Kapitel 8

„Ich wollte nicht bis nachher warten", hörte ich eine weibliche Stimme. Die Person dazu sah ich nicht, da Liam sie mit seinen breiten Schultern verdeckte. „Okay, aber Delilah hör mir nur mal kurz zu."

„Warte gleich, wenn ich schon hier bin, kann ich Eloise hallo sagen. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen."

„Sie ist nicht hier."

„Nicht? Aber wie bist du dann in die Wohnung gekommen?" Delilah schob Liam im nächsten Moment ein wenig zur Seite, als wäre er nicht da und trat in die Wohnung. Dann sah sie mich und ihre Augen wurden groß. Meine auch.

Delilah war eine pure Schönheit. Endlos langes, schwarz glänzendes Haar, unglaublich schlank und große dunkle Augen. Sie trug ein knappes bauchfreies Top und schwarze Shorts. Ich blinzelte ein paar Mal, bis mich ihre Stimme aus meiner Starre riss.

„Wer zum Henker ist die denn?" Ich öffnete den Mund, um ihr eine schnippische Antwort zu geben, doch Liam ermahnte Delilah schon leise, indem er ihren Namen sagte. „Sind Sie sowas wie eine Haushälterin?"

Ähm, was? „Dann sollten sie sich auch so kleiden, wissen Sie das?" Entschuldigung, aber diese Person war mir jetzt schon unglaublich unsympathisch. Plötzlich verstand ich Grandmas Worte.
Delilah setzte schon wieder zum nächsten dummen Kommentar an, als ich ihr dazwischen funkte.

„Ich bin weder Haushälterin, noch irgendetwas anderes in der Richtung. Ich habe einen Namen und heiße nicht 'die'. Komm von deinem hohen Ross herunter und lande wieder auf dem Teppich der Tatsachen, Mädchen."

Delilah starrte mich mit offenem Mund an. „Bitte?" Sie drehte sich zu Liam. „Wer ist sie? Was machst du hier mit ihr? Und warum lässt du sie so schlecht mit mir reden? Warum machst du nichts?" Delilahs Stimme wurde zum Ende hin immer lauter und schriller. Ich war versucht mir die Ohren zuzuhalten, besann mich aber eines Besseren.

„Delilah das ist Natalie. Sie ist die Enkelin von Eloise."

„Enkelin, das ich nicht lache. Was läuft da zwischen euch?"

Liam seufzte. „Nichts, Delilah. Glaub mir."

„Oh natürlich. Als würde ich so dumm sein!" Delilah drehte sich komplett zu Liam und schrie ihn an. „Ich wollte mit dir wieder alles ins Reine bringen, aber du hast nichts Besseres zu tun, als  mich mit so einer da zu betrügen. Du bist das letzte Liam." Wie heftig die Ohrfeige war, die Delilah Liam verpasste, erahnte ich allein schon dadurch, dass Liams Kopf zur Seite flog und sich seine Wange sofort rot färbte. Ohne ein weiteres Wort verschwand Delilah.

Geschockt starrte ich auf die Tür, durch die sie gerade verschwunden war. Liam, der seine Hand vorsichtig auf seine linke Wange legte, holte mich aus meiner Fassungslosigkeit. Ich sagte nichts, als ich auf ihn zuging, von der Tür zog und diese leise schloss. Dann nahm ich seine Hand und führte ihn wieder in die Küche.

Ich holte aus dem Tiefkühlfach ein Kühlakku heraus, wickelte es in ein Geschirrhandtuch und legte es Liam sanft an die Wange.

Liam wirkte wie weggetreten. Er starrte vor sich hin und seit Delilah gegangen war, hatte keiner von uns mehr ein Wort gesagt. Ich setzte mich auf meinen Platz und hielt den Kühlakku sanft an Liams Wange gedrückt. Mir fehlten die Worte und Liam schien in seinen eigenen Gedanken versunken zu sein. Es erschien mir richtig, für den Moment einfach für ihn da zu sein, ohne großartig zu reden.

Ich weiß nicht, wie lange wir schließlich so dasaßen, ohne dass einer ein Wort sprach. Irgendwann hob Liam die Hand und legte sie auf meine. Mein Herz begann zu rasen, als er mir in die Augen sah und dabei so verletzlich wirkte, dass ich ihn am liebsten vor allem beschützt hätte. Ganz besonders vor dieser Delilah. Liam nahm mir den Kühlakku aus der Hand und ließ die Hand sinken. Ich tat es ihm gleich. „Danke."

Ich nickte nur. Noch immer wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte auf der einen Seite so viele Fragen im Kopf, bekam sie aber nicht sortiert. Auf der anderen Seite, wusste ich, dass ich einfach nicht nachfragen sollte. Liam und ich kannten uns kaum. So einen Einblick in sein Privatleben hätte er mir mit Sicherheit nie gewehrt, wenn er die Wahl gehabt hätte.
„Du musst dir keine Sorgen machen, Delilah kriegt sich wieder ein. Morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus. Das ist immer so."

„Immer?" Ich starrte Liam fassungslos an. „Sie... Du bleibst mit ihr zusammen? Nach so einem Auftritt?"
„Das ist Delilah. Sie ist sehr impulsiv." Liam zuckte mit den Achseln. Ich sackte zurück. Wie konnte er noch mit ihr zusammen sein wollen? Sie hatten ihn geschlagen! Für viele mag das keine große Sache sein, aber wenn Männer ihre Frauen nicht schlagen durften, galt das für Frauen genauso.

„Wir führen diese Art von Beziehung schon eine Weile. Ich bin es gewohnt, also mach dir keine großen Gedanken."

„Und das willst du?" Die Frage war raus, bevor ich weiter darüber nachdachte. Ich biss mir auf die Unterlippe. „Was genau?" Ich schwieg, aber Liam starrte mich so lange an, bis ich sagte: „So eine Beziehung."

„Was meinst du denn? Was führe ich denn für eine Beziehung?"

„So eine On-Off-Beziehung." Liam seufzte und seine Schulter sackten herab. „So ist sie nun mal."
Ich sagte dazu nichts mehr, da ich ganz anderer Ansicht war. Dennoch stand es mir nicht zu, irgendetwas zu sagen. Ich glaube, Liam wusste ganz genau, dass ich nicht viel von dieser Beziehung und auch Delilah hielt, aber das konnte er mir nicht übel nehmen. Ich habe Delilah zwei Minuten gesehen und sie hatte mir sofort ihre schlimmste Seite gezeigt. Nein, sie und ich würden wohl nie Freundinnen werden.

Ich goss Liam und mir noch einmal Limonade nach. Als ich mich gerade gesetzt habe, hörten wir das Schloss der Wohnungstür. Grandma war zu Hause. Liam nahm schnell den Kühlakku von seiner Wange, wusste aber nicht so recht, wohin damit. Ich nahm es ihm aus der Hand, konnte aber nichts mehr machen, da Grandma in diesem Augenblick die Küche kam.

„Hallo Natalie. Oh Liam, was machst du denn hier?"

Liam stand lächelnd auf und umarmte Grandma. „Ich wollte nur noch einmal vorbeischauen", erklärte Liam. Er sah kurz zu mir. Seine Wange war nur noch leicht gerötet, würde Grandma also wahrscheinlich nicht weiter auffallen. „Sagt, wisst ihr, wer das Geländer draußen an der Treppe repariert hat? Man kann es ja fast wieder anfassen, wäre die Farbe darauf nur schon richtig trocken." Ich riss die Augen auf, als Grandma mir ihre schwarze Hand zeigte. „Oh nein! Wir hätten einen Zettel oder sowas daranmachen sollen."

„Das wart ihr?", fragte Grandma überrascht. Ich nickte, aber Liam korrigierte sie. „Eigentlich Natalie. Sie hat das Geländer stabilisiert. Ich kam gerade, als sie das Geländer ansprühen wollte."

„Natalie, das ist so lieb von dir."

„Entschuldige, dass du jetzt voller schwarzer Farbe bist."

„Ach was. Die kann ich abwaschen. Ich bin gleich wieder da. Liam, bleibst du zum Abendbrot?" Grandma ging zum Waschbecken und wusch sich die Hände. „Nein, die Familie isst heute zusammen. Aber ich wollte dich, ich meine euch fragen, ob ihr Morgen zum BBQ kommen wollt. Mom ist gespannt auf deine Enkelin Eloise." Grandma lachte. „Da ist sie nicht die Erste."

So besonders war ich gar nicht. Ich würde sie wohl alle enttäuschen, wenn sie feststellten, dass ich ebenso ein Mensch war wie sie. Mit Fehlern und seltsamen Eigenheiten.

„Natalie, was sagst du?" Ich nickte. „Klar, warum nicht. BBQ klingt gut." So sicher, wie ich klang, war ich mir eigentlich gar nicht.

„Gut, dann mache ich mich gleich wieder auf den Weg. Wir sehen uns morgen."

„Mach's gut!"

Dann war Liam auch schon aus der Wohnung verschwunden. Er war ziemlich überstürzt aufgebrochen. Und mir gegenüber hatte er gar nichts von dem BBQ erwähnt. Dieser Kerl war schon irgendwie komisch.

„Was ist mit Liam?" Ich sah zu Grandma, die mich abwartend ansah. „Was meinst du?"

„Natalie, Liam ist noch nie hier aufgetaucht, wenn er doch wusste, dass ich nicht da sein würde. Und jetzt war er so kurz angebunden. Und davon mal abgesehen, warum hast du den Kühlakku benutzt?"

„Das sind ziemlich viele Fragen, findest du nicht?"

„Natalie Roy. Ich erwarte eine Antwort." Bei Grandmas autoritären Stimme zuckte ich zusammen. Diese Seite war neu für mich. Bevor ich mich jedoch noch weiter in Schweigen hüllte, beantwortete ich zumindest schon einmal die erste Frage. „Liam ist mir gegenüber etwas skeptisch, weil ich einfach aus dem Nichts aufgetaucht bin. Ich habe ihm nicht erzählt, warum ich erst jetzt aufgetaucht bin, aber ihm gesagt, dass ich es vielleicht mal mache. Damit hat er sich zufriedengegeben. Er will, dass es dir gutgeht, Grandma."

Sie nickte. „Ja, das kann ich verstehen. Liam hat mich, nachdem seine Grandma gestorben war, fast täglich besucht und wollte mir das Leben so einfach wie möglich machen. Scheinbar hat er diesen Beschützerinstinkt noch immer in sich, auch wenn ich ihm schon oft gesagt habe, dass er den nicht braucht. Ich kann gut auf mich allein aufpassen."

„Das glaube ich dir aufs Wort!"

„Und warum ist er so schnell gegangen? Ist etwas passiert?" Ich seufzte. Den Teil hatte sie also nicht vergessen. Na ja, einen Versuch war es wert gewesen. „Er hat vorhin einen Anruf von Delilah bekommen..." Grandma ließ mich gar nicht ausreden. „Gut, dann weiß ich, was los ist." Ich blinzelte. Tatsächlich?

„Jedes Mal, wenn Delilah sich bei ihm meldet, ist Liam niedergeschlagen. Sie ist nicht gut für ihn, aber er will nicht auf mich hören." Ich nickte einfach nur, weil ich hoffte, dass Grandma nicht weiter auf das Thema eingehen würde. So könnte ich Delilahs Besuch hier verschweigen. Liam wollte mit Sicherheit nicht, dass ich Grandma von ihrem Auftritt und der Ohrfeige erzähle.

„Und der Kühlakku? Glaub nicht, ich würde hier irgendetwas vergessen. Ich habe ein Gedächtnis wie ein Elefant." Ich blickte auf den eingewickelten Kühlakku in meiner Hand. Kalt war es fast gar nicht mehr. „Ich habe es für mein Knie gebraucht, weil ich mich wohl verdreht haben muss, als ich das Geländer festgemacht habe."

Die Lüge kam mir erschreckend leicht über die Lippen. Ich fühlte mich mies, aber ich hatte das Gefühl, dass ich Liam nicht bloßstellen durfte. „Herrje Kind, warum machst du denn sowas?"

„Es ist passiert, aber nicht weiter schlimm." Ich sah mich in der Küche um, nur um Grandma nicht ansehen zu müssen. „Gut, aber sollte es noch lange wehtun, sag mir Bescheid."

„Das mache ich." Grandma nickte zufrieden.

Einige Stunden später lag ich in meinem Bett und sah aus dem Fenster auf den fast dunklen Himmel. Mir kreisten eine Menge Gedanken durch den Kopf. Vor allem, da ich mit den meisten nichts anzufangen wusste.

Auf der einen Seite wollte ich Liam helfen. Aber ich wusste rein gar nichts über ihn und eine Beziehungsexpertin war ich nun auch nicht. Für Liam war es vielleicht okay, dass die Beziehung mit Delilah so war, wie sie nun mal war.

Auf der anderen Seite wollte ich nicht schon wieder mein Helfersyndrom die Oberhand gewinnen lassen, da ich damit sicherlich zu weit gehen würde. Liam war erwachsen. Er konnte auf sich allein aufpassen. Dennoch verstand ich nicht, wie ein so netter Kerl, wie Liam es war, mit so einem Mädchen zusammen sein konnte. Gut, Delilah sah wirklich hübsch aus und ihr Kleidungsstil brachte ihr bestimmt viele Blicke ein, aber trotzdem schienen die beiden wie Tag und Nacht zu sein. Das fand ich seltsam. Und dann war da noch diese große Eifersucht, die Delilah an den Tag legte. Hatte sie vielleicht allen Grund dazu oder reagierte sie einfach nur über? Mir schwirrte der Kopf. Ich freute mich auf das BBQ. Ich freute mich darauf Liam wiederzusehen, aber ich konnte mir denken, dass auch Delilah da sein würde. Und was wäre, wenn mich Liams Familie nicht mögen würde? Das wäre schon irgendwie seltsam.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich in den Schlaf fiel. Doch als ich endlich schlief, suchten mich immerhin diese ganzen Gedanken nicht mehr heim.  

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