Kapitel 24
• E V A N •
Zum wiederholten Male führe ich mein Weinglas an den Mund und nippe daran. Damit versuche ich, den Blicken von Wes' Großvater zu entkommen, der mich regelrecht damit zu erdolchen versucht. Fehlt nur noch, dass er mir seine Gabel in den Hals rammt.
Am liebsten hätte ich mir vorhin etwas Starkes bestellt, aber das wäre sicherlich nicht gut angekommen.
Unter dem Tisch hat Wes nach meiner Hand gegriffen und streicht mit dem Daumen über meinen Handrücken. Das soll mich wahrscheinlich beruhigen, leider funktioniert es nicht ganz.
"Könntest du aufhören, meinen Freund einzuschüchtern?", wirft Wes ihm plötzlich an den Kopf und drückt zur Unterstützung meine Hand.
Ihm scheint es wohl egal zu sein, dass jeder am Tisch davon mitbekommt.
"Ich weiß nicht, was du meinst ..."
"James, es wird schon langsam erbärmlich. Halt dich doch einfach bitte zurück und genieß dein Steak. Oder noch besser, ersti-"
"Wesley!" Annabelle sieht ihn warnend an, doch er verdreht nur die Augen.
Es ist immer noch erschreckend, wie schlecht sein Verhältnis zu seiner Familie ist. Ich habe Wes als einen verrückten Spaßvogel kennengelernt, der aber auch eine sensible Seite hat. Und er würde niemals jemanden verurteilen - außer es gäbe einen beachtlichen Grund dafür. Und den scheint es hier allzu gut zu geben.
Sein Großvater lenkt seine Aufmerksamkeit auf sein Telefon, das zu klingeln beginnt. Er murmelt eine Entschuldigung, bevor er sich aufrichtet und vom Tisch entfernt.
Wes' Hand um meine verkrampft sich, so fest, dass ich sie ihm zischend entziehe. Er schaut mich entschuldigend an.
"Wes, bitte. Mach es nicht komplizierter als ...", beginnt Anna, aber sie wird von ihm unterbrochen.
"Es wundert mich nicht, dass du wieder bei mir den Fehler siehst. Das ist mir auch vollkommen egal. Es ist mir allerdings nicht egal, dass er meinen Freund tyrannisiert und einschüchtert. Aber das möchtest du natürlich nicht sehen", brummt Wesley und legt sein Besteck beiseite.
Niemand am Tisch vermag es zu sprechen.
Verlegen beiße ich mir auf die Lippe und greife über den Tisch nach einer Serviette. Während ich beginne, sie zu falten, legt Wes seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich traue mich nicht, ihn anzusehen.
Heute Abend soll es sich nur um Annas Geburtstag drehen. Stattdessen streiten Wes und sein Großvater wegen unserer Beziehung.
Ich spüre seinen Blick auf mir, er beobachtet, wie ich die Serviette zu einem Flugzeug falte. Er hat sich sicherlich schon mal gefragt, warum ich das tue. Er hat mich bisher nie deshalb angesprochen. Ich wüsste gern, ob er es als eine verrückte Macke von mir abstempelt oder er mich nicht fragen möchte. Womöglich findet er es auch einfach nicht wichtig.
Meine Nervosität steigt, als sein Großvater zurück an den Tisch kommt. "Entschuldigt mich nochmal für einen Augenblick. Mein Gast ist gerade gekommen."
Sein Gast? Ist ihm entfallen, dass nicht er, sondern seine Tochter Geburtstag hat?
Mein verwirrter Blick trifft den von Wes, der aber nur mit den Achseln zuckt und näher an mich heranrückt.
"Hast du keine Ahnung, wer es sein könnte?", frage ich ihn leise, als wir James hinterherschauen.
"Nein, aber ich habe ein ungutes Gefühl. Das habe ich bei ihm immer." Seufzend lehnt er seine Stin gegen meine. "Wir sollten lieber daran denken, dass wir bald abhauen können. Meine Großeltern wissen sich zwar nicht zu benehmen, aber alle anderen mögen dich, Evan, okay? Ignorier sie am best-"
Ich unterbreche ihn, indem meine Lippen über seine streifen. "Solange du dich nicht provozieren lässt … denk an Anna. Sie hat sich so darüber gefreut, dass du nach Hause gekommen bist."
Er küsst mich nochmals, bevor wir uns wieder dem Abendessen zuwenden. Ich beteilige mich nur zurückhaltend an den Unterhaltungen, beobachte lieber meinen Freund dabei, wie er mit seinen Verwandten umgeht. Obwohl nicht dasselbe Blut in ihren Adern fließt, besteht dennoch eine gewisse Verbindung zwischen ihnen. Auch wenn Wes es nicht wahrhaben möchte.
Er streitet es zwar ab, aber sie sind ihm wahnsinnig wichtig. Egal, was für Streitigkeiten zwischen ihnen liegen, sie lieben sich. Sie sind eine Familie.
Es herrscht endlich eine ausgelassene Stimmung am Tisch, als Wes sich neben mir anspannt. Mit geweiteten Augen starrt er in zwischen den Köpfen der Anwesenden hindurch, und als ich seinem Blick folge, entdecke ich seinen Großvater. In Begleitung einer jungen Frau. In diesem klassischen blauen Kleid wirkt sie atemberaubend, es schmiegt sich an ihren schlanken Körper, die braunen Haare sind nach oben gesteckt. Nur ein paar lose Strähnen umrahmen ihr makelloses Gesicht. Mit diesem Lächeln kann sie bestimmt jeden um den kleinen Finger wickeln.
"Das kann nicht wahr sein ...", höre ich Wes neben flüstern, als die beiden an den Tisch treten.
Die dunkelhaarige Schönheit geht auf Anna zu und zieht sie in eine überschwängliche Umarmung. Ihr Blick liegt dabei aber auf Wes, der nun noch angestrengter wirkt.
"Ich hoffe, es ist kein Problem, dass ich Morgan eingeladen habe", höre ich James sagen. "Ich habe sie letzte Woche zufällig getroffen und für heute Abend eingeladen."
Diese Morgan lässt sich von James einen Stuhl zurückschieben, damit sie sich setzen kann. "Es ist lange her, Wes."
Er lacht auf. Es klingt verachtend. "Findest du? Es hätten noch ein paar Jahrzehnte dazwischen liegen können, bis wir uns nochmal treffen", knurrt er. Als ich nach seiner Hand greife, reagiert er nicht auf diese Geste, sondern tötet sie weiterhin mit seinen Blicken.
"Leidest du etwa immer noch an unserer Trennung, Wesley? Dabei ist das zwischen uns doch schon so lange her ..."
Trennung? Sie ist seine Exfreundin?
Sie entledigt sich ihrem Mantel, den ihr Gideon sofort abnimmt. Ihre Augen richten sich auf mich. "Entschuldige, wir kennen uns, glaube ich, noch nicht" - sie hält mir ihre Hand hin - "Ich bin Morgan. Eine gute Freundin der Familie ..."
"Und die Ex meines Freundes", falle ich ihr ins Wort und werfe die Serviette beiseite. "Würdet ihr mich für einen Moment entschuldigen?"
Als ich Anstalten mache, aufzustehen, hält mich Wes zurück. Doch ich entziehe ihm die Hand. Ohne auf die anderen zu achten, greife ich nach meiner Jacke und laufe mit schnellen Schritten in Richtung Waschraum. Dort stelle ich erleichtert fest, dass ich allein bin, und lehne mich gegen eines der Waschbecken.
Es dauert nicht lange, bis Wes die Tür aufstößt. "Evan ..."
"Er hat deine Ex angeschleppt, Wes. Wie gestört ist das denn bitte?"
"I-Ich weiß, aber … Evan, ich habe nichts mit der Sache zu tun! Können wir nicht einfach den Abend mit meiner Familie genießen und … die beiden ignorieren?"
Als wenn das so einfach wäre.
"Wie stellst du dir das denn vor?" Unsere Blicke kreuzen sich, als ich den Kopf hebe. "Du verlangst doch nicht etwa von mir, dass ich mich an de gleichen Tisch setze, an dem deine Exfreundin uns zu provozieren versucht. Dein Großvater … er ist … Was stimmt denn nicht mit ihm? Was ist sein verdammtes Problem, Wesley?"
Er tritt auf mich zu und fasst nach meiner Hand. "Evan, es ..."
"Nein, Wes. Es tut mir leid, aber ich halte das nicht aus. Erst muss ich mich von ihm beleidigen lassen, und jetzt setzt er noch einen drauf, indem er deine Ex zum Geburtstag deiner Mutter einlädt. Das ist doch … krank!"
Dass James ein solches Arschloch ist, dafür kann Wes nichts. Es ist nicht seine Schuld, aber ich bin so unendlich wütend.
"Ich kann das nicht, Wes. Ich kann nicht hierblei-"
Die Worte bleiben mir im Halse stecken, als er seine Arme um mich legt. Seufzend schließe ich die Augen und lehne mich gegen ihn.
"Wir könnten ..."
"Nein, Wes. Du solltest hierbleiben. Es ist der Geburtstag deiner Mutter."
"Aber ich kann dich doch nicht allein lassen."
"Doch kannst du. Ich möchte sowieso ein bisschen für mich sein, wenn das okay ist", murmle ich und hauche ihm einen Kuss auf die Wange.
Er lehnt seine Stirn gegen meine und schließt die Augen. "Und ich kann dich nicht überreden zu bleiben?"
Langsam schüttle ich den Kopf und verweile noch für einen Moment in dieser Position, bevor ich mich von ihm abwende. An der Tür halte ich inne, als er meinen Namen haucht.
"Mit uns … ist doch alles okay, oder?"
Ich drehe mich nicht zu ihm um, sondern drücke die Klinke herunter und öffne die Tür. "Alles gut, Wes. Ich melde mich später", verspreche ich und lasse ihn dann alleine.
• W E S •
"Ich kann nicht fassen, dass ihr das hier zulasst", werfe ich meinen Eltern vor, die auf meine Wut zerknirscht reagieren.
"Schätzchen, sie ist doch schon früher zu Familienfeiern eingeladen worden. Sie ..."
"Ihr wusstet also, dass Morgan kommen würde, obwohl ich euch gesagt habe, dass ich jemanden mitbringe?", frage ich fassungslos und richte mich auf.
Nachdem Evan ohne eine weitere Erklärung das Restaurant verlassen hat, bin ich enttäuscht zu meiner Familie zurückgekehrt. Bis jetzt hat er auf keine meiner Nachrichten geantwortet. Und ich mache mir Sorgen. Er läuft in einer fremden Stadt abends herum und scheint berechtigterweise durch den Wind zu sein.
Ich hätte ihn nicht alleine gehen sollen.
"Ich kann nicht fassen, dass ihr mir das antut. Und Evan … könnt ihr euch eigentlich vorstellen, wie er sich jetzt fühlt? Er ist bestimmt nicht abgehauen, weil ihm das Essen nicht geschmeckt hat."
Gideon macht Anstalten, mir die Hand auf die Schulter zu legen, doch ich weiche ihm aus. Ihm entweicht daraufhin ein Seufzer. "Wesley, wir verstehen uns nun mal noch gut mit Morgan. Das kannst du uns doch nicht zum Vorwurf machen. Und dass Evan so empfindlich darauf reagiert, ist Pech, aber ..."
"Es ist Pech? O Gott, das ist ja nicht mehr auszuhalten! Ist euch eigentlich bewusst, dass ich nur nach Hause gekommen bin, weil er mich dazu überredet hat?" Bei meinen nächsten Worten schaue ich Annabelle an. "Mir wäre es scheißegal gewesen, wie du dich gefühlt hättest, wäre ich nicht aufgetaucht. Aber es war auch irgendwie meine eigene Dummheit zu glauben, dass ihr euch einmal benehmen könnt ..."
"Wes ..."
"Aber da lag ich wie immer falsch", unterbreche ich meine Tante und greife nach meiner Jacke. Mit einem letzten vernichtenden Blick zu Morgan lasse ich meine Familie sitzen.
Auf dem Weg zum Ausgang remple ich einen Kellner an, dem daraufhin ein Teller herunterfällt. Ich nuschle nur ein "Entschuldigung", fasse dann in mein Jackett auf der Suche nach meinem Handy.
Draußen atme ich erleichtert die erfrischende, kühle Luft ein und spüre regelrecht, wie sich meine Lungen damit füllen.
Ich bin so unendlich wütend auf meine Eltern. Dass sie mir so in den Rücken fallen. Schon heute Nachmittag hätte ich auf meine Skepsis hören sollen, als Gideon sich über Evan zweifelnd geäußert hat. Dabei kennt er ihn nicht, kennt sein warmherziges Wesen nicht. Als sei es ihm vollkommen egal, wie glücklich dieser Lockenkopf mich macht.
Heilfroh stelle ich fest, dass Evan mir vor ein paar Minuten geschrieben hat. Ein Schmunzeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich seine Nachricht überfliege.
Evanbaby ♡ [20:48 Uhr]: Kannst du mich abholen?
Evanbaby ♡ [20:48 Uhr]: Ich habe mich irgendwie verlaufen ...
"Gott, du bist so goldig", murmle ich vor mich hin, während ich die Straße überquere.
Wes [21:12 Uhr]: Wo bist du?
Evanbaby ♡ [21:13 Uhr]: Endlich meldest du dich!
Evanbaby ♡ [21:13 Uhr]: Ich bin an irgendeinem Fluss. Hier ist auch eine Brücke
Wes [21:14 Uhr]: Ich habe so eine Ahnung, wo du bist. Bin in ein paar Minuten da
Ich hätte mir denken können, dass er sich irgendwann verläuft. Er kennt sich hier nicht aus.
Mithilfe einer mir bekannten Abkürzung bin ich in Kürze an der kleinen Brücke angekommen. Als Teenager bin ich oft hier gewesen. Die Atmosphäre ist immer so herrlich ruhig gewesen.
Der Weg ist nicht sehr gut beleuchtet, doch meine Augen haben sich schon an die herrschende Dunkelheit gewöhnt, sodass ich Evan auf einer Bank sitzend erkenne. Er schaut vertieft auf das Wasser, welches vom Mond beleuchtet wird.
"Das war mein Rückzugsort, wenn ich Ärger mit meinen Eltern hatte", informiere ich ihn, als ich ihm entgegenkomme.
Er zuckt zusammen und richtet seine Augen auf mich. "Schleich dich doch nicht so an mich heran!" Als ich ihm meine Hand entgegenstrecke, greift er nach ihr und lässt sich von mir auf die Füße ziehen. "Es … tut mir leid, dass ich gegangen bin. Mir ist diese Aktion deines Großvaters einfach zu viel gewesen."
"Warum tut es dir leid? Ich hätte wahrscheinlich nicht anders reagiert. Wobei … ich hätte deiner Ex einen Teller Spaghettie über den Kopf geschüttet", scherze ich, woraufhin seine Mundwinkel nach oben zucken.
"Ich hätte auf dich hören sollen. Deine Familie ist wahrlich gestört. Zumindest ein Teil davon."
Seufzend lege ich meinen Arm um ihn und laufe mit ihm über die Brücke. "Ich hatte die Sorge, dass du wütend auf mich bist."
"Warum das denn? Du konntest doch nicht ahnen, was dein Großvater abzieht ..."
"Aber ich hätte-"
Er drückt mir einen Kuss auf die Wange. "Du hast alles richtig gemacht, Wes. Und es war wohl auch die richtige Entscheidung von mir zu gehen. Sonst wäre der Abend noch chaotischer gewesen ..."
"Vielleicht hast du recht."
Evan fasst nach meiner Hand, als wir die Brücke verlassen, und zieht mich in irgendeine Richtung. Dabei achtet er nicht auf den Verkehr und rennt mit mir über die Straße. Schmunzelnd lasse ich mich einfach von ihm mitziehen.
"Was machen wir jetzt eigentlich?", fragt er, als wir an einzelnen Leuten vorbeigehen. "Ins Restaurant gehe ich nicht zurück. Sollen wir einfach nach Hause?"
"Das klingt gut", überlege ich. "Fahren wir nach Hause. Mir hat das Ganze gereicht."
*
"Du hättest wenigstens eine Nachricht hinterlassen können, Wes. Wenn deine Eltern nach Hause kommen und wir nicht mehr da sind, machen sie sich bestimmt Sorgen", spricht Evan an, was ich augenverdrehend ignoriere. "Vor allem ist es mir nicht so geheuer, um diese Uhrzeit durch die Gegend zu fahren. Wo sind wir überhaupt?"
Etwas eingeschüchtert schaut er sich um. Um diese Uhrzeit ist keiner auf den Straßen unterwegs.
"Evanbaby, jetzt mach dir nicht ins Hemd. Die können doch wohl logisch denken, wenn sie den leeren Kleiderschrank sehen. Außerdem sollte es sie nicht wundern, dass wir abgereist sind."
"Aber wollen wir jetzt wirklich die ganze Nacht durchfahren?"
Ich führe seine Hand an meinen Mund und hauche einen Kuss auf dessen Handrücken. "Wir übernachten einfach in einem Motel", erwidere ich und biege in diesem Moment in eine Nebenstraße ein, die weniger beleuchtet ist. Ich traue allerdings meinem Navi genug, dass es uns richtig leiten wird.
"In … einem Motel? Du kennst nicht zufällig 'Bates Motel'?", höre ich ihn unsicher fragen und wendet sich vom Fenster ab. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er mich anschaut. "Was ist, wenn der Besitzer geisteskrank ist?"
"Gott, Evan ..."
"Naja, was denn? Von sowas hört man doch ständig!"
Kopfschüttelnd biege ich in eine weitere Seitenstraße und entecke ein leuchtendes Schild, dessen Aufschrift sagt, dass es nur noch wenige Meter bis zum Motel sind.
"Irgendwas scheinst du bei der Rollenverteilung in unserer Beziehung falsch verstanden zu haben, Evan. Ich bin die ängstliche Dramaqueen. Und du hast die Aufgabe, mich zu beschützen", entgegne ich lachend und weiche ihm aus, als er nach mir schlägt.
Als wir das Motel erreichen, bitte ich ihn, einzuchecken. Mein Lockenköpfchen starrt mich mit aufgerissenen Augen an. "Das kann nicht dein Ernst sein!"
"Hör mal, es sieht so aus, als würde es bald anfangen zu regnen. Wir sollten also einchecken ..."
"Dann rede du doch mit diesem gruseligen Besitzer!"
"Und wer parkt den Wagen?"
"Das kann doch ich ma-"
"Evan, nun mach schon", unterbreche ich ihn amüsiert und löse seinen Gurt.
Zähneknirschend gibt er nach und steigt schließlich aus. Während er das Büro aufsucht, parke ich das Auto in eine der wenigen Parklücken und steige nun auch aus. In dem Moment, als ich unsere Taschen aus dem Kofferraum hebe, verlässt Evan das Büro und hält irgendwas in die Höhe. Wahrscheinlich sind es die Schlüssel zu unserem Zimmer, in welchem wir heute Nacht schlafen werden. Zufrieden sieht er allerdings nicht aus.
Seufzend komme ich ihm entgegen und folge ihm in Richtung unserer Unterkunft. "Jetzt guck doch nicht so. Wir können es uns sicherlich bequem machen. Es ist doch auch nur für eine Nacht ..."
"Du hast leicht reden. Immerhin hast du auch keine Vorgeschichte mit Motels ..."
"Baby, du auch nicht. Du hast nur diese blöde Serie geguckt", sage ich augenverdrehend und warte, dass er die Tür mit der Nummer Acht aufschließt.
Ich schiebe Evan hinein und knipse das Licht mithilfe meines Ellenbogen an. Als das Zimmer hell erleuchtet ist, sehe ich Evan seine Überraschung deutlich an.
"Da klebt gar kein Blut an der Wand, stimmt's?", ziehe ich ihn ein wenig auf, was er mit einem Augenrollen kommentiert.
Das Zimmer wirkt auf dem ersten Blick eigentlich recht gemütlich. Die Einrichtung ist vorwiegend in Blau gehalten, nur wenige rote oder beige Farbtupfer kommen zur Geltung.
Ich gehe an Evan vorbei und lasse unsere Reisetasche neben dem Bett fallen, bevor ich es mir auf der Matratze bequem mache. "Wow, du hast recht. Wir werden diese Nacht bestimmt nicht überleben", witzle ich weiter, woraufhin er mir die Zunge heraus streckt.
"Du musst nicht jedes Mal einen dummen Kommentar von dir geben, wenn ich mal falsch lag."
"Doch, dafür bin ich Wes", entgegne ich grinsend und klopfe neben mich, um ihn aufzufordern, zu mir zu kommen.
Der Lockenkopf lässt sich neben mich sinken. Ihm entweicht ein tiefer Seufzer. Ich sehe ihm an, dass ihn etwas beschäftigt.
Er lässt sich bereitwillig von mir nach hinten ziehen, so liegen wir nun nebeneinander. Doch bevor ich ihn dazu befragen kann, legt er auf einmal seinen Arm um mich und schmiegt sich an mich. Sein Gesicht vergräbt er in meinen Hals, sodass sein warmer Atem meine Haut streift.
"Bist du müde?", frage ich leise, während ich ihm über den Rücken streiche.
"Nein, aber ... Ich bin bloß ein wenig erschöpft", höre ich ihn murmeln. Er reibt seine Nasenspitze an meinen Hals. "Kommt es dir komisch vor, wenn ich mich trotzdem für das Wochenende bedanke? Weil du mir deine Familie vorgestellt hast ..."
"Es hätte definitiv gereicht, wenn du nur meine Eltern kennengelernt hättest ..."
Er haucht mir einen Kuss auf den Hals. Seine Hand verschwindet unter mein Pullover und streicht sanft über meine erhitzte Haut.
"Vergessen wir die Vorkommnisse einfach, Wes. Ich bereue es nicht, deine Eltern kennengelernt zu haben. Und auch deine Großeltern... Obwohl ich sie, besonders deinen Opa, erstmal nicht wiedersehen muss."
Seufzend drehe ich mich ein wenig zur Seite, schmiege mich enger an ihn heran und atme seinen beruhigenden Geruch ein. Ich küsse ihn aufs Haar. "Ab morgen sind wir wieder in unserem normalen Leben, Evan. Wo es nur uns gibt und ..."
"... und unsere Freunde, meine durchgeknallte Mutter, die typischen Teenagerprobleme ..." Er gibt einen verzerrten Laut von sich, als ich ihn zwicke. "Das tat weh!"
"Du machst dir wirklich zu viele Gedanken, Evanboy. Wollen wir nicht einfach genießen, was wir-"
Evan hebt den Kopf und küsst mich. Es kommt so unerwartet, dass ich für einen Moment mit geöffneten Augen da liege und den Kuss unerwidert lasse.
"Ich liebe dich, Wesley", flüstert er, bevor sein Mund wieder meinen streift.
So liegen wir die halbe Nacht beieinander, sprechen tun wir aber nicht viel. Stattdessen starren wir uns nur einander an und genießen den Augenblick zusammen.
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