Das war nicht so geplant ...


"Wo bist du gewesen?" Mycrofts Stimme klang noch unfreundlicher als sonst.

"Willst du mich jetzt jedes Mal so begrüßen?" entgegnete Sherlock genervt. Seine Euphorie nachdem er neben John aufgewacht war, verschwand schlagartig mit der Anwesenheit seines Bruders.

Er wünschte sich sofort wieder an den Rücken des Blonden gekuschelt zu sein und den Geruch seiner heufarbenen Haare einzuatmen.

Mycroft schnaubte. "Du warst weder beim Abendessen, noch bist du rechtzeitig zum Frühstück erschienen."

"Ist das etwas Neues?" unterbrach ihn Sherlock gleichgültig.

Jetzt seufzte der Ältere. "Deine ... Freundin  meinte du seist in deinem Zelt zu finden, doch da warst du nicht - trotzdem war das Bett frisch verlassen worden, obwohl es mitten am Tag war. Glaub nicht, das du etwas vor mir verheimlichen kannst."

Trotzig sah Sherlock in die kalten Augen seines Bruders.

Mycroft schien zu sehr mit der Kriegssituation beschäftigt zu sein, als dass er das Offensichtliche wahrnehmen konnte.

Ein leicht überhebliches Grinsen wollte sich auf die hohen Wangenknochen des Jüngeren stehlen, doch er konnte es gerade noch unterdrücken.

"Ich werde es früher oder später sowieso herausfinden." versuchte es Mycroft noch einmal. Aber Sherlock blieb stumm.

Und so trat er an den Verhandlungstisch, wohin ihm sein kleiner Bruder folgte. Ihm war es nur recht, dass Mycroft für den Moment aufgegeben hatte, hinter sein Geheimnis zu kommen.

"Du hattest wohl Recht, kleiner Bruder." Begann Mycroft. "Die Amerikaner scheinen sich neu formieren zu müssen. Unsere Spione berichten, dass sogar das Training mehr schlecht als Recht läuft - besonders bei dem Meerklima, welches die Landratten nicht gewohnt sind."

"Außerdem sind ihre Anführer begrenzt, die Motivation im Keller und vorraussichtlich ist ihre Krankenversorgung nicht gut genug, weshalb sie auf Verpflegung aus dem Inland warten, was erst in ein paar tagen vollständig ankommen sollte." ergänzte Sherlock, ohne etwas von seinen Leuten darüber gehört zu haben; Er vermutete es nur infolge dessen, was er bisher über seine Feinde erfahren hatte.

Auf einmal stürmte jemand ins Zelt.

Ein großer deutlich gebräunter Mann mit langen schwarzen Haaren die mit Perlen, Steinen und Federn geschmückt waren, kam im Eingang zum Stehen. Sein Tierfell rutschte fast von den Schultern als er zum Gruß die Hand hob und in einem Bogen vor dem Gesicht her bis zur Brust führte.

Mycroft ahmte die Bewegung nach und grinste den Häuptling geschäftsfreundlich an.

Tecumsee war kein Mann der vielen Worte - man sah ihm eigentlich alles, was er sagen wollte am Gesicht an. So schritt er auf eine Truhe zu, die im Raum stand und setzte sich mit wachen Augen. Dass neben ihm ein Stuhl stand interessierte ihn wenig.

Die Blicke die er Mycroft zuwarf waren so durchdringend, dass dieser nicht lange wartete und begann auf Shawee mit dem Häuptling zu reden.

"Laut unseren Informanten ist das Lager des Feindes immer noch erschüttert."

Tecumsee gab ein Grunzen von sich und verzog den Mund zu einem winzigen Anflug von einem triumphierenden Lächeln. Sherlock fragte sich, ob er es tat um Stärke zu beweisen. Diesem Prinzip folgte sein Bruder ja auch: Emotionen zeigen ist ein Zeichen von Schwäche.

Nun änderte sich die Haltung der Rothaut, sodass er noch größer wirkte als er sowieso schon war. Er überragte jeden Briten um mindestens einen wenn nicht gar zwei Köpfe. Mit dem vielen Schmuck im Haar sah er fast aus wie ein wandernder Baum - groß, breit und starr. Trotzdem verehrte ihn sein Volk.

Wieder stach es in Sherlock. Er hatte versucht gefühlskalt zu sein, stark zu sein, aber im Endeffekt hatte er mehr Leute die ihn hassten, als ihn überhaupt kannten.

Er war sich nicht sicher ob er Tecumsee beneiden oder hassen sollte.

"Das ist keine gute Idee ..." setzte Mycroft an, doch der Häuptling hob bedrohlich eine Augenbraue und zuckte mit den Nasenflügeln, als hätte Mycroft etwas absurdes gesagt, dass er jetzt zurück nehmen sollte.

Doch der britische Heerführer schluckte nur nervös, sprach aber weiter. "Jetzt erneut anzugreifen, wäre zu riskant für unsere Streitmacht. Wir kennen die Fallen nicht, die auf uns warten werden. In unserem Gebiet können wir wieder siegen. Dort ist es nicht sicher."

Wieder grummelte der große Mann. Da mischte sich Sherlock ein. "Wieso denn nicht?" fragte er auf Englisch. "Die Amerikaner rechnen nicht damit ...."

"Eben doch!" zischte Mycroft gedehnt.

"... dass wir angreifen weil sie denken dass wir schlau genug sind zu ahnen, dass sie damit rechnen., weshalb sie denken wir würden es auf keinen Fall tun." beendete Sherlock sein Argument.

Natürlich wollte er keinen Krieg, und ihm waren die Folgen klar. Doch es war die beste Chance die er hatte um mit John zu fliehen. Was war günstiger dafür als ein fast leeres Lager und niemanden der ihn vermissen würde, bis die Schlacht geschlagen war? Was Stunden oder Tage dauern konnte!

Der Häuptling der Shawee hatte das Gespräch mit ruhigen Augen verfolgt, ergatterte sich jetzt aber durch ein "Was hat er gesagt?" seine Aufmerksamkeit zurück. Sherlock war fasziniert, wie Tecumsee wusste worum es gegangen war, ohne ein Wort verstanden zu haben. Denn als Mycroft übersetzt hatte, nickte die Rothaut, als hätte man ihm wiederholt, was er eh schon wusste.

Er nickte erneut, diesmal aber in die Richtung von Sherlock.

Mycroft hielt kurz inne, bevor er sich ebenfalls an Sherlock wand.

"Er will, dass du sie anführst."


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