9. Feuer in ihren Iriden

Es hatte ihm die Luft aus den Lungenflügeln getrieben. Bilder blitzten vor seinem inneren Auge auf. Feuer, Schreie, Angst, Chaos. Pures Chaos.

Aber er war sich nicht sicher, ob er sich daran erinnerte, oder seine Fantasie sich nur vorstellte, wie es gewesen sein konnte.

Lani löste sich wieder von ihm,wie zäher Kaugummi. Ein Teil ihrer Anspannung blieb dabei an Adalar kleben. Es entsetzte ihn.

»Aber wir haben es überlebt. Wir zählen nicht zu den Toten«,stellte er ernüchternd fest.

Sie sah wieder zurück auf die sterbende Fassade. »Nein, wir zählen nicht zu den Toten.«

Adalar hatte schon einige Male davon gehört, dass Menschen die ein traumatisches Erlebnis hinter sich hatten einen Verdrängungsmechanismus entwickelten, der so weit gehen konnte, dass man das Ereignis - oder vielleicht sogar mehr - vergaß. Vielleicht war dieses sinnlose Attentat Grund seiner Amnesie.

Aber wieso erinnerte er sich nicht mehr an Lani?

Und wieso waren seine Erinnerungen kein Stück zurück gekehrt, obwohl er jetzt von dem vermeintlichen Auslöser wusste?

Funktionierte das überhaupt so?

Es war zum verzweifeln.

»Okay«,setzte er an,»du hast gesagt hier hat alles angefangen. Erzähl mir, wie es angefangen hat.«

Lani nickte, sah ihn durch ihre glasigen Augen an, die keine spezifische Farbe besitzen zu schienen, denn wenn sie am Strand noch in der selben meeresgrauen Farbe schimmerten wie der Ozean selbst, so hatten sie jetzt ein feuerroten Ton angenommen, als würde das Feuer von vor drei Monaten in ihnen weiter brennen. So etwas hatte Adalar noch nie gesehen.

»Ich würde dir gerne nicht nur erzählen, wie es angefangen hat, sondern auch zeigen. Dafür müssten wir aber dort rein-« »Nein, Lani verdammt. Wir werden drauf gehen, von einem Balken erschlagen werden, oder durch die Decke brechen, von herumhängenden Stromkabeln berührt werden und durch die Stromstärke wie Würstchen gebrutzelt werden,oder wir werden-«, dieses Mal unterbrach Lani ihn, aber nicht mit Worten sondern mit ihrer zarten Hand auf seiner Wange, die andere lag sie schützend auf seine eigene.

Es benötigte keiner Worte, alleine ihre Berührung überzeugte Adalar. Er würde wohl in 60 Jahren an einem Herzinfarkt oder Diabetes sterben, aber nicht heute Abend. In der alten Ruine. Die gar nicht mal so alt war.

Bestätigend nickte er. Ihre Hand löste sich wieder zäh wie Kaugummi von seiner Haut. Hinterließ dieses Mal die Wärme, die von dem Feuer in ihren Iriden stammen musste.

Und zusammen quetschen sie sich durch ein Loch in den Holzplatten, ins Innere eines Schlachtfeldes.

Nur um unter all den Trümmern vielleicht auch ein paar seiner Erinnerungen zu finden.

Und vielleicht waren die ja ein genauso tragisches Schlachtfeld, wie dieser rußbedeckte Trümmerhaufen.

Kein Zurück mehr.

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