Kapitel 5
May's P.o.V.
,,Miss? Wir setzten jetzt zum Landeanflug an, könnten Sie bitte so nett sein, ihren Tisch hochklappen und sich anschnallen.", nahm ich die zuckersüße Stimme einer blonden Stewardess neben mir im Gang war, welche mich dabei übertrieben freundlich anlächelte und erst nachdem ich getan hatte, was von mir verlangt wurde, mit dem Hintern wackelnd verschwand. Mein Blick glitt zu meinem älteren Sitznachbarn, welcher durch seine Hornbrille, dreckig grinsend der jungen Frau hinterher blickte. Augenverdrehend zog ich wieder meine Kopfhörer an und lauschte weiterhin der leisen Musik, welche mich eben eigentlich zum Schlafen bringen sollte, aber leider hatte das nicht so ganz geklappt. Mein Kopf war voller Gedanken fast explodiert. Jason, sein Tod und London waren die Hauptthemen und bei den ersten zwei musste ich mich echt zusammen reißen hier nicht vor allen Leuten anzufangen zu flennen. So viel schwirrte in mir herum und auf so weniges hatte ich eine gute Antwort oder gar Lösung.
Wie die Stewardess mir eben prophezeit hatte, spürte ich tatsächlich, wie wir immer mehr an Höhe verloren und nach einigen Minuten gesund und munter auf dem englischen Boden landeten. Die meisten Leute, darunter auch der ältere Mann neben mir, sprangen sofort auf und warteten ungeduldig, dass die Türen geöffnet wurden, um dann schnellen Schrittes aus der fliegenden Blechbüchse in das Flughafengebäude zu stürmen und dort ihr Gepäck zu holen.
Anscheinend zu viel zu tun, um sich mal Zeit zu lassen und das Leben zu genießen. Schließlich konnte alles so schnell vorbei sein. Nach Jason's Tod war mir das endlich klar geworden. Lebe den Moment, denn der Moment ist dein Leben.
Auch ich bewegte mich langsam aus meinem mehr oder weniger gemütlichen Sitz und folgte der wild gewordenen Masse in Richtung Gepäckausgabe. Tatsächlich konnte man sich auf die Leute verlassen, wenn man sich irgendwo nicht auskannte. Sie führten einen eigentlich immer zu seinem Ziel, was durchaus praktisch war, da man so nicht auf die Schilder achten musste, wenn man überhaupt welche vorfinden konnte.
Seufzend stellte ich mich etwas ungeduldig, wie die meisten anderen, weiter hinten an und wartete auf meinen knallpinken Koffer, welchen mir Jason, mit einer kleinen Reise, vor gut zwei Jahren zu meinem 16. Geburtstag geschenkt hatte. Jason. Ich durfte nicht an ihn und die Geschehnisse denken, sonst bräuchte ich tausende Packungen Taschentücher und die hatte ich nicht. Hoffentlich würde London mich davon abhalten die ganze Zeit zu weinen, aber meiner Meinung nach, gab es hier wahrscheinlich genug Drama, was mich vom wesentlichen Grund meiner Reise ablenken würde.
Auf einmal sah ich zwischen den ganzen Menschen meinen Koffer aufblitzen, welcher wirklich unverwechselbar war, da ich bis jetzt die einzige mit so einer kräftigen Farbe war. Die meisten hatten sich eher für dezente oder einfache dunkle Farben entschieden. Normalerweise auch eher mein Geschmack, doch mein Bruder hatte das immer anders gesehen.
Sofort versuchte ich mich weiter nach vorne zu schlängeln, doch so schusselig, wie ich bin, blickte ich für einen kurzen Moment nach hinten, da ich der Meinung war meinen Namen gehört zu haben, wobei ich mich logischerweise getäuscht hatte. Immerhin kannte mich hier ja niemand. Natürlich übersah ich einen jungen Mann vor mir, knallte volle Kanne gegen ihn und kippte der Länge nach um.
,,Oh man, dass fängt ja gut an.", flüsterte ich zu mir selbst und setzte mich vorsichtig auf, da mir immer noch etwas schwindelig war. Ich hob meinen Blick und erkannte eine Hand, welche mir geradeaus entgegen gestreckt war. Zögernd ergriff ich sie und befand mich ein paar Sekunden später auch schon wieder auf meiner normalen Höhe. Ohne zu Überlegen kniff ich meine Augen zusammen und stützte mich einfach an dem nächst möglichen Gegenstand ab. In diesem Fall war das der Junge gegen den ich eben gerannt war. Auch wenn er wohl mehr ein Mensch als ein Gegenstand war.
,,Danke.", sagte ich, öffnete langsam wieder meine Augen und starrte direkt in die eisblauen meines Gegenübers, welcher eindeutig größer war als ich. Dieser unbedeutende kleine und meinem Geschmack nach viel zu kurze Moment ließ die Welt um mich herum erneut verschwimmen und ich blendete alles um mich herum aus. Es schien so, als wäre alles um uns herum stehen geblieben und es gäbe nur uns. Ich blickte einzig und allein in die wunderschönen blauen Augen des Blondschopfs vor mir und war nicht in der Lage auch nur irgendwas zu sagen oder mich zu bewegen. Auch ihm schien es so zu gehen, denn erst nach ein paar Sekunden, regte er sich wieder, sodass ich meine Gedanken, dass er tot war, glücklicherweise bei Seite schieben konnte.
Ich hatte die Schlagzeile schon wortwörtlich in mehreren Varianten vor mir gesehen. "Junger Mann bei Blickkontakt mit hässlicher Sumpfhexe vor Schock augenblicklich gestorben" und dann noch ein Bild von mir eingeblendet. Das wollte ich meinen Eltern eigentlich ersparen.
,,Kein Problem.", erwiderte der Junge nun und riss mich somit aus meinen Gedanken. Schnell schüttelte ich den Kopf, um dann nur sein riesiges Grinsen vor mir zu sehen. ,,Sorry, ich- ich hab dich nicht gesehen und- das tut mir voll Leid. Ich-", stotterte ich vor mich hin und packte dabei meine Hände schnell wieder zu mir, was ich bis jetzt immer noch nicht getan hatte, doch er unterbrach mich lachend. ,,Nicht schlimm, du darfst gerne nochmal gegen mich laufen und mich als Stütze benutzen." Hatte er das jetzt gerade wirklich gesagt? Oh Gott! Peinlich berührt senkte ich den Kopf und glaubte ganz fest daran, doch leider versank ich nicht mit einer großen Rauchwolke im Erdboden, wie man es aus Filmen kannte.
,,Übrigens, ich bin Luke.", fügte er noch hinzu und hob dann vorsichtig meinen Kopf an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. ,,May.", erwiderte ich bloß und griff dann schnell nach meinem Koffer, welcher als letzter seine Runde gedreht hatte und gerade neben uns auf dem Band vorbei gefahren war. ,,Schön dich kennenzulernen.", sagte er und lächelte mich schon wieder mit seinem bezaubernden Lächeln an, was mich sichtlich nervös werden ließ. ,,Mich auch, aber ich muss jetzt echt los. Man sieht sich.", sprudelte es aus mir heraus und bevor er noch irgendwas erwidern konnte, war ich auch schon mitsamt Koffern und Tasche aus dem Flughafen nach draußen geflüchtet.
Hätte ich damals gewusst, was für eine wichtige Rolle er schon in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten für mich spielen würde, hätte ich mich wahrscheinlich so schnell, wie möglich in den nächsten Flieger gesetzt und wäre wieder nach Hause geflogen, aber in die Zukunft sehen, konnte ich verständlicherweise ja nicht. Und so kam alles, wie es kommen sollte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top