Kapitel 11 - Unerwartete Worte
Ein Schrei fuhr durch die Nacht. Er galt mir, als eine Nachtschwester mich auf dem Boden vorfand, nur in ein typisches Krankenhaus-Nachthemd gehüllt und völlig bewegungslos. Ein junges unbeholfenes Ding war das, die mich da gefunden hatte. Ihre Hände zitterten als sie mich mühsam aufhob und wieder ins Bett legte. Ich ließ es geschehen, bewegungslos und nicht bereit ihr irgendwie dabei zu helfen. Natürlich weckte es Luke auf, aber er schwieg und schaute nicht rüber. Aber ich wusste anhand seiner Bewegungen, das er wach war. Er schwieg auch als ich fragte, ob die Schwester mich zur Toilette bringen konnte. Und er schwieg als ich fertig war und die Schwester das Zimmer wieder verließ. Zack, da ging das Licht wieder aus. Stille. Schwarze, erdrückende Stille. Und wieder lag ich meinem Bett, erleichtert jetzt, aber beschämt, dass ich es nicht selbst hinbekommen hatte.
Ich war also kurz davor wieder einzuschlafen, als Luke das Wort ergriff. „Alles in Ordnung?", fragte er in die Dunkelheit. Er flüsterte nicht, aber seine Stimme war gedämpft, irgendwie beruhigend. Beinahe erinnerte es mich an Seb, der trotz allem immer sprechen musste. Über seine Erfahrungen, was ihn freute und was ihn gerade belastete, wie er die Welt besser machen wollte. Aber es fehlte dieser melancholische Unterton, der verriet, dass alles so oder so seinem Ende zuging. Denn er hatte immer gespürt, dass er aus dem Krieg nicht wieder heim kommen würde.
Aber in diesem Moment fühlte ich mich nicht nach reden. Mit mir war nicht „alles in Ordnung". Und doch. Ich rag meine Lippen zum Sprechen. „Es geht schon.", murmelte ich auf Lukes Frage. Luke schnaubte hörbar unzufrieden. „Hast du dir wehgetan?", fragte er dann. Eine sehr voraussehbare Frage, wie ich fand und deshalb verneinte ich erwartungsgemäß. Zwar fühlte ich langsam ein schmerzhaftes Pochen in der linken Seite, vor allem in der Hüfte und dem Arm, aber genau genommen war es nicht mehr als ein Kratzer. Nervig, aber nicht ernst. Andererseits mochte ich vielleicht jetzt noch so fühlen, da ich Schmerzmittel bekam. Ohne diese ganzen Medikamente tat es bestimmt weh, alles, mein ganzer Körper war schließlich ein Wrack, das an den Strand des Lebens angespült worden war. „Ich glaube nicht.", antwortete ich also distanziert und schloss die Augen. Ich ahnte bereits, dass für Luke das Gespräch noch nicht beendet war, es war bei unseren letzten Gesprächen nie bei leichtem Smalltalk geblieben. Und zudem waren in den letzten Tagen viele seiner Verbände abgenommen worden. Seine Haut war rot und wuchs unschön nach, dennoch erfüllte es ihn scheinbar mit neuer Energie. Er wirkte froh über den positiven Fortgang und redete in letzter Zeit mehr als zuvor. Die einzigen Stellen seines Körpers die nicht verbrannt waren, waren Teile seines rechten Arms, sowie die rechte Seite seines Torso und sein Gesicht, das nur unter leichten Verbrennungen gelitten hatte. Seine Hände, Brust, Beine und sein Rücken sahen dafür umso schlimmer aus und waren deshalb noch immer in dicke Verbände gewickelt. Trotzdem jammerte er kaum. Anders als ich... ich jammerte viel.
„Wie waren eigentlich die Sprechstunden bei Dr. Black? Haben die schon geholfen?", fragte Luke als nächstes. Ich wusste es. Ich wusste, dass er das irgendwann fragen würde. Leise entwich meiner Lippen ein Seufzer. „Ehrlich gesagt hat mir dieses bisschen Reden bisher nichts gebracht außer Rückschläge, Angstzustände und Beruhigungsmittel. Ich bemerke keinen Unterschied. Ist alles genauso wie vorher. Die Albträume sind noch da und es fühlt sich noch immer schrecklich überhaupt daran zu denken. Vielleicht bin ich einfach zu ungeduldig oder aber, ich bin einfach ein hoffnungsloser Fall." Luke raschelte mit seinem Laken, als er sich bewegte. „Aha", kommentierte er bloß und im nächsten Moment hörte ich nackte Füße auf den Boden ausplatschen und gequältes Ächzen von seiner Seite. „Komischer Mann. Dr. Black, meine ich.", meinte ich gedankenverloren, und blickte zu Luke in das Dunkel seiner Zimmerhälfte rüber. „Eigentlich hat der die Therapie nötiger als ich."
Patschende, unregelmäßig Schritte näherten sich meinem Bett. Erstaunt sah ich, wie Luke bereits trotz sichtlicher Schmerzen aufgestanden war und nun zu mir herüber humpelte, kaum in der Lage richtig zu gehen. Ich zog die Stirn in Falten und stützte mich auf meine Ellbogen auf. „Was wird das, wenn es fertig ist?", fragte ich mit ehrlichem Wundern. Luke keuchte schwer, unfähig zu antworten, so sehr strengten ihn diese paar Schritte - es mochten kaum zwei Meter sein - an. Er schwankte zwischen den Schritten bedenklich stark, sodass ich besorgt war, er könnte hinfallen, aber er blieb verbissen auf den Füßen.
Wie ein Stein ließ er sich schließlich auf meine Bettkante sinken. Ich musterte ihn, wie er schwer schnaufend neben mir zu Atem zu kommen versuchte. Er war nicht kleiner als ich, wie ich jetzt gerade erst bemerkte und doch wirkte er ungemein dünner und ausgezehrter. Sein dunkelbraunes Haar hing ihm schlapp und glanzlos in die Stirn. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab und auf dem fahlen Gesicht zeichneten sich überraschend viele Sorgenfalten ab. Seine ganze Erscheinung wirkte schlaff und müde.
Luke räusperte sich, nachdem er sich ein paar Minuten lang erholt hatte, einigermaßen zu Atem gekommen war und schaute dann zu mir runter. Sein Blick war streng. Eine eisige Strenge aus grünen Augen, die mich erschreckte. Luke, als der strahlende Sonnenschein, der immer versuchte das Gute zu sehen sah mich eisig an und gleichzeitig war es das erste Mal das wir uns wirklich anschauen konnten. Er sah anders, „älter" - wenn man da von alt sprechen konnte - aus, als ich gedacht hatte. Ich schaute in dem schwachen Licht zurück, dass von den Straßen und dem Mond ins Zimmer geworfen wurde. Und ich wartete angespannt. Ich wartete darauf, dass Luke irgendwas sagte, irgendwas tat, was dieser Situation einen Grund gab. Doch er sah mich einfach nur an. Mit diesem unglaublich Blick, den ich stur erwiderte.
„Hör auf!", sagte Luke schließlich. Ich schaute ihn fragend an. Verwirrung mischte sich in meinen Blick. „Hör auf, hab ich gesagt!" Lukes Stimme wurde ungeahnt hart. So, wie ich es mir nie hätte vorstellen können bei ihm. Ein Befehlston, der aus ihm sprach. „Ich mache doch nichts.", entgegnete ich ihm verwirrt und beschwichtigend. Luke entblößt ein müdes, freudloses Grinsen. Seine Miene verriet mir, wie offensichtlich mir mein Fehler sein müsste. „Du liegst hier wie ein gebrochener Schwan, lässt dich von deiner Familie verhätscheln und mit Süßigkeiten verwöhnen. Du jammerst die ganze Zeit, wie schwer du es doch hast, dabei kümmert sich jeder nur um dich und das es dir möglichst bald besser geht.", sagte Luke kühl. Ich verdüsterte den Blick, doch bevor ich etwas sagen konnte fuhr er fort. „Oh, sieht mich an Luke, ich habe keine Zukunft, ich bin ein Krüppel und niemand liebt mich. Ich bin so gut wie tot, lass mich alle sterben.", äffte er mich überspitzt nach. Ich starrte ihn befremdet an. In den ganzen Wochen in denen ich nun hier war hatte ich Luke nie so kennengelernt. Ich fühlte mich, als würde ich einem Fremden gegenüber sitzen. Was genau genommen stimmte, aber ich hatte mir immerhin eingebildet ihn zu kennen und irgendwie sympathisch zu finden. „Aber-" „Hör auf!", fuhr er mich an und wischte jedes Wort von meiner Zunge. Seine Augen glitzerten wütend, „Denkst du, du bist der einzige dem es hier beschissen geht? Denkst du, du hast das Recht dich hier wie eine kleine Prinzessin aufzuführen und alles zu verweigern?", knurrte Luke und packte mein dünnes Hemd am Kragen ehe er fortfuhr. „Sieh dich doch an. Du siehst praktisch wie neu aus, hübsches Gesicht, klarer Geist. Ich muss Angst haben das meine Freundin mich nicht einmal wieder erkennt, wenn ich nachhause komme. Hast du eine Ahnung wie sich das anfühlt? Jede Nacht träume ich davon wie alles um mich herum anfängt zu brennen und mich mit Höllenqualen überzieht und jede zweite Nacht habe ich Angst das ich nach Hause komme und meine Freundin mich nicht mehr haben will." Er schrie jetzt. Direkt in mein Gesicht. Ich konnte schemenhafte Tränen in seinen Augen erkennen und war selbst zu perplex um zu reagieren. Alles ging so schnell. „Du hast so ein verdammtes Glück... Du Scheißkerl! Und siehst das nicht mal. Also geh zu Dr. Black und lass dir helfen... oder lass es sein, mir auch egal, aber tu nicht so als würde es dir als einziges hier schlecht gehen, und als wärest du der einzige, der eine beschissene Zukunft hat, die Arsch." Das letzte schluchzte er nur noch, ließ mein Hemd ruckartig los und wandte sich ab. Ich wusste nich ob ich wütend sein sollte oder verwirrt. In meinem Kopf arbeitete es heftig, während Luke sich Tränen unterdrückte. Er atmete zitternd, tief ein und ließ die Luft wieder entweichen. Ich schaute ihm zu wie er sich wieder beruhigte. Und irgendwo tief in mir drin dah ich ein, dass Luke vermutlich recht hatte mit einigen Sachen, auch wenn mir die Art, wie er es mir sagte, gehörig gegen den Strich ging. Aber ich verkniff mir eine verlockende Erwiderung, indem ich es zum ernsthaften Streit brachte und ließ Lukes Worte in unserem Zimmer verhallen.
Nach einigen Momenten der Stille in der er sich langsam beruhigt hatte, seufzte Luke tief. „Naja... wir brauchen beide ein bisschen Schlaf, nicht wahr? Besser wir schlafen jetzt noch etwas, bevor der Morgen graut.", meinte er ruhig und stand mühsam und sehr langsam auf. Ich konnte ihm ansehen, dass es ihm enorm viel abverlangt. Sein Gesicht wirkte jetzt noch müder als zuvor, aber auch erleichtert, als wäre eine Last von ihm genommen. „Gute Nacht", murmelte er leise zu mir mit seinem sonst so typisch freundlichen Unterton und schleppte sich zu seinem Bett rüber. Ich beobachtete ihn schweigend bis er drüben angekommen war und wünscht dann auch eine gute Nacht. So recht wusste ich nicht, was ich von dem halten sollte, was da gerade passiert war. Es hinterließ ein Gefühl von Verwirrung, Wut, unbeantworteten Fragen und Schuldbewusstsein in meiner Brust, das mich bis in den traumlosen Schlaf begleitete.
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Danke fürs Lesen :) Ganz schön heiß im Moment, nicht wahr? Da schreibt es sich am besten mit einem kühlen Getränk in der Hand.
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