|1| I don't think about you all the time

Ich bin gerne hier, denn rechts in der Mitte steht ein großer Ahornbaum und spendet Schatten. Unter ihm, dicht am Stamm, stehen ein schmaler Metalltisch mit weiß-blauer Mosaikplatte und daneben ein Gestell samt geflochtenem Hängesessel. In ihm liegt ein großes gräuliches Sitzkissen und auf diesem ein blaugestreiftes kleineres Kissen und ein Buch, das seit drei Tagen ungelesen darauf wartet, durchblättert zu werden.

Geht man weiter hinein, findet sich eine hübsche Liege vor einer schon etwas in die Jahre gekommenen Gartenhütte, und um sie herum ein Beet voller Zier- und Strandgräser. Das Holz ist an einigen Stellen bereits morsch, aber es hält noch und wird erst in einigen Jahren ausgetauscht werden müssen.

Rechts neben der Hütte ist ein schmaler Weg aus quadratischen Betonsteinen und mittig, gebaut aus alten Paletten, ein Beet mit Kräutern und Gemüse. Die Gurken sind von der Hitze eingegangen, aber der Rest hält sich tapfer am Leben.

Und genau neben diesem Beet steht ein Pavillon überzogen von beigefarbenen Stoffwänden. In ihm stehen ein Sofa sowie zwei schmale Stühle aus Rattan und ein Tisch aus schwarzem Plastik. Über diesem liegen zwei maritime Tischläufer in Blau und Creme.

Von hier aus hat man einen guten Blick auf die Mitte des Gartens, in der eine große, flache Edelstahlschale als Teich fungiert und von kniehohen Lavendelsträuchern umringt wird. In ihr plätschert ein solarbetriebener Springbrunnen und ein Spatz hüpft aufgeregt auf ihrem Rand herum, kurz davor ein Bad zu nehmen.

Ein schwarzer Rosenbogen umrankt von einer Buchsbaumhecke bietet den einzigen Einblick in dieses kleine Paradies voll saftigem Grün. Ein einfaches Holztor versperrt den Außenstehenden den Zugang. Und darüber bin ich sehr froh.

Ich liebe die Einsamkeit, die Ruhe, die ich in meinem Garten finde.

Es riecht nach frischer Wäsche. Ich habe sie vor Stunden aufgehangen. So wie die Sonne vom Himmel brütet, sollte sie längst trocken sein. Doch das habe ich noch nicht nachgeprüft. Stattdessen betrachte ich die dichtgewachsene Weinrebe, an der unter unzähligen Blättern versteckt, bereits reichlich Trauben vorblitzen. Im Herbst werde ich sie ordentlich zurückschneiden müssen. Dieses Jahr ist sie viel zu wild und unkontrolliert gewachsen.

In der Nähe läutet die Kirchenglocke. Achtzehn Schläge. Und trotzdem ist es einfach noch unglaublich heiß. Dabei werden die Solarleuchten demnächst angehen. Lange bleibt es zumindest nicht mehr hell. Vielleicht noch drei oder dreieinhalb Stunden.

Zwei Gärten weiter bellt Chica. Laut und schrill. Ich habe mich längst an diesen Ton gewöhnt. Ich seufze und höre, wie Horst die kleine Terrierhündin zur Ordnung ruft. Dann ist Ruhe. Amy war nie so laut. Sie hat ganz selten mal gebellt. Selbst, wen jemand an der Tür geklingelt hat, hat sie das recht selten interessiert. Traurig sehe ich mir die Hundehütte vor dem Pavillon an. Ich habe es noch nicht übers Herz gebracht, sie abzubauen.

«Demnächst», sage ich mir und weiß im selben Moment, dass ‹demnächst› ein weit gefasster Begriff ist. Demnächst morgen. Demnächst nächste Woche. Demnächst nächsten Monat. Nächstes Jahr. Wer weiß das schon so genau? Ich zucke mit den Schultern.

Irgendwie ist mir das auch ziemlich egal. Ich hole mir bestimmt irgendwann wieder einen Hund. Dann kann die Hütte auch stehen bleiben. Auch, wenn es ein seltsamer Gedanke ist, einen anderen Hund als sie darin liegen zu sehen.

Generell ist vieles seltsam in letzter Zeit. Die Taubheit der letzten Monate, in der ich mich eingeschlossen hatte, ist fort. Zurückgeblieben ist eine große Leere. Die hat nichts mit der Einsamkeit und Ruhe zu tun, die mein Garten verströmt, sondern eher mit dem Loch in meinem Herzen. Das hier ist unser Traum gewesen. Richards und meiner. Nun ist er weg.

Ich greife nach dem Wasserschlauch und schalte die elektrische Wasserpumpe an. Laut dröhnt sie mir entgegen und sofort spritzt Wasser aus dem Schlauch. Eigentlich sollte man bei der Hitze noch nicht sprengen oder gießen, sondern warten, bis es sich abgekühlt hat, aber mich beruhigt es. Es ist eine stupide Arbeit. Langweilig. Und dennoch werde ich jedes Mal ganz beherrscht. Tropfen für Tropfen wird der Strandroggen bewässert. Kein Ziergras bleibt trocken. Auch die Erdbeeren in den Töpfen an der Front der Gartenhütte nicht. Der grüne Rasen hat schon einen Geruch ähnlich wie Regen angenommen. Nasse Erde.

So nass wie die Erde im Frühjahr, in der Richard seine letzte Ruhe gefunden hat. Am Anfang bin ich noch oft hingegangen. Doch jetzt nicht mehr. Ich kann diesen kalten grauen Stein, auf dem sein Name steht, nicht mehr sehen. Ich bringe keine Blumen mehr vorbei. Seine Mutter hat sowieso immer nur geschimpft, dass sie die Sträuße, die ich hinstelle, nicht schön findet. Und überhaupt, sie kümmert sich um das Grab. Dass es eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre, ist ihr ziemlich egal. Sie hat mich eh noch nie leiden können. Jetzt, da er nicht mehr ist, hält sie es nicht für nötig, noch viel Kontakt mit mir zu halten. Irgendwie bin ich auch nicht traurig darum. Im Gegenteil. Ich habe Angst gehabt, sie würde auf heile Familie machen wollen, aber selbst nach dem Tod ihres Sohnes hat sie sich dazu nicht herablassen können. Kaum ist er in die Erde eingelassen worden, hat sie mich vergessen und nur an mich gedacht, wenn sie mich einmal wieder für irgendetwas verantwortlich machen wollte.

Und ich denke daran, wie anders Richard gewesen ist. So anders als seine Mutter.

Er ist so voller Lebensmut und Fröhlichkeit gewesen. Oft viel zu laut. Besonders, wenn ich viel zu leise gewesen bin. Der Nord- zu meinem Südpol.

Und ich denke daran, wie wir miteinander alt werden wollten. Ein oder zwei Kinder. Abends draußen sitzen mit einem Wein oder Bier. Ins Feuer starren. Dem Knistern lauschen. Seine Wärme nah an mir. Sein Geruch in meiner Nase.

Nein, ich weine keine Tränen mehr. Ich habe alle aufgebraucht. Dennoch fehlt er mir. 

Ich lache nicht, ich weine nicht. Und dennoch denke ich an ihn. Immerzu. Immerwährend. Als wäre er noch hier. Doch das ist er nicht. Ich bin allein.

Ich bin allein und der Rasen ist nass. So nass, dass die Erde aufweicht. Und auf einmal ist mir die Einsamkeit in meinem grünen Paradies zu viel. Sie ist zu laut. Zu leise. Zu hell. Zu dunkel. Sie ist alles, nur nicht das, was sie sein soll.

Denn eines Tages werde ich alt sein und er wird immer noch dreißig sein. Immer noch jung und frisch und wunderschön. Bis das Bild verblasst. Bis ich mich nicht mehr an ihn erinnere.

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