Ist zuhause ein Ort, oder eine Person, oder ein Ort mit einer Person?

Es machte mich wahnsinnig, ihn allein in der Küche singen zu hören. Wüsste er, dass irgendjemand, und sei es die demente Omi auf dem Balkon, es hört, er würde es sofort nicht mehr tun. Wie viele wunderschöne Dinge gibt es auf der Welt, die sich verstecken, und das macht mich wild und verwirrt und wütend. Es machte mich wahnsinnig, wie er den Wasserdampf vom Tee gelangweilt durch seine Finger schweben liess. Wobei, es war nicht gelangweilt. Es war.. traurig. Die Faszination für die Vergänglichkeit unterdrückennd, deshalb, lieber mit weniger Gefühlsregungen. Gelangweilt eben. Es machte mich wahnsinnig, wie er einen so müde und gleichzeitig so aufgeweckt anschauen konnte. Und ich kann es einfach nicht beschreiben. Und ich wünsche mir die ganze Zeit, ich könnte es malen. Oder in einem Foto festhalten. Und das macht mich wahnsinnig. Weil ich es nicht kann. Und weil ich mir wünsche, es zu können. Weil ich etwas festhalten möchte, was nichts Festes Definierbares ist, und weil es nichts ist, was man auch nur zu berühren, geschweige denn zu halten versuchen sollte. Viel zu flüchtig fragil freiheitsliebend.

Es war Abend und unsere Küche war hell und der Innenhof war dunkel, und es lief Home von Edward Sharpe and the Magnetic Zeros, und die anderen riefen fröhlich "laugh until we think - WE'LL DIE, barefoot on a SUMMER NIGHT!", als ich nur so vor mich hinstarrte und dies ganz zufällig auf deine Hände an der gegenüberliegenden Kante des Küchentisches. "Never could be sweeter than with you."

Eine von meinen Mitbewohnerinnen bemerke es. Sie ist gut in sowas. Sie ist wie eine Mutter, aber nicht wie eine Helikoptermama, sondern viel cooler. Wie ein Sattellit. Das ist eine ganz besondere Verbindung und sie hat eine weite Sicht auf die kleinen Dinge. "Aaron, du darfst gerne mal meine Handcreme dir ausleihen.", sagte sie. "Ach", zuckte er die Schultern, und betrachtete offensiv gelangweilt seine roten Knöchel, nur um sie danach ganz beiläufig unter dem Tisch zu verstecken. "Nee zeig mal her." der Sattelit schien beinahe auf der Erde zu landen. Sie nahm seine Hände, einfach so, sie konnte das, einfach so, was ich nie könnte. Einfach nur, weil es in meinem Kopf so soo komliziert ist. Einfach so.. so so kompliziert.

Sie nuschelte etwas zu ihm, dass ich nicht verstand. Es klang wie "spät" und "manchmal" und "Hand". Glaube ich. Doch ganz klar und ohne jegliche Undeutlichkeit hörte ich gleich darauf sein glasklares zynisch-belustigtes Lachen. Ich schaute hoch, und sah sein müdes freches Grinsen und ihr besorgtes verstörtes Augenbrauenzusammenziehen. Ich machte einen Gehirnscreenshot. "Nö, ich rede nur gegen die Wand, immer." sagte er dann aufgekratzt.

Jetzt verstand ich, dass die Frage wahrscheindlich war: "Schlägst du manchmal gegen die Wand?"

Als wir uns im Bad begegneten, ich auf der Suche nach meiner Zahnbürste, und er nach Ruhe, hielt ich ihm schweigend die scheiss Handcreme hin. Er schüttelte den Kopf. Ich hielt sie ihm nochmal hin. Er reckte den Kopf in die Höhe und drehte sich weg. Ich verleierte die Augen. Er drehte sich wieder normal zu mir um. Ich sah ihn kurz genervt innehaltend an, und zuckte die Schultern. Er zuckte die Schultern zurück und stellte seinen Gesichtsausdruck auf neutral. Ich verschränkte die Arme. Er stemmte die Hände in die Hüften. (Wie konnte man so innerlich leer und so voller Humor sein?). Ich passte mich seinem Niveau an und legte wie eine Lehrerin die auf die einfachste Antwort wartet, den Kopf leicht schief. Er schaute sich ausweichend und zutriefst tagtraumfasziniert die Inneneinrichtung des Bads an. Ich schaute ihn an, wie er sich das anschaute. Plötzlich zeigte er auf die lila Spur, die eine offene Blaubeerzahnpastatube hinterlassen hatte. Ich nickte wissend. Das hatte ich heute morgen schon inspiziert. Er lächtelte mild. Und es machte mich wahnsinnig. Ich hasse das, wenn wir reden, ohne zu reden. Ich hasse es. Es macht mich wahnsinnig.

Ich musste jetzt irgendwas sagen, verdammt. "Warum sehen deine Hände so scheisse aus?", fragte ich. "Autsch." sagte er und guckte mich an "Meine Hände sind das einzige, was ich an mir mag.". "Komm, du weisst was ich meine.", sagte ich. "Vielleicht. Aber dann sag du doch, warum deine Arme so aussehen." "Kann ich dir gerne sagen.". Er sah kurz überrascht aus. "Das war mein Hund, beim Herumtoben." "Oh.", meinte er. Man könnte jetzt denken, das wäre Mitleid was er da herüberbringt, tatsächlich glaube ich war es aber einfach Enttschäuschung über die simple Erklärung. Man ich hasste diesen Typen.

Doch dann sah er wieder interessiert aus. "Verheilen deine Wunden so ungewöhnlich langsam?", fragte er, und traf damit ins Schwarze. "Ja! Deine etwa auch? Deine Hände?"

Er schmunzelte. "Nö. Ich kratze die nur immer wieder auf."

Und das ist das, was uns unterscheidet. Wir tun uns zwar beide aus Versehen weh, aber ich bekomme Narben einfach. Er erschafft sie sich. Provoziert sie.

Hab ich schonmal gesagt, dass er mich wahnsinnig macht?

Ich ging aus dem Bad und machte die Tür zu.





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