Kapitel 24
Vogelzwitschern. Ich blinzelte ein paar Mal, bis ich richtig wach wurde. Wieder dieses Vogelzwitschern. Ich rollte mich zusammen, zog die Decke über meinen Kopf und meckerte diesen doofen Vogel da draußen aus, weil ich noch nicht aufstehen wollte. Es war Sonntag zum Himmel! Vogelzwitschern. Genervt seufzte ich. Gut, jetzt war ich wach.
Stöhnend schlug ich die Decke zur Seite, drehte mich auf den Rücken und starrte an die weiße Decke. Mein Blick glitt sofort zur Tür, die geschlossen war. Was sollte auch sonst sein? Ich schüttelte den Kopf und setzte mich auf. Nachdem ich mir ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht gewischt hatte und mir noch einmal die Augen gerieben hatte, war ich nun wirklich wach. Genervt nahm ich meine Brille vom Nachttisch und setzte sie auf.
Vogelzwitschern.
„Verflucht ich bin ja schon wach! Halt den Schnabel!", murrte ich. Normalerweise war ich kein Morgenmuffel oder meckerte Vögel an. Eigentlich liebte ich es durch Vogelzwitschern, Regen oder andere Naturgeräusche aufzuwachen, aber nicht nach dieser Nacht. Ich hatte fürchterlich geschlafen. Albträume, die ich seit einigen Jahren nicht mehr gehabt habe, hatten mich die Nacht über gequält. Ich war fertig und übermüdet. Darum konnte mich auch heute kein Vogelzwitschern aufmuntern.
Ich sah auf und blinzelte verwirrt. Ich blinzelte nochmal. Vogelzwitschern. So wie ich den Vogel anstarrte, der auf meinem Bettgestell hockte, starrte auch er zurück und legte den Kopf leicht schief. Was zum Henker? Vogelzwitschern.
Ich bildete es mir nicht ein. Eine Wanderdrossel saß doch direkt auf meinem hölzernen Bettpfosten und beobachtete mich dabei, wie ich aufwachte. Das war absurd! Mein Blick glitt zum Fenster. Ich hatte es in der Nacht einen Spalt aufgelassen.
„Du bist ziemlich frech weißt du das?" Ich deutete auf das Fenster. „Man kommt nicht ungebeten in das Zimmer einer Frau." Ich runzelte die Stirn. Unterhielt ich mich gerade mit einem Vogel? Vogelzwitschern. Ich kicherte. Wieder Vogelzwitschern. Schließlich brach ich in schallendes Gelächter aus.
„Natalie, alles gut bei dir?" Ich stoppte und sah zur Tür, als Liam klopfte. „Äh, ja! Es ist alles in Ordnung." Mein Herz schlug schneller. Aber ich wusste, dass Liam nicht hereinkommen konnte. Die Tür war ja abgeschlossen. Es sei denn der nette Vogel hier hatte ungeahnte Talente. Dann würde ich ihn aber persönlich zu AGT schleppen. Soviel stand fest.
„Ich weiß, du frühstückst nicht so oft, aber wenn du magst, Mike und ich wollen in 20 Minuten essen."
„Ähm, ja danke. Gib mir ein bisschen." Ich hörte Liam kurz auflachen und dann von der Tür weggehen. Dann blickte ich wieder zum Vogel. „Also Wanderdrossel. Da ist das Fenster. Ab nach draußen, aber sofort." Ich streckte den Arm aus und deutete mit dem Zeigefinger auf das Fenster. Der Vogel legte den Kopf schief, als verstünde er nicht, was ich von ihm wollte. Nun, das tat er wohl wirklich nicht. Langsam schob ich die Decke zur Seite, machte aber keine hektischen Bewegungen, damit der Vogel nicht plötzlich panisch durch mein Zimmer flog.
Nachdem ich in Zeitlupe aufgestanden war und den Vogel dabei aber nie aus den Augen gelassen hatte, ging ich zum Fenster hinüber und öffnete es noch ein Stück weiter. Mit Gedankenkraft versuchte ich dem Tier zu verstehen zu geben, dass es wieder in die freie Welt zurück sollte. Nachdem der Vogel mich noch eine Weile doof angesehen hat und ich schon darüber nachgedacht hatte, wie ich ihn aus mein Zimmer bekomme, flog er plötzlich auf mich zu.
Erschrocken sprang ich zur Seite, schrie kurz auf und stolperte über einen meiner Koffer, um krachend auf dem Boden zu landen. Ich blickte mich um, doch konnte den Vogel erst nirgends ausmachen. Dann entdeckte ich ihn auf meinem Fensterbrett. Er sah sich um und ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, flog er davon.
„Ja, gern geschehen. Beim nächsten Mal könntest du ruhig danke sagen. Oder am besten ganz wegbleiben", grummelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart hinein und sah aus dem Fenster. Ja, ich hatte tatsächlich mit einem Vogel gesprochen.
Es klopfte und ich zuckte heftig zusammen. Dann wurde der Türknauf gedreht. Ich schnappte nach Luft, aber die Tür blieb verschlossen. „Natalie? Alles in Ordnung?", rief Liam von der anderen Seite der Tür und versuchte erneut, sie zu öffnen.
„Liam, die Tür ist verschlossen. Aber es ist alles gut, ich bin über meinen Koffer gestolpert." Es wurde ruhig auf der anderen Seite der Tür, als überlegte Liam, ob er mir glauben sollte oder nicht.
„Kannst du die Tür aufmachen?"
„Einen Moment!" Ich stand wieder auf, fuhr mir mit meinen Händen durch meine Haare und ging dann erst einmal zum Fenster, um das wieder zuzumachen. Danach schloss ich die Tür auf und öffnete sie Liam.
„Guten Morgen."
Liam sah skeptisch über mich hinweg in mein Zimmer. „Du bist allein, oder?", fragte er mich und hob eine Augenbraue. Ich nickte. „Ja, sicher. Wer sollte denn hier sein. Demonstrativ trat ich einen Schritt zurück, öffnete die Tür ganz und ließ Liam hinein. Er sah sich einmal um und kratze sich dann im Nacken. „Klang, als hättest du mit jemandem geredet."
„Ja, nur hab ich keine Antwort bekommen. Vögel reden nicht viel, wie ich feststellen musste." Liam sah mich verwirrt an.
„Als ich eben aufgewacht bin, saß eine Wanderdrossel oder so auf meinem Bett."
Es dauerte einen Moment, bis Liam verstand, was ich ihm da sagte. „Dein Ernst?" Ich nickte. „Ja, wirklich. Netterweise hat sich der Vogel wieder verabschiedet. Nichts gegen Vogelgezwitscher am Morgen, aber doch bitte nicht direkt in meinem Bett."
Liam lachte aus vollem Halse und musste sich den Bauch halten. Ich schmunzelte, denn ich fand das alles ja selbst vollkommen abstrus. „Schön, dass du dich auf meine Kosten amüsieren kannst.", neckte ich ihn dennoch. Er grinste.
„Sorry, Nat. Aber sieh es doch mal so. Immerhin wurdest du angemessen in deinem neuen Zuhause begrüßt." Liam zwinkerte mir zu und ging wieder zur Tür. Ich sah ihm hinterher und musterte seinen breiten Rücken, der unter dem dunkelblauen, enganliegenden T-Shirt, perfekt zur Geltung kam. Ebenso wie seine breiten Schultern. Dazu hatte er eine verwaschene Jeans an, die ihm locker auf den Hüften saß, seinen Po aber perfekt betonte. Sofort riss ich meinen Blick von Liams Hintern los, als er sich zu mir umdrehte.
„Essen?"
Mein Magen knurrte als Antwort. „Sieht so aus, als ob da jemand gerade laut Ja gerufen hat", sagte Liam und lachte kurz. „In zehn Minuten in der Küche. Das Bad ist frei."
„Alles klar."
Nachdem Liam in den Flur getreten war, drehte er sich um, nahm den Türknauf in die Hand und schloss die Tür hinter sich. Ich stand nur verdattert da und hatte seinen Blick erwidert, der zwischen Akzeptanz und Frage schwankte. Um mich nicht weiter damit zu befassen, schnappte ich mir ein paar Sachen, und ließ schnell zum Badezimmer. In Windeseile duschte ich, putze mir die Zähne und setzte dann meine Kontaktlinsen ein.
Kurze Zeit später stand ich schon in der Küche. Es duftete herrlich. Pancakes, Ahornsirup, Schokoaufstrich, Marmelade, Honig. Alles, was das Herz begehrte.
„Wow, das sieht verdammt gut aus!" Mike drehte sich vom Herd kurz zu mir um. „Morgen!"
„Morgen Mike. Kann ich noch mit irgendetwas helfen?" Die Jungs schüttelten den Kopf.
„Setz dich." Liam deutete auf einen Hocker und ich tat wie mir geheißen. Liam holte Orangensaft und Wasser aus dem Kühlschrank und setzte sich zu mir. Nachdem Mike die letzten Pancakes fertig hatte, gesellte auch er sich dazu. Wir taten uns jeder ein paar Pancakes auf. Ich schnappte mir den Ahornsirup und ertränkte meine Pancakes fast darin. Ja, man durfte sich auch mal so ein ungesundes Frühstück leisten! Zucker pur das würde den Schlafmangel wieder wettmachen. Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein und sah Mike und Liam fragend an.
Mike nickte dankend. „Bitte." Er hielt mir seine Tasse hin und ich füllte sie mit dem Wundermittel zum Wach werden. Liam jedoch lehnte ab.
„Es reicht, wenn ich schon dieses sündhafte leckere und ungesunde Frühstück esse."
„Ist das eine Ausnahme?" Liam nickte.
„Ja. Eigentlich heißt es immer vom Coach, iss dies nicht, iss das nicht, achte auf den Ernährungsplan. Bla bla bla. Wirklich daran gehalten habe ich mich noch nie, aber ich esse auch so recht ausgewogen. Nur so ein Zuckerfrühstück spar ich mir dann doch lieber."
„Warum dann heute?", frage ich verwirrt.
Liam zuckte mit den Achseln, aber Mike antwortete grinsend: „Zur Feier des Tages!" Weiterhin verwirrt legte ich den Kopf schief. „Zu deinem Einzug. Auch wenn du sagst, dass du nicht oft frühstückst. Niemand kann meine Pancakes abschlagen." Ich lachte. „Die sind verdammt lecker. Da hast du recht."
Den Rest des Frühstücks redeten wir alle noch ungezwungen miteinander. Der gestrige Abend schien vergessen zu sein und keiner von uns schien auch wirklich die Lust zu haben, da noch einmal drüber zu reden.
Nach dem Essen bestand ich darauf, wenigstens Abwaschen zu dürfen, was Liam und Mike, die beide vollgefressen waren und jammerten, dass sie weniger hätten essen sollen, dankend annahmen. Vielleicht brauchten wir wirklich keinen Putzplan, weil es sich zwischen uns dreien schon einspielen würde. Das wäre optimal.
Danach kümmerte ich mich um meine Sachen. Verstaute die Kleidung im Kleiderschrank, die Bücher für mein Studium im Schreibtisch und den restlichen Kleinkram im Rest des Zimmers. Ich hatte nicht viel Dekorationen. Ehrlich gesagt stand ich da nicht so drauf. Ich mochte es schlicht und ordentlich. Nicht steril und man sollte schon sehen, dass jemand in dem Zimmer lebte und das kein Ausstellungsstück werden sollte, aber Bilder hier, Blümchen da, Kissen da drüber. Das war ich einfach nicht. Zudem hatte ich auch gar keine Bilder, die ich hätte hinstellen können.
Der Vormittag verging und trotz der schlechten Nacht, fühlte ich mich relativ fit. Draußen war es schon wieder sehr warm geworden, weswegen ich die Fenster und Jalousien geschlossen hielt. Als ich schließlich fertig war, ging ich rüber zu den Jungs ins Wohnzimmer. Sie saßen beide auf dem Sofa und spielten ein Autorennen. Keiner von beiden bemerkte mich. Daher ging ich um das Sofa herum, stellte mich hinter die beiden und verfolgte noch etwas das Spiel. Mike schien vorne zu liegen, aber Liam war nicht viel weiter hinter ihm.
Irgendwann war die Versuchung zu groß. Ruckartig fasste ich beide an einer Schulter an, beugte mich vor, und schrie: „Winnie Puuh!" Mike und Liam zuckten so heftig zusammen, dass sie die Controller fallen ließen und auseinander sprangen. Ich lachte, sank auf die Knie, während ich mich an der Sofalehne festhielt, um nicht gänzlich umzukippen.
„Verflucht Natalie. Das ist nicht komisch!" Ich sah auf. Mike funkelte mich böse an, sah dann zum Fernseher und fluchte. Liam und Mike waren in einen Baum bzw. in ein anderes Auto gekracht und ausgeschieden. Mike blickte wieder zu mir, sah mich einen Moment noch ernst an und fing dann an zu lachen. „Winnie Puuh? Wieso Winnie Puuh?" Ich grinste. „Einfach nur so. Buuh schien mir zu einfallslos."
„Egal, was du gesagt hättest, alles hätte einen halben Herzinfarkt bei mir ausgelöst", japste Liam. Ich sah zu ihm rüber. Er presste seine Hand gehen seine Brust und war etwas blass um die Nase herum. „Liam!" Schnell lief ich um das Sofa und ließ mich vor ihm auf die Knie. „Liam, was ist los?"
Liam atmete ein paar Mal schwer und unregelmäßig. Mike rutschte zu uns rüber. „Es geht schon. Gleich wieder. Bestimmt." Unruhig sah Liam durch das Zimmer, als suchte er etwas. „Liam, das wollte ich nicht!" Sanft nahm ich seine Hand, legte Zeige- und Mittelfinger auf die Innenseite seines Handgelenks und maß den Puls. Er war viel zu hoch.
„Okay Liam. Du verstehst, was ich sage, oder?" Liam nickte.
„Gut. Hör zu, ich weiß, du denkst, dass du keine Luft bekommst, aber du bekommst Luft, Liam. Schau, das Fenster ist sogar offen und wir können auch atmen." Liam sah zum Fenster, dann zu Mike und sah auch schließlich mich an. Angst stand in seinen Augen, doch ich versuchte zu lächeln, um Liam zu beruhigen. Es wirkte.
Nach einer Minute verlangsamte sich Liams Puls wieder und er atmete wieder regelmäßig. Auch seine geweiteten Pupillen wurden wieder kleiner. „Ich mache das nie wieder. Versprochen." Liam lächelte etwas. „Schon okay. Du hast mich einfach zu Tode erschreckt."
„Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein", meckerte Mike Liam aus. Dennoch stand auch ihm die Sorge ins Gesicht geschrieben. Als Mike zu mir blickte, sah er mich gespielt böse an. „Das geht für dich genauso!" Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu kichern und nickte nur. Besorgt sah ich wieder zu Liam.
„Geht es dir besser?" Er nickte.
„Ja. Danke."
„Ich mache das nie wieder, versprochen. Wirklich, Liam."
Liam drückte meine Hand, die noch immer sein Handgelenk umschloss. „Es ist alles in Ordnung Natalie. Wirklich. Du hast mich nur komplett unvorbereitet erwischt." Ich nickte, kaufte ihm die Ausrede aber nicht ab. Mike war auch unvorbereitet und hatte sich nach ein paar Sekunden wieder gefangen. Außerdem... Als ich mich gestern so abrupt auf der Treppe zu Grandmas Wohnung umgedreht hatte, ist Liam auch aus Schreck zurückgewichen. Das kam mir alles ein bisschen seltsam vor. Aber ich wollte auch nicht einfach so nachfragen, weil Liam mich genauso gut fragen könnte, warum ich denn meine Tür abschließe. Die Ausrede, die ich mir selbst auftische, würde Liam mir nicht abkaufen. Das tat ich ja selbst noch nicht einmal wirklich. Außerdem war Mike noch da und ich wollte Liam auch nicht vor Mike fragen. Daher schwieg ich für den Moment, tat so, als glaubte ich ihm und entschuldigte mich noch ein weiteres Mal. Immerhin das meinte ich ehrlich.
Mike und Liam traten das Rennen schließlich noch einmal an. Dieses Mal, ohne dass sich jemand anschlich und die beiden ins Aus katapultierte. In der Endrunde machte Mike jedoch einen kleinen Fehler, weshalb Liam an ihm vorbeifuhr und das Rennen gewann. Mürrisch stand Mike auf, drückte mir den Controller in die Hand und sagte: „Ich mache Essen. Mach ihn fertig, Nat."
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