Kapitel 4

Auch dieser Tag neigte sich langsam dem Ende zu. Lange schon war die Sonne hinter den Hügeln verschwunden, ihre letzten schwachen Stahlen hüllten den Abendhimmel in ein blutrotes Meer. Eine gefühlte Ewigkeit war Malin vor ihrem Computer gesessen und nun war es soweit. Ihre Finger tippten langsam aber zielstrebig die letzten Wörter ein. Eine weitere Geschichte fand an diesem massiven, dunklen Schreibtisch aus Kirchholz, in diesem kleinen Zimmer, in ihrem Haus ein Ende. Zumindest fast.

Denn als der erste Buchstabe des letzten Wortes auf dem Bildschirm ihres Computers erschien hallte ein unglaublich lautes, markerschütternd schrilles Geräusch durch die Stille des Abends.
Die Autorin zuckte zusammen und sprang von ihrem Stuhl auf. Malin war sich sicher, dass dieses Geräusch selbst in der Stadt nicht zu überhören war, allerdings konnte sie die Richtung aus der es kam nicht zuordnen.
Es schien von überall gleichzeitig zu kommen. Sie hatte das erste mal seit langem wieder richtig Angst. Angst um ihr Leben, Angst, hier und jetzt tot umzufallen. Es hörte sich verrückt an, doch dieses Geräusch brachte ihr nicht nur eine Gänsehaut sondern ebenfalls das Gefühl von Wehrlosigkeit. Noch verrückter jedoch war die Tatsache, dass sie ohne wirklich etwas davon zu merken nun vor der Verfallenen Villa ihres neuen Nachbarn stand und kurz davor war an die alte, leicht modeige Türe zu klopfen.
Es stimmte, Adam machte ihr ein wenig Angst. Unbehagen war wahrscheinlich die bessere Beschreibung, dennoch fühlte sie sich gleichzeitig sicher bei ihm. Er war immerhin ein Mann, richtig? Es ergab nur evolutionären Sinn!
Sie mochte ihn nicht, gleichzeitig jedoch glaubte sie sich ausgerichtet an ihm festhalten zu können, wenn sie Angst hatte, hilflos war oder einfach, wie in diesem Moment, hoffte Schutz suchen zu können. Nun. Vielleicht mochte sie ihn tief in ihrem Inneren doch...
Sie verglich ihn, auch wenn sie selber wusste, dass es Unsinn war, mit Adam aus ihrem Roman.
Und der war stark und sicher, bei allem was er tat. Vielleicht wollte sie sich einfach in Sicherheit wiegen, redete sich deshalb ein, dass er sie beschützen könnte. Vielleicht, so gestand sie, war es ganz gut, dass er sie so sehr an 'ihren' Adam erinnerte. Auf jeden Fall fühlte sie sich vor seinem Haus sicherer als in ihrem eigenen.

Ihre Faust schlug gegen das Holz. Einmal, zweimal, dreimal. In kürzester Zeit hämmerte sie fast schon panisch an die Türe ihres Nachbarn. Als dieser die alte Holztür öffnete hätte sie ihm um ein Haar noch einen rechten Haken gegeben, doch der Mann wich ihrer Faust überrascht aus. Als er die Tränen in ihren Augenwinkeln sah trat er jedoch sofort auf Seite.
Er musste es gehört haben, oder? Wie auch nicht? Als sie an ihm vorbei in die Wohnung ging schloss Adam die Tür hinter ihr und lehnte sich locker an diese, er wusste, dass sie Fragen stellen würde. Die Antworten hatte er jedoch noch nicht parat.

Malin drehte sich zu Adam um, er sah müde aus, allerdings schien es ihm nicht viel auszumachen. Er lehnte gegen das Holz der Tür schien auf etwas zu warten. Eine Erklärung warum sie unangekündigt bei ihm einschneite vermutlich. Er wirkte komplett gelassen, wie die Ruhe selbst. Hatte er dieses Geräusch denn doch nicht gehört oder war es ihm schlichtweg egal? Sie war sich sicher, dass ihr Adam genau so gelassen reagiert hätte. Um die vielen Gedanken loszuwerden schüttelte sie ihren Kopf

»Du hast das vorhin gehört, oder? Dieses Geräusch, meine ich? Dieser... Ich weiß auch nicht«
Ihre Stimme klang viel zittriger, viel verunsicherter als es ihr lieb war, aber kontrollieren konnte sie es sowieso nicht.
Ohne es wirklich zu merken wippte sie von einem Bein aufs andere. Wie sie es immer tat, wenn sie aufgeregt war. Auch ihre Finger spielten während sie versuchte sich die richtigen Worte zurecht zu legen nervös an der Haut ihrer Fingernägel herum.
Adam nickte leicht. Seine Arme hatte er locker vor der Brust verschränkt, den Kopf leicht gesenkt. Doch hielt er festen Blickkontakt und hörte offen zu bis die Autorin ihren Monolog fortführte. Malin hatte erneut das drohende Gefühl von dem intensiven, ungewöhnlich hellem Blau seiner schmalen Augen verschlungen zu werden.
»Was auch immer. Ich hatte einfach Angst, sowas hab ich noch nie gehört. Weist du was das war? Wahrscheinlich kam aus dem Wald, oder? Meinst du...«
Sie brach erneut ab. Viele Sorgen und Ängste im Hinterkopf wollten sie gewaltsam am Sprechen hindern. Sollte es etwas gefährliches gewesen sein? Ein Raubtier? Sie sah wieder zu ihrem Nachbarn, in stiller Hoffnung, dass er sie beruhigen würde. Was letztendlich auch der Fall war. Er ließ seine Arme von einem tiefen Atemzug begleitet von der Brust fallen und stieß sich von der Türe ab. Langsam, mit genügend Abstand ging an ihr vorbei in die dunkle Küche. Seine Hand schob die Gardinen aus dem Weg, als er aus dem staubbedeckten Fenster spähte. Bevor er sprach hob er er sich auf die Zehenspitzen um sich über die Küchenzeile die ihn von einem besseren Ausblick trennte zu lehnen. Der Wald lag dunkel und bedrohlich hinter den beiden einsamen Häusern. Lediglich das fahle Mondlicht trennte die Kronen der Bäume vom Tiefschwarzen Horizont.
 »Wahrscheinlich nur ein Hase. Im schlimmsten Fall eine Ratte. Keine Ahnung«.
Seine Stimme war nicht viel mehr als ein desinteressiertes Raunen. Für ihn schien es nicht sonderlich befremdlich zu sein ein Tier zu hören, wenn man am Waldrand lebte.
Nun fühlte sich die Autorin wie ein verlorenes Kind. Vermutlich hatte er recht. Es war nur ein Tier und sie spielte sich auf als wäre sie einem Dämonen begegnet. Sie hatte auch schon gehört, dass diese Tiere beim Kämpfen ähnliche Geräusche machten. Öfters sogar. Jedoch nie so unfassbar laut.
Nie so bedrohlich.

Allein der Gedanke jagte der jungen Autorin einen Schauer über den Rücken. Würde sie nun aus dem Küchenfenster sehen, so würde sie ihr Häuschen sehen. Nur als Schatten vor den entfernten Lichtern der Stadt, schwach vom Halbmond beleuchtet und im Hintergrund der Wald. Sie sah wieder zu ihrem Nachbarn welcher vom Fenster abgelassen hatte und nun mit den Ellbogen auf der Arbeitsplatte vor ihm, den Unterkiefer auf die breite Handfläche gestützt wieder zu ihr sah. Auch wenn es nur ein Tier aus dem nahe gelegenen Wald war, nichts auf dieser würde sie jetzt dazu bringen dieses Haus, den sicheren Hafen zu verlassen. Sie war verunsichert, ängstlich.

Der Mann den sie so anders kennen gelernt hatte schien an diesem Abend wie ausgewechselt.
Er redete kaum, schien müde und irgendwie abwesend.
Als er merkte, dass sie nicht weiter sprechen würde erhob er sich, nur um direkt wieder auf einem der Stühle am Esstisch Platz zu nehmen.

Plötzlich, aus dem Nichts ertönte es erneut. Ein heller Schrei. Schrill und klagend. Absolut fürchterlich, als wäre er Teil der Geräuschkulisse eines schrecklichen Horrorfilms. Diesmal noch Lauter als zuvor. Langgezogen und so voller Verzweiflung und Leid, dass es sich tief in ihrem Gehirn verankerte und ihren Magen umzudrehen schien.
Wie auch zuvor breitete sich das Echo aus. Man konnte nicht zuordnen woher es kam oder was es war.
Adam erhob sich. So schnell und kraftvoll, dass der hölzerne Stuhl umkippte und ein weiteres Echo durch das alte Haus schickte.
Genauso reflexartig war Malin zu ihm gehechtet und grub ihre Finger in seine Oberarm. Er war zwar nicht sonderlich viel größer als sie, wirkte jedoch mindestens um das doppelte breiter.
Der Mann schob sie leicht beiseite, erneut schön er den Vorhang beiseite und riskierte einen Blick hinaus.
Wieder hallte ein schrilles Brüllen durch die Nacht. Vögel stiegen erschrocken vom Wald auf, flohen in die schwärze der Nacht. Der Doktor drehte sich zu Malin um.
Die Iriden wanderten von einer Ecke des Raumes zu der Autorin und dann weiter in eine andere Ecke bis sie schließlich an der Haustüre stehen blieben.
»Bleib genau hier stehen.«
Forderte er langsam auf, seine Hand hob sich an seine Lippen um ihr zu zeigen ruhig zu bleiben. Dann wandte er ihr den Rücken zu und lief mit weiten Schritten zur Türe.
Die Autorin streckte ihre Hand nach ihm, wagte sich allerdings nicht zu widersprechen als er die Tür öffnete.
Die Kälte einer wolkenlosen Spätsommernacht schlug ihm ins Gesicht, bließ ein leises pfeifen durch die Alte Villa und sammelte sich am Boden des Raumes als die Tür wieder ins Schloss fiel.

Da stand sie nun. Allein in Unbehaglicher Stille des alten Anwesens. Nur das gelegentliche Krachen und knacken des Holzes war an und an zu hören.
Vorsichtig ging sie in die Küche und spähte, genau wie Adam es vor ih getan hatte, aus dem Fenster.
Es war Ruhig draußen, nur die Bäume wiegten sich gemächlich im sanften Wind. Dann erkannte sie auch den Strahl einer Taschenlampe nahe ihres Hauses bevor sie Adam erkannte welcher zügig zurück zu seinem eigenen lief.
Er hatte ein Smartphone am Ohr und schien sich auch relativ angeregt zu unterhalten.
Zumindest zeigte das die Gestik seiner freien Hand.
Wenige Minuten später klopfte es hart an der Haustüre.
Malin öffnete diese zügig und Adam schloss sie mindestens genau so schnell hinter sich.

»Und?«
Wollte die jüngere wissen.
  »Jemand war an deinem Haus, die Polizei ist auf dem Weg«
Erklärte Adam sachlich, während er an Malin vorbei in die Küche ging.
»Warte, was?! Wer?! Geht's Dir gut?«
Sie trat besorgt näher an ihn ran, er schien in Ordnung. Lediglich seine Haare waren noch wilder als sonst.
»Ich muss nach sehen! Mein Buch!«, fiel der Autorin plötzlich auf.  »Es ist noch nicht fertig und das verdammte Manuskript liegt offen rum! Niemand hat es bisher gesehen. Ich muss-«
»Malin, Stopp«, unterbrach Adam.  »Ich sagte doch gerade, dass sie Polizei auf dem Weg ist. Du bleibst hier.«
»Bis die Polizei hier ist könnte das Manuskript zehn Mal gedruckt werden!«, protestierte sie.
Adam sah sie an, er schien sich offensichtlich ganz andere Sorgen zu machen.
»Setz dich«, seufzte er.

Malin nickte zögerlich und wollte sich auf einen der unbequemen küchenstühle setzen doch Adam zeigte in das Wohnzimmer welches gegenüber der Küche Lag.
»Okay«, gab sie langsam nach. Gafallen tat es ihr jedoch nicht.
Die Hölzer welche im Kamin lagen glühten noch, insgesamt war das Wohnzimmer angenehm warm und auf jeden Fall gemütlich. Er schien ein Auge für Innenausstattung zu haben. Zugegeben war nicht sehr viel in dem Raum. Ein weinroter Teppich lag auf den alten, dunklen Dielen, darauf stand ein großes Schwarzes Sofa und vor dem Sofa ein Tisch aus dunklem Holz, etwa in der gleiche Farbe wie der Boden auch.
Über dem Kamin hing in einen Glasrahmen verschlossenes Blatt Papier. Eine Auszeichnung. Sie konnte nicht lesen was für eine, doch Adam schien stolz darauf zu sein. Einzig der große Flachbildfernseher schien so gar nicht ins Bild passen zu wollen. Als sie auf der gemütlichen Couch Platz nahm sah sie sich natürlich weiter um. Ihre Neugier konnte sie selten besiegen.
Sie grinste als sie ein Playboy Heft am auf dem Tisch bemerkte, vergraben unter Briefen und der Fachzeitschriften, jedoch noch gut erkennbar. Als sie das knarren des Bodens neben sich hörte schreckte sie auf, schon immer war sie sehr leicht zu erschrecken vorallem dann, wenn sie in ihren Gedanken versunken war. Was nicht selten geschah.
Adam stellte eine Tasse gefüllt mit Kaffee auf den Tisch und sie spürte wie der Stoff des Sofas nach gab als er sich neben sie setzte.
»Danke dir«, ihre Stimme klang viel sicherer als zuvor. Dass ihr die Situation gar nicht gefiel, war trotzdem definitiv hörbar.

Sie sah zu ihm, sein Blick lag auf dem Kamin weshalb sie eigentlich nur seinen Hinterkopf sah. Jedoch achtete sie ohnehin mehr auf den Rest seines Körpers. Er atmete regelmäßig und ruhig, komplett entspannt
Wie immer. Dieser verdammte Bastard war natürlich wieder die Ruhe selbst.
Als sich ihr Kopf wieder hob, sah sie überraschend genau in ein Paar Augen, blauer und lebendiger als jeder Ozean dieser Welt es jemals sein könnte. Sie zuckte zurück und widmete sich ihrem Kaffee, im Augenwinkel konnte sie ihn allerdings grinsen sehen.
»Die Polizei wird gleich kommen. Mach dir keine Sorgen«, begann er ein neues Gespräch.
»Mach ich aber. Es gäbe genug Leute die eines meiner Bücher stehlen würden.«
»Und wer sollte wissen wo du wohnst, ans Ende der Welt reisen und dann in ein Haus einbrechen, nur um ein halbfertiges Manuskript von dem keiner weiß zu stehlen?«, hakte Adam nach. Er lehnte sich leicht zu ihr, fuhr sich mir einer seiner großen Hände über die Lippen und beobachtete sie dabei genau. Der Einwand war natürlich sinnvoll. Niemand wusste, dass sie momentan schrieb. Wer sollte das alles auf sich nehmen um vielleicht etwas zu stehlen?
»Guter Punkt«, gab sie kleinlaut zu.

Zu selben Zeit, ein Stockwerk höher, war in einem finsteren Raum nur ungleichmäßiges, röchelndes Atmen zu vernehmen. Ab und an, kaum hörbar, ein rasselnder, fast schnurrender Laut.
Jede noch so kleine Bewegung zog das Klirren schwerer Eisenketten mit sich.
Geräusche die auf gar keinen Fall von einem Menschlichen Wesen stammen konnten.

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