8. Sie haben geschossen

Sie hatte ihn eine halbe Ewigkeit an der Hand hinter sich her gezogen. Er hatte nicht einmal die Möglichkeit sich seine Schuhe, die er mit aller Kraft an den Schnürsenkeln fest hielt, anzuziehen. Seine Füße schmerzten weiter,aber wenn er alle seine Antworten bekam würde sich der Schmerz vielleicht auch lohnen. Das konnte er erst am Ende des Tages sagen.

Als sie den Wald wieder verließen, stoppte er,zog sich die Socken, die er in die Schuhe gestopft hatte, und die orangenen Sneaker an. Sie gingen weiter die Hauptstraße hinunter, die in die Innenstadt führte. Weiter, etwas außerhalb der relativ wenig belebten City hielt Lani vor einer Ruine.

Es war ein riesiges Gebäude und Adalar wusste natürlich genau was hier einmal war. Es war das große Einkaufszentrum. Für Millionen Dollar erbaut, die neuste Technik reingesteckt und das nur um Leute anzulocken. Es funktionierte natürlich auch. Das Einkaufszentrum war immer gut belebt,jedenfalls besser als die Innenstadt von Maple Bay.

Aber von der alten, beigen Sandstein Fassade mit den riesigen Glasfenstern war nun kaum noch etwas übrig. Die Fenster in den oberen beiden Stockwerken waren alle eingeschlagen, während sich über die komplette Fassade eine schwarze Rußschicht gelegt hatte.

Verdammt was war hier passiert?

Die Gebäude rings herum, hauptsächlich Bürogebäude standen alle samt leer. Auch das große Eingangstor hatte schon besser Zeiten gesehen. Die Löcher im Glas wurden provisorisch mit Holzbrettern repariert, während daran ein großes Schild mit der Aufschrift
»Betreten verboten, Baustelle« hing.
Doch das war keine Baustelle, das war ein verdammter Trümmerhaufen.

Lani neben ihm griff wieder seine Hand und zog ihn daran in Richtung Eingang. »Warte, du willst doch nicht da rein?«, fragte er entsetzt. Keine zehn Pferde würden ihn dort rein bekommen. Denn das Gebäude sah aus, als würde es bei der kleinsten Belastung direkt in sich zusammen brechen. Aber Lani hatte andere Pläne und zog ihn weiter in Richtung Eingang.

Vor Wut kochend entriss er sich ihrem Griff. »Verdammt, Lani«, knurrte er wütend. »Das reicht mir. Du kannst nicht immer Dinge entscheiden und tun, ohne mir Bescheid zu sagen. Es würde dich doch nicht umbringen, wenn du mir sagst, was jetzt als nächstes passiert.« Sein Puls raste. Er hatte es satt. Das war sein Leben, dass er vergessen hatte und sie behandelte es wie ihres. Als hätte sie alles in der Hand. Aber verdammt. Das war nicht so. Er wollte entscheiden, was als nächstes passierte. Lani hatten ihn die ganze Zeit über angesehen. Mit dieser leichenblassen Haut, die ab und zu anstelle ihres rosigen Tons auftrat.

»Einverstanden«,nickte sie. »Wie einverstanden?« Er war überrascht,denn er hatte alles erwartet, aber nicht, dass sie so einfach nachgeben würde. »Setz' dich«, befahl sie ihm und nahm auf den kleinen Stufen vor dem Eingang Platz. Es schien sie wohl kaum zu kümmern, dass dort ebenfalls Ruß lag und wohlmöglich ihr Kleid verdrecken würde.

Obwohl Adalar jetzt genauso wenig wusste was nun passieren würde, saß er sich hin. Es war ein Anfang, Hauptsache er musste nicht in diese Ruine.

»Vor drei Monaten ging hier ein Drogendeal schief. Ich weiß nicht genau was passiert ist, jedenfalls wurde irgendein Dealer verarscht. Ich glaube er hatte die Ware, für die er bezahlt hatte nicht bekommen«,sie warf einen Blick hinter sich. Ihre zarten Finger Strichen dabei über den Ruß auf der Stufe. Sie schien auch hier auf eine verrückte Art und Weise an diesen Ort zurück gekehrt zu sein. Sie schien schon wieder alles zu begrüßen. »Ich weiß. Es ist ein verdammt ungewöhnlicher Ort für einen Drogendeal, aber irgendwie war er sehr beliebt«,fuhr sie fort. Adalar hatte das noch wage in Erinnerung. All die Schlagzeilen in der Zeitung, die seine Mutter immer las, über all die drogensüchtigen in Maple Bay.

»Aber dieses Mal ist irgendetwas komplett schief gelaufen, Adalar.« Sie sah ihn an und dieses Mal war ihre Haut noch weißer, als die einer Leiche. Fast schon durchsichtig, so als würde sie gleich verblassen,vom Wind davon getragen werden. »Sie haben geschossen.«

Verdammt. Das hier war keine Ruine, das war ein Schlachtfeld, ein Tatort.

»Aber anscheinend war das noch nicht genug, denn sie haben alles angezündet. Anscheinend waren sie so wütend,dass sie nicht nur den Schuldigen sondern auch den unschuldigen wehtun wollten.«

Adalar musste schlucken.

»Wie viele sind gestorben?«

Sie sah weg. Wieder auf die Fassade, als würde sie irgendwie versuchen alles rückgängig zu machen. »Dreiundachtzig Menschen sind gestorben. Hundertzweiundfünfzig Verletzte, darunter zweiundvierzig Schwerverletzte.« Sie hauchte die Zahlen, als wären es nur Schlagzeilen. Als würde sie irgendeine Zeitung vor sich haben. Als wäre das in irgendeiner Stadt passiert. Überall nur nicht hier.

Er wusste nun wirklich nicht was er sagen sollte. Es bedrückte ihn. Aber was ihm wirklich Angst machte, war die Tatsache, dass er das vergessen hatte. Gab es da einen Grund oder war das einfach nur eine willkürliche Information, die sein Gehirn verschwinden lassen hatte?

»Du sagtest wir kennen uns gut«,begann er und Lani sah wieder zu ihm. Sie nickte. »Weißt du dann vielleicht wo ich an diesem Tag war? Ich erinnere mich nicht mehr daran.« Diese Frage schien ihr den Rest zu geben, denn jede einzelne ihrer Fasern war angespannter, als eine Gitarrenseite. Sie schien jeden Moment zu zerreißen. Als wäre sie zwischen zwei Optionen hängen geblieben und konnte sich jetzt nicht entscheiden,welche davon sie wählen würde.

Sie kam ihm näher,legte ihre Hand über seine Schulter, hauchte ein entsetzes »Du warst dabei«, so als würde sie es jetzt erfahren, und dann drückte sie ihn an sich.

»Wir waren dabei.«

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