Kapitel 15: Schreie
Jeongguks Sicht:
Langsam öffne ich meine schweren Augen und stelle fest, dass ich mich immer noch in dem schwarzen Raum befinde. Bewegungsunfähig liege ich auf den Boden und habe mich im „Schlaf" wie ein Embryo zusammengekauert, sodass ich nun auf der Seite liege und die gegenüberliegende Wand anstarre. Mein Körper fühlt sich tonnenschwer an und ich besitze nicht mal die Kraft mich aufzusetzen.
Wie lange war ich bewusstlos?
Ich schaue mich im Raum um und merke, dass der Kasten voller Glasscherben und die Stange nicht mehr hier sind. Heißt das, dass ich die Aufgabe nicht mehr machen muss? Wenn das der Fall ist, dann frage ich mich, wieso ich mich noch in diesem dunklen Raum befinde. Müde schließe ich meine Augen und bete, dass der Professor nicht bemerkt, dass ich wach geworden bin. Ich hatte vorhin so eine Panik zu ersticken. Wieso misshandeln die mich so sehr? Habe ich nicht genug in meinem Leben gelitten? Wann darf ich endlich mal zur Ruhe kommen und glücklich sein?
Ein bedrückendes Gefühl macht sich in meiner Brust breit und ein Kloß bildet sich in meinem Hals, da mir wieder danach ist, zu weinen. Ich habe schreckliche Angst davor, was in den nächsten Tagen noch mit mir geschehen wird. Entweder machen mich die Jungs fertig oder der Professor macht sich einen Spaß daraus, mich bloß zu stellen. Sie wissen meine ganze Lebensgeschichte und ich fühle mich einfach nur ausgelacht von ihnen. Bestimme lachen die Jungs mich in dem Wohnraum aus und ergötzen sich wie der Professor an meinem Leid. Unbewusst fließen mir Tränen aus den Augen, die über mein Nasenbein laufen und dann auf den dunklen Boden unter mir tropfen.
„Warum weint Jeonggukie?", fragt mich auf einmal eine bekannte helle Stimme, die diesen Sturm in mir wie auf Knopfdruck zum Stillstehen bringt.
Zögerlich öffne ich meine Augen und kann durch meine Tränen nur Umrisse einer Person erkennen. Ich schrecke zurück und blinzle so oft wie nur möglich, bis ich die goldenen Locken meiner kleinen Schwester erkenne. Mir stockt der Atem und ich traue mich nicht, mich zu bewegen. Nur mein Herz rast und droht aus meiner Brust zuspringen. Sie schaut mich mit ihrem strahlenden Lächeln an und kniet sich zu mir auf den Boden.
„Ich bin tot", hauche ich und beginne am ganzen Leib zu zittern.
Sie haben mich umgebracht. Oh mein Gott. SIE HABEN MICH UMGEBRACHT! Kairi schüttelt den Kopf bei meinen Worten und legt ihre kleine Hand sanft auf meine linke Wange, um mir die Tränen mit ihrem Daumen fort zu wischen.
„Nicht weinen. Kairi mag das nicht, wenn Jeonggukie weint", sagt sie mit ihrer süßen kindlichen Stimme und schmollt, als ich anfange zu schluchzen und meine Hand über ihre lege und sie verkrampft festhalte.
„Es tut mir leid. Ich kann nicht anders", antworte ich ihr und presse ihre Hand gegen meinen Mund, bevor ich ihr einen Kuss auf ihrem Handrücken hinterlasse.
„Jeonggukie weint zu viel. Als Kairi weg war, hat Jeonggukie nur noch geweint. Deswegen ist Kairi ganz traurig", spricht sie in der dritten Person von uns beiden und zieht nun auch die Augenbrauen verärgert zusammen.
„Ich vermisse dich einfach nur so sehr, meine Kleine. I-Ich vermisse dich so schrecklich sehr", weine ich und setze mich endlich auf, um meine kleine Prinzessin in die Arme zu nehmen.
Sie erwidert meine Umarmung sofort und lässt es zu, dass ich ihren kleinen zierlichen Körper, so fest wie es nur geht, an mich drücke und vor mich hin weine. Ich bin so froh, sie wieder in meine Arme schließen zu können. Ich streichle mit meiner Hand über ihren Hinterkopf und spüre, dass sie selbst zu weinen beginnt. Das zerbricht mir das Herz und ein bitterlicher Schmerz breitet sich in mir aus. Ich weine noch mehr und vergrabe mein Gesicht in ihren goldenen Locken, die nach ihrem süßen Erdbeershampoo riechen.
„Kairi will wieder bei Jeongguk sein. Kairi ganz alleine hier, ohne Mama und Bruder. Warum hat Mama und Jeongguk Kairi gehen lassen?"", winselt sie und weint in mein Oberteil.
„Ich wollte nicht, dass du gehst. Ich habe alles versucht, um dich zu retten, Kairi", sage ich ihr, aber diese Antwort macht sie wohl sauer, da sie mich plötzlich wegschubst und mich erbost anstarrt.
„Lüge! Jeongguk hat nicht alles versucht! Jeongguk hätte Kairi früher zum Arzt bringen können, dann würde sie noch leben. Mama und du seid schuld, dass Kairi nicht mehr lebt! Kairi hätte noch so viele Jahre leben können, aber ihr habt es nicht zugelassen. Ich hasse euch dafür! ICH HASSE DICH DAFÜR!", brüllt sie mich an und entfernt sich immer weiter von mir.
„Es tut mir leid! Kairi, bleib hier. Bitte bleib hier! BITTE, KAIRI! ES TUT MIR DOCH LEID!", verzweifelt krabble ich ihr wie ein Häufchen Elend hinter her und versuche nach ihr zu greifen, aber sie entfernt sich immer weiter von mir.
Ächzend stehe ich vom Boden auf und renne ihr hinter her, aber der schwarze Raum wirkt auf einmal unendlich groß und ich fühle mich so, als würde ich auf derselben Stelle rennen, während Kairi kaum noch zu sehen ist. Plötzlich klappen meine Beine zusammen und ich falle hart auf den Boden. Nein! Verdammte Scheiße! Ich darf sie nicht gehen lassen! Schwer atmend schaue ich nach, wo sie ist und bemerke, dass ich sie nicht mehr sehe.
„Nein, nein, nein, nein, nein, nein! Wo ist sie hin? Sie kann nicht weg sein", flüstere ich vor mich hin und schaue mich hektisch in der Dunkelheit um, jedoch finde ich sie nirgendwo.
Nach all den Jahren konnte ich mit ihr sprechen und jetzt wurde mir Kairi wieder weggenommen. Warum hasst mich das Leben so? Der Schmerz in meinem Herzen wird immer schlimmer und ich breche in Tränen aus. Ich kralle meine Hand in meine Brust und kann kaum atmen. Ich will sterben. Ich will nur noch sterben. Ich will bei meinem einzigen Lichtblick sein.
„BITTE LASST MICH EINFACH STERBEN! ICH WILL NICHT MEHR! ICH KANN NICHT MEHR! ES IST ZU VIEL", kreische ich aus voller Kehle und schlage mit meiner Faust so fest auf den Boden, sodass meine Haut aufplatzt und anfängt zu bluten.
Schlagartig wird alles weiß um mich herum und beginnt zu bröckeln. Ich reiße meine Augen auf und starre den Boden unter mir an, der sich keine Sekunde später öffnet und mich in riesiges Loch fallen lässt. Unbewusst beginne ich zu Schreien und versuche mich irgendwo an den Wänden festzuhalten, aber ich falle immer weiter, bis ich Erde unter mir sehe und genau darauf zu rase. Bevor ich auf die Erde treffe, wird es plötzlich schwarz vor meinen Augen und ich höre mehrere Stimmen in meinem Kopf.
„JEONGGUK, WACH ENDLICH AUF!", brüllt mich jemand an und klatscht mir so fest gegen die Wange, sodass ich meine Augen wieder öffne und sechs Köpfe über mir sehe.
Mein Atem geht furchtbar schnell und ich bin am ganzen Körper durchgeschwitzt. Ich schaue mich panisch um, aber beruhige mich, als ich bei den anderen im Wohnraum bin und im Bett liege. Taehyung und Jimin setzen sich erleichtert auf den Boden und danken Gott, dass ich aufgewacht bin, während Jin und Yoongi sich durch die Haare fahren und vor sich hin fluchen. Hoseok und Namjoon reden auf mich ein und fragen mich, ob es mir gut geht, aber ich kann auf nichts antworten. Das war alles nur ein Traum. Ein schrecklicher Traum...
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