Kapitel 12 || Aaron

»Sag mal, wo hast du denn noch so viele gefunden? Ist hier irgendwo ein Nest?«

Alarmiert fuhren wir auseinander, um die Quelle der fremden Stimme ausfindig zu machen. Wie befürchtet war es ein Blasser. Daher reagierte ich sofort:

»Verschwinde!«

Zugegeben am Ton hätte ich noch was ändern können, aber am Ende hätte es wie ein gemütliches Zusammentreffen gewirkt. Und dann hätte ich doch teilen müssen. Womit ich generell kein Problem hatte, nur nicht wenn es um Futter ging. Schon gar nicht wenn es um mein Futter ging!

»Ach komm! Du kannst doch bestimmt ein bisschen abgeben. Man findet kaum mehr was lebendiges.«

Fast hätte ich schon Mitleid kriegen können, aber meine Menschen würde ich dadurch trotzdem nicht rausrücken.

»Ich sagte: Verschwinde! Also verzieh dich!«, beharrte ich energisch und dachte nicht mal dran, die Aggression in meiner Stimme zu drosseln.

Je aggressiver ich mich verkaufte, umso schneller wurde ich in Ruhe gelassen. Dachte ich jedenfalls, doch mein Gegenüber ließ sich davon wenig beeindrucken:

»Und wenn nicht?«

Herausfordernd reckte er sein Kinn. Das könnte zum Problem werden. Sollte es wirklich zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen, wäre ich vermutlich der Verlierer. Klar, hab ich schon viele Kämpfe durchgemacht und die wichtigsten auch meistens gewonnen - sonst wäre ich jetzt nicht mehr am Leben - aber ein großer Teil von mir sträubte sich zu sehr gegen Gewalt.

»Das willst du nicht wirklich herausfinden.«, versuchte ich vergeblich, den Hungrigen einzuschüchtern.

Es brauchte mehr als nette Worte und einen bittenden Blick, um einen Mutanten auf Distanz zu halten. Meine Variante verfehlte in diesem Fall allerdings auch ihre Wirkung. Denn der verbal Angegriffene, wirkte äußerlich entspannt. Als würde er nicht ernsthaft mit einem wahr werden meiner Drohung rechnen.

»Och. Für ein bisschen Blut, würde ich eine ganze Menge tun.«, reizte er mich auch noch.

Ich hatte wirklich nicht vorgehabt ihn anzugreifen, aber so, wie er auf meine Begleiterinnen Kurs nahm - völlig offensichtlich, ohne Zögern - kochte etwas in mir über. Ganz aggressiv wollte ich nicht reagieren, aber er hatte eine deutliche Grenze weit überschritten! Also schubste ich ihn wieder zurück - ganz klar.

Dem Fremden war das jedoch nicht so klar. Und passen tat ihm das auch nicht, was ich gleich zu spüren bekam. Ein heftiger Hieb in die Seite brachte mich gehörig ins Wanken. Es erforderte meine ganze Aufmerksamkeit nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Doch das mit der Aufmerksamkeit war ganz schnell vergessen, als jemand los schrie. Sofort überkam mich das Gefühl der Schuld. Ich hätte sie beschützen müssen! Ich hätte ihnen helfen müssen! Ich hätte sie retten können!

Obwohl ich meine Augen am liebsten vor der Realität verschlossen hätte, zwang ich mich zum Anblick der Situation. Als erstes schossen meine Augen zu Alea, die wie versteinert da stand und Jacky anstarrte. Auf meinen Liebling hatte es der Mutant zum Glück nicht abgesehen, stellte ich erleichtert fest. Dafür war Jacky kurz davor ein paar Liter ihres Blutes unfreiwillig abzugeben und obendrauf einen hohen Preis zu zahlen.

Egal ob Alea, Elli oder Jacky - sie hatten alle drei mit Sicherheit nicht so ein Leben verdient. Achtlos hechtete ich los, schirmte Jacky vor dem Fremden ab und deckte ihren Hals durch meinem Arm.

Keine Sekunde zu früh, denn es zuckte ein brennender Schmerz durch meinen Arm. Von der pochenden Wunde, welche die Zähne in meinem Arm verursachten, zog sich das Brennen ganz schnell bis in meinen Hals. Doch das war es nicht, was mir kurz den Atem raubte.

Jacky sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, realisierte was gerade passiert war. Paralysiert formten ihre Lippen ein o. Neben dem Schock erkannte ich aber auch noch ein anderes Gefühl in ihrem Blick. Dankbarkeit. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte ich, auch so etwas wie Zuneigung in ihren Augen zu erkennen. Doch da war der Augenblick schon wieder vorbei.

Unser Augenkontakt wurde unterbrochen, als Alea plötzlich auf die lebensmüde - Wie sollte es auch anders bei ihr sein? - Idee kam, dem Fremden Mutanten eine überzuziehen. Woher sie den Eimer auf einmal hatte, wusste ich nicht, aber ich hoffte sie hatte feste genug zu geschlagen. Ansonsten würde ich dem Idiot die Rolle abnehmen und Alea eigenhändig umbringen. (Nein, würde ich vermutlich nicht, weil ich es nichts übers Herz bringen könnte.) Aber ich könnte sie allein für die Idee erwürgen - mir zum zweiten Mal in einer Stunde solche Angst einzujagen!

Eine atemlose Sekunde lang bewegte sich keiner. Ich stand immer noch dicht bei Jacky, die, im Gegensatz zu mir, ihren Blick noch immer nicht abgewendet hatte. Alea starrte den anderen Mutanten entgegen. Und Elli einige Schritte hinter Alea. Dann löste sich die Anspannung. Der Mutant ging bewusstlos zu Boden.

Alea war die Erste, die laut ausatmete. Offenbar hing sie doch an ihrem Leben. Nur sollte sie langsam mal diese lebensmüden Aktionen sein lassen!

Nachdem auch mein Schreck verflogen war, brachte ich etwas Abstand zwischen Jacky und mich. Auch wenn sie nicht mehr danach aussah, als würde sie mir den Sensenmann auf den Hals hetzen, wollte ich lieber einen Sicherheitsabstand wahren.

»Danke.«, flüsterte sie mir ganz leise zu.

Die Stimmlage war nur eine weitere Bestätigung für den Waffenstillstand zwischen uns. Angriff war zu Reue geworden. War es wirklich so abwegig gewesen, dass ich sie beschützen würde?

»Die Wunde sollte versorgt werden! Na kommt, die Einrichtung ist gleich da vorne.«

Sie zeigte uns mit dem Finger die Richtung, bevor sie sich wieder in Bewegung setzte und die Gruppe anführte. Keine fünf Minuten später erreichten wir ein hohes Gebäude, wie jene, die neben der Hauptstraße standen.  Zielstrebig lief Jacky darauf zu. Neben der Eingangstür war ein kleiner Kasten mit einem Zahlenfeld angebracht, auf welchem Jacky eine lange Kombination eintippte. Surrend öffnete sich schließlich die Tür und gewährte uns Einlass.

»Ich hoffe der Zahlencode, um die Tür wieder zu schließen, ist kürzer. Denn die sehen so aus, als wollen sie auch hier rein.«, quietschte Elli mit panischer Stimme.

Ihr Blick wies in die Richtung, aus der wir kamen, wo nun ein Dutzend Mutanten rennend auf uns zu kam. Wo kommen die denn auf einmal alle her?

»Fuck! Ich dachte, die seien alle beim Haupteingang.«, fluchte Jacky.

Bevor jemand die Frage stellen konnte, warum Jacky nichts tat um die Tür zu schließen, setzte sie sich quälend langsam wieder in Bewegung. Automatischer Schließmechanismus - sehr cool, wenn nicht gerade eine Horde Blasser auf uns zu rannte und das Ding so langsam agierte.

»Komm schon!«, murmelte Jacky, die sich inzwischen einer anderen Tür gewidmet hatte.

»Was machst du da?«, fragte ich in der Hoffnung irgendwie helfen zu können.

»Mein Leben nicht dem Glück überlassen!«, erklärte sie unter Druck und rüttelte weiter an der Tür, welche tatsächlich aufsprang.

»Na also!«, triumphierte sie. »Rein da!«

Alea lief mal wieder blindlings durch die Tür. Woher nahm sie nur immer dieses Vertrauen? Hinter der Tür könnte sonst was sein! Und sie rennt einfach drauf los?! Gut, in dem Fall wäre die andere Option auch nicht rosig. Aber dieses blinde Vertrauen brachte mich immer wieder um den Verstand!

Die Tür hatte sich fast geschlossen. Dafür standen die Mutanten auch so gut wie vor uns. Elli hatte sich Alea bereits angeschlossen und auch Jacky machte Anstalten den beiden zu folgen.

Aber was war mit mir? Hinter dieser Tür war mir Sicherheit die Hölle für meinesgleichen. Doch ich konnte Alea hier schlecht alleine lassen. Wer sollte sie dann noch beschützen? Gleichzeitig stand ich hier aber ganz offensichtlich auf der falschen Seite. Die Mutanten liefen gerade auf uns zu. Ich sollte einfach stehen bleiben und mich ihnen anschließen, oder nicht?

Meine Gedanken waren zu wirr, um eine klare Entscheidung treffen zu können. Diese Entscheidung wurde mir sowieso abgenommen, indem eine Hand sich um meinen Arm schloss und mich durch den Eingang zur Hölle beförderte.

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