Kapitel 28

• E V A N •

"Danke, dass ihr mich mitnehmt", sage ich nach vorne, während ich mich anschnalle.

Chris fährt grinsend los. "Warum fährt dich dein Freund eigentlich nicht?"

"Er hat einen Termin ..."

"Ach, nennt man das heute so?"

"Halt die Klappe, Chris", wirft Matthew ihm an den Kopf und dreht sich dann zu mir um. "Wie war euer Wochenende? Wes war doch zum Abendessen da."

"Nicht nur das, er hat das komplette Wochenende bei uns verbracht", entgegne ich lächelnd. "Er versteht sich wirklich gut mit meinen Eltern."

"Das freut mich für euch!"

"Und wie ich Wesley kenne, habt ihr die Nächte bestimmt nicht mit Schlafen verbracht", witzelt mein bester Freund, welcher deshalb von seinem Freund geschlagen wird.

"Konzentriere dich doch einfach auf das Fahren und lass mich reden!", meckert Matt ihn an, was mich zum Schmunzeln bringt.

Man sieht, wie gut die beiden sich einander tun. Matthew ist seitdem ein ganz anderer Mensch - er traut sich mehr zu, vor allem, seine Meinung klar zu sagen. Durch seine Beziehung mit Chris scheint er wirklich mehr Selbstvertrauen gewonnen zu haben. 

Nun schäme ich mich schon regelrecht, dass ich anfangs gegen die Beziehung war. Aber sie mussten erst ihre eigenen Angelegenheiten beiseite schaffen, um sich aufeinander einlassen zu können. 

Denn wie man jetzt sieht: Sie sind füreinander geschaffen. Sie ergänzen sich. 

"Sagt mal, ich bräuchte mal euren Rat", beginne ich vorsichtig, bereue es aber sofort, als Chris einen seiner legendären Sprüche raushaut. 

"Evan, du bist nicht so der Typ für Sexspielzeug. Auch wenn du jetzt mit Wes zusammen bist. Lass dir nichts von ihm einre-"

"Christoph Jackson!", ruft Matt empört aus und schaut ihn wütend an. Allerdings kann er den Jüngeren nicht sehr ernst nehmen und weicht ihm schließlich aus, als Matthew nach ihm schlagen will. 

"Schon gut. Was liegt dir denn auf dem Herzen?", fragt Chris dann, während er um eine Kurve fährt. 

"Mir ging am Wochenende die Idee durch den Kopf, Wesley auf den Winterball einzuladen."

Eigentlich hatte ich auch gar nicht vor hinzugehen. Dieser Ball ist eine der wenigen Traditionen unserer Schule. Bisher war ich nur einmal dort gewesen als Pipers Begleitung. Um ihren Eltern zu beweisen, dass sie sich an außerschulischen Aktivitäten - und das auch tatsächlich mit Jungs - beteiligt. Dass sie ein ganz normales Teenagerleben führt.

Und es war eine Katastrophe. Sie hatte durchgehend schlechte Laune, wollte nicht tanzen, sondern nur am Rand stehen. Eigentlich habe ich sie nur dabei begleitet, über jeden, der anwesend ist, zu lästern.

"Hast du solche Veranstaltungen nicht sonst immer verabscheut?", erinnert mich nun auch Christoph, als er auf den Parkplatz unserer Schule fährt. 

Matt nickt zustimmend. "Wie kommt es auf einmal, dass du hingehen möchtest?"

Achselzuckend schaue ich aus dem Fenster, betrachte die einzelnen Schülergruppen, an denen wir vorbeifahren. "Es ist unser letztes Schuljahr. Vielleicht macht der Gedanke mich ein wenig sentimental, keine Ahnung. Ich würde aber gern mit ihm dieses kleine Erlebnis teilen."

"Das klingt wahnsinnig romantisch!", schwärmt Matthew.

Der Wagen fährt in eine der wenigen leeren Parklücken. "Evan, du solltest auf dein Bauchgefühl hören. Aber denk daran, dass du dich damit auch vor jeden outen wirst", sagt Chris, als er sich zu mir umdreht. "Bist du dafür auch wirklich bereit? Ich meine, bisher hast du dich nur vor deinen Vertrauten mit Wesley gezeigt."

Nacheinander steigen wir aus. Chris öffnet die andere Tür zur Rückbank und wirft erst mir meinen Rucksack zu, dann kramt er seinen eigenen und den von seinem Freund hervor. "Hör auf dein Bauchgefühl, Kumpel. Mehr kann ich dir nicht raten."

"Wes würde es aber sicherlich viel bedeuten, wenn du ihn zum Ball einlädst", erwähnt Matt und greift dann lächelnd nach Chris' Hand, der sofort deren Finger miteinander verschränkt.

Gemeinsam machen wir uns auf dem Weg zum Haupteingang. "Sollte mir denn der Gedanke Angst machen, mich mit Wes öffentlich zu zeigen?", überlege ich laut. Meine besten Freunde laufen Hand in Hand neben mir und bedenken mich mit einen mitfühlenden Blick.

"Du weißt, dass wir hinter euch stehen. Genauso wie unsere Eltern", versichert Chris mir. "Und natürlich sollte dich nicht interessieren, was andere von dir denken. Aber naja, Teenager können verdammt boshaft sein. Und ihre verletztenden Worte würden dich noch eine Weile verfolgen, wenn du sie zu sehr an dich heranlässt."

Seufzend lasse ich den Kopf hängen. "Jetzt fühlt sich das alles wirklich nicht mehr richtig an."

"Super gemacht, Chris", brummt mein bester Freund, doch dieser scheint auf etwas anderes zu achten.

"Was will die denn?" Er deutet mit grimmigen Blick in Richtung Haupttür. Wir staunen nicht schlecht, als wir unsere frühere beste Freundin entdecken. In den letzten Tagen haben wir nichts mehr von ihr gehört. Nachdem Vince wieder in die Psychiatrie eingewiesen wurde, hatte sie nicht den Mut, sich bei uns gemeldet.

"Müssen ihr mit diesem Biest reden?"

Matt schüttelt bestimmend den Kopf. "Ich wüsste nicht, was wir mit ihr zu bereden hätten", sagt er so laut, dass es auch Piper hört.

Mit zusammengepressten Lippen kommt sie auf uns zu. "Hey."

"Was willst du, Miststück?", zischt Chris und drückt seinen Freund demonstrativ an sich.

"I-Ich würde gern mit euch reden. Also mit Evan und … Matt", bittet sie und schaut zwischen uns hin und her. 

Doch dieser lacht nur verachtend auf. "So wie am Freitag, bevor du deine Lippen auf meine gepresst hast?"

"Wie bitte?", ruft Chris geschockt aus. "Wie … wie konntest du das denn zulassen?" Er wendet sich dem Mädchen zu. "Was bildest du dir ein, dich an einen vergebenen Typen ranzumachen? Geht's noch?"

"Chris ..."

"Lass sie einfach. Wir kommen zu spät zum Unterricht. Und das werden wir auch jedes Mal, wenn du wieder versuchst, mit uns zu sprechen", meint Matthew und macht Anstalten, seinen Freund an ihr vorbeizuziehen. "Kommst du, Evan?"

"Ich komme gleich nach. Hier gibt es noch etwas zu klären", informiere ich die beiden und schaue dann Pip an, die meinem Blick ausweicht. Hinter ihr geht das Paar in das Schulgebäude. Als sie aus meinem Sichtfeld verschwinden, wende ich mich wieder ihr zu. "Also, du hast fünf Minuten, dann muss ich nämlich in den Unterricht. Du übrigens auch ..."

"Evan, es … es tut mir leid, okay? Was ich euch angetan habe, ist unverzeihlich. Es war falsch und das weiß ich auch", fleht sie und ignoriert all die Blicke der anderen, die sie verwundert anschauen. "I-Ich war einfach so … eifersüchtig. Chris und Matty sind sich immer nähergekommen, und dann hat sich irgendwie auch etwas zwischen dir und diesem Wesley entwickelt ..."

"Auch wenn es dich nicht zu interessieren hat, wir sind ein Paar", unterbreche ich sie barsch und verschränke meine Arme vor der Brust.

Dass ich ihr überhaupt eine Chance gebe, sich zu erklären, sollte mich schon wundern. Sie hat sich so beschissen uns gegenüber verhalten. Besonders Matthew gegenüber.

"Du kannst nicht verstehen, wie sehr es mir weh getan hat, die beiden so zusammen zu sehen!" Sie schaut betrübt auf ihre Hände. "Wir waren jahrelang ein so tolles Team, aber dann … habt ihr mich ausgeschlossen ..."

"Moment mal. Ihm tat es genauso weh, als du dich wie ein Miststück aufgeführt hast! Denkst du, ich war anfangs begeistert, als die beiden angefangen haben, miteinander anzubendeln? Ehrlich gesagt, nein. Aber stell dir vor, sie machen sich gegenseitig glücklich und sind wirklich gut füreinander. Dir scheint das aber weniger wichtig zu sein.."

Als sie die Augen verdreht, muss ich mich wirklich zusammenreißen. "Ich erkenne dich einfach nicht wieder, Piper. Gut, du kannst es nicht ertragen, dass Matthew nicht dich, sondern Chris liebt. Aber dass du dich deshalb mit den abartigsten Typen der Schule abgegeben hast, mit einen von ihnen Hand in Hand herumgelaufen bist … und uns beleidigt hast. Deine eigentlichen Freunde. Was aber noch schlimmer ist. Wie konntest du dich mit Vincent zusammentun?"

"Was hätte ich denn tun sollen? Die beiden Jungs haben mich verstanden, denn sie sehen auch ein Problem in dieser Beziehung."

"Ihr tickt doch nicht ganz richtig ..."

"HALT DOCH EINFACH DIE KLAPPE, WENN DU KEINE AHNUNG HAST!", schreit sie auf einmal und schubst mich, sodass ich gegen die Hauswand stoße. "Ihr seid doch schuld, dass ich so geworden bin! Wäre es einfach so geblieben, wie es war. Matt hätte sich bestimmt in mich verliebt und-"

"Nur schade, dass Matthew nicht auf durchgeknallte Psychobräute steht", fahre ich sie an. "Mit dir kann man gar nicht auf einem guten Weg reden."

Als ich mich auf dem Schulhof umsehe, laufen nur noch wenige Schüler in das Gebäude hinein, um noch einigermaßen rechtzeitig in den Unterricht zu kommen. Nur zwei Schatten an einem Baum gelehnt haben es offenbar gar nicht eilig. 

Kritisch betrachte ich Aaron und Nathan, die unsere Unterhaltung offenbar interessiert verfolgen. "Weißt du, du solltest dich am besten einfach von uns fernhalten, Piper. Unsere Freundschaft, wenn sie jemals echt war, ist nicht mehr zu reparieren."

"Nicht so, Freundchen", fährt sie mich jedoch an. "Du bist doch an allem schuld!"

"Wie bitte?"

"Von dir war keine Hilfe zu erwarten, obwohl du ganz genau wusstest, dass ich Matty liebe. Was hätte ich denn tun sollen? Mir blieb nichts anderes übrig, als mich an die Jungs zu wenden. Und es hätte auch beinahe funktioniert, diese ekelhafte Beziehung zu zerstören. Die beiden haben sich ständig gestritten, standen garantiert schon kurz vor der Trennung. Aber natürlich musstest du dich wieder am Ende einmischen", faucht sie und pikst mir ihren Fingernagel in die Schulter. "Warum konntest du nicht einfach alles seinen Lauf haben lassen? Hasst du mich so sehr, dass du mein Leben kaputtmachen musst?"

Jetzt dreht sie aber völlig durch.

Ihr beinahe beiläufiges Lächeln verstört mich ein wenig, als ich ihre Hand wegschlage. "Ich sage es nur noch einmal, Pip. Hör also genau zu. Lass uns in Ruhe. Ich möchte nichts von dir hören und dich auch nicht sehen. Von mir aus kannst du dich weiterhin mit diesen Schwachköpfen da hinten abgeben. Wie es aussieht habt ihr ja einiges gemeinsam", mache ich ihr klar und dränge mich dann endlich an ihr vorbei. Das hätte ich schon vor ein paar Minuten tun sollen.

Als ich den beiden einen vernichtenden Blick zuwerfe, sehe ich, wie Aaron mir grinsend zuwinkt. Der ist genauso bescheuert. Wenn ich es nicht besser wüsste, sollten an dieser Schule so einige sich mal in professionelle Hilfe begeben. 

"Das wirst du bereuen, Evan!", ruft meine ehemals beste Freundin hinterher. "Du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin."

Doch anstatt ihrem Willen nachzugeben mich umzudrehen, laufe ich standhaft in das Schulgebäude hinein. Im Flur begegne ich nur wenigen Schülern, die noch an ihren Spinden Halt machen. 

Noch ein paar Minuten habe ich, bis es zum Unterricht klingelt.

Als ich die Treppen nach oben nehme, höre ich das nervige Gegröle von Aaron und Nathan hinter mir. Augenverdrehend versuche ich, die beiden zu ignorieren, doch dann hallen ihre Stimmen auch an den Wänden des Treppenhauses ab.

"Du kannst dich nicht vor uns verstecken, Evan."

"Lasst mich doch einfach in Frieden, verdammt", rufe ich ihnen über die Schulter zu, sehe aus dem Augenwinkel, dass sie mir dicht an den Fersen sind. "Was wollt ihr denn?"

"Nur reden. Unter Freunden, verstehst du?", sagt nun Nathan. Seine Lippen umspielt ein kaltes Lächeln, das mir ehrlich gesagt einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt.

Doch versuche ich es mir nicht anzulassen. "Wie wäre es damit, in den Unterricht zu gehen. Glaubt mir, es gibt noch so einiges, das ihr lernen könnt ..."

Auf einmal sind ihre Schritte ganz nahe bei mir zu hören. Und ehe ich mich versehe, werde ich an der Jacke zurückgezogen und stolpere einige Stufen nach unten. Nach Luft schnappend finde ich mich an der Wand gepresst wieder. Vor mir stehen die beiden. In Aarons Augen funkelt irgendwas auf, das ein ungutes Gefühl in mir auslöst.

"Immer noch die große Klappe, Malone? Wollen wir doch mal sehen, ob dir gleich immer noch so ein lockerer Spruch auf den Lippen liegt", knurrt er und zieht mich dann hinter sich her die letzten Stufen zur ersten Etage hoch.

"Lasst mich los!"

"Schnauze, sonst setzt es was!"

Auf dem Weg in die Jungentoilette treffen wir niemandem auf dem Flur, der mir zur Hilfe kommen kann. Und auch als sie mich in den Waschraum schubsen, sind wir alleine.

Ich stolpere über meine eigenen Füße und kauere wie ein Hund auf allen vieren vor den beiden. Aaron packte mich an den Haaren und reißt meinen Kopf so stark zu sich heran, dass mir die Tränen in die Augen schießen. 

"Nicht, dass ich dich jemals sonderlich gemocht habe", beginnt er, während Nathan um uns herum läuft und neben mir stehen bleibt. Ich bin zwischen ihnen eingepfercht. "Aber gerade habe ich wahnsinnige Lust, dir deine hässliche Fresse einzuschlagen."

Ein schmerzvoller Laut entweicht meinen Lippen, als sich ein Knie in meinen Bauch rammt. Krümmend versuche ich, mich loszureißen, doch dann werde ich schon wieder nach vorne geschleudert. Ein Gewicht lastet auf meinem Rücken, als einer der beiden seinen Fuß dazu benutzt, um mich auf den Boden zu halten.

"Du kleine Schwuchtel wirst schon sehen, was du davon hast, auf uns herabzuschauen", zischt Nathan, bevor sie abermals auf mich eintreten.

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