Kapitel 13: Nummer 7
Still betrete ich den dunklen Raum und sehe nur eine silberne Stange, die waagerecht von der Wand herunterhängt und sich über einem Kasten voller Glasscherben befindet. Hinter mir schließt sich die Luke wieder und ich bleibe einfach vor dieser stehen. Ich kann schon ahnen, dass ich eine unmöglich zu bewältigende Anzahl an Klimmzügen machen muss und schließlich keine andere Wahl habe, als mich in die Scherben fallen zu lassen. Wie soll ich das denn bitte schaffen, wenn wir gerade eben noch die Sportübungen gemacht haben und meine Arme sich wie Brei anfühlen? Seufzend setze ich mich auf den Boden und ziehe meine Beine an meine Brust. Ich werde die Aufgabe nicht machen.
„Was tun Sie da, Nummer 7? Ich habe Ihnen noch gar nicht mitgeteilt, was Sie machen müssen", fragt mich der Professor irritiert.
„Egal, was meine Aufgabe sein wird. Ich werde sie nicht machen. Alle anderen hatten wenigstens eine Auswahl, ob sie ihre Aufgabe machen möchten und ich bin der Einzige, der seine Aufgaben machen muss. Wenn ihr somit erreichen wollt, dass ich euch gehorche, weil ich wieder normal behandelt werden möchte, dann könnt ihr das vergessen", antworte ich und starre auf den Boden.
„Wenn Sie sich verweigern ihre Aufgabe zu absolvieren, dann bleiben Sie in diesem Raum. Ist Ihnen das bewusst?", erwidert er monoton.
„Ich bin lieber in diesem Raum als bei den anderen", gebe ich ehrlich zu.
Noch nie in meinem Leben habe ich mich so unwohl unter Menschen gefühlt wie in den letzten Tagen. Ich bin zwar noch nie mit anderen Leuten klargekommen, aber bei diesen Jungs fällt es mir besonders schwer. Sie misstrauen mir schon seit der ersten Stunde und vermitteln mir durch ihre Blicke, dass sie mich los werden wollen. Ich habe ständig dieses beklemmende Gefühl der Einsamkeit in meiner Brust und mit jeder weiteren Minute will ich zurück nach Hause.
Seit ich hier bin, denke ich an Dinge, die ich einfach nur vergessen will. Zum Beispiel meine Mutter. Sie ist verantwortlich dafür, dass die ersten 18 Jahre meines Lebens, die reinste Hölle waren. Ich musste durch ihre Fehlentscheidungen leiden, weil sie es nicht hinbekam, ihr Leben in den Griff zu bekommen, und sich jedes Mal auf irgendwelche komischen Männer eingelassen hatte, die einfach nur mit ihr Schlafen wollten und sie wie Scheiße behandelten. Nachdem meine Schwester gestorben war, drehten wir beide durch und unsere Beziehung ging endgültig in die Brüche. Ich gab meiner Mutter die Schuld an den Tod von Kairi. Heute weiß ich, dass das Schwachsinn war, da Kairi an einem bösartigen Tumor im Gehirn gestorben ist, der in wenigen Monaten die Hälfte ihres Gehirns eingenommen hatte und nicht mehr aufzuhalten war. Sie wurde gerade Mal vier Jahre alt und war der einzige Lichtblick in meinem traurigen Leben.
Als sie starb, war ich 17 Jahre alt und verkraftete ihren Tod nicht. Ich suchte bei jedem die Schuld an ihrem Tod und warf meiner Mutter so viele Vorwürfe gegen den Kopf, sodass sie irgendwann ausrastete und wir uns wie noch nie zuvor stritten. Der bloße Gedanke daran treibt mir schon die Tränen in die Augen und mein Herz fühlt sich so schwer in meiner Brust an.
In diesen fünf Jahren habe ich kein einziges Mal daran gedacht, was damals alles passiert ist, weil Yunho mich immer aus meiner Trance und meinen Erinnerungen geholt hat, wenn er merkte, dass ich mich wieder in diese dunkle Zeit zurück katapultiere. Aber Yunho ist nicht hier und kann mich nicht vor meinen Gedanken retten. Jedoch vermisse ich ihn immer mehr und realisiere endgültig, dass ich ohne ihn einfach nur trostlos bin. Ich fühle mich so, als hätte mir jemand meine glückliche Seite weggenommen.
„Das ist aber unfreundlich, dass sie das so offen zuzugeben. Denken Sie doch mal an die Gefühle der anderen", reißt mich dieses Arschloch aus meinen Gedanken.
„Halt einfach deine Fresse, du Missgeburt. Ihnen ist doch auch egal, wie ich mich fühle, obwohl ich ihnen wie der größte Vollidiot zur Hilfe eile. Lass... Lass mich einfach in Ruhe", murmle ich mit gebrochener Stimme und könnte mich dafür selbst schlagen.
„Oh, müssen Sie etwa weinen, Nummer 7? Naja, das ist zwar etwas traurig, aber Sie haben Recht. Die anderen Männer interessieren sich kein bisschen für ihr Wohlergehen und lästern sogar jetzt über Sie, obwohl es Ihnen klar und deutlich nicht gut geht. Ihr Leben ist wirklich bedauernswürdig. Sie waren schon ihr ganzes Leben ein Außenseiter und fühlten sich nie wirklich aufgenommen in einer Gruppe. Sogar im Kindergarten haben Sie alleine gespielt und waren froh, wenn ihre Mutter Sie abgeholt hatte, damit Sie sich wieder in ihr Zimmer verschanzen und den verurteilenden Blicken der anderen entkommen konnten. Dieses Verhalten hat sich nie geändert und Sie würden am liebsten in den Duschkabinen schlafen, weil Sie sich von den Blicken, die Sie ständig umzingeln, gestresst fühlen", redet er plötzlich auf mich ein und klatscht mir die eiskalten Fakten ins Gesicht.
Unbewusst füllen sich meine Augen mit Tränen, die mir schließlich über die Wangen rollen. Es macht mir Angst, dass sie gefühlt alles über mich wissen und mir meine Probleme jedes Mal unter die Nase reiben müssen. Darum presse ich meine Hände auf meine Ohren und will einfach nichts mehr hören, aber es nützt nicht viel, da die Lautsprecher so übertrieben laut sind, sodass ich ihn trotzdem noch höre.
„Sogar ihre Mutter wollte Sie nicht mehr sehen, weil sie nicht mehr mit Ihnen umgehen konnte. Es ist ein Wunder, dass Ihr bester Freund nicht längst das Weite gesucht hat. Sie haben ernsthafte Probleme, Nummer 7. Sie dürften eigentlich nie wieder ihre Rechte zurückbekommen, weil Sie anderen Menschen einfach nur das Leben erschweren. Vielleicht sollten sie für immer Nummer 7 bleiben. Wie wäre das, Nummer 7? Seien Sie doch ihr ganzes Leben lang die Nummer 7. Niemand würde Sie vermissen"
Heftig schüttle ich mit dem Kopf und schluchze vor Angst auf. Was, wenn sie uns nie wieder hier rauslassen? Vielleicht sind wir nicht erst seit drei Tagen hier, sondern schon eine ganze Woche und realisieren es einfach nicht. Mein Zeitgefühl habe ich schon längst verloren, da es hier keine Uhren oder Fenster gibt, wodurch sich ein Tag wie eine verdammte Ewigkeit anfühlt. Mein Atem beschleunigt sich von alleine, jedoch bekomme ich gleichzeitig kaum Luft und es fühlt sich so an, als wäre in diesem Raum viel zu wenig Sauerstoff. Panisch reiße ich die Augen auf und versuche tiefer einzuatmen, aber mir wird dadurch total schwindelig und meine Sicht verschwimmt vor meinen Augen.
„Gute Nacht, Nummer 7"
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