Epilog

• E V A N •

Liebe ist ein Phänomen. Liebe ist schwer beschreibbar, sie findet jenseits des Begreifbaren statt. Sie ist überall und allumfassend. Sie kennt keine Grenzen. 

Liebe ist äußerst kraftvoll. Man sehnt sich nach ihr, danach, sie zu finden und zu erleben. Die Menschen sehnen sich nach Zuneigung.

Nur wissen sie eigentlich, worauf sie sich einlassen?

Habe ich es gewusst, als ich mich Hals über Kopf in Wesley verliebt habe? Bis vor ein paar Monaten habe ich nie verstanden, was daran so schön sein soll, jemanden in seinem Leben zu haben, den man abgöttisch liebt.

Doch dann habe ich ihn kennengelernt.

Und selbst wenn er eine verdammte Dramaqueen ist, möchte ich ihn doch gar nicht anders haben. Denn genau damit bringt er mich immer wieder zum Lachen.

"Okay wow", gibt er von sich, als er seinen Blick über die geschmückte Cafeteria wandern lässt. "Dieser Ball ist selbst für mich zu schwul."

Schmunzelnd halte ich in der Menge an Schülern Ausschau nach unseren Freunden. "Ich habe dich gewarnt, Wes." Meine Hand findet derweil seine, wir verschränken unsere Finger miteinander.

Doch meine gute Laune schlägt ab dem Moment um, als sich mein Hals zuschnürt. Mein Herz klopft mir bis zum Halse.

Es ist, als würde uns jeder anschauen. Ihre Blicke verschlingen uns regelrecht.

Als würde er meine Anspannung spüren, tritt Wes vor mich und versperrt mir somit die Sicht auf die große Schülermenge vor uns. Seine freie Hand legt sich an meine Wange. Mit geschlossenen Augen schmiege ich sie gegen seine Handfläche. "Evan, wenn dir das noch zu viel ist, dann können wir auch gehen. Die Jungs haben Verständnis dafür. Wir können es uns auch bei dir Zuhause gemü-"

"N-Nein, ich ..." Ich versuche mich an einem Lächeln und obwohl er nicht überzeugt aussieht, lässt Wes mich aussprechen. "Ich möchte mich nicht mehr verstecken. Das habe ich lange genug getan."

"Du hast dich doch nicht versteckt."

Seit dem Vorfall in der Jungentoilette sind einige Wochen vergangen. Vor einem Monat wurden Aaron und Nathan vorübergehend der Schule verwiesen. Und auch Piper hat eine gehörige Strafe an dem Hals, nachdem die beiden sie der Schulleitung ans Messer geliefert haben. Anscheinend habe sie den Überfall auf mich angeordnet.

Es steht noch in den Sternen, ob die Drei ihren Abschluss bekommen dürfen. Immerhin sind die Jungs auch nicht zum ersten Mal negativ aufgefallen.

Leider hatte all das zur Folge, dass die komplette Oberstufe davon erfahren hat und ich somit in aller Munde gewesen bin. Der Junge, der verprügelt wurde, weil er eine Schwuchtel ist.

Diese Worte habe ich bisher von niemanden gehört, aber wer weiß schon, was in deren Köpfen vor sich geht. 

"Evan?" Wes' sanfte Stimme holt mich in die Gegenwart zurück.

Langsam öffne ich die Augen und betrachte sein schönes Gesicht. "Küss mich", bitte ich ihn leise.

Dass seine Mundwinkel nach oben zucken, bestätigt mir, dass er meine Worte trotz der ohrenbetäubenden Musik verstanden hat. Er geht meinem Wunsch nach und so legen sich seine Lippen auf meine. Die Berührung ist so zart, dass ich sie mir beinahe einbilden könnte, würde ich seine Hand nicht einen Moment später in meinen Haaren wiederfinden.

Womöglich klingt es für so manche Menschen wie die Spinnerei eines verknallten Teenagers, aber ich kann mir ein Leben ohne Wesley nicht vorstellen. Er löst in mir Gefühle aus wie kein anderer. Bei ihm fühle ich mich so geborgen. Und er macht mich einfach zum glücklichsten Menschen. 

"Ey, hier wird entweder auf den Toiletten, in der Besenkammer oder auf der Autorückbank rumgemacht!"

Erschrocken weiche ich von ihn und drehe mich um, doch nur, um in die belustigten Gesichter unserer Freunde zu schauen.

Augenverdrehend strecke ich Christoph die Zunge heraus. "Ihr solltet schön still sein."

"Ihr seht echt heiß aus", sagt dagegen Wes und umarmt die beiden zur Begrüßung.

Da nehme ich mir einen Moment, um sie zu betrachten. Chris trägt einen weißen Smoking und seine Haare sind noch verwuschelter als sonst. Hingegen sticht Matthew mit seinem, wie so oft, Kleidergeschmack aus der Menge heraus. Der königsblaue Anzug steht ihm allerdings hervorragend.

Wir suchen unseren reservierten Tisch auf, werden währenddessen immer wieder von den Blicken anderer verschlungen. Angespannt halte ich den Blick bedacht gesenkt, um ihnen nicht allzu viel Angriffsmöglichkeiten zu liefern.

Am Tisch angelangt schiebt Wes mir gentlemanlike den Stuhl zurecht, sodass ich mich setzen kann. Doch anstatt sich neben mich zu setzen, beugt er sich zu mir herunter und haucht mir einen Kuss auf die Wange. "Ignorier sie einfach", flüstert er dann und lässt sich anschließend neben mich sinken.

Ich spüre, wie das Blut in meine Wangen steigt.

Er hat mein Unbehagen also schon wieder bemerkt.

"Was hast du meinem besten Freund denn jetzt bitte für schmutzige Dinge ins Ohr geflüstert, Wes?", fragt Chris amüsiert, als es ihm auffällt.

"Das wüsstest du wohl gerne", entgegnet mein Freund grinsend und hält einen der Kellner auf, um uns Punsch zu besorgen. Der junge Mann hält uns das gefüllte Tablett entgegen, sodass sich jeder von uns ein Glas gefüllt mit dem rosafarbenen Punsch nehmen kann.

Sobald er weg ist, stoßen wir auf diesen Abend an.

Doch anstatt erstmal sich ein wenig umzuschauen, trinkt Wes sein Glas mit einem Zug leer und grinst mich auffordernd an.

"Was ist?"

"Evanbaby ..."

"Vergiss es. Ich werde nicht mit dir tanzen", sage ich bestimmend und suche Hilfe bei Matthew, der kichernd unsere Unterhaltung verfolgt.

"Auf einem Ball wird getanzt!"

"Ich kann aber nicht tanzen", gebe ich nun schon verzweifelter von mir.

Wes zeigt allerdings wenig Erbarmen, als er aufsteht und mich am Handgelenk packt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie unsere Freunde uns auf die Tanzfläche folgen. Dort angekommen legt er seine Hände auf meine Taille. "Babyboy, lass dich einfach von mir führen. Vertraust du mir?", fragt er lächelnd und zieht mich etwas näher an sich heran.

"Das habe ich vor dreißig Sekunden noch, als du mich nicht hierzu gezwungen hast", erwidere ich brummend und schaue zu Matthew und Chris, die etwas abseits von uns kichernd miteinander kuscheln. Sie wiegen sich mit der Musik nur ein wenig hin und her.

"Ich gebe dir mal einen gutgemeinten Rat", versucht Wes, meine Aufmerksamkeit wieder für sich zu beanspruchen. "Man schaut demjenigen, mit dem man romantisch tanzen möchte, in die Augen."

Schmunzelnd wende ich mich meinem Freund wieder zu und lege meine Arme um seinen Hals.

"Was geht in deinem hübschen Köpfchen vor, Evan?", möchte er wissen, als ich seine vorherige Bemerkung unkommentiert lasse.

Und ehe ich es verhindern kann, verlassen meine Gedanken schon meinen Mund. "Versprich mir, dass das zwischen uns für immer sein wird."

"W … Wie kommst du denn jetzt darauf?"

"Keine Ahnung. Wir sind auf einem Schulball. Vielleicht macht mich dieser Umstand gerade unglaublich sentimental", entgegne ich achselzuckend, was ihn zu amüsieren scheint.

Er lehnt sich lächelnd vor und haucht mir einen Kuss auf die Nasenspitze. "Du bist wahnsinnig süß."

"Danke, ausgerechnet sowas möchte man von seinem Freund hö-"

"Und ich verspreche", fällt er mir ins Wort, "dass ich dir niemals von der Seite weichen werde. Und dir jeden Abend, wenn du darauf bestehen solltest, Pizza mitbringe. Und dass ich dich dann trotz deines immer dicker werdenden Bäuchleins lieben werde."

Augenverdrehend küsse ich ihn, um ihn zum Schweigen zu bringen. "Du wirst also immer, was auch passiert, zu mir stehen?"

Wes nickt bestimmend.

"Mich in allem unterstützen? Auch wenn es deiner Meinung nach eine komplett bescheuerte Idee ist?"

"Evanboy, vergiss nicht, mit wem du redest. Die dümmsten Ideen werden von mir stammen", scherzt er und schaut mich erwartungsvoll an. Abwartend, was meine nächste Bedingung ist.

Ich hole tief Luft. "Kannst du mir auch versprechen, mich immer zu lieben?"

Er nimmt seine Hände von meinen Hüften, doch nur, um mein Gesicht zu umfassen. Sanft streichen seine Finger über meine Wangen. "Evan, ich liebe dich jetzt. Ich werde dich morgen lieben. Und ganz ehrlich, wen kümmert's, was in zwanzig Jahren ist? Ich habe nicht vor, dich jemals gehen zu lassen. Niemals, hörst du?"

Ich kann nichts gegen das Lächeln unternehmen, das sich auf meinem Gesicht ausbreitet. Wesley erwidert es und rückt ein Stück dichter zu mir. Er legt die eine Hand, die eben noch wie die andere an meiner Wange ruhte, wieder auf meine Seite.

Als ich auch näherkomme, sind unsere Gesichter nur noch eine Handbreit voneinander entfernt. Ich sehe von seinen Augen zu seinem Mund und zurück. Dann überbrückt Wes die letzten Zentimeter zwischen uns. Und küsst mich.

Sein Mund ist so angenehm warm und fühlt sich gut an. Ich lege meine Hand auf seine Brust und spüre seinen gleichmäßigen Herzschlag. Wes bewegt seine Lippen auf meinen, und ich lasse mich fallen. Er streicht mit den Zähnen an meiner Unterlippe entlang. Und ich rücke noch dichter an ihn heran und lasse meine Hand nach oben zu seiner Wange gleiten.

Genau so möchte ich mich fühlen. Geliebt. Gewollt. Geborgen.

Im Hintergrund stimmt die Band gerade Adeles Someone Like You an.

An manchen Stellen stimmt unsere Beziehung mit dem Songtext sogar überein. Manchmal hält die Liebe, manchmal tut sie nur weh. Doch eins ist sicher - man vergisst die Person, die man einst so sehr geliebt hat, niemals. Und zwar vergeht die Zeit immer wahnsinnig schnell, wenn man glücklich ist, doch kann man jede Sekunde davon nutzen, um Erinnerungen zu sammeln.

Vor uns liegen noch so viele Erinnerungen, in denen wir gemeinsame Momente teilen werden.

"Warte mal kurz." Wes löst sich von mir und kramt in seinem Sakko nach etwas. Neugierig beobachte ich ihn dabei.

Nach einem Moment der verzweifelten Suche hält er mir seine Faust entgegen.

"Was ist das?", frage ich verwundert.

Lächelnd öffnet er seine Hand und zum Vorschein kommt ein … Papierflugzeug. "Ich hatte gerade keine Servietten in der Nähe", meint er, als ich es nehme. "Aber es geht ja auch um die Botschaft dahinter."

Nun ist es er, der den anderen beobachtet. Von Neugier erfüllt falte ich das kleine Flugzeug auseinander und tatsächlich - er hat eine Nachricht hinterlassen.

'Evan. So jemanden wie dich trifft man nur einmal im Leben. Und ich bin froh, dich schon jetzt getroffen zu haben. Somit haben wir noch so viel Zeit miteinander.'

Meine Augen füllen sich mit heißen Tränen, als ich ihn wieder ansehe. "Das hört sich wundervoll an, Wesley."

"Ich liebe dich."

"Und ich liebe dich", hauche ich und streiche abermals über seine Lippen.

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