der Alltagskleidung - einer Jeans und grünem Shirt - trug sie einen weißen Laborkittel.

»Leute, das ist Kira Kasselbourgh. Kira, das sind -«, mitten in ihrer Vorstellungsrunde brach sie ab, als Aaron sich endlich auch zu ihnen herum gedreht hatte.

»Ach du Scheiße!«, entfloh es Kira Kasselbourgh erschrocken.

»Was ist passiert?«, wollte Jacky irritiert wissen. Offenbar dachte sie, es sei erst jetzt eben etwas vorgefallen.

»Okay! Okay!«, beruhigte sich die Kollegin von Jacky und atmete einige Male tief durch.

»Okay. Ehm... wann hast du das letzte Mal sauberes Blut getrunken?«, fragte sie dann mit sachlichem Tonfall.

Verwirrt sah der Angesprochene zu mir. Ja, ich glaube das war ihr Ernst, hätte ich ihm auf die unausgesprochene Frage geantwortet.

»Keine Ahnung. Vor 24 Stunden vielleicht?«, überlegte er laut.

Kira stöhnte verzweifelt und verzog ihr Gesicht. Das war kein gutes Zeichen, oder? Was war denn los?

»Du hast Gift abbekommen, stimmt's?«, ging es mit der Fragestunde weiter, doch diesmal mehr wehleidig als sachlich.

»Das ist meine Schuld.«, meldete sich Jacky zu Wort und sah bedrückt zu Aaron.

»Nein, es ist niemands Schuld! Ich hab mich ganz alleine für diese Aktion entschieden. Aber was ist denn überhaupt los?«

Merkte er das denn nicht? Sein äußerliches ließ darauf schließen, dass es ihm richtig schlecht gehen musste. War ihm denn überhaupt nicht übel oder zu heiß?

»So wie es scheint hast du eine Überdosis des Giftstoffs in deinem Blut.«, seufzte die angeblich vertrauenswürdige Forscherin.

Überdosis?! Das klang gar nicht gut. Wenn ich mir Aaron so anguckte, wurde mir auch schon ganz schlecht. Allerdings vorrangig wegen der Ungerechtigkeit, die ihre eiserne Hand erbarmungslos um die Situation geschlossen hatte. Es wäre nicht fair, würde er jetzt sterben, weil er einen Biss eingesteckt hatte!

Doch meine Befürchtung linderte die Frau mit ihrer nächsten Information:

»Aber die gute Nachricht ist, du brauchst nur sauberes Blut. Damit der überschüssige Giftanteil sich wieder auflösen kann.«

»Und wie bekommen wir das problemlos?«, fragte ich entschlossen.

Nach allem was Aaron für uns getan hatte, würde ich ihn nicht aufgeben. Zur Not nähme ich auch das toxische Gift in Kauf, wenn es ihm dadurch wieder besser ging. Aber vielleicht hatten die hier sowas wie einen Blutspeicher.

»Habt ihr hier Blutspenden oder so?«, teilte ich meine Überlegungen mit.

Damit hatte ich Jacky offenbar auf eine Idee gebracht, denn sie schaute blitzartig auf und teilte uns ihren Vorschlag eifrig mit:

»Nein, aber Kira kann mir doch einfach Blut abnehmen.«

»Das wäre zumindest mal ein Anfang. Für eine endgültige Problemlösung jedoch zu wenig. Ich kann dich ja schlecht leer saugen.«, argumentierte Kira.

»Und wenn wir jeder ein paar Milliliter Blut abgeben?«

Zustimmende Blicke lagen auf mir, nachdem ich diesen Vorschlag machte.

»Dann sollten wir aufhören hier Wurzeln zu schlagen. Kommt mit!«

Durch eine einladende Handbewegung wiesen uns die beiden Forscherinnen den Weg, vorbei an der Treppe zu einem Aufzug.

»Glaubt ihr das ist eine gute Idee?«, scherzte Aaron mit einem Kopfnicken zum Aufzug.

Was war denn sein Problem? Hatte er Klaustrophobie?

»Das ist der einzige Weg zu den Räumen, zu denen wir hin müssen. Es gibt zwar noch eine Nottreppe, aber die ist nur von oben zugänglich und führt direkt nach draußen.«, erklärte Kira uns, wobei ich das Problem noch immer nicht verstand.

Fragend blickte ich Aaron an und erwartete, dass er mir seine Frage etwas genauer erklärte. Was er dann auch flüsternd tat:

»Ein Mutant mit vier Menschen in einem kleinen Raum für eine Zeit lang einsperren?«

Oh, jetzt verstand ich das Problem. Doch ändern konnte ich nichts mehr. Aaron hatte mich schon zu den anderen in den Aufzug geschoben und die Türen schlossen sich hinter ihm.

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