Kapitel 13

Als ich am Abend Grandma erzählte, was bei mir passiert war, war sie erst wütend gewesen auf die Frau aus der Privatklinik, hatte sich dann aber unglaublich gefreut, als ich ihr erzählte, wie sich der Tag doch noch zu einem sehr guten geändert hatte. Noch bevor ich schlafen ging, schrieb ich die E-Mail an Dr. Human vor. Ich würde am nächsten Tag in ein Café müssen, da Grandma keinen Internetzugang hatte. Das Internet in seiner Gänze war ihr ein einziges Rätsel. Bei ihrem Alter war das aber vollkommen verständlich. Ich hoffte, dass ich wirklich bald einen Job finden würde. So konnte ich besser planen und wusste, wie viel Geld ich für eine Wohnung oder ein Zimmer ausgeben konnte oder nicht.

Später im Bett, als ich mit meinem Laptop noch ein bisschen Musik hörte, dachte ich gar nicht mehr an den Job, meine Wohnung oder das neue Land. Liam hatte sich in meinen Kopf geschlichen. Den ganzen Tag über hatte ich keine Gelegenheit gehabt, an ihn zu denken, aber sobald es ruhig wurde, fragte ich mich, was er gerade machte. Und ob es ihn gut ging. Ich wollte das Glänzen in seinen Augen wiedersehen, dass ich gesehen hatte, als wir uns das erste Mal begegnet waren.

Es machte mir seltsamerweise richtig Sorgen, dass er mit Delilah zusammen war. Aber ich hatte keinerlei recht, ihm irgendwie ins Gewissen reden zu können. Mike hatte es wohl schon mehr als einmal probiert, aber keinen Erfolg gehabt. Bei mir würde das wohl nicht anders sein. Seufzend schloss ich den Laptop, kuschelte mich in meine Decke und versuchte alle Gedanken auszublenden. Heute hatte ich vielleicht einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Vielleicht würde der Rest sich auch noch ergeben.

Die Tage vergingen und meine Hoffnung auf einen Job in einem Krankenhaus mit ihnen. Ich hatte noch mit ein paar Chefärzten aus verschiedenen Krankenhäusern sprechen dürfen, aber jeder von ihnen wusste nicht so recht, wie sie meine Fähigkeiten einschätzen sollten. Ich verstand nicht, was sie zweifeln ließ, waren Krankenhäuser in Schottland nun nicht sehr viel anders als in Amerika. Es war ja nicht so, dass wir noch mit altertümlichen Methoden Menschen wieder gesundpflegten.

Ich hatte erstaunlich wenig Zeit mit Grandma in diesem Tagen verbracht, da auch sie immer unterwegs gewesen war. Sie traf Freunde, war Kaffee trinken, hatte Arzttermine oder ging zum Frisör. Sie hatte erstaunlich viel zu tun, dafür dass sie eigentlich schon in Rente war. Zweimal erzählte sie mir, dass Liam sie besucht hatte, während ich unterwegs gewesen war. Sie hatte behauptet, dass er es schade gefunden hatte, mich beide Male nicht gesehen zu haben, aber ich wusste nicht, ob das stimmte, oder sie einfach nur nett sein wollte.

Nach unserem letzten Gespräch wusste ich nicht so recht, was Liam wohl von mir hielt. Aber ich war nur ehrlich gewesen. Dass Liam Wert auf eine Beziehung legte, machte ihn sympathisch, wenn man den Gedanken wegließ, mit wem er zusammen war.

Ich seufzte und ließ mich zurückfallen, dass ich der Länge nach auf dem Bett lag. Der Laptop stand neben mir und spielte wahllos irgendwelche Musik ab. Ich nahm meine Brille ab und legte sie auf die Tastatur. Es machte mich verrückt, dass ich immer wieder aufs Neue über Liams und Delilahs Beziehung nachdenken musste. Ich hatte genug eigenen Kram, den ich mit mir rumschleppte, da konnte ich mich nicht auch noch mit etwas befassen, mit dem ich gar nichts zu tun hatte und ich mich besser raus halten sollte.

Deprimiert stand ich auf und ging ins Bad, um mich für den Tag fertig zu machen. Nach dem Duschen, Anziehen, Schminken und dem Einsetzen meiner Kontaktlinsen ging ich in die Küche und machte mir einen Kaffee. Ich stellte mich ans Fenster, während ich wartete, dass das Wasser kochte. Das Geländer hielt noch immer. Ich war zuversichtlich, dass es das auch noch eine ganze Weile tun würde, dennoch war ich froh, dass meine und auch Liams Arbeit nicht umsonst gewesen waren.

Ich schmunzelte, als ich mich daran erinnerte, wie der Nachbar, der mir Drogen und Partys verboten hatte, vor ein paar Tagen vollkommen anders geworden war. Er war freundlich gewesen und sich für seine unangenehme Art entschuldigt. Grandma hatte ihm erzählt, dass ich das Geländer wieder repariert hatte. Somit hatte er sich eingestehen müssen, dass ich doch nicht so eine schlechte Nachbarin abgeben konnte. Ich schüttelte den Kopf. Dieser Mann war wirklich ziemlich verbittert, aber immerhin Mann genug, um sich seinen Fehlern zu stellen.

Endlich kochte das Wasser und ich konnte mir meinen Kaffee zubereiten. Mit der heißen Tasse setzte ich mich an den Küchentisch und schnappte mir eine der Zeitungen, um nach weiteren Wohnungsausschreibung zu suchen. Die Zeit verging und ich hatte ein paar angerufen, wurde aber oft schon vertröstet oder es ging gar keiner an das Telefon. Auch wenn die Suche müßig war, wusste ich doch, dass ich nicht aufgeben durfte. Es lag auch nicht in meiner Natur sich irgendwann geschlagen zu geben. Dafür hatte ich einen zu großen Sturkopf, wenn es um Dinge ging, die ich erreichen würde.

Es war schon seltsam. Wenn ich mit anderen Menschen zu tun hatte, wirkte ich meist nie wirklich überzeugend oder stur. Ich verhielt mich anderen Menschen gegenüber eher sehr zuvorkommend. Es kam selten vor, dass ich auf meine Meinung beharrte oder etwas dergleichen tat. Diskutierten Kollegen oder Kommilitonen über ein Thema, hielt ich mich meist auch raus, da entweder einer eh schon das sagte, was ich dachte, oder ich einfach keinen anderen Standpunkt vertreten wollte, damit die anderen nicht auf mich einreden konnten. Zuzuhören war oft viel leichter, als selbst Teil einer Diskussion zu sein.

Da die Zeitungen nichts weiter hergaben, packte ich meine Sachen inklusive Laptop zusammen und machte mich auf den Weg in ein nahegelegenes kleines Café mit freiem W-Lan Zugang. Ich bestellte mir einen Eiskaffee und setzte meine Suche online weiter. Die letzten Tage war ich oft hergekommen, weshalb mich die Ladenbesitzerin schon kannte. Das war etwas seltsam, aber nun mal notwendig.

Ich suchte schon eine Weile nach Wohnungen, als ich an der Schulter angetippt wurde. Verwirrt nahm ich die Kopfhörer aus den Ohren und drehte mich um.

„Cara! Was machst du denn hier?" Liam Mutter lächelte mich freundlich an und setzte sich zu mir an den Tisch. Ich klappte den Laptop zu, während Cara sich hinsetzte. „Ich bin gerade vorbeigelaufen und habe dich hier sitzen sehen. Was machst du?"

„Ich suche nach Wohnungen." Caras Blick wurde mitfühlend. „Oh je, noch immer nichts gefunden?" Ich schüttelte den Kopf. „Nein, leider hat sich bis jetzt keiner mit einer positiven Antwort zurückgemeldet."

„Soll ich Liam mal fragen?"

Der Vorschlag war nett, aber ich lehnte dankend ab. „Liam weiß, dass ich suche und hat mir auch schon seine Hilfe angeboten. Wenn er etwas hört, wird er sich melden." Cara nickte. „Na gut. Aber wenn wir dir noch helfen können, dann komm vorbei, ja? Du bist stets willkommen bei uns. Das meine ich wirklich so."

Cara war eine liebenswerte Frau. Sie war anderen gegenüber sehr offen und hilfsbereit. Das schien wahrscheinlich auch mit auf Liam abgefärbt zu haben, denn sonst wäre er wohl nicht so geworden wie er es heute war. Ich stutzte. Wusste ich denn überhaupt, wie Liam wirklich war? Ich hatte ihn doch nur ein paar Mal getroffen. Er schien mir eher ein größeres Rätsel zu sein, wenn man seine widersprüchlichen Lebenstile betrachtete. Er der ausgeglichene und... Delilah. Frustriert, da ich wieder bei Liams Beziehung angekommen war, schüttelte ich den Kopf.

Es war das Klingeln meines Handys, dass mich aufschrecken ließ. Die Nummer auf dem Display sagte mir nichts. „Roy, hallo?"

„Spreche ich mit Natalie?"

„Ja, wer ist denn da?"

„Hallo. Mein Name ist Simon. Du hast mir vor ein paar Tagen eine Mail geschrieben, dass du noch ein Zimmer suchst und dich für das ausgeschriebene Zimmer interessieren würdest." Ich hatte viele Mails geschrieben. So spontan fiel mir nicht ein, welches Zimmer er meinte. Der Name Simon sagte mir gar nichts.

„Ähm... ja", stotterte ich, da ich irgendetwas sagen musste. „Ich suche noch immer."

„Perfekt. Wie wärs, wenn du einfach mal vorbeikommst, und du dir das Zimmer ansiehst? Dann können wir uns ja auch mal kennenlernen."

„Klar. Wie passt es dir denn am besten? Ich habe die Tage ehrlich gesagt nicht viel vor, außer Wohnung- und Jobsuche." Simon lachte. „Willkommen in San Francisco. Hast du heute Nachmittag Zeit? Dann sind die anderen beiden auch da."

„Die anderen beiden?"

„Ja, wir wohnen zu dritt hier und haben ein Zimmer noch frei, da unsere letzte Mitbewohnerin ausgezogen ist. Passt es dir gegen drei?"

„Ja, sicher. Kannst du mir nochmal die Adresse geben?" Simon diktierte mir die Adresse und ich tippte sie schnell auf dem Laptop mit, damit ich gleich danach im Internet schauen konnte, wie ich am besten zu der Wohnung kam.

„Alles klar. Ich bin dann um drei bei euch."

Nachdem wir uns verabschiedet hatten, sah ich zu Cara. „War das etwa eine positive Rückmeldung?" Ich nickte. Cara klatsche in die Hände. „Na bitte. Und mit etwas Glück passt alles und du hast bald eine Wohnung. Wo liegt sie denn?"

Ich suchte im Internet nach der Adresse. Sie hatte eine gute Lage. Vielleicht 20 Minuten von meiner Uni entfernt. Außerdem schien dieser Simon sehr nett zu sein. Einen Versuch war es wert. Cara schaute kurz auf den Bildschirm. „Die Gegend ist jetzt nicht die schönste, aber typische Studentengegend."

„Ich sollte los und mich umziehen, damit ich nicht zu spät komme."

Nachdem ich bezahlt hatte und Cara mit mir das Café wieder verlassen hatte, machte ich mich gleich zurück auf den Weg in die Wohnung. Unterwegs verabschiedete ich mich von Cara und sie wünschte mir viel Glück. Das konnte ich wirklich gebrauchen.

Zu Hause angekommen, tauschte ich meine kurze Sporthose gegen eine Jeansshorts und das einfarbige Top gegen ein schwarzweißes T-Shirt. Ich kämmte meine Haare noch einmal, steckte für den Fall Ersatzkontaktlinsen ein und machte mich kurz darauf auch schon wieder auf dem Weg. Beim Rausgehen schnappte ich mir noch eine Banane, da mir aufgefallen war, dass ich noch nichts gegessen hatte.

Es dauerte mit Bus und U-Bahn eine ganze Weile, bis ich dort ankam, wo ich hinwollte. Aber ich schaffte es noch rechtzeitig. Das Haus, in dem sich die Wohnung befand, war ein Altbau, und hatte schon bessere Tage gesehen, aber das schreckte mich nicht ab, da ich noch immer voller Hoffnung war, endlich ein Zimmer gefunden zu haben.

Ich klingelte und als der Summer ertönte, öffnete ich die Tür und trat in den Hausflur. Es roch etwas modrig, aber er war sauber. Nachdem ich zwei Etagen nach oben gelaufen war, kam ich zu einer Tür, die offen war. In der Tür stand ein Junge, der ungefähr so alt wie ich war und etwas längere dunkle Haare hatte. Er trug eine lange ausgewaschene Jeans und ein einfaches schwarzes Oberteil. Er hatte einen trainierten Körper und seine Arme waren voller bunter Tattoos.

„Natalie?" Ich nickte.

„Du bist Simon?" Er nickte.

„Jo. Dann komm mal rein." Simon trat in die Wohnung und machte eine ausladende Geste, um mich hereinzubitten. Ich folgte Simon in die Wohnung und sah mich im Flur gleich um. Mein erster Eindruck? Ziemlich dreckig und unordentlich.

Simon führte mich in ein Wohnzimmer, in dem auf einem alten Sofa zwei andere Typen saßen, die ähnlich aussahen wie er. Sie stellten sich als Kyle und Toni vor. Und in dem Moment, in dem ich merkte, dass in der Wohnung drei Kerle wohnten, wusste ich, dass ich hier nicht einziehen konnte. Etwas in mir warnte mich, dass das nicht gut enden würde. Seien es vielleicht etliche Frauen, die hier ein und aus laufen würden, oder andere Dinge, von denen ich nichts wissen wollte.

Trotzdem ließ ich mich von Simon durch die Wohnung führen. Kyle und Toni wandten sich wieder dem Fernseher und der PlayStation zu. Ich fühlte mich schlecht, dass ich die drei gleich in eine Schublade steckte und hoffte, dass ich mich doch noch irgendwie irrte. Aber leider war dem nicht so. Das Wohnzimmer war ganz okay gewesen, aber die Küche war das reinste Chaos. Schimmliges Essen, gestapeltes Geschirr und alte Pappkartons vom Lieferdienst. Simon, Kyle und Toni machten keinen sehr guten Eindruck auf mich.

„Und ihr habt vorher auch mit einem Mädchen zusammengewohnt?"

Simon nickte und ging in die Richtung des freien Zimmers. „Ja, aber nachdem jeder von uns was mit ihr hatte, hat das unter uns zu Streit geführt, also musste sie gehen." Schockiert blieb ich stehen. „Sie musste gehen, weil ihr drei unter euch Streit hattet?" Simon drehte sich zu mir um und sah mich verständnislos an. „Ja natürlich. Wir lassen uns nicht wegen so einer..." Er brach ab. „Unsere Freundschaft ist wichtig, die lassen wir uns nicht kaputt machen. Verstehst du?"

„Aber ihr habt nicht daran gedacht, dass man das Ganze auch hätte anders lösen oder anders hätte angehen können? Indem ihr nicht mit ihr ins Bett gegangen wärt."

„Sie wollte es und war echt heiß. Keine Sorge. Mit dir machen wir das nicht." War das jetzt indirekt eine Beleidigung oder hatten die drei aus ihren Fehlern gelernt? Ich hoffte auf das Zweite, wusste es aber irgendwie besser.  

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