Kapitel 15
• W E S •
Grummelnd gehe ich über den Parkplatz zur Pizzeria. In meiner einen Hand halte ich mein Handy ans Ohr, in der anderen eine Sporttasche. Die Stimme meines besten Freundes dringt in mein Ohr. "Wesley, ich will dir bloß ans Herz legen, keinen Scheiß zu bauen. Ich bin nicht bei dir, um dir zu helfen."
Er scheint mir wirklich zu vertrauen. Das muss ich schon sagen.
"Hast du nicht irgendwas zu tun? Koche etwas für deine Freundin oder so", schlage ich vor. "Wenn sie nichts zu essen bekommt, kann sie echt anstrengend sein."
"Gott, du bist so eine Zicke ..."
"Das stimmt doch überhaupt nicht!", sage ich beleidigt und höre ihn dann seufzen.
"Wes, gib diesem Typen wenigstens eine Chance, sich zu erklären", rät er mir auf einmal. "Du scheinst diesen Evan doch sehr zu mögen."
Vorhin war ich noch im Fitnessstudio und habe mir den Frust aus den Gedanken geboxt. Es war allerdings ein Fehler, Olivers Anruf entgegen zu nehmen. Endlich konnte ich die Sache mit Evan aus dem Kopf bekommen, dann spricht er ihn wieder an.
"Bist du fertig? Ich stehe vor der Pizzeria."
"Alter, Wesley ..."
"Wir können nochmal telefonieren. Bye, Oli", verabschiede ich mich und lege auf.
Gerade verfluche ich wieder, ihm besoffen auf die Mailbox gequatscht zu haben, nachdem Evan mich versetzt hat. Aber es war mein gutes Recht! Ich brauchte meinen besten Freund, der allerdings hunderte Kilometer von mir entfernt wohnt.
Als ich die Pizzeria betrete, empfängt mich der gut riechende Duft von Pizza. Naomi ist schon bei der Arbeit und als ich auf sie zugehe, lächelt sie. "Tauchst du auch mal auf?"
"Stell dir vor, ich habe auch ein paar Hobbies", entgegne ich und strecke ihr die Zunge heraus.
Sie folgt mir zur Theke, wo ich meine Sporttasche abstelle und stattdessen mir meine Schürze umbinde.
"Übrigens, erinnerst du dich an den Jungen mit den Locken?", fragt sie dann und deutet in eine Richtung. Verwirrt folge ich ihrem Zeigefinger und betrachte überrascht Evan, der am Fenster sitzt und wie so oft eine Serviette faltet.
Was hat er damit? Ständig faltet er diese kleinen Papierflugzeuge aus Servietten. Er scheint darin total vertieft zu sein, hat mich also noch nicht bemerkt.
"Er hat nach dir gefragt." Naomi gibt mir einen kleinen Schubs. "Du hast einen guten Männergeschmack", sagt sie leise und verschränkt die Arme vor der Brust. "Ich bin schon ein wenig neidisch."
Das muss sie nicht. Außer sie mag es, sitzen gelassen zu werden.
"Geh ruhig zu ihm", meint sie. "Gerade ist nicht viel los. Das kriege ich allein gemanagt." Meine Kollegin zwinkert mir wissend zu und verschwindet dann in Richtung Küche. Natürlich aber nicht, ohne sich nochmal zu dem Lockenkopf umzudrehen und ihn anzuschmachten.
Seufzend setze ich mich in Bewegung und setze mich, als ich den Tisch erreicht habe, ihm gegenüber. Evan schaut überrascht von seinem Flugzeug auf. Leider kann ich nicht verhindern, dass mein Herz schneller pocht, als seine dunklen Augen die meine begegnen.
"Was willst du hier?", frage ich missmutig, als ich meine Stimme wiedergefunden habe.
Er schluckt hart und senkt den Blick. "Ich … wollte mich entschuldigen."
"Wofür?"
Einfach würde ich es ihm sicherlich nicht machen.
"Dass ich so kurzfristig abgesagt habe ..."
"Evan, ich hätte es auch beschissen gefunden, wenn du es nicht eine Stunde vorher getan hättest", gebe ich harsch von mir und sehe, wie er dadurch zusammen zuckt. Ein leiser Seufzer entweicht mir. "Warum hast du es getan?"
"Es ist idiotisch."
"Jetzt sag schon."
Ich muss es wissen.
Er greift nach einer neuen Serviette und faltet diese auch wieder zu einem Flugzeug. "Meine … meine Eltern hatten Stress. Und Mom wollte einen Filmeabend veranstalten", murmelt er. "Ich wollte mich mit dir treffen, wirklich. Aber hätte ich ihr gesagt, dass ich keine Zeit habe, hätte sie mich ausgefragt ..."
"Und du wolltest vor ihr nicht erwähnen, dass du dich mit mir triffst", schlussfolgere ich, woraufhin er nickt. Mich nervt es, dass er meinem Blick immer noch ausweicht. "Evan, sieh mich an." Als er es tut, halte ich für einen Moment den Atem an, besinne mich aber schnell wieder. "Das hättest du mir schreiben können ..."
"Du hast doch auf keiner meiner SMS geantwortet", murmelt er und spielt mit der Serviette in seinen Händen herum. "Deshalb dachte ich, es wäre besser, persönlich vorbeizukommen, um es dir zu erklären."
"Ich … ich war gekränkt, dass du mich sitzen gelassen hast."
"Es tut mir le-"
"Das hast du schon gesagt", falle ich ihm ins Wort und fahre mir seufzend durch die Haare. "Hör mal, Evan. Ich habe dir schon auf der Party gesagt, dass ich dich mag und … es war ernst gemeint. Aber vielleicht-"
"Ich wollte dich küssen!", platzt es aus ihm heraus und lächelt dann tatsächlich sogar. Völlig überrumpelt von seinem Geständnis kann ich nicht anders, als ihn einfach nur anzustarren. Evan atmet laut aus und starrt für wenige Sekunden auf seine unruhigen Finger, bevor er zu mir blickt und seine nächsten Worte herunterrattert. "Und wenn du mir noch eine Chance gibst, würde ich gern mit dir über...uns sprechen."
Ich brauche einen Moment, um seine Worte zu realisieren. Dann sprüht allerdings aus jede meiner Poren das Gefühl von Freude aus mir heraus.
"Also … falls du Zeit hast, kannst du mich später abholen. Dann können wir vielleicht zu mir und ..." Als ich seinen darauffolgenden Blick sehe, hebe ich abwehrend die Hände. "Nicht so, wie du jetzt denkst! Gott, Evan, ich würde mit dir schon gern erstmal all das klären, was zwischen uns steht, bevor irgendwas passiert ..."
"War nur Spaß", meint er und hat die Frechheit zu grinsen. "Dann komme ich, wenn deine Schicht beendet ist."
"Sehr gut. Dann … bis nachher?"
Wir stehen gleichzeitig auf. Es ist ein wenig merkwürdig, weil ich nicht weiß, wie ich mit ihm umgehen soll. Und auch er scheint unsicher, als er sich zu mir herüberbeugt und mich tatsächlich auf die Wange küsst.
Mein Gesicht glüht daraufhin, und obwohl er es unverkennbar bemerkt, sagt er nichts. Stattdessen winkt er nochmal etwas unbeholfen und wendet sich dann zum Gehen um.
Auf dem Tisch hat er die Serviette liegen gelassen, die er zum Flugzeug gefaltet hat. Ich greife danach und betrachte es lächelnd.
"Was hat er nur mit Flugzeugen?"
• W E S •
Evan staunt nicht schlecht, als er mir in die Küche folgt. "Und du wohnst ganz alleine?", fragt er, als er sich an die kleine Theke setzt.
"Seit mein Freund ausgezogen ist. Ich habe mich noch nicht auf die Suche nach einen neuen Mitbewohner gemacht. Hättest du denn Interesse?"
Lachend stützt er seinen Kopf ab. "Wow, du denkst jetzt schon ans Zusammenziehen? Das ist ein ganz schön großer Schritt, weißt du?"
Amüsiert nehme ich aus dem Kühlschrank eine Flasche Bier und biete ihm ebenfalls etwas an. Er macht sich daran, beide Flaschen zu öffnen, während ich mich ihm gegenüber auf den Hocker setze.
"Also ..."
"Mhm?"
"Dieser Freund, mit dem du zusammengewohnt hast", sagt Evan, "lief da etwas zwischen euch?"
Ich verschlucke mich beinahe an meinem Bier. Hustend schüttle ich den Kopf, versuche gleichzeitig, wieder zu Atem zu kommen. "Oliver ist mein bester Freund und außerdem hetero. Er ist mit seiner Freundin nach New York gezogen."
Der Lockenkopf scheint zufrieden mit der Antwort, während er den Pizzakarton vor uns öffnet und sich ein Stück nimmt.
"Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?", ziehe ich ihn auf.
Evan führt das Stück Pizza zu seinem Mund, stoppt dann aber in der Bewegung und starrt mich mit großen Augen an. Seine Wangen nehmen einen verräterischen Farbton an, sodass er gar nichts mehr sagen muss.
"Das ist dann wohl Antwort genug", meine ich, doch er schüttelt energisch den Kopf.
"Ich bin nicht eifersüchtig! Es ist nur … mir gefällt der Gedanke nicht, dass du mit jemandem, naja, zusammen bist", beteuert er und schafft es damit, dass meine Gefühle Achterbahn fahren.
Verdammt, sowas darf er nicht sagen!
"Das nennt man Eifersucht."
Er nippt augenrollend an seinem Bier. "Musst du darauf herumreiten?"
"Sind wir nicht hier, um darüber zu sprechen, welche Rolle ich in deinem Leben spiele?", erinnere ich ihn und trinke ebenfalls einen Schluck. "Aus Erfahrung kann ich von mir behaupten, eher der eifersüchtige Typ zu sein. Schon allein der Gedanke, dass du vorher irgendwen geküsst hast oder es sogar weiter getrieben hast, gefällt mir nicht."
"Gut, vielleicht bin ich ein wenig eifersüchtig. Aber nur, weil … du mir wichtig bist."
Da ist es wieder. Dieses Kribbeln.
"Das ist wohl der Moment, in dem ich das 'Ich mag dich' erwidern sollte", witzelt er, scheint aber deutlich aufgeregter sein, als noch vor ein paar Minuten. "Es … ich kenne diese Gefühle nicht, die du in mir auslöst, Wes. Das ist alles so neu für mich."
Von allein fasst meine Hand nach seiner. "Das ist für mich doch auch neu. Also du bist es. Aber glaub mir, Evan. Es wäre nicht viel anders als deine bisherigen Beziehungen. Das einzige, dass sich unterscheidet, ist, dass ich ein Junge bin. Aber ..."
"Du bist der erste", unterbricht er mich leise und doch deutlich genug, dass ich es verstehe.
"Was?"
"Das hier … es wäre meine erste Beziehung", gesteht er und weicht sogleich meinem perplexen Blick aus.
"Ist … ist das dein Ernst?", frage ich, als ich mich ein wenig gefasst habe. Peinlich berührt kriegt er nur ein Nicken zustande. "Wie ist das möglich? Ich meine … sind die Mädchen in deiner Schule blind? Oder einfach nur dumm?"
"Daran lag es nicht. Ich war nie interessiert. Es hat bei niemandem 'bääm' gemacht, verstehst du?", erklärt er. Sein Daumen malt kleine Kreise auf meinen Handrücken - eine zarte Berührungen, die mich um den Verstand bringt. Ich habe Mühe, mich auf das Gespräch zu konzentrieren.
Denn gerade würde ich nichts lieber tun, als ihn zu küssen.
Mein Schweigen scheint ihn noch mehr zu verunsichern. Er versucht, sich zurückzuziehen, doch ich halte ihn davon ab. "Du bist schockiert", schlussfolgert er. "Ich versteh ..."
"Evan, mir ist es egal, dass du noch keine Erfahrungen in Sachen Beziehungen hast. Das ändert doch nichts daran, was ich für dich empfinde", beruhige ich ihn und stütze mich auf die Theke zu ihm herüber.
Er weicht nicht aus.
"Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange du schon in meinem Kopf herumspukst. Seit ich dich zum ersten Mal in der Pizzeria gesehen habe, bekomme ich dich nicht mehr aus dem Kopf. Nein, ich bin ziemlich verrückt nach dir", sage ich weiter. "Wie soll ich es beschreiben? Du hast mich aus der Bahn geworfen. Damit habe ich echt nicht gerechnet. Und als du mich auf der Party geküsst hast, war ich glücklich und verwirrt zugleich, weil ich nicht wusste, was das für uns bedeuten könnte."
Evan folgt meinen Worten gebannt, hält mich mit seinen dunklen Augen gefangen, sodass ich keine Chance habe, zu flüchten.
Nicht, dass ich das vorhatte.
Doch damit, dass er mich küsst, habe ich nicht gerechnet. Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, was da passiert, bevor ich die Augen schließe und mich ihm hingebe.
Seine Lippen sind weich und er schmeckt so gut. Und er ist sanft, als würde er abwarten, dass ich die Kontrolle übernehme. Doch ich überlasse ihm die Oberhand. Er nimmt meine Unterlippe zwischen seine Zähne.
Eine Hand legt sich in meinen Nacken, zieht leicht an meinem Haar und drückt mich so dicht an sich heran, wie es möglich ist. Als sich seine Zunge herantastet, öffne ich lächelnd den Mund, um ihr den Eintritt zu gewähren.
Mittlerweile liege ich halb auf der Oberfläche der Theke, mit der Hand darauf abgestützt, die andere lege ich auf seine Brust.
Wir wollten miteinander darüber reden, was das zwischen uns ist. Stattdessen tun wir das hier. Und es reicht aus, um einander zu verstehen. Zu verstehen, dass wir uns mögen.
Dass wir es miteinander versuchen wollen.
*
"Das kann doch unmöglich dein Ernst sein!", ruft Evan lachend aus und wirft mich mit einem Couchkissen ab.
Lachend deute ich auf den Fernseher. "Wollen wir wetten, dass sowas eigentlich richtig sexy sein kann?"
"Was soll denn daran sexy sein, sich von jemandem fesseln und schlagen zu lassen?"
Dass Evan sich tatsächlich dazu überreden lassen hat, mit mir 'Fifty Shades of Grey' zu schauen, ist schon amüsant. Vor allem, wie er sich dabei anstellt.
Wahrscheinlich hat er sich vorhin, als ich meinte, wir könnten es uns im Wohnzimmer gemütlich machen, etwas anderes vorgestellt. Vielleicht bereut er es jetzt, mir die Filmauswahl zu überlassen aber er beschwert sich nicht. Stattdessen führt er angriffslustige Diskussionen mit mir, was ich unheimlich unterhaltsam finde.
"Würdest du es erotisch finden, dich foltern zu lassen?"
"Darum geht es doch nicht, Evan", lache ich. "Man möchte Lust verspüren. Keine Ahnung, ich kann es mir schon heiß vorstellen."
"Deshalb hat diese Ana auch mit Christian Schluss gemacht", spielt er die Trennung aus dem ersten Film an und wirft mich mit Popcorn ab. "Das ergibt doch sowieso keinen Sinn. Sie wollte unbedingt, dass er ihr zeigt, wie schlimm es sein könnte. Und dann trennt sie sich von ihm, weil es zu krass war? Wo ist da der Sinn?"
Schmunzelnd betrachte ich ihn von der Seite, während er wieder der Handlung des Filmes folgt.
Es scheint so surreal, dass er neben mir sitzt und wir miteinander umgehen, als kennen wir uns schon seit Jahren. Und dass wir es tatsächlich miteinander versuchen wollen, ich kann es noch nicht ganz fassen.
Aber ich fühle mich wohl bei ihm.
Er verdreht mir so sehr den Kopf, dass mir schon schwindelig ist. Vor allem, als wir uns vorhin geküsst haben, konnte ich keinen Gedanken fassen.
"Was starrst du mich so an?", reißt er mich aus meinen Gedanken, was mich zum Lächeln bringt.
Ich verschränke unsere Hände miteinander und lehne mich zu ihm herüber. Ein Schmunzeln umspielt seine Lippen, als er versteht, was ich vorhabe, und kommt mir entgegen. Während wir uns küssen, richte ich mich ein wenig auf. Er lässt sich nach hinten fallen und zieht mich mit sich, sodass ich halb auf ihm liege.
Unsere Hände gehen auf Erkundungstour. Seine Finger fahren über meinen Rücken und halten an meiner Taille. Ich nehme meinen Mund von seinem und verteile sanfte Küsse über einen Weg zu seinem Hals. Ich grinse, als sich sein Atem deshalb beschleunigt.
"Machen wir gerade ernsthaft auf deiner Couch rum?", höre ich ihn zwischen zusammengepressten Lippen sagen.
"Scheint so", entgegne ich und drücke ihm noch einen Kuss auf den Hals, bevor ich mich nach oben stütze. "Du solltest von mir wissen, dass ich ziemlich unanständig bin."
"Überrascht mich nicht wirklich", sagt er lachend und fährt sich durch seine kräftigen Locken. "Aber mich soll es nicht stören."
"Somit habe ich eine Möglichkeit gefunden, dich zum Schweigen zu bringen. Hat auch seine Vorteile ..."
"Ey!" Evan beginnt, mich zu kitzeln. Ich versuche, ihm zu entkommen. Aber keine Chance. Als ich von ihm absteige, richtet er sich auf und stürzt sich auf mich, sodass ich unter ihm gefangen bin.
"Das ist unfair", rufe ich außer Atem aus. "Hör auf!"
Er zieht eine Schnute, als würde er darüber nachdenken. Sein Blick wandert über mein Gesicht und heftet sich auf meine Lippen. "Und was habe ich davon?"
Kurzentschlossen hebe ich den Kopf an und presse meinen Mund auf seinen.
"Das ist ein gutes Angebot", haucht er und erwidert den Kuss.
Es ist verwunderlich, wie nahe ich mich ihm fühle. Und das, obwohl wir uns erst seit kurzer Zeit kennen. Mit ihm kann ich alles um mich herum einfach mal vergessen und in eine andere Welt flüchten. Dort gibt es nur uns beide.
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