56
Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht und als ich es nicht länger daheim aushalten konnte, war ich wieder zurück ins Krankenhaus zu Vince gefahren.
Nun saß ich an seiner Bettseite und tupfte die Schweißperlen auf seiner Stirn mit einem feuchten Tuch weg.
Mein Blick schnappte zur Türe als sie aufging.
Elijah kam herein und schreckte zusammen als er mich im Zimmer sah.
"Hey", flüsterte ich mit einem schwachen Lächeln bevor ich mich wieder Vince zuwandte.
"Hey. Dachte du bist daheim", kam es genau so leise zurück als er sich ein Stuhl ans Bett zog und sich draufsetzte.
"Dasselbe dachte ich von dir auch", antwortete ich und legte das Tuch zur Seite.
Schließlich hob ich meinen Blick zu Elijah, der mir gegenübersaß.
Seine Augen waren gerötet, durch die Schlaflosigkeit und das weinen, was er versucht hatte zu unterdrücken.
Seine Haare waren unordentlich, durch das viele dranziehen und drüberfahren und sein Shirt hatte noch den Kaffeefleck von gestern Mittag als er den Anruf vom Krankenhaus entgegengenommen hatte.
Er musterte mich fragend als er mich beim starren erwischte.
"Was?", schnitt seine Stimme in die Stille.
"Du siehst scheiße aus", gab ich von mir ehe ich meinen Blick wieder auf Vince richtete.
Elijah lachte schwach auf.
"Du bist auch nicht gerade ein schöner Anblick"
Diesmal zuckten meine Mundwinkel leicht hoch und ich konnte nicht anders als ihm recht zu geben.
"Denkst du er wird wieder?", fragte ich und die Stimmung wurde wieder angespannter.
Elijah antwortete zunächst nicht. Stattdessen musterte er seinen besten Freund.
"Klar. Es ist Vince. Und wenn nicht trete ich ihm im Jenseits in seinen Hintern, weil er mich mit euch Idioten allein gelassen hat", scherzte er, wobei seine Stimme einen traurigen Unterton hatte.
Mein Mundwinkel zuckte wieder leicht hoch während der Schmerz in meiner Brust stärker wurde.
Die Türe ging ein zweites Mal auf.
"Holy Fuck", erschreckte sich Isaac und fasste sich an die Brust.
"Hey", grüßten Elijah und ich ihn synchron.
Wir bekamen im Gegenzug ein Nicken.
Er zog sich ebenfalls ein Stuhl ans Bett und setzte sich darauf.
"Wie lange seid ihr schon hier?", fragte er und starrte dabei auf seine Hände.
"Keine Ahnung", antwortete ich ehrlich.
Ich wusste nicht mal wie spät es war, aber da es draußen noch dunkel war, tippte ich auf 03.00 oder 04.00 Uhr.
Wieder kam nur ein Nicken als uns die Stille einholte.
Und während Elijah und ich Vince beobachteten, war mir aufgefallen, dass Isaac ihn kein einziges Mal angesehen hatte.
Besorgt sah ich zu ihm.
Seine Stirn war gerunzelt und sein Kiefer war angespannt. Aber nicht weil er wütend war, nein eher, weil er sich darauf konzentrierte nicht in Tränen auszubrechen.
Schweigend stand er plötzlich auf und verließ den Raum.
Ohne zu zögern folgte ich ihm.
Er hatte seine Stirn an die Wand gelehnt und seine zu Fäusten geballten Hände, die auf jeweils einer Seite seines Kopfes positioniert waren, stützten ihn.
Sein Körper bebte als er den Tränen endlich freien Lauf ließ.
Unsicher lief ich näher zu ihm und als er nichts machte schlang ich meine Arme um sein Torso und umarmte ihn.
Schließlich fiel er in sich zusammen und ich hörte ein Schluchzen, was mich veranlasste ihn stärker zu drücken.
"Es ist meine Schuld", murmelte er vor sich hin.
Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen bevor ich ihn von der Wand zog und ihn zu mir drehte.
"Was redest du da?", fragte ich fassungslos und hielt sein Gesicht in meinen Händen. Mit meinen Daumen strich ich über die salzigen Tränen.
"Robin, es ist meine Schuld. Ich habe mit ihm gestritten bevor das passiert ist und der Doktor hat gesagt, dass er durch den ganzen Stress mitten auf der Straße zusammengebrochen ist", sprach er, seine Stimme schwer mit Emotion.
Weitere Tränen folgten unaufhörlich als ich wie wild meinen Kopf schüttelte.
"Es ist nicht deine Schuld. Denk sowas nicht", sprach ich und umarmte ihn mit all der Kraft die ich hatte.
Seine Arme verfestigten sich an meiner Taille und das erste Mal hatte ich das Gefühl sein Anker zu sein, wo er doch so oft schon meiner war.
"Es ist nicht deine Schuld. Keiner konnte wissen, dass sowas passiert und keiner von uns wusste von Vince gesundheitlichem Zustand", versuchte ich ihn zu beruhigen.
Er gab ein Kuss auf meinen Kopf und drückte mich im Gegenzug enger.
Wir standen noch etwas länger.
Und ich hielt Isaac solange bis er sich beruhigt hatte und mir endlich glaubte, dass er nichts dafürkonnte.
Wieder zurück im Zimmer, unterbrachen wir die Unterhaltung die Elijah mit Vince führte.
Als er mitbekam, dass wir wieder zurück waren wischte er sich die Tränen aus den Augen und setzte ein schwaches Lächeln auf.
Kaum hatten wir wieder unsere Plätze eingenommen, ging wieder die Tür auf.
Noah trat mit Tüten und Kaffee ein.
"Ich wusste, dass ihr hier sein würdet", sagte er mit einem Lächeln, doch sogar ein Blinder hätte gesehen, dass es ein gezwungenes war.
"Ich habe ehm, ich habe Kaffee und was zu essen gebracht", fügte er hinzu und legte die Sachen auf dem Tisch ab.
Wir nahmen den Kaffee alle dankbar an, doch keiner von uns rührte auch nur das Essen an.
Und während wir alle unseren Kaffee tranken, ging die Sonne auf und die strahlen fielen vom großen Fenster ins Zimmer.
Doch das war nicht das einzige was aufgegangen war.
Vince grüne Augen erblickten im selben Zeitpunkt das Tageslicht.
Mein Atem stockte als er sie auf mich richtete.
Die Zeit schien stehen zu bleiben und der Schmerz in meinen Brustkorb wurde immer schwächer und schwächer, bis ich ihn kaum mehr spürte.
"Gott sei Dank", atmete Elijah aus.
"Willkommen zurück Bro", gab Noah erleichtert und diesmal mit einem echten Lächeln von sich.
Isaac schloss seine Augen und öffnete sie kurz darauf wieder nur um festzustellen, dass Vince wirklich erwacht war.
"Ich- ich sollte mal den Doktor holen", sprach er dann und lief aus dem Raum.
Vince blickte nun perplex durch das Zimmer.
"Wasser?", war das erste was er sagte. Seine Stimme war rau und ich schenkte ihm schnell was ein.
Elijah half ihm sich aufzurichten und ich hielt das Glas vor seine Lippen.
Nachdem er getrunken hatte fing Elijah an zu reden
"Fuck man du hast uns zu Tode erschreckt", kam es von ihm.
"Dann wären wir wenigstens alle zusammen 11 Meter unter der Erde vergraben und nicht nur Vince", fügte Noah hinzu und meine Augen weiteten sich ehe ich ihm fest auf die Schulter schlug.
Er verzog sein Gesicht und rieb die Stelle.
"Zu früh?", fragte er und ich nickte wild während Vince Mundwinkel sich minimal nach oben bewegten.
Daraufhin betraten Doktor Reece und Isaac wieder das Zimmer.
"Ah Herr Reagan, ich bin Doktor Reece. Wie fühlen Sie sich?", fing er sofort an.
"Pff, was ist das bitte für eine Frage?", murmelte Noah vor sich hin und ich schlug ihn wieder unauffällig.
"Kopfschmerzen", antwortete Vince nur.
Doktor Reece nickte und überreichte mir auffordernd Tabletten, die ich zusammen mit einem Glas Wasser Vince verabreichte.
"Können Sie sich daran erinnern was passiert ist?", hakte er weiter nach.
"Nein", atmete Vince aus nachdem er die Pille zu sich genommen hatte.
"Dachte ich mir schon..."
"Wieso fragen Sie dann?", sagte Noah vor sich hin, was ihm noch einen Schlag von mir kassierte.
"Sie hatten auf einer Straße einen Pseudo-Herzinfarkt als ein Auto plötzlich auf sie zugefahren ist. Sie sind gegen die Windschutzscheibe aufgeprallt und haben sich eine Gehirnerschütterung und innere Verletzungen zugezogen", erläuterte Doktor Reece in Kurzfassung.
"Aber jetzt ruhen sie sich noch etwas aus. Wenn Frau Dupont hier sein wird, besprechen wir wie es weitergehen wird"
Der Doktor verabschiedete sich und dafür kam eine Krankenschwester rein, die verschiedene Checks an Vince ausführte und uns deswegen rausschickte.
"Ist alles für die Operation vorbereitet?", hörte ich eine weibliche Stimme mit einem französischen Akzent sagen.
"Ja wir können gleich anfangen", erkannte ich Doktor Reece Stimme.
"Mama er wird doch durchkommen?", fragte diesmal ein Mädchen und mein Körper gefror als ich sie sah.
Noah, Elijah und Isaac ging es nicht anders als sie die Jugendliche anstarrten.
Adeline, Vince Freundin war da.
"Er ist stark Adeline, mach dir keine Sorgen. Du kannst ihn auch gleich besuchen aber zuerst müssen wir noch rein", antwortete ihr, wie ich annahm Frau Dupont, Vince private Kardiologin und so wie es aussah Adelines Mutter.
Adeline lächelte uns schüchtern an als sie sich zu uns stellte und die beiden Ärzte zu Vince gingen.
Die Jungs sahen mich unsicher an bevor sie unter sich ein Blick wechselten.
Währenddessen versuchte ich nicht zu weinen, ihr eine reinzuschlagen oder beides gleichzeitig zu tun.
Elijah seufzte kurz auf bevor er anfing zu reden.
"Hey Adeline, wir sind Freunde von Vince. Ich bin Elijah, das sind Isaac, Noah und Robin", stellte er uns vor und zeigte jeweils auf denjenigen dessen Namen er sagte.
Adelines Gesichtsausdruck wurde kurz nachdenklich bevor sie mich mit einem warmen Lächeln ansah.
"Robin?", wiederholte sie meinen Namen.
Ich nickte, ein emotionsloser Ausdruck (hoffte ich zumindest) auf meinem Gesicht.
"Vince hat viel von dir geredet", sagte sie dann in ihrem blöden französischen Akzent, was sich eigentlich nicht blöd anhörte, sondern eher süß.
Aber ich hasste sie, deshalb blöd, okay?
"Und was ist mit uns?", fragte Noah plötzlich beleidigt.
"Über euch auch. Aber ich denke man schwärmt automatisch mehr über die eigene Freundin", lächelte Adeline.
In meinen Kopf fing sich alles an zu drehen.
Über die eigene Freundin?!
Ich schüttelte meinen Kopf und hielt dann meine Schläfe.
"Wie bitte?", fragte ich nach. Die Jungs schienen genauso verwirrt wie ich zu sein.
"Na ja, du bist doch die Freundin oder? Denn Vince hat mir viel von dir erzählt"
"Warte. Stopp. Moment mal. Vince hat gesagt, dass Robin seine Freundin ist?", hakte Noah ungläubig nach.
Adeline sah nun auch verwirrt aus.
"Er hat zwar nie genau Freundin gesagt aber allein schon wie er von ihr geredet hat, hat mich annehmen lassen, dass sie zusammen sind", antwortete sie überfordert.
Ich blickte verwirrt jeden einzelnen der Jungs an.
Noah war sauer und verwirrt zugleich, Elijah war verwirrt und enttäuscht und Isaac sah...hoffnungslos aus.
"Ich- ich dachte, dass du seine Freundin bist", öffnete ich nun endlich meinen Mund.
Sie lachte kurz auf bevor sie auf einmal still wurde.
Sie schloss ihre Augen und schüttelte den Kopf.
"Verdammter Idiot", fluchte sie vor sich hin.
Gerade als sie uns was mitteilen wollte, ging Vince Zimmertür auf und die Krankenschwester und die beiden Doktoren rasten förmlich mit dem Bett, in dem Vince lag, aus dem Zimmer.
"Los, los, los, wir dürfen keine Zeit verlieren!", kommandierte Frau Dupont als sie ihn den Gang runterschoben und aus unserer Sicht verschwanden.
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