Sind wir nur das, was wir alle gegenseitig aus uns machen?
Und ich bin gerade mit unserer Wg unterwegs, wie so oft Abends. Jeder hat einen Freund oder eine Freundin mitgebracht. Ausser du. Du hast dich nichtmal selber mitgebracht. Du bist manchmal so extrem isoliert und still und... scheisse halt. Scheisse zu dir selber und zu allen die dich vermissen. Ich glaube, an solchen einsamen Abenden vermisst du sogar dich selbst: den, der du sonst bist. Wo du dich gerade herumtreibst weiss ich nicht, du hast noch keine neuen Freunde in der Stadt, zu denen du gehen könntest, du hast noch keine Orte, die du magst, ich glaube, du hast sogar den Schlüssel vergessen und kämst jetzt nichtmal in die Wohnung rein, weil wir gerade alle unterwegs sind. Also seh ich dich im Treppenhaus sitzen.
Während ich selbst gerade im Einkaufswagen sitze und mich durch den 24 Stunden Supermarkt schieben lasse. Ja. Wie ein Kind. Oder eine extrem Besoffene. Dass ich kein Kind mehr bin, sieht man mir an. Das ich aber komplett nüchtern bin, nicht. Ich bin nur so müde. Müde müde müde... Ich bin einfach diesen Abend zu nichts zu gebrauchen, so wie du auch. Der Unterschied: du gehst dann weg, wenn du sinnlos bist. Ich bleibe. Und lasse mich von den anderen sozialen Menschen duch die Straßen schleppen und durch den Supermarkt schieben und schlafe irgendwann mit dem Kopf auf deren Schoß ein, während sie sich angeregt unterhalten.
Gerade habe ich immerhin im Einkaufswagen sitzend die Funktion, dass ich die großen wässrigen billigen Tomaten festhalte, während die anderen Nudeln und Tiefkühlpizza um mich herum stapeln, sodass mein eines Knie fast abfriert und das andere Knie gerade einschläft, weil ich es nicht bewegen kann, ohne dabei Spagetthi zu zerbrechen.
Vorbeigeschoben werde ich an bunten Obst- und Gemüsekisten, wie ein tropischer Dschungel, ein Zeichen der Globalisierung und des Überflusses. Vorbei geschoben werde ich an blizzard-artig rauschenden Kühlregalen, deren Betreib der Grund sind warum anderswo ein Gletscher schmilzt. Und vorbei geschoben werde ich an Wursttheken und Meeresbuffets und Käseplatten. Und an to-go Regalen randgefüllt mit supergesunden veganen bunten kleinen Dingen in hübschen Hüllen aus PlastikPlastikPlastik. Eine Uhr für unseren Planeten liefe wahrscheinlich auf Schwedisch: Plast-tick, Plast-tack. Zu Deutsch: Plastik-tick, Plastik-danke.
Mir wäre ein to-do Regal viel lieber. Mit Inspiration, wie man besser konsumieren könnte. Mit Obstnetzen und umweltfreundlichen Rezeptideen und Flyern für Foodsharing und lokale Händler und Streuobstwiesen, wo man selber pflücken kann. Sowas. Aber niemand will was tun. Alle wollen nur mitnehmen. Und gerade sitze ich tatsächlich selbst extrem tatenlos im Einkaufswagen, und bin kein Stück besser.
An der Kasse wirft ein Kumpel mir ein Überraschungsei in den Schoß. "Ich bin Veganer.", sag ich müde. "Aber das ist doch kein richtiges Ei!", meint er, lacht wie ein Vollidiottrottelpfosten, und ich versuche einfach nur das Ü-ei wieder ins kindermanipulative Kassenregal zu schieben ohne aus dem Einkaufswagen zu fallen, und mich gleichzeitig so weit aufzurichten, dass ich die Sachen aufs Band legen kann. Der Typ an der Kasse ist echt süß. Und er hat schöne Hände. Ich bin eifersüchtig auf all die Lebensmittel und Geldscheine und Münzen. Er grinst mich gerade an. Ja, ganz akkurat gerade, sein Grinsen ist ist viel gerader als meins. Aber die Augenbrauen heben sich assymetrisch. Ugh, wie man denn so ordentlich gucken und trotzdem so anders wirken.
Viel Zeit um darüber nachzudenken bleibt mir aber nicht, denn da werde ich auch schon weitergeschoben - seit wann geht Abkassieren denn so schnell? - und muss schliesslich wieder wankend aus dem gemütlichen Einkaufswagen herausklettern. Ich wünschte, ich müsste die ganze Nacht nicht laufen. Wie ein Kind im Kinderwagen. Aber ich muss, und ich zieh eine Miene, bis mir jemand einen Obstriegel gibt damit ich nicht so hässlich gucke.
Zuhause hilft mir jemand aus der Jacke. Dann sagt jemand "Händewaschen!" zu mir. Dann kochen die anderen zusammen und das Einzige was ich tue, ist auf dem Küchenboden sitzend die Pfandflaschen zu sortieren und dann pingelig bisschen was zu essen, abzuknabbern. Dabei fällt mir auf, dass du nicht im Treppenhaus saßt. Wo dann?
Als keine Nudeln und Pizzastücke mehr übrig sind, gehen wir alle nochmal raus, Verdaunnungspaziergang. Zeit zum Reden, Zeit um zu gucken ob irgendwo ein Stuhl auf dem Sperrmüll rumsteht, und Zeit um auf einen Spielpatz herumzuklettern, wie assoziale Jugendliche das eben tun. Derweile finde ich das sogar eher sehr sozial. Tagsüber würden wir ja die anderen Kinder stören.
Ich hab nichtmal genug Kraft, um selbstständig auf der Nestschaukel zu schaukeln. Jemand schubst mich an. Ich fühle mich wirklich wie ein Kind. Wie ein müdes, aufmerksamkeitsbedürftiges, und dennoch stilles Kind. Der einzig wahre Schubser den ich bräuchte, wäre von dir Aaron. Keine Ahnung. Schubs mich hin, wo du willst. Es wird immer weg von dir sein. Stups mich meinetwegen nur an, ich werde flüchten. Und auf meiner Flucht den Gedanken lieben, dass du mich grad ein letztes mal angestupst hast. Und dann wird, während ich renne, und gar nicht mehr weiss, wieso eigentlich, der Gedanke verfliegen.
Und dann muss ich nicht mehr in Einkaufswagen und auf Küchenböden und in Nestkaukeln liegen. Dann kaufe und koche ich selber. Dann erhebt sich der Vogel aus dem Nest. Und hält sich nicht mehr fest.
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