Kapitel 10 - Scheinbarer Frieden
„Geht es wieder?" Ich nickte benommen und stellte das leere Glas wieder auf den Schreibtisch. Black hatte mich wider meiner Erwartungen ganz ruhig auf ein halbwegs entspanntes Level gebracht ohne mir irgendein Beruhigungsmittel zu geben. „Meinen Sie, Sie können jetzt weiter erzählen?", fragte Black an den Schreibtisch gelehnt. Er schob gerade einen Bonbon in seinen Mund und bot mir wie gestern ebenfalls welche an, indem er mir einladend den Korb hinhielt.
Ich presste die trockenen Lippen aufeinander. Mein Kopf fühlte sich so leer an, während sich meine Brust zusammen zog. Die Reaktion war automatisch, ich wollte gar nicht wieder so hysterisch werden, aber mein Körper empfand das als eine Notwendigkeit. Alles in diesem Raum, ja in diesem Gebäude schien mich gerade einzuengen. Und doch... ich zwang meine Zunge Worte zu formen. Ich wollte das hinter mir haben.
„Wir, also ich und Seb, sind also desertiert. Wir wollten es bis zum nächsten Harfen schaffen. Doch wir stießen auf ein Gefecht... und gerieten mitten hinein.", erzählte ich heiser weiter, während Black den Korb vor mich hinstellte und neues Wasser in mein Glas floss. Ich stockte, atmete mehrmals tief durch, konnte das Zittern am ganzen Körper und der Stimme aber nicht verhindern. Mir war kalt... nein, heiß. „Sollen wir noch eine Pause machen?", fragte Black beruhigend. Ich schüttelte verbeinend den Kopf. „Nein, ich schaffe das.", sagte ich fest und schluckte die Übelkeit runter. „Also... dieses Gefecht habe i h eher gehört als gesehen. Überall waren Schusswechsel. In der Ferne konnte man... Handgranaten explodieren h-hören. Es war so laut." Ich keuchte jetzt, der Schweiß lief mir über die Stirn und die Brust. Black zog besorgt dir Augenbrauen hoch ob meiner zunehmend schlechten Wandlung. Doch ich hob die Hand, als er etwas sagen wollte. „Aber wir sind durchgekommen... Ein Wunder. Es kann nicht anders sein. Wir hatten das Gebiet beinahe verlassen. Wir waren so nahe... so nahe dran es zu schaffen.", erzählte ich weiter und konnte ein kurzes Aufblitzen eines traurigen Lächelns auf meinen Lippen nicht verhindern. Doch es erstarb sofort wieder. Für den nächsten Schritt musste ich meine ganze Kraft sammeln. Ich ließ mir einen kurzen Moment um mich zu sammeln. Trank einen Schluck und massierte meinen Nacken gegen die Übelkeit. „Wir wurden nicht direkt entdeckt. Jedenfalls glaube ich das nicht... Es war ein Schusswechsel. Ganz nahe plötzlich. Da habe ich mich mit Seb fallen lassen und bin in die Fahne gekrochen..." Ich atmete tief durch. „Die Granate hat uns nicht genau getroffen. Ich denke... wir waren nicht das Ziel. Nur ein Unfall, ein Versehen. Ich weiß ja nichtmal, ob sie vom Feind oder einem Kameraden kam. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht. Aber wir konnten nicht gesehen worden sein." Das Rauschen in meinen Ohren wurde übermächtig und ich beugte mich über den Eimer, den Black seit meinem kleinen Unfall organisiert hatte. Ich übergab mich. So lange bis nur noch Galle kam und ich mich erschöpf zurück lehnen musste. Alles drehte sich vor meinen Augen und ich war das erste Mal glücklich nicht zu stehen.
Doch damit endete es nicht. Meine Haut fühlte sich eng um mich herum an. Ich merkte zwar das Black etwas sagte, aber ich konnte mich nicht darauf konzentrieren. Seine Stimme ging in einem Wirrwarr aus Geräuschen wie Schüsse, Urwaldgeräusche und beiseite geschobenen Blättern unter. Zudem rauschten meine Ohren. So laut, dass ich benommen die Hände darauf presste, um sie vor dem Lärm zu schützen. Es half nicht, verstärkte den Effekt sogar. Mein Körper zitterte unter kaltem Schweiß, der wie plötzlich jede Körperstelle kalt und klamm packte. Mein Atem ging schnell und hektisch, und doch schien mir nicht genug Luft in diesem Raum.
Ich fühlte wie Black meine Schulter schüttelte und meinen Namen rief. Als ich nicht reagierte nahm er sich das Telefon. Nicht der Doc, dachte ich in neu aufwallender Panik, würgte und wurde von der Wucht des Schwindels erfasst, als erst die Ränder meines Blickfeldes schwarz wurden, dann meine ganze Welt.
In meiner Ohnmacht träumte ich nicht, ich wusste generell nicht, dass mich das Beruhigungsmittel, das sie mir wohl gespritzt hatten mich für mehrere Stunden abgeschaltet hatte. Es kam mir kurz vor. Kurz wie ein Wimpernschlag, als ich die Augen wieder öffnete und mich in meinem Krankenbett wiederfand. Trotz dem ich nicht geträumt hatte fühlte ich mich zerschlagen und müde, irgendwie ausgelaugt. Es war Abend, die Sonne ging gerade unter und das Zimmer war dämmrig trüb. Ich fühlte mich unglaublich erschöpft und nicht in der Lage auch nur einen Zeh zu rühren. Die neue Ruhe des Abends war angenehm. Wie Balsam auf meiner aufgeriebenen Seele. Luke schlief schon, seine tiefen und stillen Atemzüge waren kaum hörbar.
Ich genoss die Stille eine Weile lang mit zurückgelehntem Kopf und geschlossenen Augen. Alles war dunkel und leer in mir, beinahe fühlte es sich an wie betäubt. Nachwirkungen des Beruhigungsmittels? Mochte sein. Aber ich wusste, wenn es nachließ würde die Horror wieder von vorn beginnen. Die Alpträume, die Anfälle... Das war alles nur eine Frage der Zeit und bis dahin beschloss ich, die Zeit der Ruhe zu genießen.
Ich griff zu meiner Linken in den mitgebrachten Korb meiner Mutter und fischte einen Schokoriegel hervor. Meine Lieblingssorte, mit Nüssen. Genau das richtige für diesen Moment. Obwohl ich Süßes generell nicht oft aß, war mir jetzt gerade so sehr danach, dass ich den ganzen Korb vernaschen könnte. Ich riss mich zusammen, biss das erste Stück von dem Schokoriegel ab. Es zerschmolz auf meiner Zunge und hinterließ einen - viel zu süßen - cremig, schokoladigen Geschmack den ich mit jedem Zentimeter meiner Zunge auskostete. Es musste Monate her sein, seit ich mein letztes Stück Schokolade gegessen hatte. Jetzt gerade schien es mir unmöglich diesen kleinen in blaues Plastik eingepackten Leckerbissen wegzulegen. Es tat gut, fast nich mehr als die Stille.
Ich warf einen Seitenblick auf den Rollstuhl neben meinem Bett. Wenn ich mich anstrengte konnte ich ihn erreichen. Ich musste zur Toilette. In den letzten Tagen hatte ich immer eine Schwester geholt wenn es soweit war, nun aber, gepackt von überraschendem Tatendrang wollte ich es selbst schaffen. Ich schob mir den ganzen Schokoriegel in den Mund, warf das Papier zurück in den Korb und drehte mich auf die Seite, über den Rand des Bettes. Mit ausgestrecktem Arm versuchte ich den Rollstuhl zu fassen zu kriegen. Nur ein kleines Stück... Noch ein Stück. Mit den Fingerspitzen konnte ich die Lehne berühren. Ich versuchte verzweifelt ihn näher an mich heran zu schieben, aber meine Fingerspitzen verübten nicht genug Kraft. Ich schnaufte vor Anstrengung, robbte mich noch ein Stück über den Rand und... fiel wie ein Stein aus dem Bett. Ich konnte einen Schmerzenslaut nicht unterdrücken. Keuchend blieb ich auf dem kalten Boden liegen. Ich war wirklich ein Krüppel. Ein Krüppel der nicht mal allein zur Toilette gehen konnte. Für alles brauchte ich Hilfe. Alles war zu schwer für mich.
Ich merkte die Tränen noch bevor ich mir bewusst war das ich anfing zu weinen. Stur unterdrückte ich aufsteigende Schluchzer, denn ich wollte Luke nicht wecken. Aber vor allem war ich so schon peinlich berührt genug. Ich wollte jetzt keine Aufmerksamkeit erregen.
Da waren sie wieder, die Gefühle, die zuvor in der Stille geruht hatte. Alle versammelt; die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die Wut, der Schmerz, die Angst. Ein Sack voll Gefühle dir nun in dieser Situation auf mich einregneten und mich noch weiter zu Boden drückten. Ich konnte das nicht. Ich konnte gar nichts. Ich war nutzlos... Bebend schloss ich die Augen unter immer größeren und heißeren Tränen. Und immer wieder kreisten meine Gedanken um das gleiche. Ich konnte nichts allein. Ich war eine Last für andere. Ich hatte keinen Nutzen mehr. Ich war nur noch ein atmendes, scheißendes Stück Fleisch, das rumheulte und schrie wie ein Baby. Ein riesiger Säugling, der niemals älter werden würde, niemals selbstständiger, niemals etwas zurück geben konnte für die Mühen der anderen. Ich hasste mich selbst. Diesen Körper, die Welt dafür, das sie mich irgendwie noch am Leben erhielt. Denn das beste schien es doch zu sein, wenn ich... starb. Zunächst wären sie traurig am Ende hätten alle ein Problem weniger an der Backe. Und ich... ich wäre erlöst.
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