Kapitel 4
• E V A N •
"Die Turteltäubchen wollen also für sich sein. Na dann, du weißt ja, wo du mich findest, Kleine", ruft Aaron meinen Freunden, insbesondere Piper, hinterher, als die beiden das Haus ansteuern. "Er scheint keiner zu sein, der es dir so richtig besor ..."
"Kümmere dich lieber um deine Süße neben dir. Sie sieht aus, als könnte sie nicht mal zwischen einer Gabel und einem Löffel unterscheiden", hören wir die Blondine zischen, bevor sie sich ganz von uns abwendet.
Sara schnappt beleidigt nach Luft und sucht sofort Beistand bei Mila, die feindselig in Richtung Haus schaut. Ich kann mir wiederum nicht verkneifen zu lachen.
Was habe ich auch anderes erwartet? Dass wir ernsthaft einen schönen Abend gemeinsam verbringen könnten? Das ist unmöglich, solange sich Piper und Aaron immer wieder aufs Neue anzicken. Er weiß genau, dass sie auf sein schwachsinniges Geschwätz eingeht und es nicht einfach ignorieren kann.
Als ich mich beruhigt habe, weicht die Belustigung der Verärgerung gegenüber dem Kerl, der sich aber keineswegs daran stört. Stattdessen legt er seinen Arm um Sara. "Was denn?"
"Ist es denn so schwer, die beiden in Ruhe zu lassen? Ernsthaft, Aaron, was bist du bloß für ein Idiot."
"Komm schon, Evan. Diesen Freak muss man doch hochnehmen. Und es war doch auch echt witzig", entgegnet er breit grinsend.
"Hörst du hier irgendwen lachen?", mischt sich jetzt auch Chris ein, der sich bisher eher rausgehalten hat.
Er schien die ganze Zeit über eher in Gedanken zu sein, hat sich meist im Hintergrund aufgehalten und die anderen beobachtet. Ich bin umso froher darüber, dass er sich jetzt auf meine Seite schlägt und mir damit den Rücken stärkt.
"Was ist dein Problem, Kumpel?", fragt Nathan verwundert. An seinen glasigen Augen sieht man ihm an, dass er schon so einiges intus hat. Kein Wunder, immerhin hat er Unmengen an Alkohol mitgebracht und sich daran auch vergnügt bedient.
"Ich bin genervt, Alter. Wenn ihr euch so kindisch verhalten wollt, könnt ihr euch auch gern wieder verpissen. Ich wollte ein entspanntes Wochenende haben."
"Wir ..."
"Eure Taschen sind bestimmt noch nicht ausgepackt, oder?" Die Jungs pressen beide die Lippen aufeinander, wissen wohl nichts mehr darauf zu erwidern. Chris scheint auch kein Widerwort zu erwarten. Er klopft mir auf die Schulter. "Ich gehe mal nachschauen, ob die beiden im Haus klarkommen", meint er zu meiner Überraschung und geht dann an mir vorbei.
Wir sehen nun ihm hinterher, wie er in dieselbe Richtung wie Matt und Pip läuft.
Sara wirft augenverdrehend ihre Haare nach hinten. "Was ist denn mit dem los?"
"Männer haben halt auch manchmal ihre Tage. Aber glaub mir, spätestens nach heute Nacht wird er wieder gut gelaunt sein", verspricht ihre Freundin schmunzelnd und greift dann nach ihrem Bier.
"Vergiss dabei aber bitte nicht, dass wir euch hören könnten", wirft Aaron ein und schaut dann seinen Freund hilfesuchend an.
Dieser nickt bestimmend. "Genau, ich will kein Trauma durch euch erleben."
"Haltet die Klappe."
Noch immer verstehe ich nicht ganz, warum die Mädels mitgefahren sind. Wahrscheinlich sollen die die Jungs bespaßen, aber mich persönlich nerven sie nur. Als wäre es nicht ohnehin schon angespannt, könnten die beiden zusätzlich dafür sorgen, dass es Stress gibt.
Ich halte Nathan die Grillzange hin und wende mich von der Gruppe ab, um nachzuschauen, wer mir geschrieben hat.
Seufzend muss ich feststellen, dass es meine Mutter ist, die mir nur wieder von einen ihrer Diskussionen mit Dad berichten will. Nicht einmal wenn ich wegfahre, habe ich meine Ruhe vor den beiden.
Ich kann mir schon vorstellen, wie Mom wütend auf ihn einredet, während mein Vater belustigt dasitzt und es einfach über sich ergehen lässt. Er hat mir schon einmal anvertraut, dass er es eigentlich sogar liebt, mit Mom zu streiten. Das erinnert ihn wohl immer an deren Schulzeit, als es mit ihnen anfing.
"Wer bringt dich denn so zum Schmunzeln, Evan?", höre ich Sara fragen, als ich wieder zu ihnen gehe. "Kennen wir das Mädchen?"
Verwirrt sehe ich in die Gruppe. "Was?"
"Hat sie dir ein Nacktbild geschickt? Komm, zeig mal her, Bruder!"
Bevor er nach mein Handy fassen kann, weiche ich ihm aus. "Du redest wieder mal nur Schrott, Idiot. Und zum Mitschreiben für euch alle: Es geht euch nichts an, wer mir schreibt", weise ich sie auf das wohl Offensichtliche hin, bevor ich mich umsehe.
Weder Chris noch einer der anderen beiden scheinen wiederzukommen. Ob er sich durch Piper dazu hinreißen lassen hat, sich zu streiten? Bisher hat er sich eigentlich zurückgehalten. Ob ich mal nachschauen sollte? Mit diesen Zurückgebliebenen hier möchte ich ungern noch eine Sekunde länger meine Zeit verbringen.
"Du bist manchmal echt langweilig, Evan", brummt Mila und lehnt sich dann zu ihrer besten Freundin hinüber, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Sie lachen darüber.
Da Nathan scheinbar alles im Griff hat am Grill, beschließe ich, zu meinen Freunden ins Haus zu gehen. So mache ich mich daran, mich von den anderen abzuwenden. Als ich an den Mädels vorbeigehe, kann ich mir eine Bemerkung dann doch nicht verkneifen. "Und weißt du, manchmal führst du dich so ziemlich wie eine Schlampe auf", sage ich zu Mila, die sich daraufhin schnaubend von mir wegdreht. Grinsend füge ich hinzu: "Das würde ich dir aber auch niemals unter die Nase reiben."
Es ist schon dunkel geworden, doch ich kenne mich gut genug aus, um den Weg zum Häuschen zu finden. Als wir noch klein waren, sind Chris und ich schon oft mit unseren Familien hergefahren, um Urlaub zu machen.
Zu meiner Überraschung erwartet mich Piper an der Haustür, die mich mit verschränkten Armen böse anfunkelt. "Was ist denn los?", frage ich sie verwundert. "Wo ist Matty?"
"Der ist mit deinem tollen Freund, Chris, in den Wald gelaufen. Er hat irgendwas von Feuerholz gelabert."
Die beiden sind zusammen Feuerholz holen gegangen? Das machen sonst immer wir beide. Was bezweckt Chris damit? Ob es zeigen soll, dass er sich tatsächlich mit meinen Freunden verstehen kann?
Ich geselle mich zu der Blondine. "Und warum schmollst du?"
Eigentlich ist es witzig gemeint, sie scheint aber nicht so auf Scherze aufgelegt. "Ich habe keinen Bock auf die ganze Scheiße hier!", brummt sie. "Das war eine idiotische Idee mitzufahren."
"Pip, so schlimm ist es doch gar nicht. Das Häuschen ist gemütlich, das Wetter ist schön ..."
"Wären wir auch nur zu dritt, wäre es auch sicherlich cool", fällt sie mir ins Wort und deutet mit einem Kopfnicken in Richtung der Clique. "Aber mit denen ist es doch echt bescheuert. Sie vermiesen uns das gesamte Wochenende."
Augenverdrehend kicke ich ein paar Steine weg. "Wir können ihnen aus dem Weg gehen, wenn du möchtest. Die machen ihr Ding, wir unseres. Da besteht doch kein Problem, oder?" Überzeugt scheint sie nicht zu sein, was ich ihr deutlich ansehe. "Hör mal, es war deine Entscheidung mitzukommen. Wenn du und Aaron euch nicht ständig in den Haaren hättest, hätten wir sicherlich auch mehr ..."
"Klar, jetzt liegt es wieder an mir!", meckert sie und drängt sich ohne ein weiteres Wort an mir vorbei ins Haus. Ich habe keine Chance, ihr etwas hinterher zu rufen, denn sie knallt mir die Tür vor die Nase zu.
Es wäre wohl gerade auch deutlich besser, sie allein zu lassen. Sie scheint nicht gerade in Stimmung zu sein, Gesellschaft haben zu wollen. Dann kann sie sich wenigstens ein wenig beruhigen, und später versuche ich nochmal, mit ihr zu reden.
Ich laufe am Waldrand lang, suche den mir bekannten Pfad, der zur Holzstelle führt.
Matthew ist noch immer angeschlagen und sollte nicht viel tragen. Da könnte Chris sicherlich noch zwei helfende Hände gebrauchen.
In der Dunkelheit ist es schwierig, einzelnen Wurzeln, die ich teilweise noch auf dem Boden erkennen kann, auszuweichen. Der Geruch von frischer Luft weht mir um die Nase, während mich nur das Rascheln der Blätter umhüllt. Ein paar Heuschrecken zirpen zwischen den Ästen ihre Lieder, und immer wieder wird der dichte und unebene Waldboden von kleinen Hindernissen unterbrochen. Wenn ich mich nicht täusche, ist das leise Rauschen von Wasser sogar zu hören.
Für einen Moment bleibe ich stehen, um die Geräusche der Natur auf mich wirken zu lassen. Dazu schließe ich die Augen und atme tief ein. Erst jetzt, weit weg von meinem Alltag, kann ich mich tatsächlich ein wenig entspannen.
Es fühlt sich an, als würde sich mit einem Mal mein Kopf von all den dort lebenden Gedanken befreien.
Für einen Augenblick bleibe ich noch, bis ich mich wieder in Bewegung setze und die kleine Lichtung ansteuere, wo wir uns immer Brennholz holen konnten. Meine Augen haben sich mittlerweile so gut an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich vor mir zwei Gestalten erkenne. Spätestens an den Stimmen erkenne ich, dass es sich um meine Freunde handelt. Sie stehen ziemlich nahe aneinander.
"Also … die anderen warten wahrscheinlich schon auf uns. Sollen wir zurückgehen?", höre ich Chris sagen. Mir entgeht nicht, dass er zögerlich klingt. Keiner der beiden macht Anstalten, umzukehren. Stattdessen bleiben sie an Ort und Stelle und schauen sich gegenseitig an.
Mein Herz macht einen Sprung, als ich glaube zu beobachten, wie sie sich zueinander hinüberbeugen. Ihre Gesichter kommen sich gefährlich nahe.
Verdammt, was passiert hier gerade? Haben die beiden etwa vergessen, was zwischen ihnen vorgefallen ist? Nicht nur, dass Matt immerzu zu leiden hat in der Schule und dass das auch an Chris liegt, sondern kennen sie sich doch eigentlich gar nicht. Sie wissen nichts voneinander, was der andere schon im Leben durchmachen musste.
Wollen sie es noch komplizierter machen und sich gegenseitig in den Abgrund schubsen?
Dabei hat mir Chris noch versichert, nichts von ihm zu wollen. Und jetzt sehe ich das hier?
Vorsichtig schleiche ich mich an die beiden heran, trete dabei unglücklicherweise aber auf einen Ast, der unter meinem Gewicht bricht.
Ich presse meine Lippen aufeinander und schaue zu den beiden. Sie sind voneinander gewichen, stehen nun mit Abstand dem anderen gegenüber.
"Die anderen fragen sich sicherlich schon, wo wir bleiben", kommt es von Chris, der sich sogleich abwendet und vorausgeht. Matthew bleibt noch für einen Moment stehen, folgt ihm dann aber.
Ich gehe den beiden nach in einem sicheren Abstand und warte dann am Waldrand, bis Matt ins Haus geht und ich somit mit Chris allein bin. Der Dunkelhaarige hat mich noch nicht bemerkt. Zu sehr scheint er in Gedanken versunken zu sein. Er starrt noch in Richtung Haus, bevor er mit den Holzblöcken in seinen Armen seine Clique ansteuert. Erst als er außer Reichweite ist, komme ich aus meinem Versteck heraus.
Was war das gerade, verdammt?
• W E S •
Räuspernd lehne ich mich gegen den Türrahmen und beobachte meinen Kumpel, der mit seiner Freundin am Rumknutschen ist. Bisher haben sie mich noch nicht bemerkt.
Ich mache mit einem Klopfen an seiner Tür auf mich aufmerksam und beiße im selben Atemzug von einem Stück Pizza ab. Die Turteltauben weichen erschrocken voneinander und starren in meine Richtung. Grinsend winke ich, was Oliver wohl nicht so lustig findet.
Genervt hebt er sein Shirt vom Boden auf. "Schmeckt's?"
"Ich würde dir ja etwas anbieten, aber damit, was Lisa dir gerade geben wollte, kann Pizza wohl nicht mithalten."
"Wo du wohl gern zugesehen hättest, nicht wahr?", hinterfragt diese schmunzelnd, während sie sich ihre Bluse zuknöpft. "Sollen wir dir nächstes Mal Bescheid geben, wenn wir übereinander herfallen wollen?"
Belustigt lege ich meinen Kopf schief. "Also wenn das eine Einladung zu einem Dreier sein soll, muss ich schweren Herzens ablehnen. Ihr beide seid ja echt heiß, aber ich teile nicht so gern. Außer vielleicht Pizza." Mit den Worten hebe ich den Karton hoch. "Aber ich bin mir nicht so sicher, ob sie mit dem, was Lisa dir bietet, mithalten kann."
Oliver wirft amüsiert ein Kissen nach mir, dem ich lachend ausweiche.
Er geht zu seiner fast leeren Kommode und kramt ein neues Shirt heraus. Das andere wirft er in irgendeine Ecke. "Wir wollen auf eine Party."
"Sah eher so aus, als würdet ihr eure eigene kleine Party feiern."
Seine Freundin setzt sich augenverdrehend auf das Bett. "Wes, ich denke nicht, dass wir dir erklären müssen, wie es zustande kommt, dass zwei Menschen aufeinander scharf werden, oder?"
Grinsend schüttle ich den Kopf. "Lisa, du solltest ein wenig mehr Spaß verstehen."
"Kommst du mit?", fragt mich dann mein bester Freund. Er hat sich mittlerweile ein schlichtes grünes Shirt angezogen und fährt sich gerade durch die Haare, um sie offensichtlich in Ordnung zu bringen.
Das kann man sich aber wirklich nicht ansehen. Er macht es nur noch schlimmer.
Ich gehe auf die beiden zu und gebe Lisa den Pizzakarton. Verwundert schaut sie mich an, wie ich auf ihren Freund zugehe und dessen Hand wegschlage. "Lass mich mal. Ich kann das viel besser", sage ich und fange an, seine Haare zu stylen.
"Ihr beide seid die merkwürdigsten Freunde, die es gibt. Wisst ihr das eigentlich?", höre ich die junge Frau hinter mir sagen. Sie klingt amüsiert.
Als Oli seinen Kopf zu ihr drehen möchte, werde ich ihm einen warnenden Blick zu. "Wenn du jetzt mein Kunstwerk zerstörst, schlage ich dich."
Als er mir spielerisch flirtend zuzwinkert, kann ich nicht verhindern zu grinsen.
Lisa, die dieses Spektakel vom Bett aus beobachtet, runzelt die Stirn. "Seid ihr sicher, dass nie etwas zwischen euch lief?"
Mein Grinsen wird breiter. "Warum? Turnt dich der Gedanke an uns beiden an?"
Über meine Bemerkung amüsiert schüttelt sie den Kopf. "Du bist wirklich ein Idiot! Hör mal, wenn du mitkommen willst, dann mach dich fertig. Wir wollen los."
Es ist Freitagabend und ich kann nicht mal einen ruhigen Abend mit meiner Pizza genießen. Schon unfair.
"Eigentlich habe ich gar nicht so wirklich ..."
"Was ist denn mit dir, du Waschlappen? Du wirst uns gefälligst begleiten. Immerhin ist es unser letztes gemeinsames Wochenende!", knallt mir mein bester Freund an den Kopf und versucht dabei, streng auszusehen.
Ich lasse es zu, dass er mich Richtung Tür schiebt. "Und wenn sie dir so am Herzen liegt, dann iss die Pizza eben auf dem Weg zur Party." Mit diesen Worten knallt er mir die Tür vor der Nase zu und lässt mich mit meiner plötzlich grimmigen Stimmung zurück.
Toll. Ich bin trotzdem nicht sonderlich in Stimmung. Lieber würde ich auf der Couch sitzen bleiben und entspannen. Womöglich könnte ich auch mit Evan schreiben.
Unwillkürlich lächle ich, als ich an den Lockenkopf denke.
Auch wenn wir uns gestern erst kennengelernt haben, hat er mir tatsächlich seine Telefonnummer gegeben. Das habe ich allerdings erst mitbekommen, als er schon längst den Laden verlassen hatte. Zu meiner Verwunderung habe ich auf seinem Platz eine Serviette entdeckt, die wie ein Flugzeug gefaltet gewesen ist. Und dort ist tatsächlich seine Nummer drauf geschrieben gewesen.
Wenn wir miteinander schreiben, ist es auch so unbeschwert. So, als hätten wir uns nicht gerade erst kennengelernt, sondern schon vor einiger Zeit. Wir verstehen uns einfach wahnsinnig gut. Nur könnte wirklich die Gefahr bestehen, dass ich mich in den Jungen mit den Wahnsinnshaaren verknalle. Deshalb sollte ich dringend aufpassen.
Ich halte kurz am Badezimmer, um mich ein bisschen frisch zu machen, gehe dann in mein Zimmer, um meinen Lieblingshoodie aus dem Schrank zu nehmen, den ich sogleich überziehe. In dem Moment, als ich mein Portemonnaie in meine Hosentasche schiebe, ertönt ein allbekannter Handyton. Neugierig schaue ich nach, wer mir geschrieben hat, nur um dann zu lächeln.
Evan [21:43 Uhr]: Kennst du solche Momente, in denen du deine besten Freunde am liebsten gegen die Wand werfen würdest?
Evan [21:43 Uhr]: Und dich im See ertränken willst?
Er meint doch aber wohl nicht Matt? Der Kleine könnte niemanden etwas Böses tun. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Trotzdem gehe ich dieser Theorie nach.
Wes [21:44 Uhr]: Was hat mein lieber Kollege denn angestellt, dass du so fühlst?
Er antwortet sofort.
Evan [21:44 Uhr]: Tatsächlich kann ich auch noch andere Menschen zu meinem Freundeskreis zählen. Es gibt nicht nur Matty und Piper
Wes [21:45 Uhr]: Tja, ich bin besonders genug, dass ich auf jeden Fall zweimal gezählt werden kann. Also hast du schon mal vier Freunde. Glückwunsch
Evan [21:45 Uhr]: Ach, ist das so? Sind wir denn schon bereit für diesen Schritt, dass wir uns diesen Status geben können?
Lisa ruft nach mir, so wird der Griff um mein Smartphone stärker, als ich aus meinem Zimmer stürze, um die beiden nicht länger warten zu lassen. Gleichzeitig kann ich nicht verhindern, über seine Anmerkung zu schmunzeln.
Schon nach unserer ersten Begegnung war mir klar, dass Evan mir gehörig den Kopf verdrehen könnte. Und dass er am nächsten Tag nochmal in die Pizzeria gekommen ist, hat mich in meiner Vermutung nochmal bestärkt. Zwar haben er und Matt wohl irgendwas für die Schule machen wollen und deshalb hat er ihn von der Arbeit abgeholt, aber ihn zu sehen, hat etwas in mir ausgelöst.
Und das finde ich verrückt. Immerhin kenne ich diesen Jungen eigentlich gar nicht. Klar, ich kann mich wahnsinnig gut mit ihm unterhalten. Und wenn er lächelt, verwandelt er meine Knie in Wackelpudding. Wirklich, da kann ich nicht anders, als schwach zu werden.
Mein bester Freund und seine Freundin warten an der Wohnungstür auf mich. Als ich auf sie zugehe, betrachten sie mich misstrauisch.
"Warum bist du auf einmal so gut gelaunt?", fragt Lisa.
"Was meinst du? Ich bin nicht anders, als wie ich vor ein paar Minuten war."
Doch sie schüttelt den Kopf. "Du … strahlst plötzlich."
"Und lächelst total unheimlich", merkt Oliver an, während er uns die Tür aufhält und sie anschließend hinter sich zuzieht und abschließt.
Auf dem Weg nach unten schweige ich konsequent, weiche auch ihren fragenden Blicken aus, als wir zum Wagen laufen.
"Wes, komm schon. Jetzt rück mit der Sprache raus!"
"Wie ich ihn kenne, hat es mit jemand Besonderes zu tun. Hast du jemanden kennengelernt?", fragt mein bester Freund, als wir einsteigen.
Immer noch still nutze ich den Platz für mich allein auf der Rückbank, um meine Beine hochzulegen, beiße mir innerlich aber auf die Zunge.
Wie kann es sein, dass es so auffällig ist? Wie habe ich mich denn dann erst gegenüber Matt oder gar Evan verhalten? Womöglich machen die beiden sich insgeheim über mich lustig. Gott, das will ich lieber gar nicht erst wissen.
"Könntest du dich wenigstens anschnallen?", bittet mich Oli. "Ich habe echt keine Lust, wegen dir wieder mal im Krankenhaus zu liegen."
"Ist dir eigentlich bewusst, dass ich niemanden mehr haben werde, der mich bei einem Notfall ins Krankenhaus fahren würde? Oder mich verarztet?", mache ich ihn auf das Offensichtliche aufmerksam, auch um das Thema von Evan abzulenken, gehe aber seiner Bemerkung nach und schnalle mich dabei an.
Lisa schüttelt amüsiert den Kopf. "Du redest nicht zufällig von deiner unglaublich schlimmen Schnittwunde, als du dich an Papier geschnitten hast?"
Empört schnappe ich nach Luft. "Ey, du kannst dir doch gar nicht vorstellen, wie weh das getan hatte! Und ehrlich, ich will mir nicht so wirklich ausdenken, inwieweit es geblutet hätte ..."
"Du redest wirklich wieder nur Schei ..."
"Das ist wohl Ansichtssache."
Wir fahren für ein paar Minuten, als mein Handy wieder ertönt. In Lichtgeschwindigkeit entsperre ich es, um Evans Nachricht zu lesen. Ihn hatte ich gerade komplett vergessen.
Evan [21:56 Uhr]: Ich kann mich wohl glücklich schätzen, den großen Wes zu meinen Freunden zählen zu dürfen. Vielen Dank dafür!
Schmunzelnd antworte ich ihm.
Wes [21:56 Uhr]: Das hast du richtig erfasst!
Wes [21:57 Uhr]: Aber was ist denn jetzt eigentlich passiert?
Es vergeht einen Moment, bis er zurückschreibt. Ich starre wie gebannt auf das *schreibt*, das oben angezeigt wird und irgendwann verschwindet.
Evan [22:00 Uhr]: Es ist ein wenig komplizierter. Das alles gerät gerade irgendwie außer Kontrolle. Dabei wollte ich nur, dass sich jeder übers Wochenende vergnügt. Aber das geht wohl doch ganz schön schief. Und jetzt sind alle auf irgendwen sauer, man geht sich aus dem Weg ...
Evan [22:01 Uhr]: Piper würde am liebsten nach Hause fahren, weil sie sich wegen irgendwas mit Matt gestritten hat. Und dann ist auch noch etwas ganz Komisches passiert. Ich will dich damit aber nicht langweilen ...
Wes [22:01 Uhr]: Es klingt alles andere als langweilig
Wes [22:02 Uhr]: Aber wenn du das Verlangen verspürst, flüchten zu wollen, dann komm doch vorbei. Ich habe bald sturmfreie Bude und ein Bettchen wäre frei
Ich beiße mir verstohlen auf die Unterlippe, als ich die letzte Nachricht abschicke.
Jetzt muss ich wohl vollkommen durchgeknallt sein, ihm so etwas zu schreiben. Aber meine Finger haben sich regelrecht selbstständig gemacht. Es war, als wollen sie ihn dazu einladen.
"Du bist schon wieder so hippelig", ertönt es vom vorderen Bereich des Autos. Als ich aufschaue, begegne ich dem neugierigen Blick von Lisa. "Rück doch endlich mit der Sprache heraus, wer deine Aufmerksamkeit so beansprucht!"
"Das geht dich gar nichts an!"
"Der kleine Wes hat wohl schon jemand Neues gefunden, der ihn ins Krankenhaus fährt", witzelt mein bester Freund, der in dem Moment um die Ecke fährt. Dann schaut er über den Rückspiegel zu mir nach hinten. "Sieh doch nur, wie rot er wird!"
Ich fühle mich ertappt, als ich mich wieder an mein Smartphone wende.
Evan [22:04 Uhr]: War das etwa gerade ein Angebot? Wir sollten aufpassen, dass wir nichts überstürzen
Erleichtert atme ich leise aus. Froh darüber, dass er meine Worte nicht in den falschen Hals bekommen, sondern es mit Humor genommen hat.
Ich kann es immer wieder sagen, dass dieser Kerl mir wirklich gefährlich werden kann, dass ich mich verliebe. Es wäre nicht schwer, sich in ihn zu verknallen.
Noch in Gedanken versunken, realisiere ich zu spät, dass mir mein Handy aus der Hand gerissen wird. Lisa weicht mir schnell aus, als ich es mir zurückholen möchte. "Evan heißt er also?", schlussfolgert sie grinsend und macht Anstalten, unseren Chatverlauf zu lesen.
Zum Glück kann ich es ihr doch noch entreißen. "Du kennst das Wort 'Privatsphäre', oder?"
Sie verdreht die Augen. "Das sagt derjenige, der uns vorhin im Schlafzimmer beobachtet hat."
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