Kapitel 26: Einbruch

Yunhos Sicht:

Seit dem Telefonat konnte ich kaum schlafen oder ruhig in der Wohnung bleiben. Mir gingen viel zu viele Gedanken durch den Kopf und die Sorgen um Jeongguk wurden immer größer. Ich bin mir sicher, dass er im Hintergrund geschrien hat. Dieses herzzerreißende Kreischen würde ich immer erkennen. So oft ich davon mitten in der Nacht geweckt wurde... Irgendwas an diesem Experiment ist faul und ich muss einfach sicher gehen, dass Jeongguk und die anderen Männer nicht in Gefahr sind, und da kann ich nicht noch zwei weitere Tage warten, bis Sonntag ist.

Darum habe ich mich um drei Uhr morgens aus dem Bett geschält und bin mit dem Bus zur Universität gefahren. Mein Cousin hat mir zwar davon abgeraten, hier her zu fahren, aber ich heiße Jeong Yunho und höre auf niemanden. Das Wohlergehen meines besten Freundes steht auf dem Spiel und ich halte diese Schuldgefühle nicht mehr aus. Ich muss nach ihm sehen und feststellen, dass es ihm gut geht. Auch wenn es heißt, dass ich in das Gebäude einbrechen muss, vor dem ich seit gefühlten zwanzig Minuten stehe und mir gerade all meinen Mut zusammensammeln muss, da ich trotzdem Angst habe, erwischt zu werden. Merkwürdigerweise hängt ein Schild am Tor, auf dem steht, dass die Universität für einen unbestimmten Zeitraum wegen Rattenbefall geschlossen hat. Ich kann Jeongguks Stimme in meinem Kopf hören, die mir sagt, dass das kein gutes Zeichen sei.

Okay, Yunho. Augen zu und durch. Du schaffst das. Ich ziehe mir die Kapuze meines schwarzen Pullovers über den Kopf und gehe drei weitere Schritte auf das Gittertor zu. Mit beiden Händen halte ich mich am Gitter fest und stecke meinen linken Fuß in eine der Lücken, mit meinem anderen Fuß springe ich vom Boden ab und gebe mir dadurch etwas Schwung, bevor ich auch diesen in eine Lücke stecke, sodass ich wie bei New Mario Bros an dem Gitterhänge. Ich presse die Lippen zusammen und positioniere meine rechte Hand etwas höher und tue dasselbe mit meinem linken Fuß. So arbeite ich mich stetig nach oben, bis ich ganz oben angekommen bin. Das Tor quietscht bei jeder meiner Bewegungen und wackelt ziemlich stark, als ich mein rechtes Bein auf die andere Seite schwinge.

„Waaah", gebe ich erschrocken von mir und klammere mich mit beiden Händen an dem Metall zwischen meinen Beinen fest.

Mir würde es noch fehlen aus fünf Metern Höhe zu stürzen. Diesmal klettere ich deutlich langsamer und vorsichtiger das Tor herunter, bis ich endlich wieder auf dem Boden bin. Mein Herz rast wegen dieser anstrengenden Aktivität am frühen Morgen und meine Klamotten kleben an meiner schwitzigen Haut. Ich stemme hechelnd meine Fäuste in meine Seiten und schaue den langen Kiesweg an, der zur Eingangstür des Gebäudes führt. Danach lasse ich meinen Blick über das Gebäude schweifen und kann nicht erkennen, ob irgendein Fenster offensteht. Mit schnellen Schritten laufe ich den Weg entlang und bleibe vor dem Eingang stehen. Vielleicht habe ich Glück und die Tür ist auf. Humorlos lache ich bei meinem Gedanken und lege meine Hand an die Klinke. Ich drücke sie runter und ziehe fest daran, sodass die Tür schnell aufschwingt.

„HÄ?!", gebe ich laut und vollkommen verwirrt von mir, weil ich nicht damit gerechnet habe.

Wer lässt die Eingangstür einer so großen Universität in der Nacht offen? Vielleicht wurde vergessen, die Tür abzuschließen. Ich weiß es nicht, aber das macht es mir umso einfacher, Jeongguk zu finden. Ich betrete das Gebäude und werde von purer Dunkelheit empfangen, sodass ich mein Handy aus meiner Hosentasche raushole und mit meiner Handytaschenlampe etwas Licht ins Dunkle schaffe. Angespannt leuchte ich durch die Eingangshalle und merke wie meine Hände vor Angst zittern, doch hier ist keine Menschenseele. Allein in einem fremden Gebäude zu sein, beunruhigt mich. Reiß dich zusammen, Yunho. Ich tue das alles für Jeongguk. Das schulde ich ihm. Zögerlich laufe ich gerade aus weiter und sehe auch schon die weiße Tür, in denen die Gespräche geführt wurden. Ich gehe auf sie zu und ziehe schließlich am Türknauf, aber sie lässt sich nicht öffnen.

„Fuck, ich habe so Angst", flüstere ich mir selbst zu, weil ich alles in mir schreit, nicht weiterzugehen.

Plötzlich höre ich eine Tür zufallen und zucke heftig zusammen. Mein Puls steigt in die Höhe und ich merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen. Danach ertönen mehrere Schritte, die von oben kommen müssen. Ich schalte sofort meine Taschenlampe aus, damit sie mich nicht irgendwie bemerken.

„Wen findest du am interessantesten?", fragt eine weibliche Stimme.

„Ganz klar, Nummer 7. Er wird von den anderen so scheiße behandelt, aber er eilt ihnen immer wieder zur Hilfe. Er tut mir ein wenig leid, weil er so naiv ist. Wenn ich an seiner Stelle sein würde, hätte ich nicht mal einen Finger bewegt", antwortet eine andere weibliche Stimme.

„Ich finde Nummer 2 irgendwie interessant. Bei ihm verstehe ich manche Gedankengänge nicht. Er zeigt deutlich, dass er die anderen nicht leiden kann, aber wenn es ernst wird, hilft er ihnen trotzdem. Die Streitereien zwischen ihm und Nummer 7 sind auch ziemlich lustig", meint die andere.

„Es ist wirklich lustig, aber ich freue mich, wenn die richtigen Aufgaben anfangen. Dann wird ihnen schnell das Lachen vergehen und wir sehen, wie alle wirklich ticken", kichert die zweite und die andere stimmt ihr lachend zu, bis eine Tür auf und wieder geschlossen wird und ihre Stimmen verstummen.

Was meinen sie mit richtigen Aufgaben und wer sind Nummer 2 und 7? Haben sie Jeongguk und den anderen Männern Nummern zugewiesen? Das ist alles so verwirrend. Ich schalte meine Taschenlampe wieder ein und habe durch die zwei Frauen neuen Mut gewonnen, wodurch ich mich endlich traue, einen Weg nach oben zu suchen. Diesen finde ich auch schnell, weil etwas weiter links von mir eine breite Treppe nach oben führt. Eilig renne ich zur Treppe und laufe hoch. Ich leuchte durch den Gang und sehe bloß geschlossene Türen, die in die Hörsäle führen. Es herrscht komplette Stille, was mich ziemlich wundert, da sich wahrscheinlich mehrere Leute hinter diesen geschlossenen Türen befinden müssen. Ich gehe weiter und leuchte jede dunkle Tür an, jedoch fällt mir nichts Auffälliges auf, was mich irgendwie weiterbringen könnte. Irgendwann komme ich ans Ende des Korridors und stehe vor einer Doppeltür, auf der mit Großbuchstaben ‚KEIN UNBEFUGTER EINTRITT' steht.

Ohne zu zögern, öffne ich die Tür für einen Spalt und reiße ruckartig die Augen auf, als ich in einen überfüllten Hörsaal mit über hundert Leuten sehe, die alle auf eine große Leinwand starren und sich Notizen machen. Ich presse meine Hand auf meinen Mund und muss es mir verkneifen, einen schockierten Laut von mir zu geben. Auf der Leinwand sieht man, einen hellen weißen Raum, indem sich ein runder Esstisch und sieben Betten mit Kleidertruhen befinden. Mehr kann ich nicht erkennen, da sich meine Augen mit Tränen füllen, als ich meinen besten Freund neben zwei Kerlen liegen sehe und scheinbar tief und fest schläft. Er trägt kein Oberteil, sondern nur diese hellblaue Jogginghose, die die anderen Männer auch tragen. Vier Männer sitzen am Esstisch und frühstücken ruhig. Wenn ich richtig erkenne, dann haben alle Männer dunkle Augenringe und sehen fertig mit der Welt aus. Meine Atmung beschleunigt sich, als sich Jeongguk plötzlich aufsetzt und mit einem schmerzverzerrten Blick sich den Bauch hält. Bei seinem Anblick wird mir schlecht, da ihm die ganze Farbe aus dem Gesicht gewichen ist und er einer Leiche ähnelt. Einer der Männer am Esstisch bemerkt Jeongguk und spricht ihn mit der Nummer 7 an. In meiner Brust breitet sich ein bitterer Schmerz aus, da die eine Frau über Jeongguk geredet hat, der von den anderen Scheiße behandelt wird. Ich wusste, dass er Probleme haben wird, sich in die Gruppe zu integrieren.

„Wer zur Hölle sind Sie?", spricht mich auf einmal eine männliche Stimme von hinten an und packt mich an der Schulter, um mich gewaltsam in seine Richtung zu drehen.

Vor Schock kann ich nicht mal schreien, sondern starre ihn nur mit weit aufgerissen Augen an. Mein Herz rutscht mir in die Hose und mein Atem stockt, als ich diesen breiten Schrank vor mir stehen sehe. Sein Oberarm ist größer als mein fucking Kopf und nach seiner fiesen Miene schlägt er mir jeden Moment die Birne ein. Eine dicke Narbe ziert seine Wange und seine toten Augen durchbohren meine Seele, sodass ich innerlich sterbe vor Furcht. Da kein Wort meine Lippen verlässt, packt er mich am Kragen und zerrt mich in den Hörsaal.

„Wir haben ungewollten Besuch!", ruft er über den ganzen Saal und schubst mich vor sich auf den Boden.

Ich falle hart auf die Knie und fluche laut wegen den Schmerzen. Wütend hebe ich meinen Blick und möchte den Schrank böse anschauen, jedoch liegen nun hundert Augenpaare auf mir, die mich entweder entsetzt, wütend oder irritiert anschauen. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, fängt jeder an zu sprechen und der Geräuschpegel im Raum steigt an die Decke. Ein Mann mit grauen Haaren, der ganz vorne vor der Leinwand sitzt, steht auf und kommt die Treppen hoch, um mich genauer unter die Lupe zu nehmen. Mein ganzer Körper erstarrt, als ich diese emotionslosen und eisigen blauen Augen sehe. Seine Stirn ist in Falten gelegt und die buschigen Augenbrauen sind zusammengezogen. Er hat einen Vollbart und sieht nicht so aus, als würde er irgendwas Nettes mit mir vorhaben. Als er zum Stehen kommt, verstummen alle im Raum und starren ihn wie einen Gott an.

„Jeong Yunho. Was machen Sie hier?", spricht er mich bei Namen an und bereitet mir dadurch eine eklige Gänsehaut.

„Woher kennen Sie meinen Namen?", frage ich sofort und kann mich nicht daran erinnern, diesen Mann irgendwann mal in meinem Leben gesehen zu haben.

„Sie leben bei Jeon Jeongguk und haben sich ebenfalls bei diesem Experiment angemeldet. Natürlich weiß ich, wer Sie sind. Haben wir Ihnen nicht gesagt, dass Sie am Sonntag herkommen können?", antwortet er gereizt und massiert sich das Nasenbein.

„Wieso darf ich ihn erst Sonntag sehen? Wollen Sie für die Angehörigen ihrer Versuchskaninchen ein falsches Bild von diesem illegalen Experiment schaffen?", zische ich ihn wütend an und raffe mich vom Boden auf.

„Sie sind der Einzige, der sich nach Jeongguk erkundigt hat. Es kommt uns ziemlich gelegen, dass Sie hier sind, weil ihre Ankunft gehört zu unserem schönen Plan, um das Schlimmste aus ihrem besten Freund zu holen. Fessel ihn und bring ihn nach unten", grinst er fies los und sieht mich wie ein Irrer an, bevor er dem anderen Typen einen Befehl gibt.

Keine Sekunde später packt mich der Schrank an den Armen und schleudert mich an die Wand, um mir Handschellen anzubringen. Mein Kopf donnert gegen den Beton und es klingelt in meinen Ohren, während ein bitterer Schmerz meinen Kopf durchfährt. Ist das nun mein Todesurteil?

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