Kapitel 61 - Ernste Themen
Gegen Mittag war ich mir sicher dass Mutter sich beruhigt hatte. Sie redete wieder mehr mit meinem Vater und schien auch sonst entspannter. Sogar ein Lachen meinte ich zwischendurch wieder zu vernehmen. Wahrscheinlich, weil mein Vater wieder seinen berühmten trockenen Humor hervorgebracht hatte. Nichtsdestotrotz bat ich Anne den Ring abzunehmen, bevor ich sie und Julie für eine Offizielle Begrüßung in die Küche mitbrachte. Der Ring gehörte nach wie vor meiner Mutter und wenn sie sah, dass ich ihn einer anderen Frau gegeben hatte, würde sie mehr als nur ein bisschen ausflippen. Auch wenn es nicht so schien, in solchen Sachen war sie eine sehr traditionelle Person. Diesen Ring gab man in ihren Augen nicht einfach so jemanden - und ich als Mann schon mal gar nicht - wenn man nicht wirklich die Absicht hatte denjenigen zu heiraten. Und das wo sie momentan sowieso nicht gut auf Anne zu sprechen war, wie ich herausfinden musste. Sie würde mich also einen Kopf kürzer machen, wenn sie ihn an Anne sah.
Anne folgte meiner Bitte gehorsam, nahm den Ring ab und gab ihn mir, damit ich ihn sicher in der Tasche meiner Jeans verschwinden lassen konnte. Ich ließ die Mädchen in die Küche vorgehen, wo Mutter gerade Mittagessen vorbereitete. Ich kam hinterher und sah wie Anne schüchtern die Hand zum Gruß hob und ein leises „Hallo" krächzte. Julie stand halb hinter ihr, die Hände hinter dem Rücken ineinander verhakt. Vater sah von seiner Zeitung auf und begann zu lächeln. Ich war erleichtert das wenigstens er eine gute Miene aufsetzte. Mutter warf ihr und Julie nur einen kurzen Blick zu und rührte dann schweigend weiter in einem der Töpfe. „Setzt euch doch.", bot Vater an, und beutete mit dem Handrücken in Richtung der Stühle. Anne nickte dankbar und leistete seiner Aufforderung sofort folge, wie auch Julie, die ihr nicht von der Seite wich wie ein verschüchtertes Kind. Ich gesellte mich dazu und stützte die Arme auf den Tisch. „Wie war die Fahrt?", fragte ich, um ein Gespräch anzufangen. Vater seufzte resigniert und legte die Zeitung bei Seite, nachdem er sie sorgfältig gefaltet hatte. „Durchwachsen", brummte er und warf einen Blick über seine Schulter zu Mutter. „Der übliche Weihnachsstress." Ich schnaubte mitleidig bei dem Gedanken, dass er Mutter etwas mehr als zwei Stunden in ihrer besten Laune ertragen hatte. Zu wenig Platz für zwei Dickköpfe, noch viel weniger, wenn sie sich gerade stritten und die Fetzen flogen.
Wie selbstverständlich zog ich Annes Stuhl näher zu mir bis ihre Schulter meinen Arm berührte. Überrascht sah sie mich an, ließ aber zu das ich den Arm um sie legte. Ich wollte die Sachen zwischen mir und Anne so klar wie möglich machen. Vater entging natürlich nicht, was ich so offensichtlich für ihn auslegte, aber er wollte mir mit dem Blick nicht verraten was er davon hielt. Es versetzte mich in leichte Sorge. Nicht das auch er verlockt war eine Abneigung gegen Anne zu entwickeln. „Dann wurdest du diesmal also von Derren eingeladen?", fragte er an Anne gerichtet, seine Stimme blieb neutral. Doch Sie errötete wie auf Kommando und nickte verlegen, obwohl sie das gar nicht hätte sein müssen. Mein Vater lachte kurz gedämpft auf. Ein harter, rauer Klang, den ich so gut kannte und der mir sagte, dass er der Sache gut gesinnt war. Auch mir gelang ein leichtes erleichtertes Lächeln.
„Meine Söhne scheinen ja ganz vernarrt in dich zu sein, nighean. Aber das hast du bestimmt schon selbst bemerkt, ist ja nicht zu übersehen.
Naja, sie haben sich schon immer um die Mädchen gestritten, die sie mochten - denn es war zu oft das gleiche Mädchen. Kein Wunder, dass es jetzt wieder so ist! Ich weiß nicht ob ich dich da beglückwünschen oder bemitleiden soll.", stimmte er durchaus gut gelaunt an. Julie gab vor etwas interessantes in der Tischplatte zu sehen und auch Anne sah so aus, als würde sie am liebsten aus dieser Unterhaltung fliehen. „Dad... muss das sein?", warnte ich und sah ihn leicht verstimmt an. Er hatte manchmal einen unglaublich unpassenden Humor. Den gleichen, den Stefan geerbt hatte. Er bemerkte natürlich meinen Blick, aber entschloss sich wohl ihn zu ignorieren. „Wie dem auch sei, ich denke du bist in einer ganz guten Position. Du kannst zwischen beiden wählen, was sollte eine Frau mehr wollen?", fragte er belustigter als er aussah. Ich sah ihn jetzt offen düster an, während Anne nervös schluckte und mich dann hilflos ansah. Oh, wie unangenehm ihr die Worte meines Vater war. Ich konnte es in ihren Augen sehen, ihre Wangen glühten verlegen. Wahrscheinlich hoffte mein Vater darauf das sie darüber lachen würde, aber für derlei Scherzen war es gerade ein schlechter Moment. Ich lachte leise freudlos auf und drehte eine ihrer braunen Locken um meinen Finger. „Ich denke nicht nicht, dass es da eine Wahl gibt und jetzt lass und das Thema wechseln bevor Anne noch schreiend hinausläuft bei deinem Gerede.", meinte ich ruhig, aber bestimmt und sah wie Anne mich musterte, ihr Blick war fragend, unsicher und ich konnte einfach nicht anders als ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Vater sah mich ebenfalls kurz eindringlich an, dann entfloh ihm wieder ein amüsiertes, hartes Lachen, ehe sein Blick zu Julie wanderte. „Und du bist Annes Schwester?", fragte er mit mildem Interesse. Julie machte sich auf dem Stuhl gerade, ehe sie nickte. „Ich bin Julie Rosenpfalz. Freut mich Sie kennenzulernen.", stellte sie sich höflich vor. Ich merkte sofort wie Anne neben mir zusammen zuckte, als Julie den anderen Nachnamen aussprach. Mein Vater warf ihr ein freundliches, aber leicht irritiertes Lächeln zu. „Es ist mir eine Freude auch deine Bekanntschaft zu machen, nighean bheag. Habt ihr nicht den gleichen Nachnamen?", harkte er nach. Anne räusperte sich und warf sich dazwischen, bevor Julie etwas dazu sagen konnte. „Doch, natürlich. Unsere Mutter hat neu geheiratet, deshalb Johnnson. Julie ist manchmal noch nicht ganz an den neuen Namen gewöhnt, deshalb benutzt sie den alten.", erklärte sie hastig, während sie Julie einen bösen Blick zuwarf. Julie kräuselte die Nase und legte den Kopf leicht schief. „Ich bin dran gewöhnt, ich erkenne Johnnson nur nicht an. Er ist genauso widerlich wie sein Besitzer.", maulte Julie wie der mürrische Teenager der sie war und verschränkte die Arme. Besorgt sah ich zu wie Anne den Mund öffnete, um etwas dagegen zu sagen, jedoch kein Wort erklang. Sie schloss ihn tatenlos wieder und lehnte sich zurück. Mein Vater war klug genug nicht weiter darauf einzugehen, er gab vor das gar nicht mehr zu hören und wandte sich wieder mir und Anne zu.
„Wie alt bist du eigentlich, Anne? Das habe ich mich gefragt seid du hier das erste Mal warst. Du wirkst... noch sehr jung.", fragte er wenig elegant verbergend, dass er sie definitiv für ein halbes Kind hielt. Wie auch ich bei unserer ersten Begegnung. Anne lächelte leicht, froh nicht weiter über ihren Nachnamen reden zu müssen. „Ich bin 18. Ich bin älter, als die Leute mich einschätzen.", sagte sie mit erschreckender Ernsthaftigkeit. Mein Vater brummte nachdenklich. „In der Tat, ich hätte dich jünger geschätzt.", murmelte er einen kurzen Augenblick gedankenverloren. „Trotzdem fast zehn Jahre zu Derren." Ich verdrehte die Augen nun sichtlich genervt und erwiderte nichts darauf, sodass das Thema einfach ausgeschwiegen wurde. Es war jetzt genug des Verhörs.
„Hast du schon gelesen? Die ganze Zeitung ist voll mit einem flüchtigen Irren von dem die Polizei nicht die geringste Spur hat. Erst vorgestern soll er seine Frau getötet haben. Warum weiß niemand, die Polizei sucht dringend nach Verdächtigen.", brummte Vater nach einer ganzen Weile des Schweigens und deutete beim sprechen auf die zugeschlagene Zeitung. Ich zog die Augenbrauen hoch. „Nein, ehrlich gesagt kam ich noch nicht dazu zu lesen.", sagte ich ehrlich. Mein Vater schüttelte mit zusammengezogenen Augenbrauen den Kopf. „Schwachköpfe! Wenn sie wirklich nach ihm suchen würden, hätten sie ihn schon längst gefunden.", murmelte er grimmig. „Wen?", fragte ich wenig interessiert. „Na, der Mann über den seit zwei Tagen die ganze Presse redet. Der, der seine Frau kaltblütig im Bett erwürgt hat und dann weggelaufen ist. Das Kinderzimmer ist auch leer, man nimmt an, dass er die beiden gemeinsamen Kinder entweder auch erdrosselt oder als Geiseln bei sich hat. Niemand weiß wo er jetzt ist. Und ich sage, die Polizei ist einfach nur faul. Ein Mann allein oder sogar zu dritt im Schnee kann sich schließlich schlecht verstecken." Ich zuckte mit den Schultern. Ein geflohener Irrer war jetzt nichts, was mich sonderlich wunderte, immerhin war auch ich sowas wie ein Irrer, nur nicht geflohen. Auch ich hatte das Blut von Menschen - auch von unschuldigen Menschen - an den Händen. Nur weil meine Taten in einem anderen Kontext geschahen sind sie nicht weniger verabscheuungswürdig. Das jetzt die Presse so einen Wirbel um einen einzelnen Mann machte war ziemlich lächerlich. Jeden Tag wurde jemand erwürgt, gefangen genommen und getötet. Diese eine Tat war keine Ausnahme. „Sie werden ihn schon kriegen. Wenn er in allen Zeitungen ist, kennt bald jeder sein Gesicht und dann kann er sich nicht mehr draußen bewegen.", meinte ich daher lapidar und drehte weiter Annes Locken um meinen Finger. Vater zog nachdenklich die Augenbrauen hoch. „Das hoffe ich. Wenn man von derartigen Menschen liest läuft es einem kalt den Rücken runter. Und das einen Tag vor Weihnachten." Ich nickte zustimmend und irgendwie gedrückt. Es war ein seltsames Thema so kurz vor einem frohen fest. Gedankenverloren zupfte ich an Annes Haar bis sie leise ‚au' murmelte und meine Hand festhielt. Ich lachte leise, was mir einen nicht ernsthaften bösen Blick einbrachte. Anne sah mich empört an und versuchte meine Hand aus ihrem Haar zu wirren, doch ich ließ es nicht zu. Mit etwas zu viel Übermut ließ ich es in einem Kräftemessen enden. Ich grinste überlegen und wollte sie an mich ziehen um ihr einen triumphierenden Kuss abzuringen, als eine viel zu fröhliche Stimme laut durch die Küche flötete: „Wer hat Lust auf eine Runde Schach? Ich will ja niemanden entmutigen, aber ich bin seit zehn Spielen ungeschlagen." Kurz darauf kam Stefan mit einem Spielbrett unter dem Arm und einem breiten Grinsen im Gesicht herein. Und die Sonne war wieder da.
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