Kapitel 7

• W E S •

Zum wiederholten Male öffne ich den Kühlschrank. Für einen Moment betrachte ich den Inhalt, ohne auf ihn richtig zu achten, und schließe die Tür dann wieder.

Mir ist ganz offiziell langweilig.

Unglücklicherweise sind Oliver und Lisa heute Morgen nach New York aufgebrochen. Sie müssen wohl noch etwas wegen der Wohnung klären. Ich rechne nicht damit, dass sie in den nächsten Tagen zurückkommen. Wahrscheinlich bleiben sie bis zum Ende der Woche.

Als ich vorhin mit ihm telefoniert habe, konnte ich auch mit keiner Silbe heraushören, dass er mich vermisst. Nicht einmal ein kleines bisschen! So ein Idiot. Aber es soll mir recht sein, ich kann jetzt eine große Wohnung für mich allein genießen.

Am besten beginnt er mit Lisa schon jetzt sein schönes neues Leben in New York und ich … ich ...

Vielleicht lege ich mir endlich ein Haustier an! Einen Hund oder ein Babykätzchen für Wesilein wäre doch toll! Oli hatte ja immer etwas gegen einen felligen Mitbewohner, aber bald hat er nichts mehr zu melden. Da habe ich meine Freiheiten!

Ein tiefer Seufzer verlässt meinen Mund, als ich aus der Küche gehe. Am Flurspiegel mache ich Halt und fahre mir durch die Haare.

"Jetzt muss ich mir auch noch selbst sagen, dass ich gut aussehe. Das haben sonst die beiden immer gemacht", murmle ich geknickt vor mich hin und presse dann die Lippen aufeinander.

Ach man, ich vermisse die beiden Kohlköpfe!

Vielleicht rufe ich Oli heute Abend nochmal an und frage, wie es bisher läuft. Wenn das Glück auf meiner Seite ist, ist es beschissen in New York und sie kommen schneller wieder, als ich Pizzateig sagen kann. Das hört sich doch verdammt gut an!

Diese Vorstellung muntert mich augenblicklich ein wenig auf, sorgt aber nicht dafür, dass auch meine Langeweile verfliegt. Mit gespitzten Lippen krame ich mein Handy heraus und öffne WhatsApp. Als sei es Schicksal, ist Matthew gerade online.

Wes [16:48 Uhr]: Mattyboy, mir ist gerade langweilig ... Sag bitte, du machst etwas Interessantes, wovon du berichten kannst

Matthew [16:49 Uhr]: Leider nicht. Wir sitzen im selben Boot

Wes [16:49 Uhr]: Machst du denn nichts mit Evan oder Piper?

Matthew [16:50 Uhr]: War nicht in der Stimmung ...

Verwundert lege ich meine Stirn in Falten.

Wes [16:50 Uhr]: Bedrückt dich etwas? Ich habe immer ein offenes Ohr für süße Boys

Seine Antwort kommt verzögert. Für einen Moment habe ich Bedenken, ihn damit doch ein wenig zu überrumpeln. Zwar verstehen wir uns verdammt gut und scheinen auf einer Welle zu sein, aber ich habe noch den äußerst schüchternen Jungen von letzter Woche im Kopf.

Matthew [16:51 Uhr]: Hast du Zeit, vorbeizukommen?

Überrascht lese ich seine Nachricht noch einmal, als eine weitere folgt, die seine Adresse beinhaltet. So viel dazu, dass er vor Schüchternheit gelähmt sein kann. Sonst bin ich echt gut darin, Menschen einzuschätzen, aber Matt scheint wohl einige unentdeckte Facetten zu haben.

Wes [16:52 Uhr]: Bin etwa in zehn Minuten bei dir

Das kann interessant werden. Dafür habe ich ein Gespür.

*

"Pass auf die Nudeln auf, Mattyboy!", reiße ich meinen Kollegen aus seiner Trance, als es auch schon zu spät ist. Das Wasser kocht über und fließt wie ein kleiner Wasserfall über den Topf. Fluchend versucht Matthew, den Topf von der Herdplatte zu schieben, verbrennt sich dann aber an seinen Fingern.

Bei diesem Anblick kann ich nicht anders als zu lachen. Dafür kassiere ich von ihm einen bösen Blick, was die Situation aber nur noch witziger macht. Schließlich stecke ich ihn an und so stehen wir wie zwei Idioten in der Küche und kichern lauthals.

"Jetzt ist es offiziell. Ich bin selbst zu blöd, um Nudeln zu kochen", erschließt er sich irgendwann, als wir uns langsam beruhigen.

Ich suche in unzähligen Schubladen nach einem Spaghettielöffel, verzweifle aber an dieser Küche. Sie ist einfach zu groß. Als ich stattdessen das Besteck finde, nehme ich aus Trotz eine Gabel und fische in dem Topf ein paar Nudeln heraus. Matt wartet, dass ich sie probiere.

Als ich das Gesicht verziehe, seufzt er. "Sie sind definitiv noch nicht durch", merke ich amüsiert an und schaue mich nach dem Wasserkocher um. "Rühr mal kurz die Bolognese um. Sie soll nicht anbrennen."

"Sobald ich Hand anlege, wird sie ungenießbar ..."

"Jetzt übertreib mal nicht", erwidere ich lachend und stupse ihn von der Seite an, dass er zur anderen Herdplatte rutscht. "Außerdem wolltest du deinem Lover doch etwas kochen."

"Dass ich etwas koche, war deine Idee, Wes", erinnert er mich. "Und hör auf, ihn meinen Lover zu nennen. Das fühlt sich falsch an. Wir sind nicht ..."

Ich fülle neues Wasser in den Topf, lasse es aber nun langsamer aufkochen. Das überlaufene Wasser wische ich nach und nach mit einem Lappen auf. "Mattyboy, du weißt doch gar nicht, was ihr seid. Das hast du vorhin selbst gesagt. Wie würdest du es denn sonst nennen?", frage ich ihn mit ernster Stimme und warte, dass er etwas entgegenbringt. Doch das tut er nicht.

Als ich ihn ansehe, rührt er mit zusammengepressten Lippen in der Soße herum. Da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen.

"Matt ..."

"Schon gut, du hast ja Recht. Ich sollte mit ihm darüber reden. Es macht mir nur ein wenig Angst, verstehst du?"

Ich lege den Lappen beiseite und ziehe ihn in eine Umarmung. Dass er deutlich überrascht davon ist, zeigt sich an seiner angespannten Haltung, die sich nach ein paar Sekunden aber legt. Sein leises Seufzen dringt in mein Ohr, als er meine Umarmung erwidert. 

"Glaub mir, Kleiner. Jemand, der dich in seinem Leben nicht zu schätzen weiß, hat es auch gar nicht erst verdient. Du bist so ein klasse Typ, der das Herz am rechten Fleck hat! Und ganz egal, wie dieser Abend für euch beide verlaufen wird, du solltest danach klarer sehen können, okay?"

Wir verharren für einen Augenblick so. In solchen Momenten wie diesen zeigt sich wieder, wie verletzlich eine Person sein kann. Jeder ist auf eine gewisse Art und Weise unsicher, egal womit. Und besonders Herzensangelegenheiten können Kummer in uns auslösen, von dem wir es dann nur schwer schaffen, uns abzweigen. Dafür hat man dann Freunde um sich, die es mit dir durchstehen. 

"Du kannst immer mit mir reden, wenn dir etwas auf der Seele liegt", verspreche ich ihm. "Hast du gehört?"

"Danke, Wes."





• E V A N •

"Würdest du noch den Müll nach draußen bringen, bevor du in dein Zimmer gehst?", bittet mich mein Vater, als ich Anstalten mache, die Küche zu verlassen.

Folgsam schnappe ich mir den prall gefüllten Müllsack, den er oder Mom neben die Tür angelehnt hat, und trage ihn durch die Haustür nach draußen. Die Dunkelheit ist bereits angebrochen, so lasse ich die Tür offen, um ein wenig von dem Lichtschein mitzunehmen.

Schon aus der Ferne bemerke ich eine dunkle Gestalt, die in meine Richtung kommt, beachte sie aber erst nicht weiter. Stattdessen werfe ich den Müll in die dafür vorgesehene Mülltonne, als ich in der Gestalt meinen besten Freund wiedererkenne.

"Chris?"

Als er aufschaut, sehe ich ihm an, dass etwas nicht stimmt.

"Hey, Evan. Sorry, ich bin ziemlich müde. Wir sehen uns morgen", sagt er und möchte dann an mir vorbeigehen.

Doch ich halte ihn am Arm fest. "Ist alles in Ordnung? Du siehst irgendwie … bedrückt aus", merke ich verwundert an und so gewinnt meine Besorgnis in der nächsten Sekunde. "Ist irgendwas passiert?"

"Wie gesagt, ich bin einfach vom Tag geschafft", weicht er mir aus. Etwas an seinem Gesichtsausdruck verändert sich. Und diesen Blick kenne ich. Er hat ihn mir gegenüber zuletzt nach seiner Trennung von Vincent gezeigt. 

Christoph fährt seine Mauer nach oben, um nichts an sich heranzulassen.

Irgendwas kann also nicht stimmen.

Mit gerunzelter Stirn stelle ich mich meinem Freund in den Weg und verschränke nun die Arme vor meinen Oberkörper. Höchstwahrscheinlich wäre er in der Lage, mich zu Boden zu bringen, wenn er es wollte. Aber Chris hat niemals die Hand mir gegenüber erhoben und würde es auch nie tun. Unsere Freundschaft geht einfach weiter hinaus, als manch Leute sich vorstellen könnten.

"Komm schon, ich sehe es dir doch an, dass das nichts mit Müdigkeit zu tun hat", versuche ich es nochmal, kann es dann aber nicht fassen, als er sich in Seelenruhe eine Zigarette anzündet. "Chris ..."

Er bläst mir - ob beabsichtigt oder aus Versehen - den stinkenden Rauch ins Gesicht, was mich zum Husten bringt. 

Angeekelt lehne ich mich zurück. "Spinnst du? Was ist denn in dich gefahren?"

"Ich habe dir doch gesagt, dass ich keinen guten Tag habe ..."

"Nein, du meintest, du wärst müde, Idiot", wiederhole ich seine vorherigen Worte und reiße ihm im nächsten Atemzug die Zigarette aus dem Mund. 

"Was soll das?", ruft Chris verärgert aus, als ich sie auf den Boden werfe und zertrete. 

"Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst damit aufhören? Diese ekelhafte Angewohnheit ist einfach nur schädlich für dich, und außerdem stinkst du deswegen ..."

"Du musst mich ja nicht küssen", brummt er und versucht nochmals, an mir vorbeizukommen. Doch wieder halte ich ihn davon ab. "Man Evan, kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Stell dir vor, manchmal brauche ich auch mal Zeit für mich. Da hast auch du nichts darin zu suchen, kapiert?"

Verdammt, ist er ein Arschloch. Aber gut, wenn er meine Hilfe nicht will, dann halt eben nicht. 

Ich gehe zur Seite. "Dann wünsche ich dir einen schönen, einsamen Abend, Christoph."

Mein bester Freund sieht mich mit einem unergründlichen Blick an, bis er schließlich an mir vorbeigeht. "Vielleicht solltest du mal lernen, dich aus manchen Dingen rauszuhalten", rät er mir, was ich nach kurzem Zögern mit einem einfachen Nicken zur Kenntnis nehme. 

"Werde ich mir merken."

Ich sehe ihm nicht nach, sondern warte, bis ich seine Haustür ins Schloss fallen höre. Es ist nur sehr leise, aber erst dann kann ich mich dazu abringen, tief einzuatmen. Zu versuchen, mich abzuregen. 

Doch dann erwische ich mich selbst, wie ich mich nach unten bücke, um die erloschene Zigarette in die Mülltonne hinter mir zu werfen. Es liegen schon genug davon auf der Straße, doch vor meiner Tür muss es nicht sein. 

"Evan, was stehst du denn da draußen so blöd herum?" Mom lehnt am Türrahmen und starrt in meine Richtung. "Und warum brauchst du so lange? Sortierst du den Inhalt des Mülles einzeln aus?"

Augenverdrehend gehe ich über den Kiesweg auf sie zu. "Ich bin gerade nicht in Stimmung für deine urkomischen Bemerkungen ..."

"Was ist denn los?"

Als sie ihre Hand auf meinen Arm legt, versuche ich mich an einem Lächeln. "Ich möchte jetzt nicht darüber reden. Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich in mein Zimmer gehen."

Sie verzieht mürrisch das Gesicht. "Warum hast du Geheimnisse vor mir, Evan?"

"Ich bin ein Teenager", brumme ich und lasse sie dann stehen.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top