Kapitel 51

Der nächste Morgen kam und wunderbar erholt streckte ich mich und seufzte wohlig, als ich mich noch einmal auf die andere Seite drehte, um noch ein wenig zu schlummern. Liam und ich waren gerade dabei gewesen, uns ein passendes Haus zu suchen. Mich würde blendend interessieren, wie mein Traum ausging. Doch nach fünf Minuten merkte ich, dass ich nicht wieder einschlafen konnte. Von Minute zu Minute wurde ich wacher. Irgendwann öffnete ich schließlich die Augen und setzte mich auf.

Blind tastete ich auf meinem Nachttisch nach meiner Brille, die ich schnell fand und aufsetzte. Als ich einen Blick aus dem Fenster warf, sah ich, dass es noch recht früh war. Die Sonne war schon aufgegangen, doch sie schien noch nicht in mein Zimmer, was nur bedeuten konnte, dass es noch nicht neun Uhr durch war. Ich schälte mich aus meiner Decke und stand auf.

Nach einem kurzen Blick in den Spiegel, wobei ich mir kurz mit den Fingern durch die Haare fuhr, verließ ich mein Zimmer. Auf der Türschwelle blieb ich stehen, da ich den Kaffee schon riechen konnte. War Liam schon wach? Oder war Mike wieder zurück?

Ich ging ich die Küche. Verwirrt blieb ich jedoch vor der Kaffeemaschine stehen, durch die gerade der Kaffee lief. Von Liam oder Mike war weit und breit nichts zu sehen. Nun, einer von beiden musste wach sein. Die Kaffeemaschine machte sich mit Sicherheit nicht selbstständig.

„Morgen."

Ich zuckte heftig zusammen und schrie kurz auf. Dann drehte ich mich um und sah Liam neben der Kücheninsel stehen. Ich presste meine Hand gegen meine Brust, in der Hoffnung so mein Herz ein bisschen schneller beruhigen zu können. Dann lächelte ich Liam an.

„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?", fragte ich, während Liam an mir vorbeiging und zwei Kaffeetassen aus dem Schrank holte. Er wartete einen Augenblick und dann machte es Klick. Das erlösende Zeichen, dass die Kaffeemaschine fertig war. Liam goss uns Kaffee ein und reichte mir meine Tasse, ehe er seine nahm und sie unter seine Nase hielt, um einmal tief einzuatmen. Dann sah er auf und sein Blick ließ mein Lächeln sofort gefrieren.

„Ist etwas passiert?"

„Du hast scheinbar gut geschlafen, oder du hast mich gestern Abend ignoriert."

„Gestern Abend? Du warst nochmal bei mir?"

„Nein. Deine Zimmertür war immerhin abgeschlossen." Vielsagend hob Liam eine Augenbraue. „Wirklich Nat. Warum tust du das? Warum schließt du dich selbst ein?"

Ich öffnete den Mund und wollte irgendeine plausible Erklärung hervorbringen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Stattdessen erwiderte ich stumm Liams Blick. Ja wieso hatte ich die Tür abgeschlossen, wo ich mir doch zu 100 Prozent sicher war, dass Liam mir niemals etwas antun würde? Es war zu einer reinen Gewohnheit geworden.

„Ich mache das schon ziemlich lange."

„Außer du bist tot müde und fällst einfach nur ins Bett. Wenn du dann aber aufwachst... Nun wir beide wissen, wie du das eine Mal reagiert hast." Liams Blick verfinsterte sich weiter. Ich schluckte schwer. Es wäre so einfach, ihm die ganze Sache zu erklären. Warum schaffe ich es dann aber nicht, darüber zu reden? Was machte ich mir selbst vor? Ich schämte mich für meine Angst. Meine Angst vor der Dunkelheit und meine Angst davor, dass man mir zu nahekam, während ich schlief und ich nichts dagegen tun konnte. Das war lächerlich, aber ich trage diese Ängste mit mir herum seit ich ein kleines Mädchen bin. Es war nicht möglich, sie von heute auf morgen einfach abzulegen.

„Was kann ich tun, damit du mir vertraust?"

Verwirrt sah ich Liam an. Er musterte mich aufmerksam, als wollte er nicht mal die kleinste Reaktion von mir übersehen. Ich schüttelte nur den Kopf. „Liam, ich vertraue dir. Das weißt du. Das habe ich schon immer getan. Und das ändert sich auch nicht."

„Aber du traust mir noch vollkommen."

„Das stimmt nicht!", protestierte ich. Es war nur logisch, dass Liam mich falsch verstand. Er hatte enorme Selbstzweifel und war etwas mehr als nur angeknackst, woran hauptsächlich Delilah Schuld hatte. Meine Handlungen verunsicherten Liam nur weiter. Ich hasste mich selbst dafür, dass ich ihm sowas antat.

„Ich weiß, dass du es nicht verstehst. Und ich versuche gerade damit klar zu kommen."

„Lass mich dir helfen. Du würdest mich zum Teufel jagen, wenn ich dir sagen würde, dass ich allein mit meinen Problemen klarkommen will."

Ich schmunzelte. „Ja. Wahrscheinlich."

Abwartend sah Liam mich weiterhin an. Als ich jedoch nichts weiter sagte, seufzte er nur und schüttelte den Kopf. „Gib mir etwas Zeit", bat ich erneut. Scheinbar hatte ich etwas Falsches gesagt, denn Liams Blick wurde argwöhnisch und ich fühlte mich plötzlich ziemlich unwohl.

„Wofür genau? Mit deinen Problemen klar zu kommen? Mir zu vertrauen?"

„Dafür bereit zu sein, es dir zu erzählen." Wurde das hier gerade unser erster Streit? Es fühlte sich so an, als ob wir beide gegen eine Wand redeten. Ich konnte mich Liam noch nicht öffnen, Liam konnte nicht verstehen wieso. Ein Teufelskreis.

„Du hast von mir absolute Ehrlichkeit verlangt."

„Und das willst du nun auch von mir?", fragte ich fast ängstlich nach. Ich würde nicht lügen, aber jetzt schon darüber zu reden, wo doch Liam gerade selbst so viel hatte, womit er erstmal fertig werden musste, erschien mir falsch. Unmöglich. Das ging auf gar keinen Fall.

„Ich will, dass du mir alles anvertraust, was dich belastet. Natürlich will ich das. Aber ich will dich zu nichts drängen, denn so bin ich nicht. Ich trage ziemlich viel Scheiße mit mir herum und ich glaube auch du hast noch einiges mehr als ein Auto oder Möbel in Schottland zurückgelassen. Ich will dir helfen. Du musst das doch verstehen. Aber ich weiß nicht wie, wenn du mich nicht an dich heranlässt. Mag sein, dass ich ungeduldig bin, aber es macht mich verrückt, dass du mich ausschließt. Im wahrsten Sinne des Wortes."

Ich ließ den Kopf hängen. Liam hatte recht. Natürlich war es unfair Offenheit von ihm zu verlangen, wenn ich selbst noch nicht bereit dazu war. Es war wie ein Rat von einem Erwachsenen an ein Kind. Lerne fleißig, sei ehrlich und liebe. Das ist wichtig im Leben. Und das Kind, das weiß, dass Lernen wichtig ist und stets versucht ehrlich zu sein, aber Angst davor hat, dass sein Herz verletzt wird, kann es dem Erwachsenen nicht erzählen. Und während der Erwachsene Ratschläge gibt, denkt er selbst darüber nach, oft nicht fleißig gewesen zu sein, dass er manchmal gelogen hat und auch Angst hat verletzt zu werden. Leben konnte so verdammt kompliziert sein.

„Ich muss zum Training."

„Heute?" Ich riss den Kopf hoch. Liam stellte seine Tasse ab und nickte, ohne mich anzusehen. „Ja, wir haben bald ein Spiel und ab jetzt werden wir öfter und länger trainieren."

„Ist das Spiel hier oder auswärts?"

„In Sacramento. Wieso fragst du?" Nun sah Liam mich doch an.

„Na ja. Ich hatte versprochen, mir mal ein Spiel anzusehen. Ihr spielt doch auch hier Spiele, oder? Dann warte ich einfach so lange und bereite mich selig darauf vor, dass du von anderen Spielern bestimmt sehr hart gerammt und getakelt wirst." Ein sanftes Lächeln umspielte Liams Lippen. Sogleich fiel ein Großteil meiner Anspannung von mir ab. Als er kurz darauf auch auf mich zutrat und seine Arme um mich legte, schmiegte ich mein Gesicht sofort an seine Brust und lauschte Liams Herzschlag. „Wir müssen das hinbekommen. Ich will das mit uns nicht versauen."

Liams Umarmung wurde fester. „Wir schaffen das", versicherte er. „Ich muss mich in Geduld üben. Das ist nicht meine Stärke, aber ich werde das hinbekommen. Wir werden das hinbekommen. Weißt du, was Mike zu mir gesagt hat, kurz nachdem er dich kennengelernt hat?"

Ich schüttelte den Kopf. Wie gestern Abend schaute ich zu Liam auf und legte mein Kinn an seinen Brustkorb. „Was hat er gesagt?"

„Dass er sich ziemlich sicher ist, dass du einmal die Mutter meiner Kinder werden wirst. Er hat recht behalten. Ich sehe es jetzt auch."

Meine Augen wurden groß. „Ist es nicht etwas früh, um von Kindern zu reden?"

Liam lachte. „Unsere Beziehung hat schon nicht normal angefangen. Warum sollten wir uns an irgendwelche Standardwerte halten, wenn bei uns am Anfang schon alles Kopf stand?"

Er hatte recht und ich musste kichern. „Wir sind schon ein seltsames Paar."

„Sind wir das denn? Ein Paar?", fragte Liam und sah mich nu aufmerksam an. Der Schatten, der zu Anfang des Gesprächs über Liams Augen gelegen hatte, war verschwunden. An seine Stelle war das Glitzern getreten, in das ich mich so verliebt hatte.

„Na ja... Wenn du gestern Delilah gesagt hast, dass es mit euch vorbei ist und es dir nicht zu schnell geht..." Weiter kam ich nicht. Liam verschloss meine Lippen mit seinen und gab sich somit selbst die Antwort auf seine Frage. „Natalie Roy", murmelte er plötzlich an meinen Lippen. Ich blinzelte und öffnete die Augen, die mir sofort zugefallen waren, als Liam angefangen hatte mich zu küssen. „Ja?", hauchte ich. „Willst du meine Freundin sein?" Ich grinste. „Was sind denn die Ankreuzmöglichkeiten?"

„Die Standardmäßigen. Ja. Nein. Vielleicht."

„Streich die letzten beiden. Ja. Ja und ja." Ich streckte mich Liam entgegen, legte meine Arme um seinen Hals und küsste ihn. Liams Grinsen war ansteckend und so wurde aus dem stürmischen Kuss, den ich geplant hatte, ein seltsamer Mischmasch aus Grinsen, Kichern und Küssen. So viel kann ich sagen. Kichern und Küssen geht gleichzeitig wirklich schwierig.

„Ich gebe dir die Zeit, die du brauchst. Du würdest für mich genau dasselbe tun. Wenn du bereit bist, rede mit mir. Und dann schaffen wir es gemeinsam, okay?"

Ich nickte. „Danke, Liam. Pass auf dich auf beim Training." Er zwinkerte mir zu, bevor er mir noch einen flüchtigen Kuss gab und sich von mir löste. „Wir sehen uns heute Abend."

Ich nickte und versuchte mir nicht anmerkten zu lassen, dass ich etwas enttäuscht war, Liam heute den ganzen Tag nicht sehen zu können. Aber er hatte Verpflichtungen und so ließ ich ihn gehen, winkte ihm zum Abschied nochmal zu und nahm mir dann vor, weiter an meiner Facharbeit zu schreiben.

Das klappte auch erstaunlich gut. Wenn man davon absah, dass ich sehr oft einfach nur grinsend aus dem Wohnzimmerfenster starrte und an Liam dachte. Dennoch schaffte ich den Momenten, in denen ich mich konzentrierte, recht viel und ich war auch sehr zufrieden mit dem, was ich ausarbeitete. Das Wohnzimmer hatte sich zu einem riesigen Schlachtfeld aus dicken Büchern entwickelt. Post Its lagen verstreut herum ebenso wie meine Textmaker. Mein Laptop thronte zwischen diesem Wirrwarr auf dem flachen Glastisch, vor dem ich im Schneidersitz auf dem Boden saß.

Ich las gerade einen Absatz in einem der Fachbücher, als ich hörte, wie jemand die Tür aufschloss. „Ich verspreche, ich räume nachher wieder alles auf, aber ich hatte keine Lust, in meinem Zimmer zu hocken." Es kam keine Antwort, also hob ich den Kopf, um zu sehen, ob Mike oder Liam nach Hause gekommen war. Mir klappte der Mund auf, als ich keinen von den beiden vor mir sah, sondern Delilah mich abschätzend betrachtete.

Mit einem Satz war ich aufgesprungen. „Dass du es dich wagst, hier auch nur aufzutauchen", fauchte ich regelrecht. Delilah schien das nicht zu beeindrucken. Sie hob gelangweilt eine Augenbraue und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Erstaunlicherweise trug sie heute ein hoch geschlossenes T-Shirt und eine lange Jeans.

„Wir müssen reden", sagte sie. Ich schnaubte nur. „Als ob ich dir zuhören würde. Verschwinde. Und lass dabei gleich den Schlüssel hier. Du hast hier nichts mehr verloren."

„Liam ist ein netter Kerl. Zumindest möchte er dich das glauben lassen."

„Verschwinde Delilah. Ich werde dich nicht noch einmal so nett auffordern. Mag sein, dass ich gestern, vor Liam Abstand gehalten habe. Heute kann ich für nichts garantieren." Wie ich diese Frau verabscheute. Wie ich sie hasste. Das war unglaublich. Ich hatte eigentlich immer gedacht, dass es nie einen Menschen geben würde, den ich wirklich hassen konnte, doch ich tat es. Wut sammelte sich in meinem Bauch. Von Sekunde zu Sekunde, die Delilah weiter in der Tür zum Flur stand und mich ansah wurde es mehr. Wie konnte sie es auch nur wagen hier noch einmal aufzutauchen? Ich würde sie in der Luft zerfetzen, dachte ich.

Noch bevor ich es realisierte ging ich auf Delilah zu. Alles in mir schrie danach, ihr eine gepfefferte Ohrfeige zu verpassen. Doch ich stoppte mich. Einen halben Meter blieb ich vor Delilah stehen. Ich ballte die Hände zu Fäusten, dass sie meine Fingernägel in meine Handflächen schmerzhaft bohrten und meine Fingerknöchel weiß wurden. Es würde nichts ändern, dachte ich. Egal wie oft ich auf sie einschlagen würde, Liam wäre damit nicht geholfen. Ganz im Gegenteil. Ich wollte besser sein als Delilah. Vielleicht kämpfte sie mit roher Gewalt. Ich würde diesen Weg jedoch nicht einschlagen.

„Delilah, ich sagte, verschwinde!" Ich schrie ihr ins Gesicht, doch sie zuckte nicht einmal mit der Wimper. Stattdessen seufzte sie nur kurz, bis sie schließlich den Mund öffnete. „Liam hat mir einen Drink mit K.O. Tropfen gegeben."

„Hörst du schlecht? Ich sagte raus hier!" Einen weiteren Schritt auf Delilah zumachend starrte ich sie wütend an. Es machte mich verrückt, dass sie so ruhig war.

„Ich wurde vergewaltigt."


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