Kapitel 9
May's P.o.V.
,,Hey, kannst du nicht aufpassen?!", meckerte mich jemand vor mir an und holte mich so aus meinen Gedanken, welche sich immer noch um eine vorübergehende Bleibe drehten, zurück in die Realität. Schnell hob ich den Kopf und erblickte direkt das mit Kaffee durchtränkte Shirt eines schwarzhaarigen Jungens, welcher mich böse von oben bis unten musterte. ,,Sorry.", erwiderte ich bloß, als ich bemerkte, dass ich ihm sein heißes Getränk übergekippt hatte, da ich nicht aufgepasst hatte. Das kam davon, wenn man nicht darauf achtete wo man hin lief... ,,Das hilft mir jetzt auch nicht weiter! Du bezahlst mir die Reinigung!", kommandierte er etwas verzweifelt und starrte mich durch seine braunen Augen abschätzend an. Seufzend kramte ich in meiner Hosentasche und zog einen zerknüllten Geldschein heraus, welchen ich ihm genervt gegen die Brust drückte und dann einfach weiter lief.
Die Tatsache, dass ich ihn mit einem zwanzig Euro Schein stehen gelassen hatte und er diesen erst umtauschen musste, um in England damit was anfangen zu können, ignorierte ich, da ich bis jetzt noch nicht dazu gekommen war irgendwo mein Geld in eine andere Währung umzutauschen.
Bis jetzt war es für mich nicht sonderlich gut in der neuen Stadt gelaufen und ich war schon des Öfteren nah daran gewesen mir einfach einen Flug zurück nach Deutschland zu buchen, doch der Gedanke daran, was mich dort erwartete, ließ mich hier bleiben. Außerdem hatte niemand behauptet, dass ein Neustart einfach werden würde. Ganz im Gegenteil, ich war mehr oder weniger darauf vorbereitet gewesen und wusste zwar auch welches Risiko ich eingehe, doch jetzt plötzlich so ganze alleine damit konfrontiert zu werden, war nochmal eine ganz andere Sache für sich.
Die letzten Stunden in denen ich durch London geirrt war, hatte ich kaum an Jason gedacht, was mich, obwohl es ja eigentlich mein Ziel war, irgendwie traurig machte. Nichts besseres gäbe es jetzt, als in seinen starken Armen zu liegen. In den Armen meines letzten richtigen Angehörigen. Mich einfach sicher zu fühlen. Geliebt zu werden.
Plötzlich spürte ich etwas nasses auf meiner Nasenspitze und hob, wie automatisch meinen Kopf nach oben. Natürlich hatte ich das Glück und es fing an zu regnen. Schnell schlenderte ich weiter und stellte mich bei einer der Bushaltestellen unter, um nicht noch komplett durchgeweicht zu werden, da der Regen immer stärker wurde. Erschöpft ließ ich mich auf den Sitzen nieder und fuhr mir durch die relativ nassen Haare. Langsam fing es schon an zu dämmern und ich hatte trotz meiner Hoffnung kein Hotel oder ähnliches gefunden. Es war wie verflucht.
Meine Gedanken schossen erneut zu Ashton's Worten zurück. Ich hatte eine Möglichkeit. Eine Bleibe, aber nutzen wollte ich sie lieber nicht. Ich brauchte keine Hilfe und konnte das auch alleine! Außerdem kannte ich die beiden gerade Mal einen Tag lang. Zu wenig, um mich direkt bei Ihnen einzuquartieren, oder?
,,Na, was macht so ein hübsches Mädchen so ganz alleine in diesem Teil der Stadt?", nahm ich plötzlich eine mir unbekannte Stimme war und kurz darauf setzte sich auch schon ein schwarz gekleideter junger Mann in meinem Alter neben mich. Ohne zu Antworten, erhob ich mich und wollte gerade mit meinen Koffern weiter spazieren, wenn auch im Regen, als er mich mit einem Ruck zurück zog. ,,Was wird das?!", hakte ich etwas panisch nach und zitterte dabei, was nicht nur an der Kälte lag, sondern an der ganzen Situation. ,,Lust auf ein bisschen Spaß?", fuhr der Braunhaarige unbeirrt fort, grinste mich dreckig an und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Sofort schüttelte ich angeekelt den Kopf und wollte weiter, doch er packte mich unsanft am Handgelenk und zog mich in schnellen Schritten mit sich. ,,Lass mich los, du Arschloch!", kreischte ich und trat um mich, was ihn jedoch nur wenig beeindruckte, denn schon im nächsten Moment hatte ich seine Lippen auf meinen und wurde an die eiskalte Wand neben mir gedrückt. Erneut versuchte ich mich zu wehren, versagte jedoch kläglich, da das Muskelpaket einfach viel zu stark für mich alleine war.
,,Und jetzt halt deine vorlaute Klappe, sonst überlege ich mir noch, ob ich dich nicht doch umbringe!", flüsterte mir der Mann bedrohlich ins Ohr und küsste danach kurz meinen Haaransatz, bevor er mich grob am Nacken packte, um mich vor sich herzuschieben. Immer mehr Tränen rollten meine Wangen hinunter und tropften auf den Boden. Alles würde ich dafür geben jetzt Jason bei mir zu haben und das alles ungeschehen zu machen, doch nichts von alle dem passierte. ,,Bi-bitte, lass mich gehen.", stotterte ich leise und versuchte mich erneut zu wehren, was jedoch nicht viel brachte.
,,Lass sie sofort los!", rief plötzlich eine männliche Stimme, wobei ihr Besitzer direkt hinter uns stehen musste, sodass ich ihn nicht sehen konnte. Der Mann lachte nur abschätzend, bevor er mich unsanft zu Boden stieß und dann mehrmals auf mich eintrat. Irgendwie schaltete ich ab diesem Moment komplett ab und bekam alles nur noch verschwommen und in Zeitlupe mit. Vielleicht schaffte der Mann es mich gerade mal fünf oder sechs mal zu treten, da er direkt von mir weggezerrt wurde, jedoch fühlte es sich so an wie tausende Male, wobei ich jedes Mal laut auf schrie. Unglaubliche Schmerzen machten sich in meiner Magengrube bemerkbar und auch meine Rippen blieben nicht unversehrt. Schützend schlang ich meine Arme um meinen Körper und versuchte den Schmerzen stand zu halten. Wimmernd versuchte ich mich aufzusetzen und schaffte es mit viel Mühe sogar. Mit meinen Augen suchte ich die Gegend ab und konnte nur noch sehen, wie der Mann in die entgegensetzte Richtung verschwand. Mein Retter hingegen stand kurz vor mir und half mir aufzustehen. Zwar konnte ich mit Schmerzen alleine stehen, doch Stützen musste er mich trotzdem.
,,Danke.", flüsterte ich, bevor ich die Person vor mir genauer unter die Lupe nahm. Kaum hatte er die schwarze Kapuze seines Hoodies beseitigt, stachen mir die blauen Augen des Blondschopfs entgegen, welche mich mitfühlend musterten.
,,Luke.", murmelte ich wie in Trance und fiel ihm einfach in die Arme. Ich weiß, eigentlich kannten wir uns nicht weiter, doch er gab mir in diesem Moment einfach Halt und außerdem hatte er mich gerettet. Es fühlte sich so unglaublich gut an, endlich in Sicherheit zu sein und von Luke's starken Armen gehalten zu werden. Natürlich hätte ich in so einer Situation lieber meinen Bruder oder meine beste Freundin bei mir gehabt, aber trotzdem beruhigte mich der Blondschopf auf eine ganz andere Weise. Langsam lösten wir uns wieder voneinander und er strich mir vorsichtig die sich angesammelten Tränen von den Wangen, was total überflüssig war, da es sowieso wie aus Kübeln schüttete. Sein Blick glitt meinen Körper entlang, wobei bemerkte, wie sehr ich zitterte.
,,Ist dir kalt?", nahm ich Luke neben mir war, welcher ohne auf eine Antwort von mir abzuwarten, seinen Pullover auszog und mir überstülpte. Sofort empfing mich angenehme Wärme, sodass ich mich direkt wohl fühlte. Dazu muss ich hinzufügen, dass er auch noch atemberaubend roch. Der blonde Junge vor mir stand jedoch nun oberkörperfrei und leicht zitternd vor mir. ,,Nein Luke, sonst ist dir kalt.", konterte ich und wollte ihm den schon Pulli wieder geben, doch das ließ er natürlich nicht zu. ,,Kannst du gehen?", fragte er mich und versuchte zu überspielen, wie sehr er fror, doch scheiterte dabei kläglich. Vorsichtig versuchte ich zu laufen, drohte jedoch bei weiteren Schritten wieder zusammenzubrechen. Luke bemerkte das und hob mich kurzerhand im Brautstyle hoch. ,,Wo willst du jetzt hin?", fragte ich und kuschelte mich an ihn, um ihm wenigstens ein bisschen Körperwärme zu spenden. ,,Natürlich nach Hause.", erwiderte er zähneklappernd. ,,Ich hab kein zu Hause.", erwiderte ich, während wir langsam zu der Bushaltestelle zurück gingen, wo ich meine Koffer stehen gelassen hatte und sie zum Glück auch noch standen. ,,May, du kommst mit zu uns!", sagte er leicht lächelnd und ließ mich langsam auf der Bank bei der kleinen Bushaltestelle nieder. ,,Okay.", willigte ich ein, nachdem ich noch protestieren wollte, doch Luke mich mit einem einfachen Blick zu Schweigen gebracht hatte.
,,Ich rufe uns ein Taxi. Es ist viel zu weit, um alles zu laufen und außerdem müssen wir dich schnellstens verarzten.", erklärte mir der Blonde fürsorglich, bevor er auch schon nach seinem Handy griff, um ein Taxi zu rufen. Tatsächlich dauerte es gar nicht lange, bis das ältere Auto vor uns hielt und wir endlich zu Luke nach Hause fahren konnten.
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