Kapitel 57

Nach dem leckeren Frühstück zu zweit, schickte Liam mich in mein Zimmer und sagte mir, dass ich mich fertig machen soll. Er wollte mich mit auf ein Date nehmen. Dieses Mal ohne Football, wie er beteuerte. Da ich nicht wusste, was Liam geplant hatte, zog ich mir eine Jeansshorts und ein einfaches braunes Top mit Fransen am Kragen an und schlüpfte in bequeme Sandaletten. Als ich aus meinem Zimmer kam, stand Liam schon an der Wohnungstür und wartete auf mich.

„Fertig!", rief ich und ging zu ihm herüber. „Wo ist eigentlich Mike?"

„Ich habe vorhin eine Nachricht bekommen. Er hat gestern spontan beschlossen, die Nacht außerhalb zu verbringen."

„Wollte er uns Freiraum geben?"

Liam zuckte mit den Achseln. „Vielleicht. Vielleicht war es aber auch etwas viel für ihn und er brauchte Ablenkung." Seine Miene verdüsterte sich ein wenig. Ich legte Liam eine Hand auf den Arm. „Er ist dein bester Freund. Er will wissen, wenn es dir schrelcht geht. Genauso sehr, wie ich es wissen will. Und Mike wird einen Weg finden, damit umzugehen."

„Wie machst du das?"

„Was genau?"

„Wie gehst du damit um, dass ich mich... nie gewehrt habe."

„Es lässt dich nicht schwach wirken, wenn du das meinst. Es ehrt dich eher, dass du ihr nie ein Haar gekrümmt hast und sie heute noch immer in Schutz nimmst. Ich werde dir noch die Schuldgefühle austreiben müssen, aber ich bin optimistisch, dass ich das schaffe. Und ansonsten... werde ich bei dir bleiben und mit eigenen Augen sehen, wie du lebst und dass du glücklich bist."

„Du passt auf mich auf?", fragte Liam nun etwas erheitert. Ich kicherte. „Vielleicht ein wenig. Ist doch bei dir genauso. Vielleicht sind wir einfach eine Mini-Selbsthilfegruppe."

„Dann lass uns mal etwas Selbsthilfe betreiben." Liam griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich aus der Wohnung. Ich folgte ihm nur lachend und trat auf dem Bürgersteig neben ihn.

„Und wo geht es hin?"

„Lass dich überraschen." Erheitert und auch sehr erleichtert darüber, dass Liam und ich nach den letzten Ereignissen wieder zueinander gefunden hatten, ließ ich mich einfach von Liam führen und schlenderte mit ihm durch die Straßen von San Francisco. Wir hatten unseren Spaß, hielten an einer Eisdiele, betrachteten Fensterläden und holten und irgendwann noch etwas zu trinken. Ich hatte die Zeit schon lange nicht mehr im Blick gehabt, doch ich war erstaunt, als wir auf einmal vor dem Palace of Fine Arts standen.

Mit großen Augen sah ich mir den Tempel an, der vor mir aufragte. Es war, als würde man in der Zeit zurückreisen. Umgaben uns sonst zeitgemäße Neubauten, ergab dieser Tempel einen enormen Kontrast zu seiner Umgebung.

„Ich wollte mir den schon immer mal ansehen!" Ich sah zu Liam, der mich mit einem sanften Lächeln auf den Lippen betrachtete. „Scheint, als gefällt es dir wirklich." Ich nickte. „Wir können uns heute nur nicht das Museum ansehen. Das hat montags leider zu."

„Egal! Wir können einfach ein wenig durch die Gegend laufen. Gibt es hier nicht auch einen kleinen Park mit See?"

„Ja, gleich auf der anderen Seite." Liam ergriff meine Hand und so schlenderten wir durch die Gegend und schauten uns das alte Gebäude, seine Säulen und die Mauern eine Weile an. Nach einer halben Stunde hatten wir die Sehenswürdigkeit umrundet und liefen an dem kleinen See entlang. Enten und sogar zwei Schwäne schwammen über das ruhige Wasser, tauchten hin und wieder nach Fressen oder putzen sich. Es war idyllisch. Mitten in der Großstadt so einen Platz zu haben.

Liam und ich setzten uns unter einen Baum ein paar Meter vom Wasser entfernt ins Gras und betrachteten in einvernehmlichem Schweigen das beruhigende Bild. Hier in diesem Moment schien die Welt in Ordnung zu sein. Es gab keine Kindheitstraumata, keine Gewalt. In diesem einen Augenblick fühlte ich zum ersten Mal in meinem Leben so etwas wie vollumfängliche Ausgeglichenheit.

Dankbar sah ich zu Liam. Er lag neben mir ausgestreckt und hatte die Augen geschlossen. Seit wir hier angekommen waren, war das Lächeln nicht von seinen Lippen gewichen. Auch jetzt zogen sich seine Mundwinkel noch ein kleines Stück nach oben.

Ich war stolz auf ihn. Stolz, dass er trotz allem immer noch das Leben genießen konnte, dass er trotz allem zu einem so guten Menschen geworden war, der vielleicht seine Selbstzweifel hatte, aber niemals eine Sekunde zögerte, wenn andere seine Hilfe brauchen.

„Ich sehe es nicht, aber ich spüre, wie du mich anstarrst." Liams Mundwinkel hoben sich ein gutes Stück weiter und ich sah ertappt wieder zum See. Ich musste grinsen. „Woher weißt du das?"

„Ich spüre es einfach. Aber tu dir keinen Zwang an. Ergötze dich ruhig an meinem Anblick."

Ich prustete los. „Ich soll mich ergötzen? In welcher Zeitschleife steckst du denn gerade fest? Liam nur, weil wir uns in der Nähe eines recht alten Gebäudes befinden, musst du das Mittelalterfeeling nicht gleich so verinnerlichen." Lachend schüttelte ich den Kopf. Ich sah wieder zu ihm zurück. Er hatte ein Auge geöffnet und sah mich erheitert an. „So alt ist es nun auch wieder nicht. Und du weißt, Wörter sind mein Leben."

„Sonst wäre dein Studium ja wirklich ein wenig falsch gewählt."

„Ein wenig." Liam setzte sich auf. „Aber ich denke wir beide haben eine gute Wahl getroffen."

„Mit unseren Studiengängen?"

„Mit uns."

Verdattert sah ich Liam an. „Mit uns?" Er nickte. „Wir beide sind zusammen perfekt, Natalie. Das weißt du genauso gut wie ich. Ich weiß, es ist nicht die beste Art von einer Beziehung in die nächste zu springen, aber..." Liam nahm meine Hand und drückte sie leicht, während er mir fest in die Augen sah. „Ich weiß einfach, dass das mit uns etwas Großes werden kann. Dass... du wirklich die Mutter meiner Kinder sein könntest."

„Kinder?", echote ich ein wenig stotternd.

„Okay. Die können wir auch noch etwas weiter hinten anstellen. Aber Nat." Liam rutschte zu mir heran, sodass sein Knie seitlich meins berührte. „Ich möchte, dass das mit uns hält. Lange." Mein Herz schlug kräftig in meiner Brust und tat im selben Moment unglaublich weh. Liam musste wirklich davon ausgehen, dass ich ihn bald wieder verlassen würde, wenn er mir immer wieder beteuerte, dass er mich für immer an seiner Seite haben wollte. Er sprach von Kindern! Und natürlich gefiel mir der Gedanke, dass ich in Liam den Mann fürs Leben gefunden hatte. Doch es machte mir auch Angst, denn ich wusste, dass meine frühere Beziehung nicht einmal ansatzweise an die mit Liam herankam.

Ich musste Liam seine Verlustängste nehmen. Ähnlich wie bei mir würden wir seine Ängste nur nach uns nach auslöschen können, doch ich war zuversichtlich, dass wir das schaffen würden. Also wandte ich mich Liam komplett zu und lächelte ihn an. „Ich habe nicht vor, dich zu verlassen. Genauso wenig glaube ich, dass wir beide nicht füreinander bestimmt sind, Liam. Ich kann mir vorstellen, dass es schwer für dich ist, zu glauben, dass ich an deiner Seite bleibe. Aber das werde ich." Ich umfasste Liams Gesicht mit beiden Händen und sah ihm in die Augen. Seine Bartstoppel kitzelten an meinen Handflächen und kratzten ein wenig, als ich mit dem Daumen über seine Wangen strich.

„Du hast mich Liam."

Liams Augen wurden verdächtig gläsern. Doch er lächelte mich glücklich an. Im nächsten Moment hatte er seine Arme um mich gelegt und seinen Kopf auf meiner Schulter gebettet, um sein Gesicht in meiner Halsbeuge zu verstecken. Ich strich durch sein weiches Haar, als wollte ich ihn beruhigen.

„Tut mir leid. Ich... ich denke, ich brauche Zeit, um zu verinnerlichen, dass ich jetzt wirklich glücklich sein kann."

„Ohne dich schlecht zu fühlen. Denn das musst du nicht."

„Okay."

Ich schüttelte innerlich mit dem Kopf. Aber ein ‚Okay' war immerhin schon mal ein Anfang. Denn das war es. Unser Anfang.

Liam und ich genossen die Zeit an dem kleinen See sehr. Irgendwann hatte Liam Trauben und ein paar kleine Sandwiches aus seinem Rucksack geholt, als hätten wir ein kleines Picknick. Danach legte ich mich ins Gras und bettete meinen Kopf auf Liams Schoß. Während er in stetigen Bewegungen durch mein Haar strich, wurde ich immer müder. Scheinbar holte mich meine schlaflose Nacht wieder ein und ich schloss irgendwann meine Augen. Schlafen konnte ich nicht, allein der Gedanke daran machte mich fertig. Aber es war auch so erholsam, einfach nur diesen Moment zu genießen. Eine ganze Weile sprach keiner von uns. Es war aber schließlich Liam, der die Stille zwischen uns beendete. „Irgendwann wirst du tief und fest schlafen, während ich auf dich aufpasse Nat", murmelte er wahrscheinlich mehr zu sich selbst. „Das wäre schön", antwortete ich dennoch. Liam stockte kurz in seiner Bewegung, als hätte er jetzt erst gemerkt, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte.

„Wir beide sind wirklich verdammt abhängig voneinander." Ich konnte vor meinem inneren Auge sehen, wie Liam den Kopf schüttelte und dabei schmunzelte. „Ja, irgendwie sind wir das. Wann ist das passiert?"

„Du hast mich von Anfang an um den kleinen Finger gewickelt. Ich bin, bevor ich dich getroffen habe, jeder möglichen Konfrontation mit Delilah aus dem Weg gegangen. Aber dann warst du da und plötzlich war da dieser Drang in mir. Ich musste dir einfach nah sein."

„Und hast dafür Delilahs Zorn auf dich gerichtet." Ich drehte mich auf den Rücken und sah zu Liam hoch. Er zog die Augenbrauen zusammen und sah mich missmutig an. „Ich habe versucht, mich von dir fernzuhalten. Das weißt du, aber es hat einfach nicht geklappt. Wie soll ich andere Männer von dir fernhalten, wenn ich nicht in deiner Nähe bin?"

Ich lachte. „Wen wolltest du denn von mir fernhalten?" Liam gab ein Schnauben von sich. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht wieder zu lachen. „Dieser Patrick. Adams Freund. Er hat sehr eindeutig Interesse an dir."

„Patrick weiß, dass er ein Freund ist. Ich habe ihn schon in die Friend-Zone geschubst."

„Er sieht nicht nach einem Kerl aus, den das interessieren würde."

„Patrick ist ein guter Kerl. Wirklich. Er ist Adam wirklich loyal gegenüber. Und Hugh holt ihn hin und wieder mal von seinem hohen Ross herunter. Du würdest sie mögen. Sie sind ziemlich ungleich, aber sind doch wirklich tolle Freunde."

„War es schon immer so, dass du mehr männliche Freunde hast?"

Ich öffnete den Mund. Dann ging mir ein Licht auf. „Hey. Du wechselst einfach das Thema!" Liam lächelte. „Ja. Ich will heute nicht darüber reden. Es war meine Schuld, dass ich damit angefangen habe. Tut mir leid." Das konnte ich verstehen. Ich würde es an seiner Stelle auch nicht toll finden, ständig an Momente erinnert zu werden, die man eigentlich vergessen will. Darum beließ ich es dabei und beantwortete Liams andere Frage.

„Nein. Eigentlich hatte ich nicht sehr viele Freunde. Und wirklich gute waren es auch nicht. Klar, wir haben hin und wieder etwas zusammen unternommen, aber ich kann nicht behaupten jemanden von ihnen sehr zu vermissen. Das sagt eigentlich alles, oder?"

„Nun, du hast ja jetzt mich."

„Ja genau", antwortete ich lachend.

„Und du hast Mike, Fiona, Eloise, Mom, Dad... ja und vielleicht auch Adam und seinen Anhang."

„Stimmt. Ich würde jeden von euch vermissen, wenn ich weggehen würde."

„Tust du nicht", bestimmte Liam.

„Nein", erwiderte ich wieder lachend und schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht vor wegzugehen."

„Darf ich dir eine andere Frage stellen?"

„Sicher."

„Warum hast du die Beziehung mit deinem letzten Freund beendet? Weil du nach Amerika gegangen bist?"

„Nein. Ich habe sie davor schon beendet. Gut, ich hatte Grandmas Brief schon erhalten, aber als ich ihm gesagt habe, dass ich die Beziehung mit ihm beenden will, war mir noch nicht klar, dass ich kurz danach Hals über Kopf das Land verlassen würde."

„Wie hat er es aufgenommen?"

„Gut. Fast schon gleichgültig würde ich sagen. Unsere Beziehung war nicht so innig und tief, wie man sie von einem Liebespaar erwarten würde. Ich kann auch nicht behaupten, ihn wirklich je geliebt zu haben. Ja, ich mochte ihn, aber die Gefühle für ihn sind nicht mit dem zu vergleichen, was ich für dich empfinde. Und ich denke genau diese Gefühle sind es, die eine Beziehung ausmachen."

„Schön gesagt", neckte er mich. Doch Liams Augen spiegelten in diesem Moment so viel Liebe wider, dass mein Herz vor Glück anschwoll.

„Ich mag ihn trotzdem nicht. Wenn ich auch froh bin, dass er dich hat gehen lassen."

„Wieso?"

„Weil er dir eingeredet hat, dass du nicht hübsch bist, wenn du deine Brille trägst."

Mir blieb eine Antwort im Hals stecken. Woher wusste er das? „Wie?"

„Du hast selbst gesagt, dass du keinen von den Menschen aus Schottland vermisst. Aber jemand muss dir eingeredet haben, dass deine Brille nicht gut aussieht. Und da bleibt nur dein Freund übrig, der dir doch mehr als die anderen bedeutet hat. Er ist die einzige Person, auf deren Meinung du etwas gegeben hast, nicht wahr?"

Ich sah Liam nur stumm an. Er hatte recht. Das wusste er auch, ohne, dass ich ihm eine Antwort gab.

„Du kennst meine Meinung. Und du kannst mir glauben, dass ich dich nie anlügen würde. Sei bei mir der Mensch, der du bist Natalie. Nicht der Mensch, der du sein willst, weil du denkst, dieser Mensch wäre besser als dein wahres ich."

Mir fiel keine Antwort ein. Aber ich hob den Arm und legte meine Hand wieder an Liams Wange. Er drückte seine Wange fast augenblicklich gegen meine Handfläche. Das brachte mich zu lächeln. „Ich werde mein Bestes geben."

„Wir haben genug Zeit." Liam zwinkerte mir zu und grinste breit zurück.

„Aber es ist schwer, mit alten Gewohnheiten zu brechen. Ich mein, immer wieder musste ich mir anhören, dass ich nicht hübsch bin. Vor allem mit der Brille. Als mir mein Ex das dann auch sagte, blieb mir nichts anderen übrig, als es zu glauben."

„Solltest du nicht. Ich habe das Gefühl, als wollte er dich klein halten. Als hatte er gewusst, dass du eigentlich viel zu gut für ihn bist und er nicht wollte, dass du das auch siehst."

„Ich habe jetzt dich und ich glaube wir beide haben uns mehr als verdient." Denn so war es. Liam und ich hatten endlich mal ein wenig Glück verdient. Er und ich musste von jetzt an einfach glücklich sein. Alles andere wäre unfair.

Liam lachte unterdrückt. „Wenn du das sagst."

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